Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 10:
Der Ritt durch die Wüste

Prolog
Ich war hocherfreut, als Heike Anfang des Jahres ihren zweiten Besuch (gemeinsam mit ihrem Bruder) in Syrien ankündigte. Die beiden hatten mich schon im Jemen besucht und sich seitdem als überaus angenehme und vollkommen unkomplizierte ‚Besucher’ erwiesen. Heike, die ich vor vielen Jahren (mit dem Ausdruck wollte ich mir das Nachzählen ersparen, aber dann packte mich der Ehrgeiz nachzurechnen, daß es sei Januar 1994 insgesamt 15 Jahre waren) im Rahmen unseres gemeinsamen Einsatzes als ‚Sprachassistentinnen’ (eine nette Bezeichnung für muttersprachliche Deutschlehrer ohne formelle Qualifikation) in Rußland kennenlernte, ist Italienerin, was man unzweifelhaft an dem italienischen Vornamen erkennen kann.

Heike verkörperte nämlich als Repräsentantin der deutschen Minderheit (Südtirol) in Italien die positive Grundidee des Programms, das vom damaligen Bundesinnenministerium finanziert und vom VDA – Verein für das Deutschtum im Ausland (ich nehme an, daß der Verein inzwischen seinen Namen in eine unverfänglichere Bezeichnung geändert hat) durchgeführt wurde: die deutschsprachige Minderheit in den verschiedenen Siedlungsgebieten Rußlands zu starken, na ja, und irgendwie davon abzuhalten, nach Deutschland auszureisen (was allerdings nicht ganz aufging). – Neben der Tatsache, daß Heike deutsche Muttersprachlerin war (äh, IST), bleibt noch zu erwähnen, daß sie Russisch und Querflöte studiert hat (das Studium der englischen Sprache hingegen kehrt sie aus unerfindlichen Gründen stets ‚unter den Tisch’...- Falsche Bescheidenheit, wie ich annehme.)

Warum ich das alles erzähle? Um zu zeigen, daß Heike eine ganz außergewöhnliche Frau ist, die sich gerne besonderen Herausforderungen stellt – und – insbesondere durch ihre Vorliebe für Russisch und Rußland – einiges mit mir gemein hat.

Es war Heikes geniale Idee (die aber ganz ähnlich - wenn auch nicht ausgesprochen – die meine hätte sein können), von Palmyra aus einen gemeinsamen Wüstentrip zu machen. Wer glaubt, einem Trip in die öde, trostlose Wüste absolut nichts abgewöhnen zu können, mag in vieler Hinsicht Recht haben. Allerdings ist Wüste nicht gleich Wüste, unsere hier in Palmyra ist auch nicht mit den jemenitischen Sanddünen zwischen Marib und Hadramaudh zu vergleichen. Unsere Wüste bekommt während der Regenzeit Anfang Frühling durchaus ein paar Regentropfen ab, mal mehr, mal weniger, was ihr anschließend ein paar zähblättrige Grashalme und Sträucher entlockt, die dann von den Ziegen, Schafen und Kamelen anfangs als Delikatessen, später als faserige Verdauungsförderer dem Boden entrupft werden.

Apropos  Kamele... Wer einmal mit eigenen Augen in die noch größeren Augen der vorbeiziehenden Wüstenschiffe geblickt hat, muß ihnen einfach verfallen. Davon zeugen zum einen die Kosenamen, die sich die Beduinen für ihre Lieblingskamele ausgedacht haben, zum anderen die Scharen von Touristen, die mit gezückten Kameras die meist zahlenmäßig kleineren Scharen von Kamelen überfallen.

Einmal auf einem Kamel durch die Wüste reiten ...

Heike übernahm die Organisation des Trips per Internet, während ich allenfalls mit einigen weniger erfolgreichen Kommentaren zur Preisgestaltung des lokalen palmyrenischen Anbieters beitrug. – Heike und Reinhard hatten im letzten Jahr Palmyra besucht und vor Ort über das Hotel Nahil (‚Palme’) erste Kamelerfahrung gesammelt. Dagegen konnte ich mit nur 2 Minuten Kameltrott nicht konkurrieren. 

Zwei Tage hatte Heike mit Mohammed, dem Besitzer des Hotels und Allroundorganisator, vereinbart. Sie hatte Mohammed ihre und damit unsere – weil deckungsgleich - Wünsche mitgeteilt und um ein darauf basierendes Programm gebeten. Mohammed hatte ihr geantwortet, wir sollten uns doch überraschen lassen, was im übrigen alle Touristen zu ihren eigenen Wohlgefallen täten.

Heike, die selbst über hinreichende Erfahrungen in der Organisation von Trekking und geführten Touristenreisen im Altai und Usbekistan verfügte (letzteres durchaus wegen der nicht vorhandenen Bäume und Sträucher mit der Gegen um Palmyra vergleichbar), hatte ihr Bestes versucht, den Zauber der Überraschung auf ein überschaubares Minimum zu reduzieren. Insbesondere, und dafür sei ihr mein ganz besonderer Dank ausgesprochen, hatte sie Mohammed mitgeteilt, daß ich Vegetarierin sei, und auch gleich – um etwaige Mißverständnisse zu vermeiden – auch gleich den Sinn des Wortes beispielhaft erläutert. (Ich hatte gehofft, daß eine fleischlose Beköstigung positiv auf die Preisgestaltung auswirken würde, Fleisch ist ja in der Regel teurer in der Produktion. Vermutlich traf dies aber nicht auf nomadisierende Beduinen zu, die schließlich keinen Ackerbau betreiben. Wieder etwas in Sachen Landeskunde dazugelernt...)

Dank Heike war alles aufs Beste vorbereitet. Die erste Nacht sollten wir im Hotel Nahil verbringen. An nächsten Morgen würden wir dann in die Wüste aufbrechen, wo wir die darauf folgende Nacht in einem Beduinenzelt verbringen würden. Am zweiten Tag würden wir dann auf Heikes nachdrücklich per e-mail artikulierten Wunsch an ‚markanten’ Stellen der Wüste reiten und wandern.

Am Donnerstagmorgen – ich hatte mir freigenommen – packten wir unsere Rucksäcke. Heike, die wesentlich erfahrener in solchen Dingen war, gab mir einschlägige Tips, wobei mir bewußt wurde, daß mein erst einmal benutzter Daunenschlafsack, den ich regelmäßig in Frankfurt auf möglichen Mottenbefall untersuchte, wesentlich günstiger in Damaskus aufgehoben wäre. Auch mein Kompaß und das Multifunktionsmeter hätte man besser nicht vorzeitig im letzten Jahr aus Damaskus nach Frankfurt evakuiert. Für die Anschaffung einer Sonnenbrille war es noch nicht zu spät. Nach intensiver Beratung mit Heike und Reinhard entschloß ich mich dann doch, mein langes Angoraunterhemd, das ich als Ersatz für den Schlafsack erwogen hatte, zu Hause zu lassen (was ich später bereute). Heike hatte nämlich kurzentschlossen Mohammed angerufen und in Erfahrung gebracht, daß für alles, und somit auch Schlafsäcke, gesorgt sei.

Die Sonnenbrille besorgte ich bei einem Straßenhändler auf dem gemeinsamen Weg zum Historischen Museum in Damaskus, das wir am gleichen Morgen besuchten, bevor wir mit Proviant und Wasser versorgt die Fahrt zum Pullmann-Busbahnhof im Osten von Damaskus antraten. Von hier aus gingen Busse nach Palmyra ab.

Donnerstagnachmittag... und der darauffolgende Sonntag ein Feiertag - orthodoxes Osterfest. Ich hätte mir doch denken können, daß unter solchen Bedingungen ALLE Busse ziemlich ‚besetzt’ wären. Hätte ich, hatte ich vielleicht auch für einen Bruchteil einer Sekunde, und dann leider wieder ‚vergessen’. ‚So viele Syrer, die das verlängerte Wochenende in Palmyra verbringen wollen, wird es sicher nicht geben’, hatte ich überlegt, wohlwissend, daß Lataquia, die Mittelmehrstadt im Nordwesten des Landes, eine ganz andere, ja geradezu magnetische Wirkung auf den einheimischen Tourismus hatte als die trockene Wüste in der Umgebung Palmyras. Immerhin, so erklärten uns alle Busunternehmen der Pullmannstation, war die Route, die ‚durch’ und nicht ‚nach’ Palmyra führte, so gut frequentiert, daß wir mangels freier Plätze die Reise erst in anderthalb Stunden antreten könnten. Als wir dann die drei Karten kaufen wollten, stellte sich meine nächste ‚Vergeßlichkeit’ heraus. – Unsere Pässe wollte der freundliche Herr an dem Buskartenschalter sehen. Selbstverständlich hatten Heike und Reinhart ihre Pässe dabei. Nur meiner fehlte. Ich laufe nie mit meinem Paß durch die Gegend. Der könnte viel zu leicht abhanden kommen - war von jeher meine Devise...

Hm. Natürlich fiel mir bei dem Lächeln des freundlichen, aber bestimmten Fahrkartenverkäufers schlagartig ein, daß ich immer bei den Fahrten mit Überlandbussen nach dem Paß gefragt worden war. Hätte ich also wissen müssen. Allerdings fuhr ich so selten mit dem Überlandbus, und einmal hatte mir mein damaliger syrischer Begleiter beim Durchmogeln geholfen.

Dieser Fahrkartenverkäufer aber blieb hart: ohne Paß kein Ticket. Immerhin hielt er für uns drei Plätze frei, bis ich den Paß vorzeigen würde.

Mein Malheur, nicht die Karten vorbestellt und daher erst frühestens in anderthalb Stunden aufbrechen zu können, kam mir zu gute. Ich schaffte es, nach einer und einviertel Stunden mitsamt Paß – und nach Zahlung eines wohlwollenden Trinkgeldes für den flinken Taxifahrer - wieder vor dem Schalter zu stehen. Mein Freunde Heike und Reinhard nahmen es gelassen. Kein Wort des Vorwurfes, ganz im Gegenteil: Freude, Freude, daß ich es geschafft hatte, und wir die Reise unbeschwert antreten konnten. Der Weg führte auf gerader Strecke vorbei an den verschiedenen ‚Original’ und originellen Baghdadcafes (es gibt wohl einen Film, der so heißt, aber ganz wo anders spielt), bis wir dann am Stadtrand Palmyras, nördlich des Ruinenfeldes, unerwartet aus dem Bus katapultiert wurden, nachdem wir die feststellende Frage des Busfahrers  ‚Ihr wollt doch nach Palmyra?’ nichts Böses ahnend mit ‚Ja’ beantwortet hatten. Zu unsere großen Überraschung waren wir die einzigen, die den Bus verließen, abgesehen von einem Einheimischen, der uns dann auch gleich zu seinen Hotel ganz in der Nähe führen wollte, - wie er sagte ‚das einzige Hotel in ganz Palmyra, das noch freie Zimmer hatte’. – Das allein schon machte es uns verdächtig. Wir waren empört über eine so ‚billige’ Komplizenschaft zwischen dem Busfahrer und dem Hotelanwerber, daß wir selbst wenn wir nicht schon im Hotel Nahil gebucht hätten, DAS Hotel ganz bestimmt nicht gewählt hätten.

Darin waren wir uns alle drei einig. – Vielleicht aber war das Ganze gar nicht so hintertrieben, wie wir annahmen. Denn obgleich wir nicht an der eigentlichen Busstation ausgestiegen waren, war der Weg in die Innenstadt nicht länger. Immerhin konnten wir so die untergehende Sonne in dem  Ruinenfeld genießen.

Das Hotel Nahil erwies sich als annehmbar: sauber, nett hergerichtet. Wir wurden bereits erwartet, nicht von Mohammed, sondern von seinem jüngeren Bruder, der uns mit der Nachricht empfing, Mohammed lade uns ins Beduinenzelt mit Beduinenmusik und arabischer Küche ein. Nach ausführlichem Abwägen der Vor- und Nachteile und der Versicherung ‚Mohammed wisse um Anne Christines vegetarische Besonderheit’ nahmen wir die Einladung an. Den Ausschlag hatte nicht die kostenlose Einladung gegeben, sondern die Einsicht, daß es die einzige Möglichkeit war, Mohammed das genaue Programm für die kommenden zwei Tage zu entlocken.

Gegen acht Uhr abends wurden wir von einem modernen Allradschlitten abgeholt und zu dem etwa 10 Autominuten entfernten Zeltplatz gebracht, wo eine etwa 20-köpfige Gruppe französisch- und englischsprachiger Touristen dem Essen entgegen fieberte. Wir kamen also gerade richtig.

Mohammed stellte uns seine Schweizer ‚Ehefrau’ in Beduinentracht vor, eine durchaus angenehme Erscheinung, die sich allerdings im Laufe des Abends im Hintergrund hielt. – Heike  und ich grübelten noch, was eine Schweizerin bewegen konnte, ihr Eheglück HIER zu suchen, als zum Essen gerufen wurde. Höflich überließen wir den anderen den Vortritt (schließlich hatten die dafür bezahlt, und wir waren nur eingeladen).

Alles wäre bester Ordnung gewesen, wenn auf meine durchaus praktisch, und keinesfalls philosophisch gemeinte Frage ‚was ist das’ – wobei ich auf eine der aufgetischten Speisen deutete, Mohammed nicht die vielsagende Antwort: ‚Essen’ gegeben hätte.  Die Antwort verband er gleich mit der Frage, ob ich nicht etwas von dem ‚Reis (mit Fleisch) haben mochte’. Daß er bei so vielen Gästen vergessen hatte, daß ich kein Fleisch aß, war absolut entschuldbar. Daß er jedoch so dämlich antwortete, konnte ich nicht entschuldigen.

Ich beließ es dabei und hielt mich an den Salat, der mir ‚veganisch – koscher’ zu sein schien. Beim nächsten Gang zum Buffet ergab es sich zufällig dank der Frage einer anderen Touristin, der ich bei der Übersetzung ihrer Frage, den Koch selbst nach den Inhaltsstoffen zu fragen, was die Auswahl koscherer Gerichte von Salat auf Salat, Homos und Paprikamehlpaste erweiterte. Die Paprikamehlpaste, ein außergewöhnliches Gericht, dessen Nachahmung ich allerdings NICHT empfehlen kann, erinnerte nur sehr, sehr entfernt an mein geliebtes Muhammara. Sei’s drum. Einem geschenkten Kamel, schaut man nicht in die Kehl. ... Wir waren der Einladung nicht des Essens wegen gefolgt, sondern um die Einzelheiten der nächsten beiden Tage zu besprechen. Irgendwann im Laufe des Abends gelang es Heike, Mohammeds habhaft zu werden. Das Gespräch verlief aber weder, wie es sich Mohammed gewünscht hatte (d.h. daß wir uns überraschen lassen wollten), noch, wie wir es uns gewünscht hatten. Wir hatten am nächsten Morgen zeitig in die Wüste aufbrechen wollen. Nach Mohammeds Plan sollten wir uns aber erst am Nachmittag auf die Kamele schwingen. Er hatte eine lange Rast an dem Zeltplatz eingeplant, wo wir uns gerade befanden. Hier sollten wir dann auch die kommende Nacht übernachten. Wir blicken uns um und uns dann vielsagend an. Die örtlichen Gegebenheiten ließen doch einiges zu wünschen übrigen. Zum einen war da der kalte zugige Wind, gegen den auch der kleine, im riesigen zugigen Schlafzelt aufgestellte Ofen nicht ausrichten konnte. Alle drei brachten wir abwechselnd die verschiedenen Schwachstellen in dem Vorschlag zur Sprache. Ein großes Gemeinschaftszelt, das wir mit fremden Touristen teilen sollten, ohne Umziehgelegenheit, und noch viel schlimmer ohne Waschgelegenheit und Toilette.  Mohammed schien belustigt. - Das was schließlich das Beduinenleben, das wir doch ganz authentisch erleben wollten: Es gab keine Toilettenanlagen in der Wüste, man begab sich dezent in die Wüste, hinter einen Vorsprung, und wenn vorhanden hinter einen Busch (nur schade, daß es hier keine gab). Ich kam mir reichlich doof vor. Sicher hätte ich das wissen können, nur hatte ich nicht daran gedacht, denn irgendwie war ich innerlich davon ausgegangen, daß Mohammed als Reiseunternehmer da sicherlich etwas Passendes organisiert hatte.

Ich für meinen Teil hatte meinen Entschluß gefaßt, mir am nächsten Abend in Palmyra ein Hotelzimmer zu besorgen. – Heike und Reinhard schienen ebenfalls dem Gedanken nicht abgeneigt, auch wenn die beiden wesentlich abgehärteter waren als ich.  Nach einer kleinen Beratung übermittelten wir Mohammed unsere Wunschliste:

Am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück die Kamelwanderung antreten, sofort in die Wüste, kein Stop am Zeltplatz. Wüstenwanderung bis zu dem von Mohamed erwähnten See. Übernachtung am Abend im Hotel, und den nächsten Tag anstatt des Kamelritts eine Autotour zu den Altertümern in Richtung Norden. Mohamed versprach, sein Bestes zu versuchen. Er druckste herum. Er wisse nicht, ob er noch freie Zimmer für den nächsten Abend im Hotel hätte.

Ein nicht ganz so autofahrgeübter Verwandter Mohammeds brachte uns dann mit dem modernen Benzinschlucker zurück ins nahegelegene Palmyra, wo wir jeweils sanft, die Annehmlichkeiten eines eigenen Bettes genießend, einschliefen, und sofern nicht von der nahen Moschee geweckt (Heike!) auch prächtig durchschliefen (es gibt doch nichts über meine Ohrstöpsel).

Als wir am nächsten Morgen, am Frühstückstisch versammelt, nachdenklich unser Fladenbrot mit Oliven ins Olivenöl tauchten (Heike war so mutig, auch die ihr bislang unbekannten weiß-rosafarbenen Süßigkeiten zu probieren), begannen wir zu mutmaßen und sogar Wetten abzuschließen, ob und was Mohammed von unserer Wunschliste umsetzten würde. Heike gab sich vorsichtig zuversichtlich. Reinhard und ich nüchtern-skeptisch. Wir sollten recht behalten.

Mit einiger Verspätung wurden wir schließlich vom Allradschlitten abgeholt. Wir hatten Kamele erwartet. Es kostete Mohammeds Bruder an der Rezeption Geduld und Nerven, uns in einem Kauderwelsch aus Arabisch und Englisch davon zu überzeugen, daß wir mit dem Auto zu den Kamelen gebracht werden sollten. Unsere Skepsis war völlig unbegründet gewesen, obgleich ... als wir am Ziel, dem uns versprochen ‚Kamelplatz’, ankamen, war kein Kamel in Sicht. Ganz im Gegenteil, der Kamelplatz entpuppte sich als das Ruinenfeld am Rande der Stadt, das in Mohammeds ursprünglichem Plan als langer ‚Ruinenfeldbummel’ vor dem eigentlichen Kamelritt gestanden hatte. Wir hatten dankend mit der Begründung abgelehnt, daß jeder von uns die Ruinen bereits ausgiebig bei früheren Besuchen in Palmyra besichtigt hatte.

Fünf oder zehn Minuten nach unserer Ankunft kamen dann aber doch die Kamele. Wir hatten zwei bestellt, damit wir uns jeweils mit Wandern und Reiten abwechseln konnten. Heike erwies sich als sehr großzügig, indem sie die erste Etappe wandern wollte, und mir damit das Kamel zum Reiten überließ. Unser Kameltreiber stellte sich als Mohammed, ein entfernter Verwandter von Mohammed, dem Hotelbesitzer vor. Er sah noch sehr jung aus, vielleicht siebzehn oder achtzehn?

Er trieb die Kamele eigentlich nicht, sondern er führte während der ersten Etappe das Leitkamel, auf dem ich saß, an einem Strick. Das zweite Kamel, eine Kamelstute, auf dem Reinhard saß, folgte dem ersten Kamel. Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, da sie mit einem Strick ans Leitkamel angepflockt war. Später übergab er den Strick an mich und behielt sich das Führen mit einem Stöckchen vor, mit dem er die Kamele gelegentlich etwas beschleunigte.

Ich fühlte mich sehr herausragend auf dem hohen Tier, ein sehr erhebendes Gefühl, auf einem Kamel an den Grabtürmen vorbei, dann durch die trockene Ebene, und später den Hang hoch oder runter zu schwanken.  Heike, Reinhard und ich wechselten uns jeweils ab, so daß zwei von uns auf jeweils einem Kamel saß, und der dritte im Bunde zu Fuß mitwanderte. Die Rucksäcke waren sicher auf den Kamelen verstaut, so daß die Reise für uns sicherlich unbeschwerter war als für die Kamele. Letztere beschwerten sich aber nicht, so daß wir von einem stillschweigenden Einverständnis ausgingen, und kein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber hatten.

Das Leitkamel war ein Kamelhengst, der durchaus seine eigenen Vorstellungen davon hatte, was ihm erlaubt und was verboten war. Immer wieder, insbesondere solange ich den Strick in Händen hielt, naschte er verschiedene Pflanzen, die er aus den Augenwinkeln erspähte, zielgerichtet ansteuerte bzw. im Vorübergehen abzupfte. Gelegentlich konnte er sich nicht ‚losreißen’, weshalb Mohammed, unser Kamelführer, seine Autorität, den Strick oder ein Stöckchen einsetzte, um den Kamelhengst zum Weitergehen zu motivieren. Es war mir klar, daß ich gegenüber dem Leitkamel keinerlei Respektsperson darstellte. Ich nahm es mit einen Lächeln hin. Ich bin wahrscheinlich doch eine zu kooperierende Führungsperson, ein Führungsstil, der offensichtlich bei einem Kamel nicht ankommt.

Nachdem wir uns gute zwei Stunden in westlicher Richtung von Palmyra fortbewegt hatten, kamen wir an einem Zeltplatz an, wo wir Rast machten. An dem Zeltplatz fanden wir auch Mohammed, den Hotelbesitzer, und einige der Touristen und Einheimischen vor, die wir am Abend zuvor getroffen hatten. Daß es sich bei dem Zeltplatz um denselben Zeltplatz wie am Abend zuvor gehandelt hatte, wurde mir erst später bewußt, als Heike und Reinhard mich darauf ansprachen. Da die Abmachung am Abend zuvor gewesen war, NICHT an dem Zeltplatz zu rasten, sondern geradewegs in die Wüste aufzubrechen, hatte ich den Zeltplatz nicht erwartet. Außerdem sehen Zeltplätze tagsüber ganz anders aus als nachts (=im Dunkeln). Also hatte sich Mohammed schon wieder durchgesetzt.

Immerhin setzten wir durch, daß wir nur kurz Rast machten. – Wir zogen es vor, nicht allzu viel zu trinken – angesichts eines ‚Örtchens’, das eine weitläufige, weitgehend vegetationslose Ebene darstellte.  Die nächste Etappe ritten Heike und Reinhard auf den Kamelen, während ich ohne Kamel nebenher ‚trabte’. Bald hatten wir die Asphaltstraße erreicht, der wir die nächsten Kilometer brav folgten. Langsam gewann die Überlandstraße an Höhe und damit Aussicht. Zum Glück war der Verkehr nicht heftig. Gelegentlich hupten die Autofahrer, wie das in Syrien üblich ist, um Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer rechtzeitig zu ‚warnen’. Einmal allerdings, wir gingen / ritten in etwa 20 Meter rechts von der Fahrbahn entfernt, stoppte ein Pick-up-Gefährt. Der Fahrer stieg aus und gestikulierte uns, stehen zu bleiben. Es schien ein Bekannter Mohammeds, des Kamelführers. Nichts besonderes, irgendwie schienen ALLE hier Bekannte Mohammeds zu sein. Später trafen wir noch etliche Motorrad- oder Pick-up-Fahrer, die Mohammed zuriefen, winkten oder zu einem Plausch kurz anhielten.

Dieser Autofahrer allerdings hatte mit einer ganz besonderen Absicht angehalten, wie der dunkle Gegenstand in seiner Hand erahnen ließ. Es war eine Digitalkamera. – Und WIR waren die Attraktion, die es galt, auf ein Photo zu bannen. Freundlich bat er um Erlaubnis, uns von mehreren Seiten aufzunehmen: von vorne, von der Seite, mit Mohammed, ohne Mohammed... – Wir gluckten uns verdutzt an. Damit hatten wir nicht gerechnet: jemand, der verrückte Touristen auf und neben zwei Kamelen photographiert. Das war wohl ein ungewöhnliches Phänomen. 

Am späten Nachmittag erreichten wir den Stausee, ein ungewöhnliches Phänomen, wie wir dachten und deshalb unsere Kameras in Position brachten. – Der Stausee war die Endstation unseres Trekkings. Der Staurand lag auf einer Anhöhe, der wir uns von der unteren Talebene näherten, und daher nicht sofort als solche erkannten. Flankiert wurde der Stausee rechts und links von kahlen Höhenzügen.

Ein nettes Plätzchen, das offensichtlich auch von den Einheimischen zu Ausflugs- und Picknickzwecken genutzt wurde. Zwischen dem grünen Bewuchs und sandigen Pisten lagerten sie grüppchenweise, hörten Musik, nahmen Essen zu sich. Kinder spielten, Jugendliche lieferten sich auf Motorrädern oder Kamelen Wettrennen auf ausgefahrenen Pisten am Rande des Sees. – Wir machten Rast. Freunde Mohammeds luden uns ein, sich zu ihnen zu gesellen. Stockend kam eine Unterhaltung in arabisch-englischem Kauderwelsch zustande. Einer von ihnen forderte mich auf, ihn auf dem Sozius seines Motorrads zu begleiten. – Einen kurzen Augenblick überlegte ich. Natürlich war es für eine gesittete Frau tabu, auf das Motorrad eines heranwachsenden Jugendlichen zu steigen. Mehr noch aber schmerzte mein Hinterteil (später stellte ich eine Fünf-mark-stück-große Wundstelle auf Steißhöhe fest)... Nichtsdestotrotz entschloß ich mich für den Tabubruch, hievte mich langsam aufs Motorrad und klammerte mich an dem jungen Fahrer fest, um nicht herunterzufallen.

‚Na, was ist besser’, fragten mich die syrischen Freunde Mohammeds bei unserer Rückkehr, ’Kamel oder Motorrad?’ ‚Motorrad!’ – sagte ich knapp, aber überzeugt. Nicht, daß ich den Trip mit dem Kamel bereut hätte, es war eine einmalige Erfahrung. Wenn nur mein Popo nicht so schmerzen würde.

Nach mir machte auch Heike den Kamel-Motorrad-Vergleichstest, und auch sie war von letzterem sehr angetan. Es fiel uns schwer, für die letzten 500 Meter bis zur Übernachtungsstelle noch einmal aufs Kamel steigen, dennoch: besser als zu Fuß. Auf diesem letzten gemeinsamen Ritt saß ich hinter Mohammed auf dem Leitkamel. Kaum war ich aufgesessen, da bedeutete mir Mohammed, wahrscheinlich angespornt von meinem ‚Motorradritt’, ihn an den Hüften zu fassen. Da der Kamelhengst gleich darauf in einen Sprint überging (meine Wundstelle hätte sich sehnlichst ein sanftes Schritt-Tempo gewünscht), blieb mir nichts anderes übrig, als Mohammeds Aufforderung nachzukommen. Heike sah mich mit großen Augen an...

Das Zeltlager lag am nördlichen Einzugsgebiet des Stausees, nahe eines Gesträuchs, was wir am späten Abend und (nächsten) frühen Morgen jeweils nacheinander zur Verrichtung des Notdürftigen aufsuchten. Zu viel mehr als meine Zähne zu putzen konnte ich mich nicht überwinden... Innere Blockade. - Rasch nach Sonnenuntergang ging die Temperatur deutlich spürbar nach unten: gefühlte Temperatur - maximal 10 Grad. Ich versuchte mich so gut es ging einzumummeln und war dankbar für die Decken und zusätzliche Kleidung, die mir die Beduinen und meine Freunde überließen.

Mohammed sah geknickt aus. Die Beduinen hatten kein Bettlager für ihn eingerichtet. Von sich aus wollte er das Thema nicht ansprechen, das hätte sich nicht gehört. – Als ich ihn fragte, was los sei, gab er traurig – trotzig zurück, er werde draußen vor dem Zelt (im Staub) übernachten. – Ich blickte ihn ungläubig an. ‚Unsinn’, meinte ich. ‚Du schläfst hier im Zelt! Draußen ist es viel zu kalt. Wir haben genug Platz hier.’ – Sein Blick erhellte sich. Die Form verlangte es, daß auch Heike und Reinhard ihn auffordern mußten. Aber das war nur reine ‚Formsache’. – Ein paar Tage später, als ich schon wieder in Damaskus war, erhielt ich eine SMS, in der Mohammed in fehlerhaftem Arabisch seine ‚Liebe’ - sprich Dankbarkeit - zum Ausdruck brachte.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2009
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
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