Bernhard Peter
Kyoto, Daitoku-ji (9): Subtempel Shinju-an


Lage und Erreichbarkeit
Der Shinju-an (Perlen-Tempel) ist ein Subtempel (Tatchu) des Daitoku-ji-Komplexes und liegt in der Nordostecke des Areals, im Nordosten des Haupttempels (52 Daitokuji-cho, Murasakino, Kita-ku, Kyoto-shi) und im Südosten des Daisen-in. Im Osten grenzt der Bereich dieses Subtempels an die Straße Daitokuji Dori. Man erreicht ihn, wenn man links an den linear aufgereihten Gebäuden des Haupttempels nach Norden geht und gleich hinter dem Daitoku-ji-Hauptbereich die erste Querstraße nach rechts (Osten) nimmt, am Daisen-in vorbei geht bis zum Ende der Sackgasse, wo sich das Tor in der Südwestecke der Subtempelparzelle befindet. Die Touristenströme werden spätestens am Daisen-in abgefangen, so daß es hier hinten in der Ecke merklich ruhiger ist. Der Tempel ist außerdem normalerweise nicht zu besichtigen, nur zu Sonderöffnungszeiten im Herbst.


Geschichte und Bedeutung
Der Tempel wurde zur Erinnerung an Ikkyu Sojun (1394-1481) erbaut, 10 Jahre nach seinem Tod in Kyotanabe. Er war ein Sohn von Kaiser Go-Komatsu (1377-1433), mit welcher Frau auch immer (unbekannt), wurde in Kyoto geboren und wurde im Alter von 5 Jahren in den Zentempel Ankoku-ji der Rinzai-Schule in Kyoto gegeben, vermutlich, um ihn von höfischen Machtintrigen fern zu halten. Danach lernte er bei Ken-o Soi und bis 1427 bei Kaso Sodon, letzterer lebte in der Stadt Katada. Ikkyu Sojun wurde ein äußerst lebensfroher und lebenslustiger Priester, der dem Schönen und den schönen Künsten äußerst zugetan war. Die Institutionalisierung der Zen-Klöster, die Unterordnung unter die Politik, das korrumpierte Gozan-System etc. waren außerdem nicht das, was er sich vorstellte, denn er war ein unabhängiger und kritischer Geist. Viele Geschichten über Ikkyu-san sind Fiktion, aber das Wahre und das Erfundene machen ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Zen-Mönche der Geschichte. Seine Zen-Praxis gilt als exzentrisch bis verrückt: Es kam schon mal vor, daß er in der Hafenstadt Sakai, wo er ab 1432 lebte, seine Rituale in Kneipen und Freudenhäusern durchführte. Aber er war auch als unabhängig und unkorrumpiert durch die Politik seiner Zeit. Und er war zugleich ein Zen-Mönch mit großem Einfluß auf die japanische Kultur und den Zen-Buddhismus. Vor allem aber war er volksnah und sorgte für die Verbreitung des Zen-Buddhismus in tieferstehenden Bevölkerungsschichten. 1438 zog er wieder nach Kyoto, sollte 1440 sogar Abt des Nyoi-an werden, eines Subtempels des Daitoku-ji. Doch nach kurzer Zeit hatte er schon wieder genug von der politisch-religiösen Verflechtung und ging wieder. Danach lebte er ab 1452  im Tempel Katsuro-an (Zuflucht des blinden Esels), ab 1456 im von ihm wiederaufgebauten Tempel Myosho-ji und dann im Shuo-an am gleichen Ort. Der Myosho-ji war vor seiner Zerstörung der erste Tempel der Otokan-Zen-Schule in Japan.

Der Shinju-an wurde ca. 1429-1441 gegründet. Im Onin-Krieg wurde der Shinju-an zerstört, genau wie so viele andere Strukturen des Daitoku-ji. Die Priester und Mönche fanden Unterschlupf in anderen Tempeln, u. a. auch im Myosho-ji, der somit zeitweise zum Ersatzdomizil der Daitoku-ji-Mönche wurde. Von Kaiser Go-Tsuchimikado wurde Ikkyu Sojun trotz seines "zweifelhaften" Rufes zum 47. Oberpriester des Daitoku-ji ernannt, um den Wiederaufbau und die Revitalisierung nach dem Krieg in die Wege zu leiten. 1474-1481 stand er dem Daitoku-ji vor. Mit der Hilfe eines wohlhabenden Händlers aus Sakai, Owa Sorin, wurde der Shinju-an in der Muromachi-Zeit 1491 zur Erinnerung an den beliebten Priester und Abt wiederaufgebaut. Übrigens wurde das Leben des berühmten Mönches 1993-1995 in einer Manga-Serie mit dem Titel Akkambe Ikkyu des Künstlers Hisashi Sakaguchi thematisiert, was Ikkyus Popularität auch in heutiger Zeit festigte.

Einige bedeutende Persönlichkeiten sind auf dem Subtempelgelände begraben, nämlich Teemeister und Begründer der Teezeremonie Murata Shuko (Murata Juko, 1422-1505), Noh-Schauspieler Kan-ami (1333-1384) und Noh-Schauspieler und Verfasser von Bühnenstücken Zeami (Kanze Motokiyo, Hata no Motokiyo, 1363-1443), der Sohn des Vorgenannten. Für die Entwicklung der Kunst des Noh-Theaters am Hofe des Shoguns Ashikaga Yoshimitsu ist insbesondere Zeami die treibende Kraft gewesen, so sehr, daß er als der eigentliche Gründer dieser Kunstform angesehen wird. Daß diese Persönlichkeiten hier bestattet sind, zeigt, wie sehr Ikkyu-san die Schirmherrschaft für Kunst und Künstler übernahm und diese auf ihrem Weg unterstützt und ermutigt hat.


Struktur der Anlage und Beschreibung
Der Zuweg (Sando) führt von Westen auf das San-mon zu, welches an der Südwestecke des Bereiches steht. Der Weg führt in einen Vorgarten (Hiro niwa) mit einer Verzweigung. Nach Norden abknickend kommt man zum Kuri (Lebensbereich der Mönche). Dieses Gebäude enthält im Süden rechterhand des Vestibüls eine Teestube (Chashitsu). Im rückwärtigen Bereich liegen die Schlafzimmer von Abt und Schülern, Bad, Lagerräume, Arbeitszimmer des Abtes, mit mehreren Innenhöfen. Noch weiter im Norden liegt das Gebäude Toun-an, das in den Ruhestand getretene Äbte bewohnten. Im Süden gibt es eine kleine Veranda mit Teegarten davor, im Innern gibt es Schlafzimmer, Küche, Lagerraum, Teezimmer, Wohn- und Arbeitszimmer. Östlich dieses Toun-an führt ein Weg durch den Blumengarten durch ein Gartentor zum Gemüsegarten. Auf der Ostseite des Blumengarten sind Lager- und Wirtschaftsräume.

Zurück zum Vorgarten: Nach Osten hin führt ein zweites Tor durch eine Trennmauer. Dahinter führt ein Steinplattenweg (Shichigosan no tobi-ishi) zum Genkan (Eingang, formelles Vestibül), der L-förmig südlich an den Hojo (Abtsresidenz, religiöses Hauptgebäude) angebaut ist. Kuri und Hojo sind mit einem kleinen Zwischenstück in Form eines Korridors (Roka, Rouka) miteinander verbunden. Der aus der Edo-Zeit stammende und 1638 erbaute Hojo dient gleichzeitig auch als Hondo (Haupthalle) und als Kyakuden (Gästehaus). Er enthält die Räume Rai-no-ma (unterer Raum), Shitsu-juu oder Shicchu-no-ma (Hauptraum, Votivraum) und Danna-no-ma (oberer Raum) im Süden und die Räume Ihatsu no ma oder Ehatsu-no-ma, Butsuma (Heiligtum, Altarraum, Buddha-Raum) und Ojoin oder Oshoin (Arbeitszimmer) im Norden (gegen den Uhrzeigersinn). Die westlichen Räume enthalten acht Landschaftsgemälde von Jasoku Soga, die ältesten des Tempels. Der mittlere Raum im Norden besitzt eine hölzerne Statue von Ikkyu Sojun. Im mittleren Raum im Süden befinden sich weitere Gemälde von Jasoku Soga mit Vögeln und Blumen. Im südöstlichen Raum stellen Gemälde von Hasegawa Tohaku (1539-1610) die Geschichte des chinesischen Han-Kaisers Koso und seiner zwei Söhne dar, die miteinander rivalisierten, ferner die Weisen und Kiefern, im nordöstlichen Raum setzen sich die Weisen fort.

Südlich des Hojo liegt ein Karesansui-Garten (der Hojo-Nantei, Südgarten der Abtsresidenz, Momo-ishi-no-niwa, Garten des Pfirsich-Steines), östlich der Halle ein von Murata Shuko (Muraka Juko, Teemeister für Shogun Ashikaga Yoshimasa) gestalteter Garten (Hojo-azuma-niwa, Shichigosan-no-niwa) mit einem Trockengarten, dahinter einer Hecke und einer Reihe dichten Baumbestandes, der eine völlige Abschirmung zur Straße dahinter bildet. Der Name "Shichigosan-no-niwa" kommt von der charakteristischen Steinsetzung: Die 15 Steine sind auf einem Moos-Untergrund von Süden nach Norden in drei Gruppen zu 7-5-3 arrangiert. Ursprünglich konnte man von der den Blick in die Ferne schweifen lassen, nach rechts bis zu den Higashiyama-Bergen, nach links bis zum Berg Hiei. Heute verdecken die Bäume gnädig die Großstadt.

Im Norden des Hojo führt ein an einer Mauer mit kleinem Versatz weiterführender Durchgang (Watari-roka) nordwärts zum Arbeitszimmer Tsusen-in (Shoin tsuusen-in) und passiert dabei einen Brunnen. Dieser Bau im Shoin-Stil war einst die Residenz einer Hofdame der Kaiserin Ogimachi und wurde vom Kaiserpalast (Gosho) hierher versetzt, ein 6 Räume umfassendes Geschenk von Dr. Nakurai. Ogimachi war übrigens die Mutter von Prinz Toshihito (1579-1629), der die Villa in Katsura entwarf und bauen ließ. Im Shoin gibt es die Räume Nando-no-ma, Shoin ni-no-ma (2. Raum des Shoin), Shoin ichi-no-ma (1. Raum des Shoin) und im Nordosteck den von Kanamori Sowa (ein Teemeister und zugleich ein Daimyo in den japanischen Alpen) im späten 17. Jh. gestalteten Teeraum (Chashitsu) "Teigyoku-ken", vor dem mit dem Teigyoku-ken-mae-no-niwa ein weiterer Garten liegt. Im Tsusen-in gibt es Muromachi-zeitliche Gemälde von Soami im Südostraum. Gegenüber dem Eingang zum Teehaus sind Malereien von Kano Motonobu (1475-1559) zu sehen, die vom Seiko-See in China inspiriert wurden. Im zentralen südlichen Raum sind Gemälde von Tosa Mitsuoki zu finden. Ein steinernes Handwaschbecken, ungewöhnlicherweise zum Gebäude hin gerichtet und nicht wie sonst üblich nach außen weisend, war einst ein Geschenk des Kaiser Ginsoku und kam zusammen mit dem Tsusen-in hierher.

Alle drei Gebäude, Kuri, Hojo und Shoin, sind als wichtiges Kulturgut klassifiziert. Im Tempel befinden sich etliche Kunstwerke, viele davon als Nationalschatz oder wichtiges Kulturgut eingestuft. Darunter fallen Malereien im Hojo von Soga Dasoku und Hasegawa Tohaku (1539-1610) sowie Kalligraphien des Zen-Meisters Daito Kokushi (Myoho Shucho, Myouchou Shuuhou, 1282-1337).


Moderne Kunst im Shinju-an
Diese Sonderöffnungszeiten sind spannend, seit Oberpriester Sosho Yamada sich entschied, die mehr als 400 Jahre alten Gemälde auf den Schiebetüren zeitweise durch moderne Kunstwerke zeitgenössischer Künstler zu ersetzen. Die Ausstellung moderner Malkunst auf Fusuma-e ist / war zu sehen am 1.9.-18.10. und 22.10.-16.12.2018. Es werden / wurden 40 Wandflächen gezeigt mit Werken der sechs Künstler Isamu Kamikokuryo (8 Flächen, Künstler sonst für seine Video-Spiele bekannt), Hiroyuki Yamaga (4 Flächen, Produzent von Anime-Filmen), Ken-ichi Kitami (16 Flächen im Hauptraum des Hojo; eigentlich ein Manga-Künstler, bekannt für seine Serie Tsuribaka Nisshi), Takayuki Ino (5 Flächen im Dai-shoin, arbeitet sonst als Illustrator für Bucheinbände, Magazine oder Anime), Hamaji Soshu (4 Flächen, selbst ein Mönch, malt eher im klassischen japanischen Stil) und Kazuya Yamaguchi (3 dunkel und minimalistisch gestaltete Flächen im Butsuma). Die Arbeiten sind eine bunte Mischung, traditionell oder modern im Stil. Am besten fügen sich natürlich die Arbeiten von Hamaji Soshu mit der schwarz-weißen Gestaltung, den großen leeren Flächen und den markanten und elaborierten Akzenten in die historische Architektur ein. Das andere ist Geschmacksache, andererseits paßt die Idee zu der überlieferten Exzentrizität von Ikkyu Sojun, dem der Tempel gewidmet ist. Jedenfalls dürfte das eine der seltenen Gelegenheiten sein, einen Düsenjäger auf Fusuma-e in Gebäuden des 17. Jh. zu sehen (auf einer Arbeit von Hiroyuki Yamaga auf der Nordseite des Danna-no-ma). Die Künstler arbeiteten ehrenamtlich bzw. über Crowdfunding für den Tempel. Die Intention dieser Aktion war, einfach einmal eine andere Zielgruppe in den Tempel zu bringen, die Brücke zu schlagen zu den Fans dieser Künstler, und Interesse für den Tempel zu wecken und so auch diesem Publikum Werte zu vermitteln.


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps: https://www.google.de/maps/dir///@35.0443999,135.7463524,20.02z - https://www.google.de/maps/dir///@35.0443999,135.7463524,87m/data=!3m1!1e3
Subtempel auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report632.html
Subtempel auf Samurai-Archives:
https://wiki.samurai-archives.com/index.php?title=Shinju-an
Zeami:
https://wiki.samurai-archives.com/index.php?title=Zeami
Beschreibung und Sonderöffnungszeiten 2018:
http://kyotoshunju.com/?temple-en=daitokuji-shinju-an
Moderne Malerei im Subtempel:
https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012001/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012002/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012003/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012004/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012005/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012006/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012007/ - https://www.nippon.com/en/guide-to-japan/gu012008/
Artikel von Daisuke Mukai auf Asahi Shimbun vom 11.6.2018:
http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201806110007.html
Marc Treib, Ron Herman: A Guide to the Gardens of Kyoto, 224 S., Shufunomoto/Charles E. Tuttle/Kodansha International, Tokyo 2004, ISBN: 4770029535, S. 68
Real Japanese Gardens:
http://www.japanesegardens.jp/gardens/famous/000095.php
Auf JGarden:
http://www.jgarden.org/gardens.asp?ID=26
Ikkyu Sojun:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ikky%C5%AB_S%C5%8Djun - https://en.wikipedia.org/wiki/Ikky%C5%AB
Ikkyu Sojun:
https://www.univie.ac.at/rel_jap/kami/Ikky%C5%AB_S%C5%8Djun
Ikkyu Sojun:
http://www.saekularerbuddhismus.org/?p=2709
Ikkyu Sojun:
https://www.thoughtco.com/ikkyu-sojun-450209
Ikkyu als Manga:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ikkyu_(Manga)
Daisen-in, including all the Gardens and Tea Houses of Daitoku-ji, vom Tempel herausgegebene Publikation aus Anlaß des 500. Gründungsjahres (2047 buddh. Zeitrechnung), S. 44
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10: 4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 187-188
Jon Covell, Yamada Sobin: Zen at Daitoku-ji, Kodansha International Ltd., Tokyo, New York, 1974, ISBN-10: 0870112279, ISBN-13: 978-0870112270, S. 196-197


Daitoku-ji, Kyoto, Teil (1): Haupttempel - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (2): Korin-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (3): Zuiho-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (4): Ryogen-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (5): Daisen-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (6): Obai-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (7): Koto-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (8): Soken-in - Daitoku-ji, Kyoto, Teil (10): Juko-in und weitere Subtempel

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