Bernhard Peter
Wolkenpalast und Tempel in Kumbhalgarh

Kumbhalgarh: Viele Kilometer wuchtige Mauern
Nach unendlich vielen Windungen der engen Bergstraße und atemberaubend schönen Ausblicken in die Aravalli-Hügelkette voller wildem urwüchsigen subtropischen Dschungel taucht vor einem in luftiger Höhe das Fort auf: Gewaltige Mauern ziehen sich über den Bergrücken, typische Zinnen mit flach-spitzbogiger Form, eng aneinander gesetzt mit tief eingeschnittenen schmalen Zwischenräumen, mit vielen winzigen Schießscharten. Bis mindestens zur Hälfte der Mauerhöhe besteht sie aus einem abgerundeten Fuß, dann erst steigt sie gerade in die Höhe, was den Eindruck der Wuchtigkeit noch unterstreicht. Nach Westen hin steigen die Mauern noch steiler den Bergrücken hoch bis zur eigentlichen Festung, die einem Adlerhorst gleich in den Wolken zu liegen scheint, rechts verliert sich die Mauer im Gelände, so weit das Auge reicht, bis sie hinter kleinen Hügelkuppen verschwindet. Viele Kilometer sind es insgesamt, nicht alle von so guter Qualität wie hier im Eingangsbereich, wo sie zudem erst kürzlich restauriert wurde und sich hellbeige vom dunkel patinierten restlichen Teil absetzt. Eigentlich ist Kumbhalgarh heute eine Mischung aus Festung, sehr alten Tempeln, ländlichem Leben weniger Bewohner und Naturschutzgebiet. Gebaut wurde die Festung von Maharana Khumbha (Kumbhalgarh = „Festung des Kumbha“) im 15. Jahrhundert AD. Die Wälle sind extrem breit, so daß hinter der Brüstung ein locker 3-4 Meter breiter Wehrgang entlang läuft. Unzählige Treppen verbinden diesen bequem um die ganze Anlage herumführenden Weg mit dem Inneren des umschlossenen Bereiches. Diese Festung wurde nur ein einziges Mal erobert, im 16. Jh. von den muslimischen Heeren, aber später wieder zurückgegeben.

Ein leerer Palast in den Wolken
Die Festung markiert das nördliche Ende des Herrschaftsbereiches der Mewar von Udaipur. Von den obersten Terrassen schweift der Blick weit in die hinter den Aravalli-Hügeln sich ausbreitende Ebene, flaches gelbes Land nach einem letzten, dramatischen Sichaufbäumen der mit dichtem grünen Dickicht überzogenen Hügel, eine natürliche Mauer, die das Mewar-Reich von Udaipur gegen das Marwar-Reich von Jodhpur abgrenzt. Bei gutem Wetter ohne Dunst kann man in der Ferne sogar Jodhpur mit seinem markanten Tafelberg erkennen. Heute kann man es allerdings gerade mal erahnen. Der Wolkenpalast liegt auf 1100 m Höhe.
Der eigentliche Palast besteht aus zwei separaten Gebäuden, eines davon der Frauenbereich, eines der Königspalast. Beide sind durch gewinkelte und verschachtelte Treppensysteme miteinander verbunden, die herauf, herunter und um die Ecke führen – architektonisch völlig unnötig, weil die beiden Palastteile direkt Wand an Wand liegen und eine einfache Tür genügt hätte. Ziel dieser Architektur ist aber etwas anderes: Die Palasteinheiten sind innenzentriert, hofzentriert. Die einzelnen Räume öffnen sich nicht zu einer Achse oder Fluchtlinie hin sondern auf einen zentralen Hof. Die Fassade enthält so wenig Zugänge wie möglich, die einzelnen Räume betritt man vom architektonischen Mittelpunkt aus, nicht von der Außenwand. Dies ist ein großer Gegensatz zur europäischen Architektur, bei der die Außenfassade das Gesicht der Architektur ist und man von der Fassade Rückschlüsse auf die Innenräume ziehen kann. Hinzu kommt eine Zonenaufteilung in öffentlichere und privatere Bereiche. Insbesondere der den Frauen vorbehaltene Bereich wird architektonisch geschützt. Die verwinkelten Zugänge und Treppen regulieren den Übergang von männlicher zu weiblicher Sphäre, von öffentlichem zu privatem Raum, sie schaffen Distanz. Beide Bereiche sind ähnlich aufgebaut, beide haben einen offenen Hof, Arkaden, sich zum Hof öffnende Zimmer, von denen wiederum symmetrisch Nebenräume abzweigen, eine umlaufende Dachterrasse mit einer hohen Mauer ringsum im Damenbereich, so daß man nur im Königspalast uneingeschränkt die herrliche Aussicht genießen kann. Der Blick ist phantastisch und atemberaubend. Hier erstreckt sich ein riesiges Naturschutzgebiet, in dem noch Panther und Leoparden vorkommen sollen, auch wenn man als Tourist eher nur jede Menge Affen zu Gesicht bekommt.
In diesen Räumen der abgelegenen Bergfestung wurde Udai Singh nach der Flucht aus Chittaurgarh 1535 großgezogen. Heute sind die Räume allerdings leer, nur Wandmalereien und Fliesen sind zu sehen. Aber das ist nicht weiter von Belang, diesen Wolkenpalast betritt man wegen der grandiosen Szenerie ringsum.
An den wuchtigen Torflügeln der Hauptzugänge zum Palast sind wie auch in Udaipur und anderen Festungen oder Palästen in ca. 2.50 m Höhe unzählige Stacheln aus Eisen angebracht, das diente der Verteidigung, falls ein möglicher Angreifer Elefanten zum Aufbrechen der Tore verwenden sollte.

Frisch restaurierte Hindu- und Jain-Tempel im Dschungel
Nur wenige Menschen bewohnen das Gelände, freundliche Bauern in kleinen Grasunterständen oder Hütten, oder plötzlich steht man auf den weiten Wegen des Forts unvermittelt vor einer Kamelkarawane, die mit Jutesäcken schwer beladen den steinigen Weg entlang zieht.
Die eigentliche Attraktion Kumbhalgarhs sind jedoch die alten Tempel, die erst kürzlich einer Renovierung unterzogen wurden. Hinter den massiven Wällen kuscheln sich die Tempelanlagen, einige konzentriert rechts und links des Hauptzuganges, andere in Gruppen im weitläufigen Gelände zerstreut. Gepflasterte Wege verbinden die Tempel, alles macht den Eindruck kürzlich durchgeführter Renovierungsarbeiten. Die Tempel sind vom Bewuchs befreit, Gerüste aus krummen und schiefen Holzbalken stehen noch um einige Bauten. Um alle Tempel sind gepflasterte Bereiche entstanden. Herumliegende Steine sind sorgfältig durchnumeriert. Hochmoderne Scheinwerfer sind rings um die Tempel installiert und lassen darauf schließen, daß hier wohl in Zukunft größere Touristenströme erwünscht sind. Aber bis jetzt ist es schon seltsam, die ganze tolle Lichtinstallation erfreut des Abends höchstens ein paar Kamele und ihre Treiber.
Gleich rechts hinter dem Haupttor ist ein hoher Tempel, dreistöckig mit Kuppel. Der zentrale Baukörper ist, nur mit wenigen Streben mit ihr verbunden, von einer achteckigen Hülle aus Galerien umgeben. Direkt dahinter ist ein Tempel mit drei Shikharas in Kleeblattstellung. Weiter links liegt eine phantastische Mandapa mit hohem Dach auf vielen Säulen wie auf Stelzen. Weiter im Gebüsch liegt eine ganze Gruppe von 9 Tempeln, deren bester gerade eingerüstet ist und wunderschöne Marmor-Steinmetzarbeiten hat (Jain-Tempel). Es finden sich die typischen Ornamente für Jain-Tempel: Die Fratzenfriese am Sockel, die Schwellen mit Fratzen und Muschel-Schnecken, die feinst gearbeiteten Türgewände und Portaleinfassungen. Noch weiter weg liegt in einen Hang eingebettet ein weiterer Jain-Tempel, rechteckig, nach außen eine festungsartige schmucklose Mauer, nur durch horizontale und vertikale Absätze gegliedert, mit unzähligen Mini-Shikharas entlang der umlaufenden Zellen-Galerie. Innen im Hof ist die eigentliche Cella mit großem Shikhara und Vorhallen. An den Portalen ist wunderschöne Ornamentik, soweit man durch das verschlossene Eingangsgitter erkennen kann.

Kumbhalgarh ist ein Ort zum Wohlfühlen. Weitab von der Hektik der Städte, freundliche Menschen, atemberaubende Landschaft, interessante historische Architektur.

Begegnungen auf dem Weg nach Kumbhalgarh - Wolkenpalast und Tempel
Kumbhalgarh (1) - Kumbhalgarh (2) - Kumbhalgarh (3)

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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