Bernhard Peter
Die Hoysala-Kultur - Der Keshava-Tempel in Somnathpur

Der späteste und perfekteste Tempel - der Keshava-Tempel von Somnathpur ist die reinste und am stärksten geometrisierte Schöpfung des Hoysala-Stiles. Der Tempel wurde erst 1268 errichtet, auf Veranlassung Somnaths, eines Ministers König Narashimas III. Das Zentrum ist ein Säulensaal, dessen Dach von 18 Säulen getragen wird. Die Außenfassaden werden von 16 Pfeilern gebildet, deren Zwischenräume mit durchbrochenen Steinplatten (Jalis) ausgefüllt sind, so daß sich ein lichter Raum bildet, ein Kontrast zu den Cella-Bereichen, deren massive Wände ein Vielfaches an Dicke aufweisen. Hier werden insgesamt drei Cella-Einheiten zu einem Dreifach-Sanktuarium vereint. Man nennt diese Form Trikutashala, bei der wie bei einem Kleeblatt drei Garbhagriha-Elemente von einer gemeinsamen Versammlungshalle abgehen, nur noch zusätzlich durch eine eigene Vorhalle abgetrennt. Die drei Garbhagrihas entsprechen den drei hier verehrten Gottheiten (alles Erscheinungsformen bzw. Aspekte Vishnus):

Zum Gesamtgrundriß mit Außengalerien in hoher Auflösung

Dieses ist der am stärksten den Sterngrundriß realisierende Tempel der Hoysala-Kultur. Jeder der drei Garbhagriha-Einheiten und der zugehörigen Plattform-Abschnitte liegt ein 16-strahliger Stern zugrunde. Die korrekte Form erhält man, indem man ein Quadrat um den Mittelpunkt jeweils um 22,5° verdreht. Der Stern entsteht also jeweils durch 4 überlappend gegeneinander verdrehte Quadrate. Wegen der angebauten Vorhalle sind aber jeweils nur 11 Zacken an den Garbhagriha-Bauten sichtbar, bei der Plattform sind es jeweils nur neun Zacken.

Aber das ist nicht die einzige kompositorische Leistung des Grundrisses. Ohne Unterbau gemessen, ist der Tempel genau in ein Quadrat mit 25 m Seitenlänge einbeschrieben, denn er ist ohne Unterbau genau so lang wie breit. Ein weiteres Quadrat verbindet die Mittelpunkte jeder Garbhagriha und den zurückliegenden Teil der aus Jalis zusammengesetzten Ostwand (unten im Bild). Die ganze Versammlungshalle ist aus konzentrischen Quadraten aufgebaut, und zwar sowohl um den zentralen Mittelpunkt des gesamten Tempels als auch um die dritte Kuppel in Längsachse von Osten aus, was den Raum sowohl als achsialen, hinführenden Raum, als eigenständige Halle und auch als zentralen Verteiler zwischen den drei Garbhagrihas erlebbar macht. Vor allem unterschreicht dieser Aufbau aus konzentrischen Charakter den Bezug des Grundrisses zu einem Mandala.

Analog läßt sich der Grundriß aus Kreisen ableiten: Jeder Garbhagriha-Bereich besteht aus mehreren konzentrischen Kreisen, jeweils Innen- und Außenzacken der Shikhara und des Sockels. Die Außenkreise der drei Sockel berühren sich im jeweiligen Stützpfeiler der Mandapa-Rückwand. Alle drei Cella-Mittelpunkte etc. lassen sich durch einen Kreis verbinden, dessen Mittelpunkt in der zentralen Vierung der Mandapa liegt. Und der große Kreis um diesen Mittelpunkt durch die Shikhara-Außenwände streift den geraden Abschluß des Mandapa-Portikus.

Hier ist nur das zentrale Heiligtum abgebildet. In Wirklichkeit ist der Tempelkomplex wesentlich größer, denn das dreifaltige Sanktuarium steht in einem Hof, der ringsum von einem gedeckten Gang mit Zellen umgeben ist. Die Außenmaße der Anlage sind ca. 53 x 65 m. In der Länge gibt es im Umgang 18 Joche, in der Breite 14 Joche, was in der Länge 20 und in der Breite 16 dahinterliegende Zellen möglich macht, alle überkuppelt (falsches Gewölbe mit über Eck gelegten "Steinbalken"). Insgesamt gibt es 64 vom Gang aus zugängliche Zellen und in den vier Ecken nochmal jeweils eine Zelle, die nur durch die Nachbarzelle zugänglich ist. Die Zellen waren für Priester, Asketen oder Pilger als Unterkünfte gedacht.

Hier spielen die Proportionen 4:5 eine Rolle, diesem Verhältnis folgen die Maße der Außenmauern, der einzelnen Zellen, die Anzahl der Zellen. Die Zahl 64 könnte ein Bezug zu der Zahl der Yoginis sein. Das gesamte Gebäude ist also wieder aus Quadraten aufgebaut, 4 in der Breite und 5 in der Länge (rote Linien in der rechten Abb.). Die Kolonnaden des Umganges teilen die äußeren Quadrate jeweils in ihrer Mitte, und die Zellenmauer teilt die halbierten Quadrate weiter zu einer Viertelbreite für Zellen und für den Kolonnadengang (gelbe Linien in der rechten Abb.). In dieser Darstellung wird auch der Bezug zwischen zentraler Einheit und Gesamteinheit deutlich: Das zentrale Sanktuarium ist in exakt vier Quadrate einbeschrieben. Die imaginären Trennlinien zwischen dem jeweils zweiten und dritten Quadrat gehen genau durch die Garbhagrihas und den Mittelpunkt des Sternes, die Trennlinie zwischen dritter und vierter Quadratreihe trifft genau den geraden Abschluß der Fassade des Portikus. Die Außengrenze des erhöhten Sockels endet so auf einem Viertel der Außenquadrate. Das zentrale Gebäude entspricht also in Länge wie Breite geanu 8 Achsen bzw. 8 Zellen. Der Hofbereich, der für die Aufnahme des Baues in Anspruch genommen wird, hat 12x12 Achsen. Der anschließende Teil des Hofes von 12x4 Achsen bzw. Zellen ist Freifläche.

Interessant ist auch die sukzessive Staffelung der Proportionen, der Übergang vom Quadrat zum Rechteck:

Über die genaue Symbolik dieser Proportionen ist mir nichts bekannt, das Thema verdient aber bei einem so stark geometrisch durchkomponierten Bauwerk weitere Forschung.

Der gesamte Grundriß in höherer Auflösung befindet sich auf einer Extraseite.

Die Hoysala-Kultur (1) - Einführung
Die Hoysala-Kultur (2) - Stilmerkmale der Tempel
Die Hoysala-Kultur (3) - Herrscher der Dynastie
Die Hoysala-Kultur (4) - das Konzept von Belur (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (4a) - Belur: Grundriß hoher Auflösung
Die Hoysala-Kultur (5) - das Konzept von Halebid (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (5a) - Halebid: Grundriß hoher Auflösung
Die Hoysala-Kultur (6) - das Konzept von Somnathpur (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (6a) - Somnathpur: Grundriß hoher Auflösung
Links, Quellen und Literatur zur indischen Architektur

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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