Bernhard Peter
Das Zimmer über den Ghats

Verrat an alten Traveller-Idealen – ich habe mich doch tatsächlich in Udaipur in einem der prachtvollen alten Havelis am Seeufer einquartiert. Das Kankarwa Haveli ist einer der alten Kaufmanns- und Adels-Paläste, die gehobene Lebenskultur mit bezaubernder Lage kombinieren. Heute noch in privater Hand weitläufiger Angehöriger des Königshauses, verbindet es die angenehme Atmosphäre eines bewohnten Privathauses mit nur wenigen Gästen mit allen Annehmlichkeiten einer persönlichen Gästebetreuung. Das ist weniger ein Hotel und mehr ein Zuhause, in dem Besitzer und Angestellte wirklich für einen da sind. Nie werde ich dem Leiter des Hotels die unendliche Mühe vergessen, mit der er mit mir stundenlang einen speckigen und zerfledderten hinduistischen Kalender entzifferte und übersetzte, den ich jemandem im Basar buchstäblich von der Wand geschwatzt hatte. Und nach wenigen Tagen liegt mir auch der deutsche Schäferhund zu Füßen und läßt sich den Bauch kraulen. Im Gegensatz zum indischen Durchschnittshund, hat er hier ein Paradies, aber so intensive Streicheleinheiten sind doch auch für einen indischen Nobelhund eine geschätzte Ausnahme im Wachhundleben. Ganz unten am Ufer als letztes Haus am Kopf einer Straße gelegen, direkt neben dem Lal Ghat, steht das Kankarwa Haveli mit der Außenmauer unmittelbar am Wasser. Ein gemütliches Zimmer habe ich im zweiten Obergeschoß, riesengroß, mit erhöhter Fläche vor den Fenstern, die sich weit auf den See öffnen. Doch dazwischen liegen noch die Ghats, direkt unter meinen Fenstern, einem großen in der Mitte des Erkers und zwei kleinen an den beiden Seiten desselben.

Die Ghats sind Waschplatz, Abenteuerspielplatz, Freibad, Müllkippe, Kuhweide, Moped- und Fahrradwaschplatz, Platz für heilige Riten, morgendliches Badezimmer, aber vor allem der Platz für die Hausfrauen zum Wäschewaschen. Rhythmisches Klopfen taktet den Tag, und wenn die Flecken sehr hartnäckig sind, weht das Echo vom gegenüberliegenden Ufer noch zusätzlich heran. Eigentlich kann man es sich sparen, den Wecker zu stellen, pünktlich mit Tagesanbruch setzt das Klopfen ein. Ein ständiges Kommen und Gehen ist es am Ghat. Meist tragen die Frauen in ihren bunten Tüchern eine große flache Schale auf dem Kopf, in dem alle wesentlichen Utensilien Platz finden: Ein niedriger Schemel aus Holz oder Plastik, eine Plastikbox mit verschiedenen Seifenstücken und Bürsten, natürlich die schmutzige Wäsche und vor allem ein großes rechteckiges Schlagbrett aus Holz mit Griff. Natürlich wird die weit ausladende Schale nicht direkt auf dem Kopf balanciert, sondern auf einem ringförmig aus einem Tuch geschlungenen wulstartigen Polster. Und dann geht es los: Mit Eifer werden die Wäschestücke eingeseift und zu einem Bündel geknüllt, welches dann mit unermüdlicher Kraft in immer gleichem Rhythmus mit der linken Hand auf den Stufen gewendet und mit der rechten Hand mit dem Schlagholz traktiert wird. Manchmal helfen die kleinen Kinder, wenn sie ihre Mutter begleiten, beim Ausspülen im Seewasser. Danach wird alles zum Trocknen auf das Geländer gehängt oder in der großen Schale auf dem Kopf wieder nach Hause balanciert.

Überhaupt wundert man sich bei dem unglaublichen Dreck der Straße und den archaischen Waschmethoden, wie adrett und sauber Inder herumlaufen, da schämt man sich manchmal als Europäer, wenn man ein Hemd an zwei Tagen hintereinander anzieht. Man schämt sich auch für andere Touristen, die zwar zu Hause mit ihrer Kleidung wohl den eleganten Boss spielen, hier aber in Shorts und Hawaii-Hemd herumlaufen. Selbst wenn Inder nur ein einziges Hemd besitzen – es ist meistens sehr sauber. Wie die das in dem Chaos schaffen, ist mir unklar. Es ist nur auffallend, wie großen Wert man hier auf ein gepflegtes äußeres Auftreten achtet. Ich habe es mir eigentlich daher zur Gewohnheit gemacht, in Asien eher noch betonter weiße Hemden anzuziehen als zu Hause, und zu meiner Freude und Belustigung wurde dies auch lobend anerkannt: Einmal zupfte mich in Udaipur ein Inder am Ärmel, und nach dem üblichen „Where are you from? What’s your name?“ meinte er dann: „Very good! You dress like Indian people! That’s the right way! Very good” Und grinste ganz breit und nett dazu.

Mittags ändert sich das Publikum: Jugendliche baden und springen platschend von der Mauer, an der eine große AIDS-Präventions-Reklame in eigenwilliger Arithmetik prangt: (+) * (-) = (+). Jetzt sind See und Ghat ganz Freibad. Alle drei Seen sind künstlich angelegt und sehr flach, so daß sie in der Trockenzeit meist sehr stark an Ausdehnung einbüßen. Dann spiegeln sich nicht die Fassaden im berühmten Pichola-See, sondern man kann zu Fuß zur gegenüberliegenden Landzunge gehen, und auf dem Seeboden sprießt Gras und grasen Kühe. Dieses Jahr kam der Monsun sehr spät, und ein paar Wochen vor meiner Ankunft war hier noch alles trocken. Die Regenzeit geht normalerweise von Juli bis Mitte September. Seit Juli hatte es aber erst einmal geregnet, so daß die schönen alten Havelis sich vor nicht allzu langer Zeit nicht im Wasser spiegelten, sondern auf eine schlammige Wiese blickten. Um so größer die Freude der Menschen, jetzt wieder richtige Seen und damit auch den Badespaß zu haben. Und die Freude über die nun schön mit Wasser gefüllten Seen ist zugleich auch die Freude über die wieder nach Udaipur kommenden Touristen, denn diese sind – wie ich auch – in dieses See-Panorama verliebt, und vor wenigen Wochen noch hatten viele Reisegruppen den Besuch in der Stadt mangels Seepanorama abgesagt, sehr zum Leidwesen der Hoteliers und Händler. Aber jetzt, seit dem 11. September, haben wir reichlich Regen, und ähnlich wie die Jugend jauchzend den Badespaß genießt, werden sich die Hotels und Läden die Hände reiben und sich auf die kommende Touristensaison freuen.

Entsprechend groß ist auch die Freude der Jugend an „ihrem“ Freibad – gerade haben ein paar Jugendliche den mitten in der Bucht wie ein vor Anker liegendes quadratisches Schiff liegenden ummauerten Garten erschwommen. Eigentlich ist es nur eine quadratische Plattform, die von einer hohen filigranen Bogenarkade umgeben ist und in deren Mitte ein verwilderter Garten ist. Aber durch die schwimmende Lage ist es ein Punkt, auf dem der Blick, der über den See schweift, gerne ruht. Die Jungs klettern gerade auf das Band der Balustrade und springen von den Dächern der mittig angeordneten Erker ins flache Wasser. Einst königlicher Lustgarten, heute Sprungturm für die Jugend.

Die drei Seen der Altstadt von Udaipur sind das Antlitz der Stadt, der Quell all ihrer Schönheit, das Medium, das die einzelnen Stadtteile trennt und verbindet, der Spiegel, der die Fassaden der Häuser verdoppelt und wie durch einen Aufhellschirm erstrahlen läßt, in dem das Licht erzeugt wird, das die Stadt je nach Wetter und Tageslicht verzaubert, mal in tiefes Gold taucht, mal in blütenreines Weiß, mal in trüb-verschwommenes Grau im Monsunregen. Ich habe den See am frühen Morgen erlebt, wenn sich die Stadt wie frisch gereinigt taufrisch aus der Nacht in einen strahlend schönen Tag begibt, der Lake Palace wie zum Greifen nah in der klaren und frischen Luft, oder in der Nachmittagshitze in flirrendem Dunst verschwindend, in einer Hitze, die die Farben vor lauter Sonne blaß werden läßt und weiße Mauern nur noch blenden läßt, oder im Monsunregen, der das ganze Rund der Aussicht mit bleischwerem Grau belegt, oder in der strahlenden Abendsonne, wenn die Sonne hinter den Hügeln im Westen verschwindet und die Stadt in goldenes Licht taucht. Das Licht verzaubert diese Stadt und schafft ständig neue Eindrücke und Gefühle je nach Tageszeit und Wetter.

Und am Abend hat man häufig das Privileg, aus dem Fenster heraus das Feuerwerk betrachten zu können, das im Auftrag des Luxushotels im Lake Palace von einem Boot aus abgefeuert wird.

Eigentlich sind Ghats prinzipiell heilig. Je nach Ort unterschiedlich - in Pushkar z. B. sind die Ghats am allerheiligsten, nur übertroffen vielleicht von Varanasi. In Pushkar darf man die Stufen und manchmal auch die Plattformen nur ohne Schuhe betreten, und man sollte auch nur die obersten Stufen betreten und Abstand von den sich gerade rituellen Waschungen unterziehenden Menschen halten, um sie nicht zu stören. Daß an Badeghats nicht photographiert wird, ist selbstverständlich- das ist immerhin das Innere des Badezimmers für viele Menschen. Aber Heiligkeit ist relativ. Man muß eben Inder sein, um Abwässer in einen heiligen See zu leiten, oder um an einem Ghat, das morgens und abends für rituelle Handlungen und religiöse Zeremonien verwendet wird, tagsüber sein Fahrrad inclusive der Kette im strömenden Monsunregen mit einer Zahnbürste zu putzen.

Udaipur hat auf dieser Seite des Sees nur zwei Ghats, das Lal Ghat, über dem ich wohne, und weiter hinten das Gangaur Ghat, wo abends die Feste stattfinden. Die Ghats sind die Tore der Stadt zum See. Am gegenüberliegenden Ufer der Landzunge wind weitere Ghats, und insbesondere das an dem kleinen Tempel an der Spitze wird gerne aus Badeinsel benutzt.

Weiter oben auf dem Lal Ghat haben sich drei Kühe niedergelassen, eine mit bemalten Hörnern. Rikshaw-Fahrer parken auf dem kleinen Platz, und die Fahrer haben sich dösend auf die enge Rückbank gekuschelt. Ein Besenverkäufer geht rufend durch die engen Gassen der Altstadt, ein ganzes Bündel Besen aus Palmblattrippen auf der Schulter. Ich bin glücklich in diesem alten Viertel, in dem das althergebrachte Leben pulsiert wie schon immer.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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