Bernhard
Peter
Schrift:
das japanische Schriftsystem
1. Kanji
Im Schriftbild japanischer Texte werden Zeichen aus ganz
unterschiedlichen Quellen gemischt. Den größten Teil der Texte
machen Kanji aus, das sind aus der chinesischen Schrift
übernommene Schriftzeichen (Logogramme). Alle
bedeutungstragenden Wörter, Nomina, Verben, Adjektive etc.
werden, soweit möglich mit Kanji geschrieben. Der
Wortstamm (Sinninhalt) wird typischerweise in Kanji geschrieben,
die aufgrund der Grammatik notwenigen Endungen und Postpartikel
mit Hiragana. Im nachfolgenden
Textausschnitt, der zur Verdeutlichung aus dem Führer des
Tempels Hasedera in Sakurai entnommen ist, sind alle Kanji durch
einen roten Rahmen markiert. Man sieht, daß sie den
überwiegenden Teil der Textmasse bilden. Kanji sind leicht durch
den komplexen Aufbau und die eckige Gestalt erkennbar. Sie sind
so arrangiert, daß jedem Zeichen eine etwa quadratische Fläche
zur Verfügung steht. Bei den Kanji handelt es sich um eine Zeichenschrift, wobei ein Zeichen
für eine oder mehrere Silben (eigentlich Moren) steht. Deshalb ist ein in Kanji geschriebener Text
kompakter und kürzer als derselbe Text in Hiragana. Jedem Kanji
wohnt eine lautliche
Zweideutigkeit inne, denn es gibt eine chinesische und eine
japanische Aussprache. Die chinesische oder besser
sino-japanische Aussprache nennt man ON-Lesung, die rein
japanische nennt man KUN-Lesung. Beim Schreiben von Kanji gilt
die Grundregel, daß senkrecht oder schräg verlaufende Striche
immer von oben nach unten geschrieben werden und daß links vor
rechts geschrieben wird.
Quelle: Tempelführer, hrsg. vom Tempel Hasedera, Sakurai, S. 2: Eine Einladung in den Tempel Hasedera
2.
Hiragana
Die Hiragana
ist die erste japanische Silbenschrift (eigentlich eine
Morenschrift). Die Zeichen wurden im 9. Jh. entwickelt. Es ist
auch die, welche Schulkinder als erstes lernen. Hier steht in der
Regel ein Zeichen für
eine Silbe bzw. korrekter für eine More (Monoglyphen), dazu gibt
es noch ein paar Diglyphen, bei denen
zwei Zeichen eine Kombinationssilbe bilden. Hiragana sind nach den Kanji die wichtigste
konstitutive Schrift eines
beispielhaften Textblocks. Im selben Textausschnitt wie oben sind
alle Hiragana im Textfluß durch einen roten Rahmen markiert. Man
erkennt, daß für diese Zeichen ein einfacher, maximal aus 4
Strichen bestehender Aufbau und die flüssige, geschwungene Form
typisch sind. Die Silben (Moren) können durch diakritische
Zeichen variiert werden. Auch die sind so arrangiert, daß jedem
Zeichen eine imaginäre, etwa quadratische Fläche zur Verfügung
steht. Da sie aus weniger Zeichen bestehen, haben sie im Kontext
meist mehr "Luft" als die dicht gedrängten Kanji. Hiragana-Zeichen werden verwendet
für alles, was nicht durch Kanji zu beschreiben ist, wofür es kein Kanji gibt z. B. Viele Kanji sind
auch ungebräuchlich geworden und deshalb werden die Begriffe in
Hiragana geschrieben, weil sie sonst keiner mehr versteht. Typisch ist die Verwendung von
Hiragana für grammatikalische Elemente.
Im Text unten fällt besonders oft das Hiragana-Zeichen für
"NO" = Genitiv- oder Zugehörigkeitspartikel auf,
ebenso für HA = Nominativpartikel, für die Verbendung
"MASU" etc. Werden Hiragana für grammatische Partikel
verwendet, bezeichnet man das als Okurigana.
Quelle: Tempelführer, hrsg. vom Tempel Hasedera, Sakurai, S. 2: Eine Einladung in den Tempel Hasedera
Und dann werden Hiragana noch dafür verwendet, komplizierte Kanji zu erklären. Hiragana sind in der Aussprache eindeutig, Kanji sind es nicht. Kanji können auf die chinesische und auf die japanische Art ausgesprochen werden. Deshalb schreibt man beim ersten Auftauchen eines neuen Kanji-Wortes die Aussprache in Hiragana klein obendrüber. In unserem Beispiel-Textblock sehen wir beispielsweise in der zweiten Zeile das charakteristische Kanji für "Berg", eine horizontale Linie, darauf drei vertikale Linien, die mittlere höher. Das Kanji kann man nun "san" oder "yama" aussprechen. Gemeint und gewollt ist hier die Aussprache "san", weil der Tempelberg und der Berg-Name des Tempels gemeint sind. Also steht in Hiragana SA-N darüber. Davor stehen drei Kanji, die den Eigennamen des Tempels bilden. Bei Eigennamen rätselt man ebenfalls standardmäßig, was die korrekte Lesung der Kanji ist, auch deshalb hier die kleine Hilfestellung: Diese drei Zeichen sollen als HA-TSU-SE-BU gelesen werden. Die Silbe TSU ist hier etwas kleiner geschrieben und ist der Verdoppelungs-Indikator für den nachfolgenden Konsonanten. Also wird insgesamt gelesen: HA-S-SE-BU-SAN: Der Tempel Hasedera trägt den Bergnamen Bu-san, also der virtuelle Tempelberg. Ganz am Anfang der zweiten Zeile wird ein weiteres Paar von Kanji näher erläutert: Diese beiden sollen als E-N-GI gelesen werden, engi bedeutet Ursprung. Nochmal zurück zum Zeichen für "Berg": Das gleiche Kanji taucht noch einmal in der vierten Zeile auf, vertikal unter dem oben diskutierten gleichen Kanji. Dort in der vierten Zeile soll das gleiche Kanji aber YA-MA gelesen werden, insgesamt O-HA-S-SE-YA-MA. Diesmal ist der echte Berg hinter dem Tempel gemeint. Solche Hilfestellungs-Hiragana werden Furigana genannt.
Quelle: Tempelführer, hrsg. vom Tempel Hasedera, Sakurai, S. 2: Eine Einladung in den Tempel Hasedera
3.
Katakana
Die nächste Gruppe von
Zeichen ist die zweite Silbenschrift (korrekter: Morenschrift),
die Katakana. Diese Schriftart wurde von
buddhistischen Mönchen entwickelt und waren zuerst eine Art
Schnellschrift, um Lehrvorträge schnell mitschreiben zu können
oder um schwer lesbare Stellen chinesischer Zeichen am Rand zu
erläutern und lesbar zu machen. Hier steht in der Regel
ebenfalls ein Zeichen
für eine Silbe bzw. More (Monoglyphen), dazu gibt es noch ein
paar Diglyphen, bei denen zwei Zeichen
eine Kombinationssilbe bilden. Katakana sind nach den Kanji und
den Hiragana die drittwichtigste Schrift. Man beachte den obigen
Textblock: Dort gibt es kein einziges Katakana-Zeichen. Und man
sieht, wofür Katakana NICHT gebraucht werden: In normalen Texten
mit "japanischen" Inhalten werden sie nicht benötigt.
In einem Text über die Geschichte und Bedeutung des Tempels
Hasedera wird kein einziges gebraucht. Die völlige Abwesenheit
im obigen Text ist durchaus auch ein Verwendungsmerkmal. Wohl
aber werden Katakana
für Fremdworte benutzt, für Lehnworte, für Worte, deren
Fremdartigkeit man hervorheben möchte. In
einem Zeitungsartikel über die Politik in Frankreich etwa würde
es nur so von Katakana wimmeln: Ländernamen, Eigennamen der
Politiker, Fremdworte für in Japan ungebräuchliche politische
Vorgänge. Ebenso sähe das Bild in wissenschaftlichen Texten
ganz anders aus: Namen
chemischer Verbindungen, wissenschaftlich-zoologische oder
-botanische Bezeichnungen werden
typischerweise in Katakana geschrieben. Der Beispiel-Textblock
unten stammt aus dem Artikel über das chemische Element Chlor
aus der japanischen Wikipedia, und alle Katakana sind rot
umrandet markiert. Typisches Beispiel ist die mehrfache
Verwendung von Katakana für die Masse-Einheit "ton" =
TO-N, viermal im Beispieltext zu finden. Cave - das in der Mitte
der Zahl jeweils stehende Zeichen für "man" =
Zehntausend ist ein Kanji. Und auch für umschreibende Tierlaute werden Katakana benutzt. Und man verwendet Katakana
auch für Hervorhebungen im Fließtext, so wie im Deutschen die
Kursive. Katakana haben einen bis vier gerade oder leicht
gebogene Striche. Die Winkel der Striche zueinander sind
typischerweise etwas spitz. Das eckige Erscheinungsbild
kontrastiert im Schriftbild deutlich zu den weicheren, gerundeten
Hiragana.
Quelle: japanische Wikipedia zum Lemma "Chlor", Ausschnitt aus dem Textbild, Stand 14.9.2022
4.
Sonderzeichen
Und wir finden noch eine
dritte und vierte Gruppe von Zeichen im Beispiel-Schriftblock:
Locker eingebaut werden arabische Zahlen wie die Jahreszahl 686.
Arabische Zahlzeichen werden als "Suuji"
bezeichnet. Dazu kommen noch die Interpunktionen, der Punkt ist
ein Kreis (maru, zweite Zeile rechts), das Komma ist fast
ähnlich, nur die Richtung ist anders, und die eckigen
L-förmigen Haken sind Anführungszeichen, mit denen
beispielsweise Eigennamen wie der Name des Tempels abgesetzt
werden. Dazu kommen in Texten auch je nach Zusammenhang und
Bedarf eingestreute lateinische Buchstaben. Unten sind all diese Sonderzeichen,
diese
"Nicht-Kanji-nicht-Hiragana-nicht-Katakana-Zeichen" rot
markiert.
Quelle: Tempelführer, hrsg. vom Tempel Hasedera, Sakurai, S. 2: Eine Einladung in den Tempel Hasedera
5. Alle
drei Systeme wirken zusammen
Fazit: Es gibt
drei verschiedene Alphabete: Kanji, Hiragana und Katakana, dazu
Sonderzeichen. Man kann einen Text eindeutig ganz und
vollständig in Hiragana und Katakana schreiben, nicht aber in
Kanji, weil entweder Zeichen fehlen oder die Lesung nicht
eindeutig ist. Deshalb werden in der Praxis alle drei Schriften
kombiniert, wobei jeder der drei Schriften ihre eigene Aufgabe
zukommt.
Warum schreibt man dann nicht gleich alles in Hiragana? Korrekt, Hiragana kann das komplette Lautbild eines Satzes unmißverständlich wiedergeben. Aber im Japanischen gibt es unendlich viele Fälle gleichlautender Aussprachen bei unterschiedlicher Bedeutung und Schreibweise, z. B. san = drei, -san = Anrede, san = Berg. So wie bei uns Bank = Sitzmöbel oder Geldinstitut, Strauß = Blumen oder Laufvogel. Welches gemeint ist, erschließt sich nur durch das Kanji. Und das so sehr, daß Japaner zur Verdeutlichung des Gesagten schon mal das Kanji mit dem Zeigefinger in die linke Handfläche malen, wenn sie merken, daß das Gegenüber das Gesprochene nicht begriffen hat. Deshalb braucht man alle drei Systeme, und wegen der spezifischen Vor-und Nachteile mischt man alle drei je nach Bedarf.
6. Romaji
Eine letzte Schrift fehlt
noch, die Umschrift Romaji. Das ist der Versuch,
das japanische Lautbild durch das westliche Alphabet
darzustellen. Das geht ganz gut, erfordert aber Speziallösungen
für die langen Vokale. In älteren Systemen ist aa, ei, uu, ou
und ii in Gebrauch, in modernen Systemen werden die gelängten
Vokale mit einem Strich darüber als lang markiert. In
Lehrbüchern für Ausländer begleitet die Romaji-Schrift
naturgemäß die ersten Lektionen, bis man Hiragana und Katakana
sowie die ersten Kanji zu lesen gelernt hat.
Literatur,
Links und Quellen:
Martin und Maho Clauß:
Japanisch Schritt für Schritt, Band 1, der Sprachkurs für
Unterricht und Selbststudium, Book on Demands, 2014, ISBN:
978-3-7322-9974-4
Herbert Zachert: Japanische Umgangssprache, 4. Auflage, Otto
Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 1976, ISBN 3-447-01814-3
Japanische Schrift auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanische_Schrift
die Hiragana-Schrift - die Katakana-Schrift - das Schreiben mit Kanji
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