Bernhard Peter
Kalender und Zeitrechnung:
Iran (5): Vom Malik-Schah-Kalender bis zum Gesetz von 1911

Name der Zeitrechnung:
Kalender des Dschalal-ud-Din Malik Shah, Malik-Shah-Kalender, Jalali-Kalender, Dschalali-Kalender

Verwendung ab:
Der Kalender ist eine Reform des Kalenders von Yazdegar III, nachdem dieser immer ungenauer wurde und Änderungen erzwang. Die erste Version wurde 1079 AD verwendet. Bis 1925 AD waren verschiedene Varianten im Iran in Gebrauch, ehe ein neues Gesetz verabschiedet wurde.

Zählung ab (Ereignis):
Zählung nach der Ära des Dschalal-ud-Din Malik Shah, also ab Frühlingsanfang (Nawruz, 1. Farwardin 458 Hidschri-Shamsi, 15. März im Julianischen Kalender, 21. März im Gregorianischen Kalender) im Jahr der Kalenderreform von Dschalal-ud-Din Malik Shah 1079 n. Chr. (Jahr 1). Diese Ära wird auch Maliki oder Sultani genannt.

Alternativ Islamische Ära: Sie kennzeichnet die Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina. Im März 622 n. Chr. beginnt das fiktive Jahr 1 Iran-AH. Nicht das tatsächliche Datum der Hidschra ist der offizielle Beginn, sondern der Beginn des entsprechenden ersten persischen Monats des Jahres, in dem die Hidschra stattfand, also Frühlingsanfang 622. Die tatsächliche Hidschra fand im frühen Herbst statt; am 13. Rabi I, Fr/Sa, 24./25. September, verließ der Prophet Mekka, am darauffolgenden Donnerstag zog er in Medina ein. Im Unterschied zum islamischen Mondkalender (Hidschri-Qamari) wird diese Ära Hidschri-Schamsi, Sonnen-Hidschri genannt (Al-Qamar = Mond, Asch-Schams = Sonne).

Typ des Kalenders:
Reiner Sonnenkalender. 1 Jahr hat 365 Tage, in Schaltjahren 366 Tage. Keinerlei Zusammenhang mit den Mondphasen. Astronomischer Kalender. Basis ist das tropische Jahr von Frühlings-Äquinoktie zu Frühlings-Äquinoktie.

Jahresbeginn am:
Der Jahresbeginn (1. Farwardin) wird auf den astronomischen Frühlingsanfang festgelegt. Dieser Termin wird astronomisch bestimmt. Der Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen des Widders markiert den Frühlingsanfang. In der Zeit der Einführung des Kalenders war es der 15. März (julianisch). Definitionsgemäß ist Neujahr genau dann, wenn der Wechsel der Sonne vom Sternbild der Fische in das des Widders vor 12 Uhr mittags stattfindet. Ist das nicht der Fall, wird Neujahr auf den folgenden Tag verschoben.

Bei der Einführung des Malik-Shah-Kalenders gab es einen "Ruck" um 18 Tage, denn der 1. Farwardin lag 18 Tage vor Frühlingsanfang. Diese 18 Tage wurden einmalig bei der Einführung des Kalenders geschaltet, und es wurde Sorge getragen, daß der Jahresanfang in Zukunft nicht mehr auswandert.

Monate: Anzahl und Länge
Erst blieben die Monate beim alten System: 12 Monate zu 30 Tagen plus 5 Zusatztage am Ende des Jahres.

Später kam es zu einer Anpassung der Monate: 1 Jahr besteht aus 12 Monaten zu je 29, 30 oder 31 Tagen und 0 oder in Schaltjahren 1 zusätzlicher Tag. Zum ersten Mal hatten die Monate eine unterschiedliche Länge! Die Epagomenen werden abgebaut und in den normalen Jahresverlauf integriert, so daß der lästige Block von "No-name-Tagen" am Jahresende verschwindet. Das bedeutet, daß die Länge der einzelnen Monate astronomisch bestimmt wird und sich am Tierkreis orientiert.

Die ersten 6 Monate, das sind die des Sommerhalbjahres, besitzen 31 Tage, die ersten 5 Monate des Winterhalbjahres besitzen 30 Tage, der letzte Monat besitzt normalerweise nur 29 Tage, wird aber in Schaltjahren auf 30 Tage verlängert.

Monatsnamen:
1. Farwardin - 31 Tage
2. Ordibehescht - 31 Tage
3. Chordad - 31 Tage
4. Tir - 31 Tage
5. Mordad - 31 Tage
6. Shahriwar - 31 Tage
7. Mehr - 30 Tage
8. Aban - 30 Tage
9. Azar - 30 Tage
10. Dej - 30 Tage
11. Bahman - 30 Tage
12. Esfand - 29 Tage, in Schaltjahren 30 Tage

Ausgleich, Schaltjahre, -Tage, Monate
Es gibt zum ersten Mal eine Schaltregel! Die Schaltregel ist aber keine feste, sondern eine variable, denn wann geschaltet wird, wird astronomisch, nicht arithmetisch bestimmt: Ein Schalttag wird genau dann am Ende des Jahres eingefügt, wenn die Sonne am letzten Tag eines normalen Jahres zu 365 Tagen, d. h. am 5. Epagomenen im alten Monatssystem bzw. am 29. Esfand im neuen System, bis 12.00 Uhr mittags nicht im Sternbild des Widders stand. Genau dann gab es einen sechsten Epagomenen-Tag im alten Monatssystem oder einen 30. Esfand im neuen Monatssystem, den Schalttag. Das mußte jedes Jahr aufs Neue bestimmt werden und ließ sich nicht vorhersagen oder vorherberechnen. Schaltjahre waren nach der neuen Regel z. B. das Jahr 1, 5, 9, 13, 17, 22, 26, 30 etc, was einem Abstand von 4, 4, 4, 4, 5, 4, 4 etc. Jahren entspricht.

Auf eine arithmetische Schaltregel konnte sich die Reformkommission nicht einigen, so blieb es bei der astronomischen Schaltregel mit all ihren negativen Folgen. Vielleicht sollte es auch eine Anlehnung an die astronomisch bestimmten Monate im islamischen Mondkalender sein.

Aus diesem Grund sei auch hier der Ansicht widersprochen, der Kalender stelle den Versuch der Einführung des Julianischen Kalenders im Iran dar. Dem ist definitiv nicht so. Der Kalender ist eine Reform des altiranischen Kalenders.

Umrechnung in christliche Zeitrechnung
Der 1. Farwardin 1 MSE entspricht dem 15. März 1079 AD (im Julianischen Kalender, 21. März im Gregorianischen Kalender). Im Laufe der Zeit stimmte der 14./15. März als Grenze nicht mehr unbedingt.

Dschalal-ud-Din Malik Shah-Ära (MSE) in Christliche Zeitrechnung (AD):
1. Januar bis 14. März: AD = MSE + 1079
15. März bis 31. Dezember: AD = MSE + 1078

Christliche Zeitrechnung (AD) in Dschalal-ud-Din Malik Shah-Ära (MSE):
1. Januar bis 14. März: MSE = AD - 1079
15. März bis 31. Dezember: MSE = AD - 1078

Christliche Zeitrechnung (AD) in Iranisch-islamische-Ära, Hidschri-Schamsi (Iran-AH):
1. Januar bis Nawruz: Iran-AH = AD - 622
Nawruz bis 31. Dezember: Iran-AH = AD - 621

Iranisch-islamische-Ära, Hidschri-Schamsi (Iran-AH) in christliche Zeitrechnung (AD):
1. Januar bis Nawruz: AD = Iran-AH + 622
Nawruz bis 31. Dezember: AD = Iran-AH + 621

Geschichte, Bewertung und Bemerkungen:
Verschiedene Reformversuche gab es schon vorher, die aber alle nicht ausgeführt wurden. Erst im Jahre 1076 kam Bewegung in die Sache: Dschalal-ud-Din Malik Shah, der seldschukische Herrscher des Iran, ließ in Isfahan ein Observatorium bauen und eine Reformkommission zur Kalenderneuordnung einberufen. Dschalal-ud-Din Malik Schah war 1072-1092 Seldschuken-Sultan. Sein Name ist eine Kombination aus dem arabischen Malik und persischen Schah, beides das Wort für König. Er eroberte den größten Teil Anatoliens, das zuvor zum Byzantinischen Reich gehört hatte, und erweiterte die seldschukische Macht auf Kosten der Fatimiden nach Syrien. Unter ihm erlebte das Seldschukenreich seine größte Ausdehnung, denn nach seinem Tod 1092 zerfiel es in kleinere Staaten, die sich zumeist feindlich gegenüberstanden.

Aber zurück zur Kalenderkommission: Dieser Kommission von Mathematikern und Astronomen gehörte auch der Allroundgelehrte und der Nachwelt vor allem als Autor der Rubayat bekannte Dichter Omar Khayyam (1048-1131 AD) an, weshalb der Kalender manchmal auch den nicht so richtig gerechtfertigten Namen "Kalender des Omar Khayyam" trägt - ohne daß sein tatsächlicher Anteil an der Reform bekannt ist. Von seinem astronomischen Werk sind nur Teile erhalten, und seine Schaltregel ist nicht unumstritten (heftige Kritik von Qutb-ud-Din al-Shirazi). Khayyams tatsächlicher Anteil an der Kalenderreform ist bis heute umstritten, überzeugende Beweise werden von keiner Seite vorgelegt. Weitere Mitglieder dieser Kommission waren Abu Hatam Mozaffer Esfazari, Abd-ur Rahman Khazini, Maimun ibn Najib Vaseti, Abulabbas Likari etc.

Damit war der Stein ins Rollen gebracht, die Diskussion aber keinesfalls abgeschlossen. Viele große Ideen wurden angedacht, nur wenige in die Tat umgesetzt. Aber die Forschung war in Gang gekommen. Die Auseinandersetzung mit den Schaltjahren fiel in eine Blütezeit der Wissenschaften und beschäftigte viele große Astronomen auch in der Folgezeit mit dem Thema (Abd-ur-Rahman Khazini, Nasr-ud-Din Tusi in der Stadt Maragha, Ulugh Beg in der Stadt Samarqand etc.) Jeder einzelne von ihnen hat erheblich dazu beigetragen, die Grundlagen für einen genaueren und besseren Kalender zu schaffen, und das Verdienst nur einem einzelnen zuzuschreiben ist sicher nicht gerecht. Aus ihrer Hand stammen viele interessante Modelle zu Schaltjahreszyklen.

Der Kalender hat die Vorteile, daß

und die Nachteile, daß

Bilanz: Es wurde ein brauchbarer Kalender geschaffen, der die Grundlage bildet für den heute noch im Iran verwendeten Kalender. Leider blieb der Kalender lange Zeit ohne größere praktische und politische Bedeutung.

Im Detail erstreckten sich die oben beschriebenen Änderungen und Detail-Reformen über einen längeren Zeitraum. Beispielsweise wurde die Anpassung der Monatslängen nicht im ganzen Reich von heute auf morgen vollzogen. Erst hatte man noch die 30-Tage-Monate und die Epagomenen am Jahresende. Dann setzten sich die astronomischen Sonnenmonate bei den Wissenschaftlern durch. Desgleichen wurden viele interessante Modelle angedacht, aber erst viel später umgesetzt, wie z. B. die Rhythmen zur Schaltjahresberechnung, die zwar im 11. Jh. überlegt wurden, aber erst im neuiranischen Kalender wirklich Eingang fanden. Die Zuordnung einer Neuerung ist daher immer schwierig - zählt der Zeitpunkt der Idee? Oder die Akzeptanz unter den Kollegen Astronomen? Oder die Verwendung bei Hofe? Oder die Akzeptanz bei der Bevölkerung? Dazwischen können Jahrhunderte vergangen sein. Redaktionelle Schnitte haben daher immer etwas Willkürliches.

Weite Verbreitung im Volk fand das neue System erst unter den Qadscharen-Herrschern (1796-1925 AD). Und erst 1911 wurden die neuen Monate im Rahmen der Kalenderreform als alleine gültige Einteilung des Sonnenjahres vorgeschrieben - ein später Sieg der Reform.

Die Geschichte dieser Entwicklungen ist symptomatisch für die iranischen Kalender: Mangel an Konsens, Mangel an Verbindlichkeit, Mangel an Eindeutigkeit. Selten wurden Änderungen in der Geschichte der iranischen Kalender von allen Bevölkerungs- und Religionsgruppen im ganzen Reich vollzogen, selten war man sich über Regeln und Schaltungen wirklich einig. 1079 wurde eine der größten Reformen angestoßen - und erst 832 Jahre später hatte man eine für den ganzen Iran verbindliche Regelung per Gesetz getroffen!

Die religiösen Feiertage rutschten fast wieder auf ihren ganz ursprünglichen Platz, aber die fünftägige Dauer blieb.

Iran (1): Die unterschiedlichen Ären
Iran (2): Der Achämeniden-Kalender
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Iran (4): Der Kalender von Yazdegar III
Iran (5): Vom Malik-Schah-Kalender bis zum Gesetz von 1911
Iran (6): Der neuiranische Kalender
Iran (7): Shahanshahi Ära - Einer der vielen Fehler von Schah Mohamed Reza Pahlevi
Iran (8): Literatur zu iranischen Kalendersystemen

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