Bernhard Peter
Es gibt keinen Grund, nicht im Ambrai zu speisen -
über Restaurants in Udaipur

Auf einer Landzunge in den Pichola-See ziemlich weit an der Spitze liegt das Restaurant Ambrai. Vor allem abends ist es eines meiner Lieblingsplätze. Es ist zwar für indische Verhältnisse äußerst gehobene Preisklasse (200-300 Rp, also 4-6 € sollte man für ein Essen einkalkulieren), aber das Essen ist exzellent. Vor allem bietet das Restaurant Mewar-Küche an, und jedes Gericht hat seine ganz besondere typische Note.

Das ist in Udaipur keine Selbstverständlichkeit, denn viele Restaurants in der Altstadt setzen einem einen Einheitsbrei vor, wo sich hinter 30 klingenden Namen die selbe Einheitssauce verbirgt. Ganz besonders negativ sei das Gangaur Palace Natural View Roof Top Restaurant erwähnt, stellvertretend für viele seiner Art. Der Blick über den See, das Lake Palace Hotel, die untergehende Sonne über den Bergen ist einmalig. Und wenn die letzten Strahlen der Sonne die Wolken hinter den kulissenhaft zu Schemen werdenden Hügeln in ein wunderbares Rosaviolett taucht, ist man vielleicht bereit, seinen Magen zu verrenken, mögen sich die Besitzer desselben denken. Oben auf dem Dach eines malerischen Haveli gelegen, zu erreichen nach Durchqueren des Innenhofes, Erklimmen steiler Stiegen in den Mauern und Passieren der den Hof umgebenden umlaufenden Galerien, ist der Blick nach Betreten der Dachterrasse wie eine Offenbarung. Dieses Gefühl ist wohl mit 99% des Preises abgegolten, das restliche Prozent könnte wohl der Qualität des Essens angemessen sein. Egal, was man bestellt, geschmacklich wird es zwischen Gemüsesuppe, Madrascurry und Komposthaufen liegen, und optisch zwischen Babybrei und Erbrochenem vom Hund. Und leider hatte ich von diesem Restaurant auch noch einen anhaltenden schlechten Eindruck, der nur mit Loperamid und Metronidazol zu lindern war. Also: Ganz langsam hochsteigen, Haveli mit den Augen verschlingen, oben die Aussicht genießen und sich daran sattsehen, und dann am besten dem Personal bedauernd erklären, daß es hier leider zu voll sei, um in Ruhe zu abend zu essen. Leider gilt diese unangenehme Erfahrung für viele Restaurants in Udaipur, insbesondere für solche, die sich der Fürsorge für Rucksackler verschrieben haben. Die meisten Roof Top Restaurants haben ein wunderschönes Roof Top und eine grauenerregend schlechte Küche. In einem verzweifelten Bemühen, es den westlichen Touristen recht zu machen, kombiniert man Curry-Geschmack mit Pizza-Geschmack zu einem ziemlich einheitlichen schauerlichen kulinarischen Anti-Erlebnis.

Aber zurück zum Ambrai, das ich als höchst dekadenter Tourist zu meinem Lieblings-Restaurant erkoren habe. Wenn ich in Indien speise und die indischen Bettler und Straßenhändler mein Budget stets mit dem eines Maharadscha verwechseln, dann will ich auch speisen wie ein solcher. Und das kann ich im Ambrai! Denn der Chef des Hauses war einst Koch der Maharanas von Udaipur, ehe er sich hiermit selbständig machte. Und nach dem Geschmack der Gerichte zu urteilen, wurde er gewiß nicht gefeuert! Ob der Maharana jetzt statt dessen die oben erwähnte Mischung aus Curry und Pizza herunterwürgen muß? Ich hoffe für ihn, daß nicht. Im Ambrai ist das Essen jedenfalls exzellent.

Und die Aussicht ebenfalls, schaut man doch mit der Abendsonne auf die einzigartige Seefassade der Stadt. Selbige ist dreigeteilt. Ganz rechts in strahlendem Weiß das makellos scheinende Lake Palace Hotel mitten im See – sicherlich auch ein exzellentes Restaurant, doch dort bezahlt man für das Betreten der Insel schon 200 Rp, das Essen ist ca. Faktor 10 teurer als im Ambrai. Nun ja, das Lake Palace ist ja auch eines der weltweit 10 besten Hotels. Viel schöner und billiger ist es also, die Aussicht auf das wie ein Ozeandampfer im See liegende Ensemble aus strahlend weißen Türmchen, Toren und Fenstern zu genießen und die an- und ablegenden Boote zu beobachten. Links davon, am Ufer des Sees, liegen die vier Haupteinheiten des Stadtpalastes, des ausgedehntesten Palastes in ganz Rajasthan, von der Abendsonne in ein warmes Gelb getaucht. Ganz rechts der halbrunde Teil, dann der vielfenstrige und turmgekrönte neue Palast, in dem die Familie heute noch wohnt. Der zweite Teil des Palastes von rechts ist der langweiligste, unindischste: Symmetrie, keine Erker, nur große Fensterarkaden. Es fehlt das komplexe Spiel mit Öffnung und Trennung, mit Durchschaubarkeit und Geheimnis, mit Zugänglichkeit und Ausgrenzung wie bei anderen Palästen. Er ist am wenigsten festungsartig, bietet am wenigsten den faszinierenden Kontrast zwischen drinnen und draußen, zwischen Festung und höfischem Leben, zwischen Bollwerk und Filigran, zwischen brutaler Wuchtigkeit und filigraner Raffinesse wie bei den anderen Palastteilen. Das Auge fühlt sich vielmehr von den anderen Teilen der Anlage angezogen, jenen, wo man selbst nach dem dritten Blick noch nicht die Feinstruktur erfaßt. Besagter Palastteil wird nach links gefolgt von einem riesigen massiven Block, dessen festungsartige Härte und Wuchtigkeit durch die kleinen Erker im oberen Teil eher noch gesteigert als gemildert wird. Zu seinen Füßen liegt ein entzückender Bau mit vielen Arkaden und Pavillons, der sich zum Wasser hin öffnet, ganz so, als sei die abweisende Trutzigkeit des Blockes darüber nicht ganz so ernst gemeint. Ganz links ist der vierte Teil des Palastes zu sehen mit seinen märchenhaft verschachtelten Aufbauten, vielen kleinen luftigen Türmchen und Pavillons als Bekrönung, das heutige Palastmuseum. Der Teil repräsentiert wohl am ehesten, was uns an indischer Palastarchitektur anzieht: Das geheimnisvolle Spiel mit Raum und Übergang, mit Trennen und Verbinden, mit Verstecken und Zeigen, mit Abgrenzen und Öffnen, in jedem Fall Neugier weckend. Und links davon vollzieht sich ein abrupter Wechsel im Maßstab: Der ganze Hang links vom Palast ist die Altstadt, ein Flickenteppich aus Farben, weiß, blau, gelb, ocker, Dachterrassen türmen sich über Bogengalerien und Fenstern, dazwischen blitzen zwei Shikaras, weitere Tempel liegen ganz links im Panorama direkt am Ufer. Ein Durcheinander aus Häuschen und Höfen und verschiedenen ersten Lichtern, klein parzelliert, sich hintereinander hervorreckend, um auch noch teilzuhaben an den wunderschönen Blick auf den See, ein „Ich auch, ich auch“ der vielen Loggien und Dachterrassen, um allen Einwohnern und Gästen einen Blick auf das faszinierende Farbspiel des Sonnenunterganges hinter dem Pichola-See zu ermöglichen. Zwischen dem Gewimmel aus Häusern immer mal wieder ein wuchtiges Haveli, ein alter Kaufmannspalast, die vor allem das Ufer selbst säumen. Ein solches Haveli wird schnell zum markanten Turmbau in der Altstadt mit seien vielen Loggien, Erkern, Vorbauten, Bogenstellungen, Blendmauern und typischen Bogenfenstern, mal Lappenbögen, mal Hufeisenbögen. Rechts das Lal Ghat, weiter links das Gangaur Ghat, dahinter ein großes Tor, die Tore der Stadt zum See, zum Wäschewaschen, zum Baden, zum Feiern. Udaipur hat an dieser Seefassade der Stadt keine eigentliche Uferpromenade, die alten Havelis ragen unmittelbar aus dem Wasser. Die Ghats sind die Fester der Urbanität zum See.

Mittlerweile, während die Sonne immer wärmere Farben über die Seefassade von Udaipur ausgießt und langsam schwächer wird, haben Musikanten auf einer flachen Bank Platz genommen und spielen traditionelle Ragas, nicht aufdringlich, eher die harmonische Szene sanft untermalend. Ist schon reichlich klischeehaft, nicht wahr?

Die Realität in den Backpacker-Restaurants sieht ganz anders aus. Während man im sonstigen Indien Restaurants je nach Eßgewohnheiten eher nach „Veg“ und „Non-Veg“ einteilen kann (sinnvoll bei dem hohen Anteil der Vegetarier an der indischen Bevölkerung, wobei man sowohl aus religiösen (Jain, Brahmanen) als auch aus finanziellen Gründen zum Vegetarier werden kann), ist die sinnvollste Einteilung der Restaurants in Udaipur die in „Octopussy“ und „Non-Octopussy“. Am Eingang fragen, welcher Sorte das betreffende Etablissement zuzurechnen ist, wenn es zur ersten Sorte gehören sollte, lautet die beste Verhaltens-Regel: Sofort umkehren! „Octopussy“-Restaurants haben einen Fernseher mit Videorecorder, der angeschaltet wird, sobald sich Ausländer zum Essen niederlassen. Die Handlung des Streifens: Bei einem getöteten "00"-Agenten wird ein Fabergé-Ei gefunden. 007 soll die Herkunft des Eies klären, den Verkauf russischer Kunstschätze untersuchen und den russischen General Orlov daran hindern, eine Atombombe in Deutschland zu zünden, um einen 3. Weltkrieg auszulösen. Unglaublich relevant für Udaipur. Unglaublich passend zu dem beschaulichen und friedlichen Leben in der Stadt der Seen. Ganz toll finden die Augen auch die Anordnung im oben erwähnten Natural View Roof Top Restaurant: Oben auf dem Fernseher steht ein gigantischer UV-Strahler, um die Mücken am Abend fernzuhalten, direkt auf dem Fernseher, die Netzhaut freut sich! Und Abend für Abend flimmert der Streifen Octopussy über die Mattscheibe, jagt Roger Moore als James Bond mit viel Krach vor Sehenswürdigkeiten wie dem Taj Mahal oder der Seefassade der Stadt Udaipur Bösewichtern hinterher. Das ist für manche sicher das ultimative Indien-Gefühl – das glanzvolle Erbe einer jahrtausendealten Kultur verkommt zur Kulisse einer weniger als platten Handlung, Abend für Abend, die ganze Touristensaison durch, Jahr für Jahr, Ballerei zum unendlich friedlichen Versinken der Sonne hinter dem rosa getönten Horizont. Schade, daß für die Betreiber solcher „Octopussy-Restaurants“ Udaipur anscheinend erst durch 007 aufgewertet wird und nicht umgekehrt.

Entweder wird man zum Ehrenvorsitzenden des James-Bond-Hasser-Clubs – oder man dreht rechtzeitig ab und geht beispielsweise ins Ambrai zum Essen (nein, ich bekomme keine Prozente!) und kämpft damit, in den viel zu wenigen Tagen die viel zu lange Speisekarte abzuarbeiten.

Es gibt definitiv keinen Grund, nicht dorthin zu gehen!

Über Restaurants in Udaipur - Streifenhörnchen - Das Zimmer über den Ghats
Auf Udaipurs Dachterrassen
Photos: Der Jagdish-Tempel - Menschen im Jagdish-Tempel
Photos: Udaipur Stadtpalast (1) - (2) - (3) - (4) - Udaipur Altstadt (1) - (2) - (3)

Andere Essays über Indien lesen
Andere Länderessays lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
Impressum