Bernhard
Peter
Begegnungen
auf dem Weg nach Kumbhalgarh
Rosenblätter
für Ganesha
Vor dem Aufbruch nach
Kumbhalgarh halten wir noch am Straßenrand, und der Fahrer kauft
einer alten Frau eine Handvoll frischer Rosenblätter ab, die er
liebevoll über die golden bemalte Plastikfigur von Ganesha auf
seinem Armaturenbrett direkt vor mir schüttet. Ein Schatz aus
blutroter Vergänglichkeit bringt kostbare Frische in das trotz
der Morgenkühle schon leicht stickige Auto. Ganesha, der Gott
des Erfolges und des guten Gelingens, wird uns sicherlich zur
Seite stehen, daß kein Reifen platzt, daß wir keine anderen
Verkehrsteilnehmer oder schlimmer Kuh rammen und
daß alles glücklich verläuft.
Dörfer
und Wasserbüffel
Die Fahrt führt mich von
Udaipur nach Norden in die dichte Hügelkette der Aravallis
hinein. Die Natur verändert sich, die Vegetation wird dichter,
grüner, undurchdringlicher und mit zunehmendem Hineinwinden der
Straße in die Berge dschungelähnlicher, ein lichter
Monsun-Bergwald liegt rechts und links des Weges. Beherrscht wird
das Bild in den Dörfern von traditionellen Wohnformen,
Lehmbauten, einfacheren Hütten, dunkleren Trachten der Frauen.
Bedruckte Stoffe auf der Basis eines tiefen, leuchtenden
Dunkelrots, ergänzt durch gelb und orange, sind typisch.
Ziegenherden werden von Männern in Dhotis, Hemd und Turban des
Weges getrieben. Kühe lagern auf der Straße und wedeln dann und
wann mal mit Kopf oder Schwanz Fliegen von ihrem Fell.
Ausgemergelte Kreaturen, bei denen man die Rippen zählen kann.
Wasserbüffelherden sind der wichtigste Besitz der Bauern.
Unendlich träge, stur, gutmütig-gelassen, handlungsunwillig bis
stoisch was sich genau hinter der ewig melancholischen
Miene der Wasserbüffel abspielt, wird niemals klar. Am liebsten
scheinen sie in Gruppen in schlammigen Seen zu liegen und den Tag
mit Starren zu verbringen, ab und zu ein Flattern der Ohren, wenn
die Fliegen allzu lästig werden. So gefährlich die
geschwungenen Hörner auch aussehen, Wasserbüffel sind
friedliche Geschöpfe. Ein Pol der Ruhe, deren Miene höchstens
grenzenlose Verwunderung über der Menschen hektisches Treiben
ausdrückt. Mit ihrer unendlichen Ruhe trotzen sie allen
Infamitäten des Alltags. Und wenn sie sich mal bewegen und auf
Kurs sind, dann bringt sie ebenfalls kaum etwas vom einmal
eingeschlagenen Weg ab. Ob Autos wild hupen, LKWs drängeln oder
Hirtenmädchen die Gerte schwingen erst einmal guckt man
sich das in allergrößter Ruhe genau an, starrt den Verursacher
dieses Stresses erst einmal lange an und sendet Blicke höchster
Verwunderung in Richtung des ausgemachten Stressers, und erst
wenn man wirklich nach reiflicher Überlegung zur Überzeugung
gelangt ist, daß der Streß ernst gemeint ist, erfüllt man
diesen seltsamen Menschen den Wunsch zumindest teilweise und
weicht einen, ja genau einen Schritt zur Seite.
Geschmückte
Tanzgruppen auf Wanderschaft
In den Aravalli-Bergen ziehen
viele Tanzgruppen von Ort zu Ort, einen Monat lang. Es handelt
sich somit nicht um Nomaden oder Zigeunerfamilien, sondern die
Menschen sind nur diesen einen Monat gegen Ende der Regenzeit
unterwegs und gehen danach wieder ihrem gewohnten (Berufs-)Leben
nach. Es sind bunte Gestalten: Das Gesicht ist mit silbern oder
bunt schillerndem Glitzerpulver eingestäubt, die Arme sind
voller Schmuck, viele Halsketten schmücken den Träger
übertrieben. Es sind die einzigen Männer, die mir bisher in
Indien begegnet sind, die derart viel Schmuck tragen. Sonst sind
als Schmuck bei Männern einzelne Armreifen (meist in Silber)
oder ein oder zwei Ohrringe oder Ohrstecker (meist in Gold bzw.
mit gefaßten edlen Steinen) sehr populär. Anderer typischer
Männerschmuck ist der religiös bedingte eiserne Armreif der
Sikh. Ganz anders reich ist die Schmuckausstattung der
Wanderasketen, doch die ganzen Gehänge aus Silber, Steinen oder
Früchten fallen weniger unter die Rubrik Schmuck, sondern mehr
unter die Amulette. Doch diese bunt ausgestatteten Tänzer
stellen all dies in den Schatten mit der Vielfalt ihrer
klappernden Armreife. So ziehen die Trupps der Tänzer zu Fuß
die Landstraße entlang von Dorf zu Dorf, immer unterwegs zu
ihrem nächsten Auftritt, wo sie zwischen den Bruchbuden auf
einer ebenen Einfriedung die Menge in ihren Bann ziehen, die sie
starrend umgibt.
Schmuck
auf verblühten Gestalten Frauen auf dem Lande
Die Frauen auf dem Lande haben
ein hartes Schicksal: Alle Schwerarbeit lastet auf ihnen: Wasser
holen, Gras holen und in langen Bündel auf dem Kopf nach Hause
balancieren, Brennholz heranschaffen, Getreidesäcke
transportieren alles die Sache der Frauen, neben der
Kindererziehung, neben der ganz normalen Hausarbeit. Die Männer
und die Kinder kümmern sich ums Vieh bzw. bringen die Früchte
der Feldarbeit auf den nächsten Markt. Oder die Männer
schwatzen in irgendeiner schattigen Ecke des Dorfes und betreiben
Lokalpolitik. Das Los der Frauen ist wirklich hart. Ergreifend
sind die abgehärmten Gesichter, wenn die jugendliche Schönheit
der Mädchen verblüht ist. In Indien altert man schnell, wenn
man nicht auf die Schokoladenseite des Lebens gefallen ist.
Ausgemergelte Bonsai-Gestalten mit dünnen sehnigen Gliedern,
ausgetrocknet, mangelernährt und abgearbeitet kontrastieren mit
dem überreichen Goldschmuck an Hals, Armen, Nase und Ohren, mit
den dicht an dicht bis zum Ellenbogen liegenden Armreifen aus
Silber, Knochen und edlen Steinen oder einfach aus buntem Glas
und Plastik, sodaß die Unterarme fast wie in einer konischen
Hülse stecken, große Fußringe schlackern um ausgezehrte
Gelenke. Der überreiche Schmuck kann aber nicht über das
schnelle Verblühen unter diesen Lebensbedingungen
hinwegtäuschen. Große Nasenringe, die vom einfachen Ring oder
Stecker bis zu goldenen Platten von bis 4 cm Durchmesser reichen
können, deren untere Hälfte massiv oder filigran ist und deren
obere Hälfte der durch den linken Nasenflügel gehende Bügel
ist. So schwer sind diese Ringe, daß das Loch bei alten Frauen
schon weit ausgeleiert ist und die Ringe bei jeder schnellen
Kopfbewegung wild durch die Luft schwingen. Einige Frauen habe
ich gesehen, die den schweren Nasenschmuck noch zusätzlich mit
einem Bindfaden am Ohr festgebunden haben, um sich ein bißchen
mehr Bequemlichkeit zu verschaffen.
Ein
Tuch regelt Nähe und Distanz
Die zugehörige Tracht der
Frauen ist hier in Rajasthan dreiteilig: Ein Stück Stoff ist zu
einem Rock gewickelt, dann kommt eine eng anliegende einfarbige
Bluse, die nur die Oberarme bedeckt, sehr figurbetont den
Oberkörper bis zum Bauchnabel bedeckt und ansonsten den Blick
auf die Taille freigibt. Das dritte Teil, welches das bauchfreie
kurzärmelige und bauchfreie Top ergänzt, ist ein buntes Tuch,
das wahlweise um Oberkörper, Kopf, Schultern und Arme
geschlungen wird. Sehr traditionelle Frauen tragen das Tuch ganz
über Kopf und Oberkörper gezogen, manche aber nur tief in die
Stirn gezogen, junge Mädchen insbesondere im städtischen Umfeld
tragen es eher als Schal über die Schultern geschwungen. Es muß
ein ziemlich lästiges Kleidungsstück sein, denn wenn man den
Frauen so zusieht, sind sie die meiste Zeit damit beschäftigt,
Sitz und Lage dieses Stücks Stoff zu korrigieren. Andererseits
ist dieses Tuch auch ein vielsagendes Instrument nonverbaler
Kommunikation. Durch die Lage des Tuches regelt die Frau, welchen
Grad an Offenheit oder Distanz sie gerade wünscht oder zu zeigen
bereit ist. Mit der Lage des Tuches kann man jeden Grad zwischen
kontaktfreudiger Aufgeschlossenheit in vertrauter Umgebung
einerseits und skeptischer Zurückhaltung gegenüber dem
Unbekannten signalisieren. Mal verhüllt die Gardine
das ganze Gesicht in totalem Rückzug, mal öffnet sich die
Trägerin dem Gegenüber ein wenig, indem das Tuch zwar tief in
die Stirn gezogen ist, aber lose zu beiden Seiten des Gesichts
herabfällt. Die Kleidung und damit die Zurschaustellung der
eigenen Person richtet sich immer nach den die Trägerin
umgebenden Personen. Fühlt sie sich frei und geborgen, rutscht
das Tuch auch schon mal bis in den Nacken und signalisiert
Offenheit gegenüber guten Freundinnen. Das Tuch ist jenseits des
lästigen Gerichte und Gezupfe ein stets der jeweiligen Situation
anpaßbares Mittel, um Offenheit oder Zurückgezogenheit zu
signalisieren.
Begegnungen auf dem Weg nach Kumbhalgarh - Wolkenpalast und
Tempel
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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