Bernhard Peter
Auf Udaipurs Dachterrassen

In Udaipur genieß man das Leben auf den Dachterrassen der Unterkünfte. Wie in keiner anderen Stadt findet hier oben in luftiger Höhe das angenehme Leben statt. Kaum eine andere Stadt besitzt so viele Roof Top Restaurants, und jede Unterkunft, die auf sich hält, bietet Frühstück auf der Dachterrasse. Über schmale und enge Treppen steigt man in den Wänden der alten Havelis nach oben, sucht sich seinen Weg über schmale Galerien entlang der Innenhöfe, bis die nächste Treppe ins Mauerwerk und weiter nach oben führt. Und Udaipur hat allen Grund dazu. Das Kapital dieser Stadt ist die traumhafte Kulisse zum See hin. Und egal von wo man sie betrachtet, zu welcher Tageszeit und bei welchem Wetter, immer ist man von Neuem in ihren Bann geschlagen, jedesmal entdeckt man etwas Neues, verliebt sich wieder in ein neues Detail.

Diesen Rundblick erlebe ich meistens vom Dach des Kankarwa Havelis aus, einer der typischen alten Kaufmanns- und Adelspaläste der Altstadt direkt am See. Nach Süden begrenzt eine hohe Blendmauer die Dachterrassen und schirmt die Dachebene vor Blicken aus den Nachbar-Havelis ab. Aufgrund der Einbindung in die urbane Struktur sind die Ost- und Südseite des Anwesens praktisch geschlossen, während sich das Haus quasi auf den See hin öffnet. Die meisten Zimmer haben die Fenster entweder nach Westen direkt auf den See (Westflügel und Nordflügel) oder nach Westen auf den Innenhof (Ostflügel).

Über der Blendmauer staffeln sich die Gebäude der Altstadt, bis schließlich oben der Stadtpalast bzw. der nördlichste Teil davon ins Blickfeld reicht. Er ist so groß und so reich an architektonischen Formen, daß er optisch tonangebend für die Südostrichtung ist. 12 verschiedene Pavillons sind von hier aus sichtbar, einige mit offenen Bogenstellungen, andere mit feinmaschigem Gitterwerk verschlossen.

Im See fällt der Blick zuerst auf den Lake Palace, einst königlicher Sommersitz, heute Luxushotel, in blendendem Weiß. Nicht meine Preisklasse, eher ein Hotel, in das sich Tony Blair gerne einladen läßt (habe ihn gerade um einen Tag verpaßt, Gott sei Dank). Da drin zu wohnen hat sicher den gewaltigen Nachteil, daß die Aussicht um ein markantes und strahlendes Element ärmer ist!

Von der Bougainvillea-bestandenen Dachterrasse fällt der Blick ebenfalls auf die weiter hinten im See liegende Insel mit dem Jag Mandir Palast. Einst war das ein weiterer Seepalast der Königsfamilie. Ein flacher Bau, von dem insbesondere die Chattris an den Ecken und der zentrale mehrstöckige Kuppelbau ins Auge springen. Auf einer Bootsfahrt war ich mal auf dieser Insel. Heute befindet sich in der weitläufigen Hofanlage ein exquisites Restaurant, in entzückenden Arkaden sitzend kann man den Blick über die Palaststadt schweifen lassen. Dahinter ist ein geometrischer Garten angelegt. Der dreistöckige Hauptbau des ehemaligen Palastes ist z. T. noch ungepflegte Ruine. Im Obergeschoß befindet sich eine leere Stützenhalle, die in den leeren Kuppelraum führt. Eine weitere Tür im zugigen Obergeschoß öffnet sich nur nach deutlichem Insistieren mit viel Kraft, worauf einem der scharfe Geruch von Fledermauskot entgegenschlägt. Eine dahinter verborgene Treppe führt schließlich ganz nach oben, während einem aufgescheuchte Fledermäuse um den Kopf flattern und hohe Fieptöne senden. Die fragen sich wohl, warum denn diese aufdringlichen Touristen aber auch alles sehen müssen und vor nichts Respekt haben, noch nicht einmal davor, daß diese Geschöpfe der Nacht hier oben ihre Zuflucht vor dem grellen Tageslicht gefunden haben, nachdem ihnen der Bau des Restaurants im Erdgeschoß schon wesentliche Teile ihres Quartiers und ihrer Schlafplätze geraubt hatte. Oben angelangt, kann man die zwei den Bau flankierenden kleinen Türmchen betreten und ansonsten einen herrlichen Rundumblick über Garten, Restaurant, See, Stadt und Paläste genießen.

Das Panorama geht weiter, zu einem Badeghat auf der Landzunge gegenüber, nicht besonders schmuck, aber um so beliebter bei der Jugend – das ist das Ghat für Badespaß schlechthin. Daneben ein schönes altes Haveli in relativ flacher Bauweise, ein verfallener Tempel mit ca. 25 grasbewachsenen Stufen, die direkt zum See hinunter führen. Daneben ist das Auge weniger begeistert von dem modernen Hotel, das zwar den Stil alter Havelis kopiert, aber von erschreckend regelmäßiger Struktur ist und das typische indische Geschachtele und die ganzen vielen kleinen architektonischen Überraschungen eines mit der Zeit gewachsen Anwesens vermissen läßt.

Davor liegt inmitten der Bucht ein wahres Kleinod: Eine alte Garteninsel. Es handelt sich um ein quadratisches Mauergeviert mitten im Wasser auf halber Strecke zwischen dies- und jenseitigem Ufer. Ringsum ist die Insel von einer quadratischen Bogenarkade umgeben. In der Mitte jeder Seite ist ein kleiner Erker, einer davon mit Dach, rechts und links davon jeweils drei Bogenstellungen. Der ganze Innenraum ist ein verwilderter Garten, dessen Gras und Unkraut bis zu den Bogenscheiteln reicht.

Das gesamte Nordwest- und Nord-Panorama wird von der kleinzelligen und vielschichtigen Struktur der Altstadt eingenommen. Markante Havelis, armselige Bruchbuden, Tempel-Shikaras, Dachterrassen, alles in blau, gelb und weiß. Die Geräusche der quirligen Altstadt wehen über das Wasser und durch die hier aufgerichtete Arkadenreihe meiner Dachterrasse: Läutende Tempelglocken, das Klopfen der Wäscherinnen, jaulende Straßenhunde, das Hupen der Autos schallt in den engen Gassen, Mopeds heulen den Berg der Altstadt hinauf, Rikschahupen quäken. Badende Kinder johlen und stürzen sich platschend ins Wasser.

Das Ganze wird untermalt vom Kreischen der Raubvögel, die sich auf den hohen Blendmauern zwischen den einzelnen Havelis niederlassen. Das aufgeregte Klatschen der Taubenschwärme über dem Palast und das Kreischen grüner Papageien vermengen sich mit den restlichen Geräuschen einer qietschlebendigen indischen Stadt zu einem unnachahmlichen Geräuschteppich.

Langsam schwebt vom See heran ein weiterer großer Raubvogel, kreist adlergleich um die luftigen Erker des Stadtpalastes, majestätisch seine Bahn vor den herannahenden Monsunwolken drehend. Die Pavillons – der Blick hindurch in die ziehenden regenschweren Wolken, der Zug der Windhauche durch die siebartig offenen Wände, das Kreisen der verängstigten Taubenschwärme sowie der Raubvögel – Himmelsnähe vermitteln sie auf der erdenschweren Festung hoch über meiner Dachterrasse.

Udaipur ist die Stadt der großartigen Panoramen und Kulissen, der atemberaubenden Szenerien. Ob man abends nach einem Monsunsturm das Wetterleuchten über dem alten Palast beobachtet oder das nächtliche Feuerwerk vor der bunt aufglühenden Kulisse des Lake Palace Hotels, oder ob der Monsun mal wieder Udaipur mit Regen überschüttet und das Palasthotel hinter einer Wand aus grauen Bindfäden verschwimmt, immer noch so strahlend wie ein blütenweißer Ozeandampfer in schwerem Wetter. Die Hügelkette dahinter ist schon ganz von Wolken verborgen, nur schemenhaft ahnt man das gegenüberliegende Ufer des Sees. Jag Mandir ist nur noch ein grauer Schatten. Oder man erlebt am nächsten Abend wieder das krasse Gegenteil: Glühend versinkt die Sonne vor markant geformten Hügeln hinter dem Monsun Palace in luftiger Höhe auf eben diesen Hügeln, nach einem kräftigen Guß ist nur noch ein Rest Wolken vorhanden, wie gezielt mit einer orangefarbenen Aura die Dramatik dieses Sonnenuntergangs erhöhend. Jeder Tag, jeder Sonnenaufgang läßt einen die Stadt, ihre Kulissen und ihre Dramatik neu erleben. Udaipur ist eine Stadt, die zu betrachten man niemals müde wird.

Über Restaurants in Udaipur - Streifenhörnchen - Das Zimmer über den Ghats
Auf Udaipurs Dachterrassen
Photos: Der Jagdish-Tempel - Menschen im Jagdish-Tempel
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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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