Bernhard Peter
Schlangenkult in Indien

Schlangenverehrung in Indien:
Die Schlange wird in Indien intensiv verehrt, egal von welcher Religion oder Kaste, die Schlangenverehrung vereint alle. Schlangen gelten als heilig, Hindus töten selbst gefährliche Giftschlangen nicht, sondern verbringen sie z. B., wenn sie in einem Haus gefunden wird, in einem Behälter nach weit draußen. Denn sie glauben, daß die Tötung von Schlangen schlimme Folgen haben kann, z. B. Unfruchtbarkeit.

Die Schlange wird allgemein in ganz Indien mit Wasser, Regen und Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Der Grund mag darin liegen, daß Schlangen zu Beginn der Regenzeit Schutz in Häusern, Stellen, Speichern etc. suchen und durch ihr Auftauchen im menschlichen Lebensraum den Beginn der Regenzeit markieren und damit den Menschen Hoffnung auf eine fruchtbare Saison geben.

Weiterhin werden mit Schlangen die Ahnen in Verbindung gebracht. Schlangenverehrung und Ahnenverehrung liegen nahe beieinander, denn die Schlangen können die Seelen der Verstorbenen symbolisieren. Der Grund hierfür liegt wohl in ihren unterirdischen Verstecken in Erdlöchern oder Baumhöhlen, für die Inder der Unterwelt zuzurechnen.

Der Schlangenkult ist zwar ein uralter Volkskult in Indien, hat aber über die Atharvaveda, in der erste Hinweise auf eine Schlangenverehrung auftauchen, Eingang in die Hochreligion gefunden.

Schlangen in der hinduistischen Mythologie:
Die indische Mythologie ist reich an wichtigen Schlangen, allein schon daraus läßt sich die Verehrung ableiten.

Ananta: Eine kosmische Schlange im Milchozean. Auf ihr ruht sich Vishnu zwischen den Weltphasen aus. Die Schlange stellt den Urozean dar, in den sich die Natur zurückzieht, wenn die Welt wieder einmal aufgelöst wird (Pralaya). Die Schlange ist der Rest, das, was von der vorhergehenden Welt übrig blieb. Sie hat 5, 7 oder 11 Köpfe und wölbt diese mit der gespreizten Haut einer Kobra als Schutzschild über den schlafenden Vishnu. Wenn Vishnu erwacht und die Entstehung einer neuen Welt beschließt, sprießt aus seinem Nabel ein Lotus, in dem Brahma thront.

Kaliya: schwarze Schlange, lebte im Fluß Yamuna (Kalindi). Kaliyas Gift tötete jedes Lebewesen am Flußufer. Die Schlange vergiftete auch das Trinkwasser. In der Absicht, Kaliya loszuwerden, sprang Krishna in den Fluß. Wütend biß die giftige Kaliya Krishna wiederholt und wand sich um seinen Körper. Einige Zeit lag Krishna bewegungslos da. Voller Kummer saßen alle Gopas (Kuhhirten und -hirtinnen) und Krishnas Eltern am Flußufer. Krishna befreite sich aus der Umschlingung und schleuderte die Schlange spielerisch im Kreis. Den Kopf haltend, begann er auf ihr zu tanzen. Der Schlange trat Blut aus Augen und Nase und sie zischte voller Wut. Übersät mit Druckverletzungen von Krishnas Gewicht und schließlich gebrochen, ergab sich Kaliya. Die Frauen der Schlange beteten zu Krishna, ihren Mann freizugeben und sie zu retten. Als er ihre Gebete vernahm, ließ Krishna die Schlange frei und befahl ihr, sofort den Fluß zu verlassen und ins Meer zu gehen. Der Fluß wurde wieder süß wie Nektar. Der Kopf der Schlange versinnbildlicht das Ego des Menschen. Wenn Gott über dem Ego tanzt, verliert die Person das Gefühl von Individualität und geht in das Unendliche ein. Die Schlange Kaliya hat fünf Köpfe, die für die fünf Sinne des Menschen stehen. Nur wenn der Mensch seine fünf Sinne unter Kontrolle bekommt und sich Gott übergibt, wird er frei.

Vasuki: Weltenschlange, Schlangenkönig. Wurde beim Verquirlen des Milchozeanes von Göttern und Dämonen zur Gewinnung des Trankes Amrita als Seil verwendet, an dem sie zu beiden Seiten zogen. In der Ikonographie wird Vasuki von Shiva in seiner anthropomorphen Gestalt um den Hals getragen.

Ahi und Vritra: Ahi ist eine der Formen des Schlangengottes und wird auch mit dem Schlangendämon Vritra gleichgesetzt, der einer der mächtigsten Asuras war und von seinem Feind Indra getötet wurde. Der Legende nach stahl Vritra in Form eines mächtigen Drachens das Wasser der Welt und verursachte Dürre. Indra besiegte erst dessen 99 Festungen, dann Vritra, den Drachen, selbst. Als Indra den Dämon aufschlitzte, fiel wieder Regen vom Himmel. In späterer Zeit wird die Geschichte anders erzählt, wobei Indra nicht mehr der strahlende Held ist, sondern die Hilfe von Shiva und Vishnu braucht. In wieder einer anderen Version wird Vritra von der Muttergottheit Sarasvati getötet.

Balarama: Sohn der Devaki. Ältester Bruder von Krishna. Balarama soll zu den Nagas gehören oder sogar eine Inkarnation von Shesha sein.

Naga-Kult
Die Nagas sind ein Schlangenvolk, halb Mensch, halb Schlange. Sie sind Überbringer der Fruchtbarkeit. Sie leben in der unterirdischen Stadt Bogavati. Ihr König ist der Schlangendämon Sesha oder Shesha. Nagas bringen Regen und damit Fruchtbarkeit, aber auch Flut und Überschwemmung. Nagas sind Schutzgottheiten der Quellen, Brunnen und Gewässer. Nach wiederum anderen Überlieferungen leben Nagas in unterirdischen Reichen und bewachen dort kostbare Schätze. Von der Dorfbevölkerung werden Nagakals angefertigt: Nagakals sind Steintafeln, die von Frauen als Weihegeschenk dargebracht werden, die sich Kinder wünschen. Diese Tafeln werden nahe von Teichen, an Zugängen zu den Dörfern oder in den Hofräumen von Tempeln aufgestellt. Weil Nagas der Legende nach in Teichen oder Gewässern und unter heiligen Bäumen leben, werden solche Votiv-Tafeln für ein halbes Jahr in einen Teich gelegt, bis sie nach dem Volksglauben ganz mit der Kraft des Wassers benetzt sind. Nach einem weiteren Ritus werden die Tafeln unter einem Neembaum (symbolisiert das männliche Geschlecht) oder einem Feigenbaum (symbolisiert das weibliche Geschlecht) aufgestellt. Nagas werden oft auch mit einem Menschenkopf auf einem Schlangenleib dargestellt, häufig werden zwei miteinander verschlungene Schlangenleiber dargestellt.

Die Kobrahaube:
In der indischen Ikonographie steht eine Kobrahaube für den Schutz derer, die unter ihr stehen oder sitzen. Man findet z. B. einen Shiva-Lingam, der von einer Kobrahaube beschattet wird. Nicht nur ist die Kobra eine wichtige Giftschlange Indiens, bei der der beste Schutz vor ihren Bissen ihre Verehrung ist, sondern sie ist durch die Fähigkeit, ihren Halsbereich wesentlich zu verbreitern, prädestiniert für die bildliche Vorstellung einer Schutzhaube. Gerade in Kombination mit einem Shiva-Lingam kann die Kobrahaube auch den weiblichen Aspekt symbolisieren. Eine besondere Figur konnte ich anläßlich des Ganpati-Festes in Udaipur sehen: Eine der der größten Gipsfiguren, die in den Fluten des Pichola-Sees versenkt wurden, stellte eine geringelte Schlange dar, deren Kopf sich schutzbietend über den auf den Windungen ihres Leibes sitzenden Ganesha erhob und ihm eine schirmende Haube bildete. Die Kobrahaube ist übrigens nicht nur in der hinduistischen, sondern auch in der buddhistischen Ikonographie bekannt.

Sonderstellung der Kobra:
Die Kobra hat eine Sonderstellung, denn sie wird den Zweimalgeborenen, den Dvijas, zugerechnet. Der Ausdruck ist normalerweise reserviert für die oberen Kasten und bezieht sich auf einen Initiationsritus, durch den man erst vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft wurde. Eine tote Kobra wird daher verbrannt, weil sie sonst Unheil bringen könnte, z. B. Kinderlosigkeit verursachen könnte.

Ein eigenes Fest zur Schlangenverehrung:
Naga Panchami, Naag Panchami, Schlangenfest. Dieses Fest zu Ehren der Schlangen findet statt am Shravana-shukla-5 (nordindischer Purnimantha- und südindischer Amantha-Kalender): Eigentlich ist es kein typisch hinduistisches Fest, sondern eher ein uralter Stammesbrauch, der immer noch lebendig ist. Zu Ehren der Naga-Götter, vor allem in Rajasthan gefeiert. Der Tag beginnt mit einer Puja zu Ehren der Schlangen. Schlangen werden gefüttert, Opfergaben (Milch und Butter) für die Schlangen werden an Erdlöchern abgelegt, in denen Schlangen sich verkriechen. Figuren von Schlangen werden rituell gewaschen. Schlangenbilder werden gemalt, denen Reis, Blumen und gelbes Kurkuma-Pulver geopfert wird. Auch werden temporäre Schlangenidole angefertigt, aufgestellt und verehrt. Termitenhügel gelten als Eingang zur Wohnstätte der Schlangen. Ein glückverheißendes Zeichen ist, wenn beim Gang zu einem Termitenhügel dort eine Schlange gesehen wird. Manchmal findet an den Termitenhügeln ein Fruchtbarkeitsritual statt. Schlangenbeschwörer können sich an diesem Tag eine goldene Nase verdienen, ist das Herz der Passanten an diesem Fest ihnen gegenüber besonders offen und freigebig. Das Fest ist besonders wichtig im südlichen Maharashtra, wobei Mathura und Rajgir bedeutende Zentren der Schlangenverehrung sind. „Panchami“ ist der Name des 5. Tithis. Fiel 2004 AD auf den 22. Juli und 2005 auf den 10. August.

Bedeutende Schlangentempel:
In ganz Indien gibt es Schlangentempel, doch einige bestimmte werden zu ganz bestimmten Zwecken aufgesucht:

Schlangenkult in Indien
Die Kuh - Heilige und Entsorgungsbeauftragte
Die Reittiere der Götter
Hochgötter in Tiergestalt: Vishnu und seine Avatara
Halb Mensch, halb Elefant und Gott noch dazu: Ganesha

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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