Bernhard Peter
Vastu (2) - Das Mandala und die Stadt: Jaipur

Rationale Logik? Abbild kosmischer Ordnung!
Unter Jai Singh II (1699-1744) wurde Jaipur als neue Hauptstadt von dem Brahmanen Vidhyadar (er war ein "Sthapati" = Priester und Architekt) entworfen. 1727 wurde der Grundstein gelegt. Die Anlage der Stadt Jaipur ist einzigartig, denn wir finden eine Planstadt, ein krasser Kontrast zu den historisch gewachsenen labyrinthischen sonstigen urbanen Strukturen in Indiens Altstädten. Schachbrettartiges Muster, klare Hauptverkehrsachsen, übersichtliche Positionierung der Hauptgebäude, überwiegend rechtwinklige Straßenkreuzungen, strenge Ordnung durch quadratische Stadtviertel, die durch breite Hauptverkehrsstraßen separiert werden, quadratische Plätze an deren Kreuzungspunkten, alles Elemente einer scheinbar rationalen Stadtplanung. Scheinbar aber nur, denn unser Verständnis von Logik, Übersichtlichkeit und Ordnung, von Struktur und Rationalität ist den Bauherren Rajasthans im frühen 18. Jh. fremd. Antrieb ist nicht die Ordnungsliebe an sich, sondern der Wunsch, in der Stadt ein Abbild der kosmischen Ordnung zu schaffen und so die Anbindung an die Ordnung der Welt zu finden. Jedes menschliche Bauwerk, ob Privathaus, Tempel oder auch wie hier eine ganze Stadt hat eine symbolische kosmologische Bedeutung.

Das Pithapada-Mandala als Gestaltungsgrundlage
Magische Diagramme, sog. Yantras oder Mandalas, stammen aus den vedischen Vastu Shastras und symbolisieren in der indischen Architektur schematisch die Strukturen und die Ordnung des Kosmos und helfen, diese in der Architektur nachzuvollziehen. Das jeweils benutzte Quadrat mit seinen Unterteilungen wird zum formalen Ordnungsprinzip der Stadtarchitektur und stellt so einen Bezug her zwischen der Ordnung im Großen und der Ordnung im Kleinen. So wird auch die Stadt als Gesamtkonzept zum Analogon des Universums. Die Ordnung wiederum, die dem kosmischen Vorbild folgt, stabilisiert wiederum die Stadt.
Die Grundlage des Stadtplanes bildet ein Mandala mit neun Quadraten oder 3x3 "Padas", eine Art Minimal-Mandala mit Zentrum, vier Richtungen und vier Eckpunkten.
Das Zentrum wird vom Königspalast und den angrenzenden Gärten eingenommen, also vom Maharaja persönlich. Das ist etwas Besonderes, weil die alten Schriften dafür eher eine Ostposition fordern und den Tempel im Zentrum anordnen. Das Problem wird gelöst durch Zugrundelegung eines Pithapada-Mandalas. Das zentrale Feld, das in vielen anderen Mandalas der Architektur Brahma gewidmet ist, steht nur bei diesem Mandala für die Erde, Prthivi, die Mutter aller Wesen. Damit wird die symbolische Positionierung des Maharaja-Palastes im Zentrum möglich.

Das Navagraha-Mandala als Gestaltungsgrundlage
Ein ähnliches 3x3-Mandala wird als Planeten-Mandala (Navagraha Mandala) gezeichnet, mit Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn sowie Ketu und Rahu. Rahu und Ketu sind zwei Seiten ein und desselben Wesens und haben nichts mit eigentlichen Himmelskörpern zu tun. Ketu ist die tote Seite, Rahu die kämpfende und lebendige Seite dieses Rakshasas. Rahu ist als Dämon der Verursacher von Sonnen- und Mondfinsternissen. Sein Wagen ist mit 8 schwarzen Rössern bespannt, darin jagt er über den Himmel, das Maul weit geöffnet, um Sonne oder Mond verschlingen zu können.

Das Zentrum in einem solchen Planeten-Mandala wird von der Sonne besetzt, die ihr zugeordnete menschliche Eigenschaft ist die kreative Energie, auch ein Symbolismus, dessen sich der Herrscher in seinem zentral gelegenen Palast erfreuen kann.

Außenherum sind die unterschiedlichen gesellschaftstragenden Schichten, die Kasten angeordnet, sogar im Detail separiert je nach Jati-Zugehörigkeit, so daß bestimmte Straßen bestimmten Berufen und Handwerken zugeordnet sind.

Abweichungen von der idealen Ordnung:
Vier Abweichungen von der strengen Ordnung ergeben sich im realen Stadtplan, die alle aber eine Erklärung finden:

Jaipur's Idee als Vorbild
Die Idee und das der Stadt Jaipur zugrundeliegende Mandala wurden in der modernen Architektur aufgegriffen: Vom Architekt Charles Correa im Jawahar Kala Kendra Museum in Jaipur, erbaut 1986-91 AD. Insgesamt folgt der Bau einem regelmäßigen 3x3-Mandala, nur ein Eck-Pada ist von den anderen abgerückt und aus der Achse gedreht, um einen Haupteingang zu schaffen. Die einzelnen Padas sind architektonisch klar voneinander abgegrenzt, sowohl im Grundriß als auch in der Linienführung der Fassaden. Die Nutzung der Räume lehnt sich an das Planetenmandala an, auch wenn die symbolische Zuordnung bisweilen weit hergeholt scheint und die alte Symbolik der Planeten und zugeordneten menschlichen Eigenschaften erst auf den zweiten Blick in die Moderne transportiert wird.

1 - Mars - Kraft - Verwaltung
2 - Mond - Romantik - Gastronomie
3 - Merkur - Erziehung, Bildung - materielle Kultur
4 - Ketu - Zorn, Ärger - Textilien
5 - Saturn - Fertigkeit/Wissen - Workshop
6 - Rahu - Heldentum - Rüstungen
7 - Jupiter - Meditation - Bibliothek
8 - Venus - Kunst - Ausführende Künste
9 - Sonne - schöpferische Kraft - Theater

Vastu (1) - Mandalas und der Tempel-Plan
Vastu (2) - Das Mandala und die Stadt: Der Plan von Jaipur
Vastu (3) - Praktische Regeln für die Architektur

Photos: Jaipur Stadtpalast (1) - (2) - (3) - Photos: Jaipur Stadt (1) - (2) - (3) - (4) - (5)
Jantar Mantar - das Observatorium des Jai Singh II in Jaipur

Andere Essays über Indien lesen
Andere Länderessays lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
Impressum