Bernhard Peter
Khanqahs bei Bukhara: Die Khanqah des Bahauddin Bliss Bukhari (Naqshbandi-Zentrum)

Weit draußen im Osten von Bukhara, schon fast in der neuen Stadt Kagan, liegt dieser Sufi-Konvent. Der Taxifahrer, den ich anspreche, kann kein Wort“ Europäisch“, also hocken wir uns erstmal neben dem Taxi auf ein Holzbrett und palavern per Papier und Stift über Ziel und Preis. Und dann geht’s los – oder auch nicht. Minutenlang wühlt er sich durch das Handschuhfach, zwischen zerfledderten unzähligen Banknoten geringen Nennwertes, die man in der Regel in erster Linie nicht als Wechselgeld braucht, sondern um Kontrollen durch Ordnungshüter in beiderseitigem Interesse und Nutzen abzukürzen, durchsucht seinen gesamten Kassettenbestand, während ich mich schon langsam frage, ob wir nicht noch mal über das Losfahren reden sollten – weit gefehlt – endlich hat er gefunden, was er suchte: Seine einzige Kassette mit „westlicher“ Musik, die er extra für mich während der Fahrt abspielen wollte. Das sind die kleinen Gesten, die die Menschen in Usbekistan so liebenswert machen, die weit mehr über die Freundlichkeit der Menschen aussagen als große Stories. Unter den verzerrten Klängen eines durch die Hitze im Handschuhfach in Mitleidenschaft gezogenen Bandes signalisiere ich ihm, daß die Geste meinerseits dankend aufgenommen wurde, und dann geht es nach Osten. Die Kilometerangabe in den Reiseführern scheint mir erheblich idealisiert zu sein, es geht wirklich raus auf’s platte Land jenseits aller Stadtgrenzen.

Abb.: Schema des Gesamtplanes

Eingebettet in weitläufige landwirtschaftliche Flächen liegt der Komplex aus dem 16. Jh. Er hat offensichtlich eine gewaltige Verjüngungs- und Renovierungskur hinter sich, und zusätzliche Trakte sind entstanden, allerdings mit großem Einfühlungsvermögen in die Atmosphäre des Ensembles und Rücksicht auf die historische Bausubstanz. Durch einen neuen Torbau an der Chaussee gelangt man auf das Gelände, betritt rechterhand zuerst einen Komplex aus geräumiger Sommermoschee mit umlaufenden Holzsäulengalerien die in frischen Farben wie neu aussehen, im Westen und im Norden zwei großzügige Räume als Wintermoscheen. Im Osten verläßt man das Gelände auf einem blumengesäumten Fußweg und gelangt zu einer wunderschönen, an einem Wasserbassin gelegenen Moschee mit umlaufender Holzsäulengalerie, eine Atmosphäre der Stille und des Friedens, während die Pilgermassen eher an dem kleinen Bau daneben interessiert sind. In der Tat ist es bemerkenswert, welch große Bedeutung dieser Komplex für die Volksfrömmigkeit hat. Es sind wahre Massen an Pilgern, und nicht irgendwelche Alten, sondern gerade junge Menschen unternehmen mit Freude den Ausflug zu diesem Komplex als und erleben gerne diese Mischung aus Pilgerziel und Landpartie.

Doch der Hauptbau des Ensembles, dessen von kräftigen Gurtbögen außen gegliederte Kuppel mit sich dazwischen blähenden Gewölbekappen den gesamten komplex dominiert, ist das Prunkstück der Anlage. Innen ist absolut gar nichts von der Rumpelkammermuffigkeit so vieler kleinerer Andachtsräume zu spüren. Häufig ist das Innere von Moscheen ja eine charakteristische Mischung aus alter Kunst, modernem Devotionalienkitsch und einer Geruchsnote zwischen Rosenwasser und Fußschweiß. Nichts davon. Ein riesiger lichter Raum, mit neuen Teppichen ausgelegt, alles macht einen frischen und lichten Eindruck. Der Farbeindruck ist auf drei Farben reduziert, und weniger ist hier mehr. Linien in Ocker auf Weiß zeichnen das komplizierte Gewölbenetz nach. Nur die sternförmigen Flächen sind mit feinen Ornamenten gefüllt. Davon effektvoll abgesetzt ist ein in halber Höhe des Raumes umlaufendes Band mit Kalligraphie in Thuluth, schwarz auf weiß, über den vier den Raum erweiternden Nischen angebracht, von großartiger, eindringlicher Wirkung. Der reduzierte Schmuck läßt die markanten Elemente großartig wirken. Der Raum ist ein Andachtsraum, in dem man sich sofort wohlfühlt.

Die Khanqah Bahauddin Bliss Bukhari bei Bukhara ist eines der schönsten sufischen Ensembles. Insbesondere besticht die Khanqah durch die Fassadengliederung durch zweistöckige Blendbögen rechts und links eines großen Iwans, wie bei einer Medrese. Die äußere Fassadengliederung folgt zwei verschiedenen Schemata, die Seiten zeigen auf zwei Ebenen rechts und links des Iwans je drei Zellenachsen. Die Hauptfassade mit dem Haupteingang hat zu jeder Seite des Iwans zwei breite Zonen und dazwischen eine schmälere, welche in der Höheneinteilung eine andere Lage der gliedernden Zonen, denn in den schmäleren Abschnitten müssen drei Blendbögen übereinander untergebracht werden, während die flankierenden breiteren Abschnitte nur zwei große Blendbögen übereinander haben.

Sie ist auch eine der Khanqahs mit den meisten Nebenräumen, wie sich im Detailgrundriss deutlich sehen läßt. Es handelt sich um einen Zentralbau mit vier ähnlichen Fassaden. Das war nicht immer so. In der ersten Bauphase (1540-1551) unter Abdulazz Khan wurde diese Khanqah als Khanqah vom Frontaltyp errichtet. Später, nämlich erst 1642-1645, wurde der Bau unter Nadir Khan umgebaut: Zweistöckige Zellenblöcke wurden in die Ecken eingebaut, das Bauwerk in ein allseits mit ähnlichen Fassaden ausgestatteten Zentralbau umgewandelt.

Abb.: Fassadenaufriß

Vom Grundriß her folgt der Bau einer klaren Anordnung sich im Mittelpunkt treffender Achsen. Jede Seite verfügt über einen großen Iwan mit Pishtaq, dessen vertikale Linien von den Gurtbögen der Kuppelkonstruktion aufgenommen werden, um in sanftem Bogen über das Gebäude geführt zu werden. Jeweils drei Raumachsen flankieren auf allen Seiten diese zentrale Einheit.

Abb.: Senkrechter Schnitt durch die Khanqah

Das architektonisch schönste Detail dieser Khanqah ist die Kuppelkonstruktion. Es gilt einen relativ großen Raum erdbebensicher zu überspannen, und das wurde ganz raffiniert gelöst. Sich überkreuzende Paare von Gurtbögen reduzieren das zentrale Viereck auf weniger als ein Sechstel der ursprünglichen Quadratfläche. Die zentrale Kuppel ist somit eher bescheiden und dominiert nicht die großen seitlichen Gewölbekappen, sondern harmoniert mit ihnen gleichberechtigt und gleichgewichtig nebeneinander.

Abgesehen von dieser technischen Betrachtung ist die Kuppel einfach schön: In sanften Wellen schwillt sie empor, sich hier und da zwischen den gewaltigen Rippen ausbauchend, wie ein Ballon, der mit Überdruck von unten in ein Gitter gepreßt wird und in den Zwischenräumen nach oben glubscht. Die schwere Kuppel wirkt dadurch nicht lastend, nicht schwer, sondern leicht, aufstrebend, mühsam von den Bogenrippen am Boden gehalten wie ein Sektkorken unter seiner Agraffe. Das Wechselspiel aus Bogenrippen und Kanten der Gewölbekappen, aus klar definierten Profilen und schwellenden Kugelsegmenten erzeugt eine gebändigte Spannung, wie sie auch dem Baha'i-Tempel in Neu-Delhi eigen ist.

Abb.: detaillierter Grundriss der Khanqah

Khanqahs - die Architektur der Sufi-Bruderschaften - Khanqah Bahauddin Bliss Bukhari bei Kagan - Photos (1) - (2)

Andere Essays über usbekische Architektur lesen - Bukhara
Andere Essays über Usbekistan lesen - Literatur
Andere Länderessays lesen
Home

© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
Impressum