Bernhard Peter
Das
Ahimsa-Prinzip der Gewaltlosigkeit
Was bedeutet
Ahimsa?
Zum Dharma des Menschen
gehört als oberste Pflicht die Barmherzigkeit gegenüber allem
Lebendigen. Alle Lebewesen sollen füreinander da sein und sich
gegenseitig unterstützen. Der Jain- Ausspruch
Parsparograho Jivanam, Seelen helfen
einander, bietet die beste Alternative zu Darwins Theorie
vom Survival of the fittest. Die Jain-Philosophie
betont ausdrücklich, daß die Tiere und Pflanzen Seelen haben,
auch die Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser haben kleine
Lebewesen in sich. Alles in dieser Welt besteht aus Seelen und
deshalb soll die Menschheit bestrebt sein, nichts und niemanden
zu verletzen oder auszunutzen, und alle Wesen als Freunde zu
betrachten. Dies gilt für Jain nicht nur für andere Menschen,
sondern ganz besonders auch für die belebte Umwelt, für alle
Formen des Lebens, und erstreckt sich nicht nur auf Handlungen,
sondern auch auf Worte und selbst Gedanken, die den anderen
verletzen würden. Denn Karma-relevant ist vor allem auch die
Absicht, nicht nur die Ausführung einer Tat. Ahimsa ist die
Enthaltsamkeit von allem, was Gewalt gegenüber anderem Leben
beinhaltet. Das Prinzip ächtet damit nicht nur Kriege oder
Körperverletzung, sondern auch Unterdrückung, Versklavung, Qual
von Tierversuchen bis zu Insektizidanwendung. Die Jain
unterliegen einem hohen Anspruch: Kein niederes Tier, kein
Gewächs, kein höheres Wesen, kein sonstiges Lebendes darf
geschlagen, in Befehl genommen, bemeistert, angestrengt, oder
vernichtet werden. In jeder seiner Handlung sollte sich der
Mensch vom Prinzip der Barmherzigkeit leiten lassen, denn die
Abwesenheit von Barmherzigkeit macht unsere Taten verletzend. Der
Begriff bedeutet im Sanskrit: "nicht verletzen, nicht
schädigen". Ahimsa ist die grundlegende ethische Tugend der
indischen Religion der Jaina. Sie wurde übrigens auch von Anfang
an von Hindus und Buddhisten außerordentlich geschätzt.
Für uns selbst ist Ahimsa wichtig, weil verletzende
Handlungen, Gedanken oder Worte unser eigenes Karma beeinflussen.
Die Verletzung schlägt auf uns selbst zurück, indem wir
schlechtes Karma anhäufen. Gewalt gegen Mitmenschen oder andere
Lebewesen ist Gewalt gegen sich selbst. Umgekehrt ermöglicht uns
allein der Verzicht auf jede Form der Gewalt spirituellen
Fortschritt und letztendlich Befreiung von der
Karma-Verhaftetheit.
Im Detail hat Ahimsa mehrere Aspekte:
- Maitri universale
Freundlichkeit
- Kshama universales Vergeben
- Abhaya universale
Furchtlosigkeit
Wie beeinflußt das
Prinzip "Ahimsa" das tägliche Leben?
Es ist gar nicht so einfach, ein Leben nach Jain-Prinzipien zu
führen. Erst wenn man sich vergegenwärtigt, wie stark in
unserem Leben tierische Produkte zur Selbstverständlichkeit
geworden sind, die ihre Existenz dem Leiden von Tieren verdanken,
sieht man, welch diffiziler Kurs von einem gläubigen Jain
gesteuert werden muß, um dem Ahimsa-Prinzip gerecht zu werden.
Männliche und weibliche Laienmitglieder des Sangh
(Jain-Gemeinde) legen kleine Gelübde (Anuvrata) ab, bei denen
Ahimsa an erster Stelle steht. Für sie heißt Ahimsa, keine
Tiere zu töten. Mönche und Nonnen legen weitaus striktere
Gelübde (Mahavrata) ab. Für sie heißt Ahimsa, mit größter
Sorgfalt zu vermeiden, willentlich oder unwillentlich jedweder
Art von Leben Schaden zuzufügen oder sie gar zu verletzen.
Ernährung:
- Die vegetarische Ernähung erfordert
totalen Verzicht auf tierisches Protein. Als alternative
Proteinquellen kommen Hülsenfrüchte, insbesondere
Bohnen und Linsen und auch Kichererbsen in Frage, des
weiteren Tofu und Nüsse.
- Milch wird durch Sojamilch oder
Kokosmilch zum Kochen ersetzt, als Getränk wird Milch
durch Frucht- und Gemüsesäfte ersetzt.
- Eier werden beim Backen nicht
verwendet.
- Butter wird durch Pflanzenfette oder
Soja-Margarine ersetzt.
- Käse wird durch Tofu oder andere
Soja-Produkte ersetzt.
- Honig wird durch Ahornsirup oder
Zuckersirup ersetzt.
- Gelatine ist als tierisches Produkt
ebenfalls durch pflanzliche Verdickungsmittel wie
Guarkernmehl etc. zu ersetzen.
- Alle Gemüse, die unter der Erde
wachsen, wie Zwiebeln, Rüben, Knoblauch werden nicht
gegessen, weil beim Herausziehen Lebewesen getötet
werden könnten.
Kleidung:
- Aber auch bei der Kleidung gibt es
Tabus: Leder, Seide, Pelz sind tierische Produkte und
werden durch Baumwolle, Kunstleder, Kunstfaser, Viskose
etc. ersetzt. Also weder eine Leder-Motorrad-Kluft noch
das elegante Seidenhemd! Das betrifft vor allem auch
Lederschuhe und Ledergürtel. Entsprechend legt man als
Tourist diese vor dem Betreten eines Jain-Heiligtums auch
ab.
- Ebenfalls für Jain tabu ist der
Textilfarbstoff Cochenille, weil er aus weiblichen
Schildläusen gewonnen wird.
- Orthodoxe Jain und Priester kleiden
sich weiß.
Medikamente und
Kosmetik:
- Kosmetikartikel und Salben sollten
ohne tierische Produkte wie Wollwachs, Wollwachsalkohole,
Walrat, Schmalz o.ä. sein und natürlich nur von solchen
Herstellern gekauft werden, die auf Tierversuche
verzichten.
- Bei Medikamenten sollte wo immer
möglich zu Tabletten als Ersatz für Kapseln gegriffen
werden (Gelatine).
- Tierische Produkte wie Lipase,
Pankreatin o.ä. sollten vermieden werden.
Dinge des
alltäglichen Gebrauches:
- Bei Bettzeug sollten Federn vermieden
werden, es stehen als Ersatz Kunstprodukte zur
Verfügung.
- Woll- oder gar Seidenteppiche sind als
tierische Produkte ebenfalls keine Ausstattung für die
Wohnung gläubiger Jain. Sisal, Baumwolle oder Kunstfaser
sind die besseren Alternativen.
- Polsterung von Mobiliar und Matratzen
sollte ohne Roßhaar auskommen.
- Naturborsten bei Bürsten sind zu
vermeiden nur Synthetik-Produkte kommen in Frage.
- Kerzen aus Bienenwachs machen
genausolche Probleme. Nur Stearinkerzen o.ä. verwenden.
Berufe:
- Ein Jain kann keine Berufe wählen,
die mit dem absichtlichen Töten von Menschen oder Tieren
verbunden sind, wie z. B. in der fleischverarbeitenden
Industrie, als Geflügelzüchter oder Schlachter z. B.,
der Beruf des Soldaten ist natürlich genauso undenkbar.
- Aber auch die Verarbeitung tierischer
Produkte ist für einen Jain nicht möglich, z. B. Imker
oder in der Wollteppichherstellung oder in der
lederverarbeitenden Industrie.
- Das Ahimsa-Prinzip erlaubt auch nicht
die Ausübung von Berufen, bei denen quasi als
Kollateralschaden Tiere zu Schaden kommen und dazu
gehört auch der Ackerbau oder der Hoch- und Tiefbau,
denn durch das Pflügen bzw. Ausschachten sterben
unzählige Tiere.
- Je weniger Bewegung ein Mensch
ausführt, desto geringer ist die Gefahr, daß er
Lebewesen tötet, und seien sie noch so winzig.
- Die idealen Berufe für Jain sind der
Dienstleistungsbereich, Verwaltung, EDV, juristische
Berufe, Kaufmann, Bankier, Juwelier, Goldschmied o.ä.
Aufgrund des religiösen Zwanges zu
"Kopf-Berufen" haben viele Jain eine
überdurchschnittliche Ausbildung und relativen Wohlstand
erreicht.
Sonstiges:
- Daß ein Jain sich von Pferderennen,
Hunderennen, Angel"sport" oder
Jagd"sport" fernhält, ist wohl
selbstverständlich. Aber auch der Zirkusbesuch sollte
nicht gefördert werden, weil von artgerechter
Tierhaltung meist nicht die Rede sein kann.
- Aber das Ahimsa-Prinzip ist noch
umfassender, denn auch das unabsichtliche Verletzen von
Tieren sollte vermieden werden. Ganz strenge Jain tragen
deshalb ein Tuch vor dem Mund, um keine Insekten
einzuatmen und zu verschlucken. Auch das Kehren mit einem
Besen auf dem eigenen Weg soll das unabsichtliche
Zertreten von Kleinlebewesen verhindern.
- Nach Einbruch der Dunkelheit wird
nichts mehr gegessen, weil Insekten unbemerkt ins Essen
fallen könnten.
- Ebenso ist es riskant, nach Einbruch
der Dunkelheit nach draußen zu gehen, weil man
unbeabsichtigt auf Lebewesen treten könnte.
- Strenge Jain filtern ihr Trinkwasser,
um Kleinstlebewesen daraus zu entfernen.
- Alkohol und Tabak sind den Jain
verboten.
Umweltschutz:
- Umweltschutz ist aus zwei Gründen ein
wichtiges Jain-Anliegen: Zum einen widerspricht es dem
Asteya-Prinzip, sich nicht mehr an Resourcen zu nehmen
als nötig, denn das wäre Diebstahl am Nächsten, zum
anderen sind Verschwendung und Verschmutzung der Natur
Handlungen der Gewalt und widersprechen dem
Ahimsa-Prinzip.
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