Bernhard Peter
Stilmerkmale
der Hoysala-Tempel
Eigenständig oder nicht eigenständig? Eine
besondere Erscheinung Indiens ist die direkte Verbindung eines
Königshauses mit einem zugehörigen Tempelstil. Der Tempelstil
spiegelt nicht den dort praktizierten Kult wieder, sondern die
kulturelle Identität einer herrschenden Gruppa. Der Bau eines
Tempels resultiert aus dem religiösen Engagement eines
Herrschers als Kulturträger, unabhängig von der genauen Art des
Kultes. Diese Eigenart Indiens hat die Entstehung vieler
regionaler Stile gefördert, einer davon ist der Hoysala-Stil.
Und gerade vor dem Hintergrund eines sich gegenüber
dem früheren Machthaber emanzipierenden Reiches, das den
Vasallenstatus abschüttelte, ist die Suche nach einer
künstlerisch eigenständigen Ausdrucksweise verständlich, denn
die Übernahme oder Fortführung der Architektur des Reiches, dem
man früher als Vasall untergeben war, kam nun nicht mehr in
Frage.
Im Grunde ist der Hoysala-Stil, der auch Vesara-Stil
genannt wird, ein Mischstil. Der Hoysala-Stil vereint Elemente
des nördlichen Nagara-Stiles mit solchen des südlichen
dravidischen Stiles. Und dennoch sind sie aufgrund typischer
Merkmale gut von allen anderen Bauwerken anderer Stile zu
unterscheiden:
Grundriß:
    - strenge Symmetrie in Grund- und
        Aufriß
- geometrisch durchkomponierte
        Grundrisse, die auf konzentrischen Quadraten und
        Kreuzstrukturen basieren
- Sternförmige Elemente im Grundriß,
        Außenfassaden des Garbhagriha-Bereiches folgen gerne
        einem Stern-Konzept. Die sternförmige Gestaltung kann
        aus mehreren Gründen erfolgt sein:
            - die Gestaltung erlaubt die
                Vergrößerung der Oberfläche, man kann mehr
                Reliefschmuck anbringen
- der Stern verzahnt den
                umbauten Raum symbolisch mit allen Richtungen 
- diese Gestaltung erzeugt ein
                im Tagesverlauf wanderndes Lichtspiel auf den
                jeweils voll beleuchteten oder nur vom Licht
                gestreiften Flächen
 
- Die Garbhagriha bzw. Vimana oder
        Mulaprasada ist relativ groß und vom nordindischen
        Typus.
Weitere
Merkmale: 
    - Die Halle (Mandapa) ist vom offenen
        Typ, in der Frühzeit ganz offen, später mit
        durchbrochenem Steingitterwerk verkleidet.
- Kombination extrem massiver Baukörper
        im Garbhagriha-Bereich (mußte den Shikhara-Turm tragen!)
        mit lichten Bauteilen im Mandapa-Bereich
- Modulare Kombination von 1 (Belur), 2
        (Halebid), oder 3 (Somnathpur) Cella-Einheiten zu Doppel-
        oder Dreifach-Heiligtümern
- Bemühen um räumliche Einheit, die
        einzelnen Baueinheiten (Ardha-Mandapa, Mandapa, Shikhara)
        werden nicht mehr additiv aneinandergereiht, sondern
        verschmelzen zu einem kohärenten Baukörper. Der
        Hoysala-Stil ist charakterisiert durch das Streben nach
        architektonischer Geschlossenheit, nach Vereinheitlichung
        der gesamten Anlage und nach Beseitigung überflüssiger
        Zwischenelemente zwischen den Raumeinheiten.
- Horizontalität des Aufrisses, breit
        gelagerte Hallen, breite Plattformen, insgesamt wenige
        akzentuierende Dach-Aufbauten und Shikharas (die heute z.
        T. abgetragen sind)
- breite Plattformen (Jagati) sind
        wichtiger Bestandteil des architektonischen Konzeptes und
        erlauben die Umwandlung, wobei die Form der Plattform die
        Form des Gebäudes nachzeichnet
- außergewöhnlich weite Innenräume
        (außer Garbhagriha), großzügige Versammlungshallen
- hohe Sockel mit tiefen horizontalen
        Hohlkehlen und Reliefbändern
- Tempeltürme pyramidenförmig und
        betont horizontal geschichtet, aber nicht in
        unterscheidbare Stockwerke unterteilt
- falsche Gewölbe durch versetzt über
        Eck gelegte gelegte Steinstürze
- Fassade und Wände:
            - kräftige Durchmodellierung
                der Fassaden und Innen- und Außenwände,
                mächtige Zacken, kräftige Vorsprünge,
                ausladende Nutzung des Raumes
- Verwischung des Außenprofiles
                durch Vervielfachung der Vorsprünge von Mauern
                und Dächern
- Jalis - gitterförmig
                durchbrochene Wandeinheiten
- Benutzung der Symbolik von
                Licht und Dunkel: Die Garbhagrihas selbst sind
                sehr dunkel, entsprechend dem Mysterium des
                Kultes, während die Versammlungshallen vom durch
                Gitterwerk gefilterten Licht erhellt werden, so
                daß das gleichsam gefilterte Licht in diesen
                eine vorbereitende Stimmung von Besinnlichkeit
                und Einkehr hervorruft.
 
Säulen:
    - gedrechselte Säulen, in
        Abstichtechnik wie bei der Holzbearbeitung hergestellt,
        wodurch die Säulen wie aus verschiedenen Scheiben
        zusammengesetzt oder wie auf der Drehbank entstanden
        aussehen
- sternförmig gezackte Säulen, reich
        dekoriert, kräftig gezackte Kanneluren, horizontal
        umlaufend eingekerbt und gekehlt
Material: 
    - typisches Material ist ein
        grünlich-grauer Chlorit-Schiefer, der im Laufe der Zeit
        speckig-dunkel wird
Bauplastik:
    - reicher Skulpturenschmuck aus
        Speckstein (Steatit) von hoher Lebendigkeit und
        Perfektion, dynamisch-expressive figürliche Darstellung.
        Qualitativ hochwertige Arbeiten, so daß die Tempel wie
        geschnitzte Elfenbeinschreine im Großformat wirken. Die
        gesamten Außenflächen sind in einem unerhörten
        Motivreichtum plastisch durchgearbeitet
- Sockel ist horizontal profiliert durch
        viele schmale übereinanderliegende Friese (neun in Belur
        und Halebid) mit Reliefs mit Prozessionsdarstellungen,
        Elefantenreihen, Kudu-Motiven, Löwen, Blatt- und
        Rankenwerk, Szenen mythischer Gestalten,
        Tempelfassaden-Mustern, Shikhara-Modellen und anderen
        Rapportmustern, diese Friese sind scharfkantig
        voneinander abgesetzt und ziehen sich um den gesamten
        Unterbau
            - Löwen repräsentieren die
                Macht der Dynastie der Hoysala-Könige
- Eine Besonderheit sind
                Löwenfriese, wobei die Löwen mit ihrem Schwanz
                eine Blume umfassen
- Makara-Ungeheuer stehen für
                Wasser als reinigendes Element
- Hamsa-Darstellungen (Gänse)
                symbolisieren die Seele, die bereit ist, dem
                Göttlichen zu begegnen
- Schlingpflanzen und Ranken
                stehen für die Essenz des Lebens
 
- Ein stets wiederkehrendes Motiv, eine
        Art Identifikationssymbol ist folgendes ikonographisches
        Detail: Ein Krieger mit blanker Waffe kämpft gegen eine
        riesige Bestie, eine Art gehörnter Löwe, eine
        Anspielung auf eine legendäre Tat von Sala, dem ersten
        Hoysala-König. Entsprechend bedeutet "Hoy
        Sala!" in etwa "Schlag zu, Sala!", die
        Aufforderung, die Bestie zu erledigen.
Die Hoysala-Kultur (1) -
Einführung
Die Hoysala-Kultur (2) -
Stilmerkmale der Tempel
Die Hoysala-Kultur (3) - Herrscher
der Dynastie
Die Hoysala-Kultur (4) - das
Konzept von Belur (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (4a) - Belur:
Grundriß hoher Auflösung
Die Hoysala-Kultur (5) - das
Konzept von Halebid (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (5a) - Halebid:
Grundriß hoher Auflösung
Die Hoysala-Kultur (6) - das
Konzept von Somnathpur (mit Zeichnungen)
Die Hoysala-Kultur (6a) -
Somnathpur: Grundriß hoher Auflösung
Links,
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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