Bernhard Peter
Die Tempeltürme von Orissa
Der Brahmeshvara-Tempel von Bhubaneshvar

Der Brahmeshvara-Tempel von Bhubaneshvar stammt aus dem Jahre 1075. Er ist Shiva geweiht, in der Mitte der Garbhagriha (Cella) ist der Linga, in der Mitte der Versammlungshalle ist eine Nandi-Statue (Shivas Reittier). Die Besonderheit der Anlage ist die Kombination mit vier Nebenschreinen in den vier Ecken des von der Tempelmauer eingefaßten Rechtecks. Der Haupt-Shikhara bildet zusammen mit den nur knapp halb so hohen Nebentürmen die Pancayatana-Stellung, eine typische Fünfergruppe. Die Zugänge zum Tempelgelände liegen den Vastu-Regeln entsprechend in den "guten" Richtungen Norden und Osten. Das Bauwerk insgesamt liegt in Ost-West-Ausrichtung.

Bei diesem Tempel ist es lohnend, sich die zugrundeliegende Geometrie vor Augen zu führen. Entsprechend den Vastu-Prinzipien sind fast alle Positionen, Ecken und Wände durch ein dem Grundriß zugrundeliegendes Gitternetz festgelegt. Modulare Einheit ist ein quadratisches "Pada". Der rechtwinklige Hof hat die Maße von 14 x 21 Padas, also ein Verhältnis von 2 : 3. Die Versammlungshalle basiert auf einem Quadrat von 6 x 6 Padas, die Wandstärke ist 1 Pada, der Innenraum mißt 4 x 4 Padas. Der Verbindungskorridor zum Shikhara ist genau 1 Pada tief. Der Shikhara ohne Wandvorlagen beruht auf einem Quadrat von 4 x 4 Padas, die Garbhagriha (Cella) auf 2 x 2 Padas. Rechnet man die stark vorspingenden Wandvorlagen und den Verbindungskorridor zum Shikhara hinzu, erhält man ein Quadrat gleicher Größe wie das der Versammlungshalle, so daß das eigentliche Heiligtum eine Fläche von 6 : 12 Padas einnimmt. Die Wandvorlagen sind aber nur im unteren Bereich des Shikharas optisch wirksam, so daß die Proportion der Seitenausdehnung von Shikhara und Jagamohan 2 : 3 ist und das Seitenverhältnis des Hofes wiederspiegelt.

Die vier Nebenschreine erheben sich auf einem Quadrat von jeweils 2 x 2 Padas und sind so positioniert, daß sich ihre Mittelpunkte genau auf einem Schnittpunkt der imaginären Padagrenzlinien befinden, genau wie der Linga in der zentralen Garbhagriha, der zudem genau im Mittelpunkt eines in die westliche Hofseite einbeschriebenen 14 x 14 - Quadrates liegt.

Im Aufriß ergibt sich eine Proportion von grob 1 : 2 in Bezug auf die Höhe des Daches der Versammlungshalle und Shikhara. Die Nebentürme sind ca. genauso hoch wie das Dach der Versammlungshalle, jeweils ohne Vase gemessen, weil es sich um ein zierliches Element der Gestaltung handelt und das Auge eher die massigen Baukörper vergleicht.

Tempel in Orissa (1) - Einführung
Tempel in Orissa (2) - Stilmerkmale und Entwicklung
Tempel in Orissa (3) - Lingaraja-Tempel in Bhubaneshvar
Tempel in Orissa (4) - Brahmeshvara-Tempel in Bhubaneshvar
Tempel in Orissa (5) - Rajarani-Tempel in Bhubaneshvar
Tempel in Orissa (6) - Surya-Tempel in Konarak
Links, Quellen und Literatur zur indischen Architektur

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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