Bernhard Peter
Ladakh
Hundar: Mani-Mauern (1)

Eine weitere bemerkenswerte Besonderheit Hundars sind seine Mani-Mauern. Mani-Mauern werden auch Juwelen-Mauern oder Mendong genannt. Selten sieht man so große, so breite und lange und so viele Mani-Mauern wie hier. Ich schätze, auf jeden Dorfbewohner kommen so ca. 10-20 m Mauer. Mani-Mauern sind im ganzen Himalaya wichtiges Element des Volksglaubens. Steinkult - das erinnert an die uralte Megalithkultur, wo sicher eine Wurzel des Ursprungs hin verweist. Man findet Mani-Mauern an markanten Punkten und vor Klöstern. Die Breite einer solchen Mauer ist in der Regel 2-10 m, hier in Hundar sind sie besonders breit. Ihre Höhe variiert von ca. 0,5-2 m an der Seite, typischerweise eher 1 m - 1.50 m. Die Länge variiert erheblich. Es können im einfachsten Fall kreisrunde Rondelle von ca. 1 m Durchmesser sein, es können kurze Abschnitte zwischen Tschörten-Gruppen sein, es können aber auch kilometerlange Systeme vor wichtigen Klöstern sein, die als Votivgabe im Auftrag von Königen angelegt wurden.

Die Seitenwände sind aus losen Feldsteinen oder Bachkieseln gemauert, entweder ganz lose zusammengefügt oder mit kleinen Mengen Lehm als Bindemittel befestigt. Im unteren Bereich werden die Seitenwände oft durch eingearbeitete Holzbalken verstärkt und zusammengehalten. Die Steine der oft weiß getünchten Seitenwände sind unbearbeitet. Zwischen diesen Seitenwänden wird der Hohlraum mit Gesteinsschutt aufgefüllt.

Entscheidend sind die Deckplatten. Eine solche Mani-Mauer ist mit einer im Mittelgrat flach satteldachartig geformten Lage sorgfältig bearbeiteter Decksteine belegt, den eigentlichen Mani-Steinen. Nur die Steine dieses flachen Satteldaches sind behauen. In vom Wasser rundgeschliffene Steine oder flache schieferartige Platten (die gerne auch aufrecht auf den Kamm der Mauer gestellt werden) werden buddhistische Mantras und Bijas in tibetischen Schriftzeichen eingeritzt, am häufigsten das berühmteste aller Mantras, Om Mani Padme Hum, Oh Juwel aus der Lotusblüte, das Mantra des Boddhisattvas Avalokiteshvara.

Man sieht alte, verwitterte Steine, auf denen die Schriftzeichen kaum noch zu erkennen sind, genauso wie nagelneue, frisch geritzte, in deren Rillen noch der Gesteinsstaub zu haften scheint. Einen geübten Handwerker kostet die Herstellung eines Standard-Steines ca. eine halbe Stunde. Anläßlich von Pilgerreisen oder anderen Gelegenheiten werden solche Steine von den Menschen gerne auch in heutiger Zeit niedergelegt, am wirkungsvollsten in der Nähe von Klöstern.

Wichtig ist, daß man Mani-Mauern immer im Uhrzeigersinn umschreitet, also immer links daran vorbeigeht. Rechts daran vorbeizugehen würde böses Unheil bringen, das machen nur Anhänger der Bön-Religion. Insofern gibt es bei Mani-Mauern immer einen zweiten Weg auf der anderen Seite, und wenn so eine langgezogene Mauer am linken Wegrand steht, tut man gut daran, links in den kleinen Trampelpfad einzubiegen, der links daran vorbeiführt, sonst machen sich die Dorfbewohner ernsthaft Sorgen um einen. Sicher ist sicher. Und hier heißt es aufpassen, denn nicht alle Mani-Mauern sind auf Anhieb als solche zu erkennen, insbesondere die alten, verwitterten nicht.

An Anfang und Ende besonders langer Mani-Mauern befinden sich manchmal Tschörten oder kleine kubische Häuschen mit Gebetstrommeln. In den Mittelgrat langer Mani-Mauern können Holzpfähle mit Gebetsfahnen gesteckt werden, die den Mauern einen zusätzlichen farblichen Akzent durch die im Wind flatternden Tücher verleihen.

Die Mani-Steine in Hundar sind von erlesener Qualität. Natürlich sieht man auch viele einfache Steine, nur mit einzelnen Keimsilben oder dem Standard-Mantra. Doch es finden sich auch sorgfältig behauene Steine mit längeren Texten, oder Darstellungen von Tschörten oder radartige Kompositionen. Hundar hat nicht nur besonders viele und lange Mani-Mauern, die praktisch den ganzen Südwestrand des Dorfes entlang laufen und wie ein Schutzwall gegen die angrenzenden Berghänge wirken, sondern auch viele Steine erlesener Qualität.

Man möchte an manchen Stellen nicht nur von Mani-Mauern, sondern von ganzen Mani-Systemen sprechen: Mehrere parallele Mauerzüge, dazwischen Tschörten und mit einzelnen Mani-Steinen belegte Rondelle. Praktisch die gesamte Bergseite des Dorfes ziehen sich die Mani-Systeme entlang.

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