Bernhard Peter
Die
Tempelstädte von Tamil Nadu
6.
Der Nataraja-Tempel von Chidambaram
Bedeutung:
Das ist einer der ältesten,
am meisten verehrten und prächtigsten Tempel in Tamil Nadu. Der
Tempel gilt als eine der fünf Tanzhallen Shivas, wo er seinen
kosmischen Tanz vollführt. Die anderen vier Tanzhallen sind in
Madurai, Tiruvalankadu, Tirunelveli und Kutralam. Nataraja ist
der tanzende Shiva, Shiva Nataraja. Shiva steht in der Tanzkunst
über allen Göttern, er ist Meister aller 108 Tanzformen.
Gemäß der Legende versuchten einige irrgläubige Rishis Shiva
durch magische Gesänge zu vernichten. Shiva erkannte die
drohende Gefahr und fing an zu tanzen, wodurch die negativen
Kräfte der Rishis neutralisiert wurden. Die Rishis wurden sauer
und schufen den ignoranten Zwerg Aspama (auch Apasmara Purusha),
der sich auf Shiva stürzte. Der böse Zwerg geriet aber bei
seinem ersten Angriffsversuch unter einen Fuß des tanzenden
Shivas, wodurch ihm das Rückgrat zerbrochen wurde. Die
Vernichtung des Zwerges Aspama steht für die Befreiung der Welt
von Ignoranz und Unwissenheit. Der böse Dämon, auf dem Shivas
rechter Fuß steht, symbolisiert die Unwissenheit, die uns unser
Gleichgewicht und Bewußtheit verlieren läßt. Shivas
Freudentanz (Anandatandava) symbolisiert einen unaufhörlichen
Prozeß von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Der Tempel
wird daher Nataraja-Tempel oder auch Sabhanayaka-Tempel genannt.
Chidambaram ist auch einer der fünf Elemente-Linga-Tempel, hier wird der Raum repräsentiert (Aakasa-Stalam).
Geschichte:
Die Ursprünge der Tempelstadt
liegen in der Chola-Zeit (9.-13. Jh. AD). Die Chola-Könige
machten Nataraja zu ihrem "Familiengott", und viele von
ihnen wurden in Chidambaram gekrönt. Ihr Werk wurde von den
Pandyas (13.-14. Jh. AD) fortgeführt. Wesentliche Hinzufügungen
erfolgten in der Vijayanagar-Zeit; unter Krishnadeva Raya
(1509-1529) wurde z. B. der nördliche Gopuram restauriert.
Architektur:
Die Tempelstadt hat vier
Umfassungsmauern. Das Areal des Tempel mißt ca. 16 Hektar. Die
vierte, äußerste Mauer hat nur vier kleine Tore. Die vier
wuchtigen und größten Gopurams begegnen uns in
der dritten Mauer. Der Ost-Gopuram mißt 40 m und hat 108
Darstellungen von Bharatanatyam. Der Nordturm ist mit 42 m der
höchste der Außentürme. Die zweite und erste Mauer haben
jeweils nur zwei große Gopurams. Der Unterbau der Gopurams
besteht aus Granit, die oberen Stockwerte aus Ziegel und Mörtel.
Der Grundrißplan offenbart, daß die Anordnung zwar im Prinzip
dem Idealplan folgt, daß die Gebäude bis auf eine Ausnahme im
Süden nicht gefluchtet sind. Die Durchgänge sind ansonsten
seitlich versetzt.
Im innersten Prakrama befindet sich die Chit Sabha mit einem Bronzebild des Shiva Nataraja. Sie öffnet sich nach Süden. Direkt davor ist die Kanaka Sabha gebaut, die als Tanzhalle (Mandapa) dient. Fünf silberbelegte Stufen verbinden die beiden Hallen, sie repräsentieren die fünf Silben des Shiva-Mantras. Beide Gebäude sind aus Holz; das Dach der Chit Sabha wird von 28 Holzsäulen getragen, das der Kanaka Sabha von 18. Das Dach der Chit Sabha ist golden, das der Kanaka Sabha kupferfarben. Eine steinerne doppelte Kolonnade lädt zum Umwandeln der Chit Sabha ein. Das dritte markante Gebäude in der innersten Umfriedung ist der Vishnu-Schrein (Govindaraja-Schrein), der sich nach Osten orientiert. Es ist jünger als die anderen Gebäude. In der NW-Ecke der innersten Einfriedung befindet sich Shivas Schlafzimmer (Palliarai).
Im zweiten Prakrama finden wir in Verlängerung der Achse aus Chit-Sabha und Kanaka-Sabha und innerem Gopuram eine weitere Tanzhalle, die Nritta-Sabha. Diese Tanzhalle ist nach Norden orientiert. Sie ist eine der ältesten Strukturen des Tempelbezirkes. An der östlichen sowie an der westlichen Seite waren Wagenräder und Pferde zu sehen, die das Bauwerk in die Nähe zu anderen Ratha-Mandapas (Steinwagen-Pavillons) rücken. Die Nritta-Sabha wurde offensichtlich verkleinert, heute sind nur 46 der einst 56 Pfeiler zu sehen. Im Norden der 1. Mauer ist der Mulasthana-Schrein mit Linga, nach Osten orientiert. Das dritte wichtige Gebäude innerhalb der zweiten Umfriedung ist die Deva-Sabha im östlichen Teil zwischen den beiden östlichen Gopurams der 1. und 2. Mauer, eine geräumige Halle von 19.5 m lichter Höhe.
Im dritten Prakrama gibt einen großen Tempelteich von 53m x 30m, den Shivaganga-Teich. Hier findet sich auch im NW in einer eigenen Einfriedung der Tempel der Göttin (Parvati), der Shivakamasundari-Schrein. Weitere wichtige Gebäude sind die Tausend-Pfeiler-Halle im NO-Bereich, die Hundert-Pfeiler-Halle (beide mit Südausrichtung) sowie ein Ganesha-Tempel (Vinayaka) in der SW-Ecke des dritten Prakrama. Die 1000-Pfeiler-Halle ist 95 m breit und 101 m lang. Ihre Hauptbedeutung liegt in der Benutzung bei der Abhisheka-Zeremonie (Ölung, Salbung von Nataraja und Shivakamasundari).
Die dritte Mauer enthält die vier hohen Gopurams, wovon nur der südliche exakt ausgerichtet ist, nämlich auf den Nataraja in der Chit Sabha. Der westliche und der östliche wurden ca. 1250 vollendet, der südliche wurde zwischen 1248 und 1272 AD errichtet. Der Nord-Gopuram wurde zwar auch um diese Zeit begonnen, erhielt aber seine jetztige Gestalt erst in der ersten Hälfte des 16. Jh. unter Krishnadeva Raya.
Die vierte, äußerste Einfriedung enthält im wesentlichen Gärten und Palmhaine.
Der Grundriß ist auf einer separaten Seite in hoher Auflösung verfügbar.
Die
Stadt:
Um den Tempelbezirk herum
verliefen die vier sich zu einem Rechteck ergänzenden
Prozessionsstraßen, jede 18m breit. In diesen Straßen, nahe am
Tempel, wohnten die Dikshitar. Im Osten und im Süden des
Zentrums leben hauptsächlich die Vellalar. Im Westen der Stadt
leben die Chettiar, die Händlerkaste. Hier liegt auch das
Geschäftszentrum der Stadt, und in dieser Richtung fand auch die
weitere Stadtentwicklung statt. Im Osten der Stadt wurde im
letzten Jahrhundert die Universität gegründet.
Heiliges
Wasser
Chidambaram wird nachgesagt,
10 heilige Badeplätze (Tirthas) zu haben. Zwei davon befinden
sich im Tempel, nämlich der Shivaganga-Teich und der Paramananda
Kupa (Brunnen). Ein dritter ist das nahe Meer. Ein weiterer
berühmter Tirtha ist der Tirupparkkadal-Teich, der Teich der
göttlichen Milch. Weiter zu erwähnen sind der Teich des
Ilamaiyakkinar-Tempels und der Chamundi-Teich des
Tillai-Kali-Tempels.
(1) - Die Tempelstädte von Tamil Nadu, eine
Einführung
- (2) - Cluster von Tempeln
(3) - Stilmerkmale der
Tempelstädte von Tamil Nadu
(4) - Srirangam: Eine Idealstadt - (4a)
- Srirangam: Grundriß in hoher Auflösung
(5) - Die Tempelstadt Madurai - (5a)
- Madurai: Grundriß in hoher Auflösung
(6) - der Nataraja-Tempel in
Chidambaram
- (6a) - Chidambaram: Grundriß in
hoher Auflösung
Links, Quellen und Literatur zur
indischen Architektur
Photos Chidambaram (Margret Foth, Fritz Niemann)
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