Bernhard Peter
Götterpack
schlägt sich, Götterpack verträgt sich
Transzendente Götter wie langweilig. Götter reiten auf Tieren oder Phantasiewesen oder sie fahren auf Wagen durch den Himmel, schwingen Waffen, stellen mit ihren körperlichen Merkmalen die Evolution auf den Kopf es sind Götter, die ihre Kräfte mit Vergnügen genießen und die Welt als ihren Abenteuerspielplatz betrachten. Man kann sich nur wundern und hoffen, daß man ihnen nicht in die Quere kommt oder nicht verhungert, wenn irgendsoein Asura das Wasser des Himmels für sich klaut und der Regen ausbleibt. Hoch über uns herrscht Intrige, Mord und Totschlag, treiben es die Götter aufgrund ihrer übernatürlichen Kräfte noch bunter als die Menschen auf der Erde. Polyandrie? Bei Draupadi und den fünf Pandavas geht das. Gewalt? Man denke nur an Ganesha, der von Papa den Kopf abgeschlagen bekam und statt dessen einen neuen Kopf vom erstbesten des Weges kommenden Elefanten bekam. Macht nichts, anderen erging es schlimmer, sie bekamen einen Ziegenkopf wie Daksha. Und die Geschichte von Indra, der einer Schwangeren seinen Donnerkeil in den Schoß jagte, damit die Leibesfrucht zersplitterte, sprengt ja nun wirklich jeden Rahmen guten Geschmacks von Gutenachtgeschichten. Und manchmal beziehen die Götter die Menschen ein in ihre Machtspiele, manchmal greifen sie auch in das Geschehen unter den Menschen ein.
Ein Gott für alle Zeiten ebenfalls eine langweilige Vorstellung. Indiens Götterhimmel ist alles andere als statisch. In früheren Zeiten hatten andere Götter andere Stellenwerte als im heutigen Hinduismus. Indiens Mythologie und Glaube haben eine lange Geschichte, und die Götter bzw. die Vorstellungen von ihnen haben sich mitentwickelt. Es gibt ältere Göttergeschlechter und jüngere, die sich in ihrer Bedeutung abgelöst haben. Göttergenerationen kommen und verblassen auch wieder. Beständig ist nur der Wandel in der Macht am Himmel. Waren am Anfang die Asuras und Suras, entstanden aus dem Asu (Atem) des Prajapati, die Herren am Götterhimmel, folgten die 33 Devas in vedischer Zeit, während die Asuras zu Dämonen wurden. Wiederum später übernahm das klassische System aus einer männlichen und einer weiblichen Dreiheit, die hinduistischen Hochgötter, das Ruder der Welt. Manche einst mächtigen Götter führen heute ein unbedeutendes Dasein, andere wurden während heißer Kämpfe zwischen den übernatürlichen Wesen besiegt oder getötet, manche verkamen zu Dämonen wie die Asuras, während wiederum andere Götter neue Macht erlangten, um irgendwann von Shiva und Vishnu nach deren glänzender Karriere abgelöst zu werden. Es läßt sich aber keine scharfe zeitliche Trennlinie ziehen, auch im heutigen Hinduismus existieren Vedismus, Shivaismus, Vishnuismus und volkstümlicher puranischer Hinduismus munter nebeneinander her.
Wie die Völker der Erde zur Macht kommen und wiederum anderen weichen müssen, wie Reiche und Kulturen kommen und vergehen, so geschieht es auch im Götterhimmel. Die mythologische Welt ist in ständiger Änderung begriffen, deshalb gibt es durchaus verschiedene Legenden, frühere und spätere, aber auch parallele. Für das Zunehmen und Abnehmen des Mondes gibt es gleich eine Vielzahl von Erklärungen, natürlich alle plausibel. Die Sichtweise der Dinge ändert sich. In frühen Versionen der Geschichte von Indra und Vritra ist er der strahlende Held, in einer späteren Version der verzagte Feigling. Die Zuständigkeiten der Götter wandeln sich ebenfalls. Früher König der Götter, bewacht Indra heute als "Hilfspförtner" die östliche Himmelsrichtung. Aber das ist nicht so wichtig, schließlich sind es ja Götter, die über die allzu strenge Sicht erhaben sind, viel wichtiger ist, daß der Lauf der Dinge weitergeht und alle Beteiligten den Bestand des Gleichgewichtes dieser Welt wahren. Mal ein Gott, mal ein Dämon, heute Aditi als Mutter, morgen dem Daumen Brahmas entsprungen, oder in der einen Legende mit der einen Frau verheiratet, in der anderen Legende mit einer anderen vermählt was machts, im Zweifelsfall ist es eine Wiedergeburt der ersten Frau, wir sind ja nicht bei der Ahnenforschung, und wir Menschen sollten den mächtigen Wesen keine Vorschriften machen, sondern sie nehmen, wie sie sind.
Ist da ein bißchen typisch deutscher Frust darüber dabei, daß man so viele Erklärungen, Versionen, Legenden und Geschichten findet, wie man an Quellen benutzt? Darüber, daß man nie etwas wirklich Verbindliches findet, sondern immer noch eine wieder andere Darstellung? Darüber, daß man in dem nächsten Buch schon wieder alles anders erklärt bekommt? Daß das alles so gegensätzlich und unstimmig ist und trotzdem wahr sein soll? Honni soit qui mal y pense! Wir sind in Indien, dem Land der Götter und Geschichten.
Lexikon
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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