Bernhard Peter
Grundprinzipien des Jainismus

Die Theorie der Reinkarnation der Seele, solange sie noch weltverhaftet und unrein ist, den Glauben an Karma und Dharma, an die Folgen der Taten für das nächste Leben, an den Zyklus der Wiedergeburten (Samsara), sowie an die Befreiung aus demselben durch Erreichen von Moksha bzw. Nirvana teilt die Jain-Religion mit dem Hinduismus und dem Buddhismus. Im Detail gibt es aber erhebliche Unterschiede wie z.B.:

Die wichtigsten Grundsätze des Jainismus sind folgende: Alle Lebewesen haben eine Seele. Die Seele ist ewig und unzerstörbar. Alle Seelen sind gleich, es gibt keine höherwertigen und keine minderwertigen Seelen. Jede Seele kann Erlösung erlangen durch Selbst-Realisierung (s. u.).

Das gesellschaftliche Modell unterscheidet sich krass vom hinduistischen Kastensystem. Jainismus wendet sich an die wahre Natur der Realität und lehnt Konstrukte, die ihr widersprechen, ab. Alle Seelen sind gleich hinsichtlich ihres Potentiales. Alle Seelen haben das Zeug, infinites Wissen und Glückseligkeit zu erreichen. Entscheidend ist nicht Geburt, sondern individuelle spirituelle Anstrengung.

Die Seele kennt aber ihre wahre Natur nicht und ist deshalb an die Prinzipien des Karma gebunden und deshalb in den Samsara-Wiedergeburtszyklus gezwungen. In ihrer reinen Form ist die Seele mit Allwissen, Macht und Glückseligkeit ausgestattet. Die Seelen sind aber unrein, denn ihr haften Karma-"Partikel" an, und ihr Wissen und ihr Glück sind begrenzt. Diese anhaftenden Karma-Partikel führen dazu, daß Menschen schlechte Handlungen tun, was zum Anheften weiterer Karma-"Partikel" führt. Die Seele ist immer an die ihr jeweils anhaftende Menge Karma gebunden. Die Theorie des Karma wird durch die 9 Tattvas beschrieben:

  1. Jiva – Seele, Bewußtsein
  2. Ajiva – nichtlebendige Substanz, hier speziell karmische Partikel
  3. Asrava – Begründung des Influxes von Karma: Unwissen oder Fehlglaube, Unachtsamkeit, Leidenschaften wie Ärger, Zorn, Lust etc. führen zum Anhaften von Karma-Partikeln an die Seele
  4. Bandha – Das Gebundensein der Seele an ihr Karma. Wenn Karma an die Seele gebunden ist, verwehrt es dieser umfassendes Wissen und Glückseligkeit und schränkt sie ein.
  5. Punya – Tugend, gutes Karma aufgrund von frommen Handlungen
  6. Papa – Sünde, schlechtes Karma aufgrund von Gewalt, Diebstahl, Zorn und anderen negativen Handlungen. Beide zusammen, Punya und Papa, bestimmen über Freud und Leid in der Zukunft, über Belohnung und Bestrafung in der nächsten Existenz der Seele nach der nächsten Wiedergeburt.
  7. Samvara – Anhalten des Influxes von Karma. Durch Kontrolle seiner Leidenschaften, durch Achtsamkeit, durch den rechten Glauben kann man das Ansammeln weiteren karmas verhindern.
  8. Nirjara – Erschöpfung des anhaftenden Karmas. Auch wenn keine neuen Karma-"Partikel" mehr dazukommen, muß das alte Karma durh Buße, Meditation, religiöse Studien, selbstlose Lebensweise etc. aufgebraucht werden.
  9. Moksha – Totale Befreiung vom Karma, Wiederherstellung der reinen Seele. In diesem Zustand ist kein altes Karma mehr übrig, die Seele hat sich vollständig von der karmischen Gebundenheit befreit, das Ziel aller Gläubigen.

Die Selbstverwirklichung des Menschen ist durch die „Drei Juwelen“ (Triratna) möglich:

Die Jain haben mit den drei Juwelen einen relativ direkten Erlösungsweg aus dem Zyklus der Wiedergeburten gefunden. Das Ziel der Menschen ist die Befreiung von diesem Zyklus durch Verstehen und Umsetzung. Das Besondere der Jain-Religion ist die Betonung der Befreiungsmöglichkeit durch eigene Anstrengung, unabhängig von der Gnade eines höheren Wesens. Die Jain-Literatur beschreibt 57 praktische Wege, wie eine Person den Influx von Karma begrenzen kann.

Realität oder Existenz (Sat) ist immer eine Kombination aus drei Elementen:

Interessant sind hier, auch wenn die Jain nicht an die Existenz von einzelnen Göttern glauben, die Parallelen zu den verschiedenen Trinitäten anderer Glaubensrichtungen mit Göttern.

Die Jain glauben, daß das Universum ewig ist, daß es keinen zeitlichen Anfang und kein zeitliches Ende hat. Das Universum konstituiert sich aus 6 grundlegenden Einheiten (Dravyas), die für sich auch ewig sind, aber dafür sorgen, daß sich das Universum ständig verändern kann, wobei aber bei diesen Veränderungen nichts verlorengeht. Die sechs Grundeinheiten sind: Jiva (Seele, Bewußtsein, belebt), Pudgal (Materie), Dharma, Adharma, Akasa (Raum), Kal (Zeit).

Die Jain haben einen speziellen ethischen Codex.

Die Doktrin der Relativität und der vielen möglichen Standpunkte ist einzigartig unter den Religionen und spezifisch für den Jain-Glauben. Jede Wahrheit ist relativ.

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