Bernhard
Peter
Die
Dilwara-Tempel auf dem Mount Abu
Mount
Abu - Rajasthans einzige Hillstation
Nach dem Überqueren der
Aravalli-Hügelkette kommt eine breite Ebene, aus der sich wie
ein massiver Block der Mount Abu erhebt. Es ist ein enormes
Massiv, auf dessen Höhen, die irgendwo zwischen tiefhängenden
Wolken verschwinden, Rajasthans einzige Hill Station liegt. Eine
unendlich scheinende kurvenreiche Straße wird immer wieder von
Affenhorden belebt, die abwartend auf den Begrenzungsmauern oder
in den in die Straße ragenden Büsche und Bäumen sitzen und die
vorbeifahrenden Autos beobachten, ob sich vielleicht etwas
ergattern ließe. Oben wird das Bild geprägt von immensen
Felsbrocken, zwischen denen schlanke Palmen stehen. Der Ort ist
sehr locker bebaut und erstreckt sich über ein relativ weites
Gebiet mit viel Grün zwischen den Häusern. Neben den für
indische Mittelstandstouristen geeigneten Attraktionen, die
hierhin gerne für die Flitterwochen fahren, dem Ferienrummel am
Nakki-See etc. ist der Hauptanziehungspunkt für
Kulturinteressierte die Gruppe der vier Dilwara-Tempel.
Wermutstropfen für Photographen: Hier steht eines der größten
Meisterwerke der indischen Kunst, und es herrscht absolutes
Photographierverbot! Die Mitnahme von Apparaten, Handys, Taschen
ist komplett verboten, also läßt man voller Schmerz seine
Kamera in der Obhut des Fahrers. Ganz anders als in Ranakpur, ist
das Zugangsreglement doch eher von den weniger großzügig
denkenden Dörflern bestimmt. Alle anderen Regeln wie Kein Leder,
keine Getränke, keine Schuhe etc. gelten natürlich hier auch.
Pilgerziel
Dilwara-Tempel
Zur Tempelöffnung pünktlich
um 12 Uhr mittags hat sich eine große Menge indischer Touristen
vor den Toren versammelt. Indiens Pilger-Tourismus blüht, und
die Dilwara-Tempel sind ein wichtiges Pilgerziel. Ich suche mir
ein stilles Fleckchen für meine Schuhe, derer sich gleich eine
unterwürfige Kreatur mit drei Zähnen annimmt, mit denen er aber
jetzt schon in Vorfreude auf seine zwei Rupien unglaublich
überzeugend übers ganze Gesicht strahlen kann. Nun denn,
ab in das Gedränge! Da wird gedrängelt, geschnattert und
geschubst, man ist eingezwängt in eine Masse jeder Turbanfarbe
und jeder Geruchsnote. Nobel gekleidete Städter, ganz in Weiß,
genauer: Blütenweiß, wie es in Indien ein außergewöhnlicher
Luxus ist, der bei dem Staub maximal wenige Stunden anhält.
Daneben Bauern mit isabellenfarbenem Dhoti, gewaltigem Turban und
ranzig-riechender Freundlichkeit zwischen goldenen Ohrgehängen.
Aufseher rufen noch einmal die Regeln zum Betreten des Tempels in
Erinnerung, ehe das Tor zum Komplex geöffnet wird.
Heilige
Aufregung vor teilnahmslosen Tirthankaras
Mit der Türöffnung stürmt
die Menge der Pilger vorwärts in heiliger Aufregung. Das rauscht
nach vorne, als wollte man das Gesetz von Hagen-Poiseuille mit
Menschen statt mit Flüssigkeiten beweisen. Als zuerst die
Pforten eines kleinen Schreines links vom Hauptweg zum
Vimala-Vasahi-Tempel geöffnet werden, will jeder der Erste sein,
alles erhascht drängelnd einen flüchtigen Blick auf as Bildnis,
ehe die Masse schon wieder dem Mann mit dem großen klappernden
Schlüsselbund hinterher zur nächsten Tür hetzt. Ganz im
Gegensatz zur unirdischen Ruhe der marmorweißen Bilder. Sie sind
auch hier fast ununterscheidbar, sie sehen alle gleichermaßen
entrückt aus: Weißer Marmor sitzende Position, leuchtend weiß
eingelegte große Augen (manchmal auch aus Perlmutt), eingelegte
edle Steine auf der Brust und auf der Stirn, geschmückt mit
frischen blutroten Hibiskus-Blüten. Wie ein Fels in der
Brandung, wie gefangen in einem anderen Zeiterleben, ruht die
Statue mit starrem Blick in ihrer Kammer, während draußen
aufgeregte Massen vordrängeln und sich an die Tür quetschen, um
nach kürzester Zeit dorthin weiterzuhetzen, wo der
Schlüsselbund neue Räume und heilige Erlebnisse zugänglich
macht.
Vimala-Vasahi-Tempel
Als nächstes betrete ich den
Vimala-Vasahi-Tempel, in den Jahren 1032-1045 erbaut und Adinath
gewidmet. Er ist zugleich der beste der vier und der absolute
Höhepunkt der Jain-Kunst in Indien. Der Marmor wirkt wärmer als
in Ranakpur, mehr honigfarben, wo Ranakpur mehr ins
Elfenbeinfarbene geht. Außerdem ist der Marmor glatter poliert,
so daß die Oberfläche schön schimmert. Vor allem ist mehr
Licht im Tempel als in Ranakpur, weil der Raum nicht so komplett
umgebaut ist. Auf der anderen Seite entfällt die komplexe
Lichtmystik, die Ranakpur so verzaubert. Entsprechend schärfer
sind die Kontraste, entsprechend deutlicher treten auch die
Steinmetzarbeiten kontrastreich hervor. Wie Stalaktiten hängt es
von den Decken, wie eine Elfenbeinschnitzarbeit wirken die
Skulpturen und Reliefs. Hinter Gittern in den Zellen des
äußeren Umgangs sitzen die ganzen Tirthankaras, alle aus
weißem oder farblosem opaquen Marmor, mit leuchtend weißen
Augen und schwarzen Pupillen, ein Juwel zwischen den Augenbrauen.
Vor jeder Tür ist eine marmorne Schwelle, die in ihrer Mitte
eine markante konvexe Ausrundung hat. Diese wird flankiert von
zwei dämonischen Fratzen, aus deren breiten Mäulern mit
scharfen Reißzähnen Rankenwerk quillt. Auf der Bodenplatte
wiederholt sich das Motiv der Schwellen-Rundung als Halbkreis,
rechts und links davon sind zwei Muschelhörner bzw.
Schneckengehäuse abgebildet. Selbst die Deckenschnitzereien des
Umgangs sind so tief hinterschnitten, daß in der Decke auf den
Beinen der Figuren locker Spatzen sitzen können.
Im Gegensatz zu Ranakpur sind die Säulen des Mandapa stärker gegliedert in horizontale Lagen, in trommelförmige Abschnitte. Die Säulen spielen mit dem Übergang zwischen verschiedenen Formen. Aus einem viereckigen Sockel wird ein Viereck mit Vorlagen, dann kommt ein runder Abschnitt, oben schließlich eine kreuzförmige Auflage. Andere Säulen beginnen mit einem achteckigen Sockel und werden weiter oben rund, bis sie ganz oben in einer 4er- oder 5er-Konsole unter dem Oktogon enden.
Das Gitterwerk zwischen den einzelnen figürlichen Darstellungen ist in dieser Form auch charakteristisch für die feinen Arbeiten der Dilwara-Tempel. Der schönste Bereich ist die Mandapa, mit einer weit gespannten Kuppel auf einem Oktogon, das auf einem Grundriß von 12 Säulen unter Aussparung der vier Ecksäulen errichtet wurde. Das Oktogon wird auf der Ebene der Säulen durch freitragende feinst gearbeitete Wellenbögen zwischen jeweils zwei Säulen (wie ein Torbogen) betont. Die Kuppel schlägt alles bisher Gesehene. Nicht nur ist jede Lage Steine aufs Feinste behauen, als wäre es nicht Stein, sondern weiches Lindenholz, sondern wie Rippen bilden 16 große Figuren eine speichenförmige Überstruktur. Diese sind so frei und plastisch aus dem Stein herausgemeißelt, daß hinter dem Rücken dieser Figuren noch Tauben Platz haben.
Der typische Fratzenfries ist am Sockel der Portiken und der ersten Vorhalle direkt vor der Cella auch vorhanden. Die Füllungen der Deckenkassetten wirken z. T. wie umgedrehte vielschalige Springbrunnen, wie eine Fontäne sitzt in der Mitte der ineinandergelegten Schalen ein Stalaktit aus Marmor. Andere erinnern in der zarten Bearbeitung der Strukturen an eine sich öffnende Rosen-Blüte, so dünn sind die das Zentrum umhüllenden Strukturen aus dem Marmor der Decke geschnitten. Die Grenze zwischen Relief und freier Plastik wird bei den figürlichen Darstellungen teilweise überschritten: Manche Figuren hängen nur noch mit einem schmale Grat am Rücken und am Hintern an der Decke oder Wand fest.
Vor dem Eingang zum Vimala-Vasahi-Tempel befindet sich eine Halle mit 4x 5 Stützen, in der 11 Elefanten in Skulptur stehen (3 + 2 + 3 + 3). Teilweise sind sie mit Mahout und Howda dargestellt, in der manchmal auch eine Figur sitzt. In der mittleren Position der zweiten Reihe ist ein runder Sockel mit Baldachin.
Außen
unscheinbar, innen Juwel
Von außen sind die Tempel
unspektakulär. Eine schmucklose, vielfach gestufte, eigentlich
nur durch Linien und Vorsprünge vertikal und horizontal
gegliederte Mauer umschließt die Tempeleinheiten. Die Mauer ist
ohne Türmchen bzw. Zwerg-Shikharas im
Gegensatz zu Ranakpur oder Kumbhalgarh. Der Shikhara selbst ist
niedrig, fast unscheinbar, und vor allem so gut wie schmucklos.
Nichts deutet von außen darauf hin, was einen im Innern
erwartet. Es gibt von außen keine sichtbaren spektakulären
Elemente. Hohe Mauern, flache grauschwarze Kuppeln, ein paar
Stangen mit verblichenen blaßroten Fahnen, alles wirkt insgesamt
eher klein und unscheinbar im Gegensatz zu den umherliegenden
gigantischen Steinbrocken. Nur der Parshvanatha-Tempel ist im
Landschaftsbild markant wahrnehmbar, aber das ist ja auch ein
anderer Typ Tempel. An den drei anderen würde man vermutlich
einfach vorbeigehen, wenn man nicht wüßte, was sich drinnen
für hervorragende Arbeiten befinden, und welch einzigartige
Atmosphäre dieses Juwel der Steinmetzkunst innen entfaltet. Die
grauen Kuppeln heben sich kaum vom umliegenden Gestein und den
buckeligen Felsbrocken ab, zwischen denen eingeschmiegt die drei
flachen Tempel liegen. Das Auge sucht das Markante, das
Spektakuläre, und von außen gibt es wenig, an dem es hängen
bleibt.
Wer
ist hier Pilger, wer Sightseer?
Die Atmosphäre ist im Inneren
der Tempel alles Andere als andächtig. Indische Pilgergruppen
werden eine nach der anderen durch die Räume geschleust.
Lauthals monoton deklamierende Anführer im allerschlimmsten
Fremdenführer-Stil spulen ihre kurzen und anspruchslosen
Vorträge ab, niemand stellt Fragen, alles ist in Eile. Die
Pilger trippeln nervös auf den Zehen, um einen Blick auf das
betreffende Bildnis zu erhaschen. Die Kunst, die Atmosphäre, die
zauberhafte Welt an Wänden und Decken all das scheint den
meisten egal zu sein. Atmosphäre genießen Fehlanzeige.
Spirituelle Einkehr Fehlanzeige. Bildnisse gesehen haben,
das ist den Pilgern wichtig. Doch für den Kunst-Pilger sehen
gerade die alle gleich aus wenn man einen Tirthankara
gesehen hat, hat man alle gesehen. Die Aufseher scheuchen die
Besuchergruppen regelrecht weiter, unter Gebrüll geht es zur
nächsten Attraktion, Klopfen an den Messing-Türklopfern
signalisiert die Ungeduld der nächsten Pilger. Ein Pfiff
ertönt, wenn sich die Halle halbwegs geleert hat
wuuuuuusch! Die nächste Gruppe stürmt die Tempelhalle und
hastet von Bild zu Bild, ohne die zwei herrlichen Vorhallen
überhaupt richtig zu registrieren. Das fällt erst richtig auf,
als ein einzelner junger Mann den Blick zur Decke hebt und ihm
ein ganz erstauntes Wow entfährt, Taumelnd hält er
inne und ihm gehen sichtlich die Augen über. Doch schnell wird
er vom Anführer gerufen und hetzt den anderen Pilgern hinterher.
Alles drängelt, weicht keinen Millimeter an den Türen zur
Seite, und auf Kommando weht wie ein Mob die nächste
Pilgergruppe segenshungrig zur Tür herein, rette sich, wer kann,
man versuche bloß nicht die Gegenrichtung. Und kaum drängeln
sich die ersten Pilger vor der zum Bildnis geöffneten Tür, hebt
die monotone schnelle Stimme eines neuen Pilgerführers wieder
an, andere Person, selbe Kassette. Da wurde mit das Schönste in
Indien von Menschenhand erschaffen, um quasi mit einer
Idealszenerie die Sinne zu erfreuen und um den Menschen zum
Innehalten und Erinnern der Geschichte der großen Vorbilder
anzuregen, und alles hastet nur durch. Was haben diese Pilger von
ihrem Glauben begriffen?
Luna-Vasahi-Tempel
Weiter den Berghang hoch liegt
ein zweiter Tempel von 1230 AD, mit geringfügigen Unterschieden
wie der Vimala-Vasahi-Tempel konzipiert. Die Besonderheit dieses
Tempels ist, daß die östliche Wand geschlossen ist mit einer
Blendwand aus 2x 4 Steingittern (in der Mitte und ganz außen ist
jeweils eine Tür) zwischen den Säulen, wobei jede Füllung in
4x 4 Quadrate mit unterschiedlichen groben geometrischen Mustern
unterteilt ist. Hinter der Wand ist eine durchgehende Halle ohne
Zellen. In der Mitte unterteilt eine Säulenreihe die Halle.
Zwischen jeweils zwei Säulen stehen große Marmorelefanten, 5
rechts und 5 links des Eingangs. Sie füllen fast den ganzen Raum
zwischen den Säulen aus.
Der Shikhara über der Cella ist niedrig und stummelig, fast eher nur ein Dach über der Cella als ein ernstzunehmender Turm, der den Namen Shikhara verdient. Der Stein ist roh und kontrastiert zu den exquisiten Arbeiten in den umlaufenden Galerien und in der Mandapa. Ein paar flache und kunstlose Pfauen, auf jeder Seite noch ein Ziergiebel mit einem Tirthankara, im Dachaufsatz ein weiterer das wars an der Cella. Ganz anders die Galerie vor den einzelnen Kammern an der Außenwand oder die herrliche Mandapa!
Auch in diesem Tempel sind die Schwellen der Durchgänge charakteristisch gestaltet mit großer Mittelausbuchtung, mit Fratzen mit breitem Maul, 2 Hörnern, Mittelrippe auf dem Kopf, und zwischen den gebleckten Zähnen sprießen rechts und links Ranken. Wie im ersten Tempel st auch hier das Dekor der Säulen zwischen den hervorragenden figürlichen Darstellungen stark gerastert. Vor einem Hintergrund, der im wesentlichen aus Vertikalen und Horizontalen besteht, erheben sich die ungeheuer plastischen figürlichen Darstellungen. Die Säulen sind weniger stark horizontal untergliedert als im ersten Tempel.
Der
unvollendete Adinath-Tempel
Zu Füßen des soeben
besuchten Tempels liegt ein dritter im gleichen Stil wie die
beiden vorhergehenden Tempel aus dem Jahre 1439. Er ist
unvollendet. Von außen sieht er genauso aus wie die beiden
anderen. Der Umgang mit den Zellen ist nur zum Teil fertig, rote
Wände aus unverputzten Ziegeln und verwitterter Zement
überraschen den die Treppe hochkommenden Besucher, der hier
Ähnliches wie in den beiden anderen Tempeln erwartet und sich
erstaunt auf einer Baustelle wiederfindet! Einzelne Teile sind
voller Kunst, andere einfach nur nüchtern und roh. Im Grunde ist
nur die Tanzhalle mit 12 Säulen im Carré und die kleine
Vorhalle vor der Cella mit 2x 4 Säulen fertig, aber nur zum Teil
mit Skulpturen versehen. Man ist so verwöhnt von den beiden
anderen Tempeln, daß man richtig enttäuscht ist: Nicht mehr?
Und das, obwohl an den fertigen Stellen durchaus exquisite
Steinmetzarbeiten zu sehen sind, die sich genauer anzuschauen
durchaus lohnt. Und auch der Umgang mit den Zellen, obwohl nur
zum geringen Teil, erfreut das Auge mit herrlichen Arbeiten.
Architektur der Jain-Tempel
Erlebnis Ranakpur - Zu
Besuch in den Dilwara-Tempeln auf dem Mount Abu
Photos: Ranakpur
(1) - Ranakpur
(2) - Ranakpur
(3) - Ranakpur
(4) - Ranakpur
(5) - Ranakpur
(6)
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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