Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 11:
Hamda und die neue Wohnung

Eines Abends gegen Ende März saß ich mit Hamda und Rashwa, zwei Studentinnen aus dem zweiten Masterkursjahrgang, in einem der pittoresken Damaszener Altstadtrestaurants. Normalerweise nahm ich keine Angebote von Studenten an, mich außerhalb des Unterrichtes zu treffen. Oder sollte ich besser sagen, normalerweise bekam ich keine Einladungen von Studenten, mich außerhalb des Unterrichtes zu treffen?! Nein, das stimmte so nicht. Das ein oder andere Mal hatten Studenten eine vage Einladung ausgesprochen, und ich hatte eine höfliche Floskel gefunden, mit der ich die Erwiderung der Einladung in eine ferne, unbestimmte Zukunft schob. Es bedurfte von Seiten der Studenten eines Übermaßes an Zähigkeit, Charme oder Gewitztheit, um mich entweder von der Aufrichtigkeit der Einladung zu überzeugen oder aber davon, daß es 'sich lohnen würde', der Einladung zu folgen. Einer der Studenten des ersten Jahrgangs hatte eine derartige Aufrichtigkeit und Zähigkeit an den Tag gelegt, die mich schließlich zweimal eine Einladung zu ihm 'nach Hause' hatten annehmen lassen. Alle waren sehr nett gewesen, insbesondere seine Ehefrau und die beiden Kleinkinder. Aber dennoch fühlte ich mich nicht zuhause. Wir hatten alle (bis auf die Kleinen, die waren nicht ganz so brav) brav am Tisch gesessen, gegessen, uns meist auf Englisch unterhalten. Geblieben war das Gefühl von Steifheit, von einem Pflichtbesuch.

Auch Hamda und Rashwa's Einladung hatte ich zuerst nicht ernst genommen. Weil sie aber ein zweites und drittes Mal und auch noch von zwei StudentINNEN ausgesprochen worden war und nicht NACH HAUSE, sondern außer Haus gehen sollte, hatte ich intuitiv 'Ja' gesagt und später hinzugefügt 'ich zahle'. (Das mit dem Zahlen war später zu meinem Leidwesen daran gescheitert, daß der Wirt, den Hamda flüchtig kannte, uns alle drei eingeladen hatte. Da half auch mein Insistieren nicht.) Nachdem der erste Termin sich nicht realisierte, hatte ich nicht mehr mit einem zweiten Terminvorschlag gerechtet. Es ist durchaus üblich in Syrien, eingeladen zu werden und die Einladung formal auch anzunehmen, aber durchaus nicht üblich, jeder Einladung auch tatsächlich nachzukommen. Peter hatte mir davon erzählt, daß er zur Hochzeit seiner syrischen (Counterpart) Kollegin eingeladen war. Allerdings wurde er von den anderen syrischen Kollegen, die ebenfalls eingeladen worden waren, flugs danach dahingehend belehrt, daß er die Einladung erst einmal annehmen, wenn es konkret werden sollte, aber höflich absagen sollte. So seien die Sitten. Es gehöre zum guten Ton und Anstand, Mann und Maus, d.h. alle, selbst weit entfernte Verwandten, Kollegen, Bekannten, zur Hochzeit einzuladen. Aber genauso werde erwartet, daß man und maus höfliche Vorwände für das Nichterscheinen fänden. Schließlich wolle man die Familie ja nicht in den finanziellen Ruin treiben.

Well. Bei mir kam, was die Studenten anbelangt, hinzu, daß ich mich vor dem Anschein bzw. etwaigen Behauptungen schützen wollte, einzelne Studenten zu bevorzugen. - Hamda hatte die Einladung explizit NACH dem vierwöchigen Unterrichtsmodul ausgesprochen. Sie war nicht unbedingt der Star des Kurses, auch Rashwa nicht. Hamda hatte sogar etwas Vulgäres oder Proletarisches an sich - fand ich: ihre rauhe breite Stimme, die Art, wie sie sich kleidete. Nichts ließ die Vermutung zu, daß sie dem Bildungsbürgertum entsprungen sein könnte. Selbst ihre Fragen während des Unterrichtes waren manchmal provokativ, ganz besonders ihr notorisches Zuspätkommen am Morgen. Aber sie zahlte brav die 50 Pfund Strafgebühr, die ich zu Kursbeginn fürs Zuspätkommen eingeführt hatte. Einmal stellte sie mir während des Unterrichtes laut eine Frage, die eindeute davon zeugte, daß sie vorher nicht zugehört hatte. Das bestätigte mein (Vor-)Urteil.

Daß Hamda ein kluger Kopf war, der die Zuversicht auf Veränderung der aktuellen Verhältnisse nicht aufgegeben hatte (eine Eigenschaft, die ich extrem schätze, jedenfalls solange ein Fünkchen Hoffnung auf Veränderung gerechtfertigt ist), zeigte sich mir erst etliche Module später, als ich zufällig als Zweitkorrektorin einige Arbeiten im Human Resources Management Module zu lesen bekam. Eigentlich soll ich blind korrigieren. Das heißt, für die Korrektur wird mir nur die Matrikelnummer des Studenten (weiß nicht einmal ob -t oder tin), nicht aber der Namen des/der Studen/tin mitgeteilt. Ich erkannte aber anhand der Beschreibung des Settings in der schriftlichen Ausarbeitung, daß es sich nur um Hamda handeln konnte. Ihre Arbeit in dem anderen Modul war bei weitem die beste, auch wenn das Englisch bzw. ihr Stil sehr zu wünschen übrig ließ. Aber Stil und Englisch habe ich nicht zu beurteilen.

Warum ich das schreibe? Zum einen als Erklärung dafür, daß ohne Hamda einiges anderes gelaufen wäre: Das Leben ist eine Art Kette von Zufällen. Zum anderen als Mahnung an mich selbst, mich nicht von äußeren Anzeichen die Sicht auf die inneren Werte versperren zu lassen.

Hamda hatte vorgeschlagen, mich nach der Arbeit um 21 Uhr mit dem Auto abzuholen. Hamda kam notorisch zu spät. Zu ihrer Verteidigung muß erwähnt werden, daß sich Hamda als geschiedene und somit alleinstehende Mutter um eine pubertierende Tochter kümmert und 17 Uhr bis 21 Uhr jeden Abend Dienst in einer privaten Apotheke schiebt. Wir hatten vereinbart, daß Hamda, kurz bevor sie von Zuhause aufbrechen würde, per Handy bei mir anklingeln würde. Ich sollte das Gespräch nicht annehmen, denn das kostete nur unnötig Einheiten, die wir nicht bereit waren, der syrischen Mobilfunkgesellschaft zu schenken (vorbildliches praktisches Kostenmanagement, wie man es in meinem Unterrichtsmodul nicht besser lernen kann). Hamda rief deutlich NACH 21 Uhr an, sie hatte nach dem Dienst noch geduscht und sich frisch gemacht. - Ja, das paßte zu Hamda. Sie legte Wert auf Make up und Kleidung. Aber lohnte es sich um halb zehn abends noch auszugehen? - Ich hatte sicherheitshalber vorher schon ein paar Krümel gegessen, sonst wäre ich sicher vor Ankunft im Restaurant verhungert.

Kaum war ich am vereinbarten Ort an der Hauptstraße angekommen, fuhr auch schon Hamda vor. Kaum war ich allerdings in den Wagen gestiegen, da eröffnete mir Hamda, daß sie noch tanken müsse. Keine 100 Meter von der Stelle, wo sie mich aufgelesen hatte, gab es eine Tankstelle. Wir hatten auch relatives Glück mit der Schlange, die heute nicht allzu lange war. Ich hatte schon Schlangen gesehen in den vergangenen Wochen und Monaten, die sich einige hundert Meter hingezogen hatten. Nichtsdestotrotz verloren wir durch das Tanken eine gute Viertel Stunde Zeit. Rashwa rief zwischendurch an, um nach unserem Verbleib zu fragen.

'Wir sind gleich da', antwortete Hamda nicht ganz wahrheitsgemäß. Wir waren noch Meilen von der Altstadt entfernt. Nach weiteren 20 Minuten hatten wir Bab Tuma, das östliche Altstadtviertel, erreicht und hielten Ausschau nach Rashwa. Hamda hatte versprochen, sie auf dem Weg zum Restaurant aufzulesen. An der vereinbarten Stelle war aber nichts von Rashwa zu sehen. Hamda hielt an, um zu telefonieren. Dadurch blockierte sie den ohnehin schon schleppenden Verkehrsfluß, was mit einem Hupen der anderen Verkehrsteilnehmer quittiert wurde. Hamda blieb davon unbeirrt. Es gelang ihr, in eine Seitenstraße einzubiegen, erneut anzuhalten und natürlich damit den Verkehr dort zu blockieren. Die Damaszener Altstadt ist ein unaufhörliches Verkehrschaos, Schieben, Stocken, Hupen und gelegentlich auch Schimpfen (aber das deutlich weniger als in anderen vergleichbaren Ländern). Ich bete dafür, daß Allah eines Tages den Stadtplanern in Damaskus die göttliche Eingebung einer 'Fußgängerzone' schickt. Vielleicht hat er schon, aber die Botschaft ist im Verkehrslärm untergegangen.

Nach nicht allzu langer Zeit erschien Rashwa. Sie war in Begleitung eines Koffers. Rashwa hatte die ersten Monate ein Zimmer in einem Nonnenkonvent in der Damaszener Altstadt bezogen. Eine praktische wie preiswerte Lösung des Wohnungsproblems (Rashwa stammte nicht aus Damaskus, für das Studium an unserem Institut hatte sie nach einer bezahlbaren Bleibe gesucht und war dabei auf das Kloster gestoßen. Der Nachteil war allerdings, daß die Tore abends gegen zehn oder elf Uhr abends geschlossen wurden.)

Mit einiger Mühe hievte Rashwa den Koffer ins Wageninnere. Hamda würde sie nach unserem Restaurantbesuch zu ihrer neuen Wohnung bringen.

Es war nach zehn Uhr abends, als wir schließlich vor dem Restaurant ankamen. Hamda reichte die Schlüssel dem Personal, das sich um das knautschfreie Parken kümmerte. Es handelte sich um ein traditionelles Damaszener Prachthaus, dessen Pracht man allerdings erst im Inneren gewahr wurde: alte Damaszener Baukunst, Holzschnitzereien, Mosaike und neue Kunstwerke angestrahlt an den Wänden, ansonsten abgedunkeltes Licht, abendliche Atmosphäre, durchzogen von den Schischadünsten.

Wir bestellten und aßen die leckeren Vorspeisen, die das Leben in Damaskus auch für 'eingefleischte' Veganer lebenswert machen. In der Unterhaltung erhielt ich einige Insights bezüglich der aktuell angewandten Praktiken des Pfuschens und Fautelns in Studentenkreisen, deren Kenntnis mir als Dozentin einen gewissen Wettbewerbsvorteil einbrachte. Hamda verpetzte niemanden. Sie wollte bloß fair Play für alle.

Tatsächlich fand ich später beim Korrigieren der Studentenarbeiten eine Reihe von auffallenden Ähnlichkeiten, die nur durch Kopieren und Abschreiben erklärt werden konnten. Als die betroffenen Studenten die Auffälligkeiten schließlich nicht mehr abstreiten konnten, argumentierten sie, ich habe sie dazu ermuntert zusammenzuarbeiten! - Man muß nur dreist genug sein! Erfreulicherweise fanden sich genügend Zeugen, die das Gegenteil bestätigen konnten, aber dazu wurde erst einmal ein Verfahren angestrengt (zu meiner Zeit an der Uni wäre das schneller und einfacher 'aufgelöst' worden). Geärgert habe ich mich maßlos: erst pfuschen und dann mich, die Dozentin, dafür verantwortlich machen wollen...

Während des Essens fragten mich Rashwa und Hamda, wie ich meine Wohnung gefunden hatte und wieviel ich bezahlte. Wir verglichen die Mieten. Mir war schon lange klar, daß ich als Ausländerin mehr als die ortsübliche Miete bezahlte. Es lag in der Natur der Sache. Dennoch wurmte es mich in Nachhinein, daß ich der kürzlichen Mieterhöhung zugestimmt hatte. Die ursprüngliche Miete hatte schon über dem ortsüblichen Tarif gelegen.

'Es ist doch ganz einfach, eine preiswertere Wohnung zu finden,' sagte Hamda. 'Ich habe Rashwa geholfen. Jetzt im März ist der Wohnungsmarkt völlig entspannt. Im Sommer, wenn sich die Touristen aus den benachbarten Golfstaaten einmieten, gehen die Preise wieder in die Höhe.'

'Ihr habt gut reden', sagte ich, 'sobald ich den Mund aufmache, merkt jeder, daß ich Ausländerin bin, und damit steigt die Mietforderung automatisch...'

'Nichts leichter als das,' konterte Hamda, 'dann miete ich die Wohnung offiziell.'

Das Angebot stand im Raum. - Ich beließ es damit vorerst.

Erst ein oder zwei Wochen später, als mich Hassan, der Sohn meiner Vermieterin, anrief, um die Miete für die nächsten vier Monate zu kassieren, fasste ich den nötigen Mut. In der Zwischenzeit hatte ich auch von den Nachbarn unter mir (die offensichtlich dank ihrer immensen Neugier über alles und jedes im Haus informiert zu sein schienen) erfahren, wieviel eine andere irakische Familie für die gleiche, sogar möblierte Wohnung zwei Stockwerke über mir bezahlte.

'Ich bin bereit, die ursprüngliche Miete zu bezahlen, obwohl auch die über der üblichen Miete liegt. Ich werde aber nicht mehr bezahlen', eröffnete ich Hassan. Hassan ging gerne Konflikten aus dem Weg. Ein Streit über Miete lag seinem Wesen fern. Abgesehen davon, handelte es sich nicht um SEINE Wohnung, sondern um die seiner Mutter. 'Ich sage meiner Mutter Bescheid und werde dir dann mitteilen, wie sie entscheidet,' antwortete er kurz innehaltend.

Es dauerte nicht lange, da kam der Rückruf: 'Meine Mutter besteht auf der Mieterhöhung. Das heißt, wenn es nach ihr ginge, könntest Du gerne auch für die 20,000 syrischen Pfund dort wohnen bleiben. Aber sie die Wohnung gehört ihr nicht allein. Leider konnte sie die anderen Miteigentümer nicht davon überzeugen.'

Das war eine Überraschung. Eigentlich sogar zwei Überraschungen. Erstens hatte ich damit gerechnet, daß Hassan's Mutter ein Einsehen fände, und sich mit den 20,000 syrischen Pfund, die schließlich mehr als genug waren, zufrieden gäbe. Zweitens hatte Hassan in der Vergangenheit immer wieder hervorgehoben, daß die Wohnung seiner Mutter gehörte. Dieses Selbstbewußtsein 'versprühte' sie mitsamt dem übrigen herben Charme ihrer Persönlichkeit. Daß sie jetzt irgendwelche Miteigentümer ins Feld führte war eine glatte Lüge und diente nur dazu, den schwarzen Peter von ihr wegzuschieben.

Wie dem auch sei, ich hatte mich verkalkuliert. Ich war überzeugt gewesen, daß Hassan's Mutter einlenken würde. Jetzt war ich am Zug. Ich konnte klein bei geben oder in die Offensive gehen. Viel Zeit blieb mir nicht. Es war Mittwochnachmittag. Das Monatsende war nahe. Innerhalb weniger Tage mußte ich eine neue Bleibe gefunden haben. - Ich entschied mich, Hamda anzurufen. Hamda ließ mich nicht im Stich. 'Kein Problem', meinte sie, 'ich höre mich um und rufe dich zurück.'

Ein oder zwei Stunden später rief sie gutgelaunt zurück und kündigte an, daß wir 'heute abend noch eine Wohnung anschauen können.' Sie wollte mich nach der Arbeit abholen und wie beim letzten Mal, bevor sie aufbrach, bei mir anklingeln. Ich sollte nicht abheben, sondern sofort zur vereinbarten Stelle gehen, von wo sie mich abholen wollte.

Als der Anruf kurz vor 21 Uhr kam, schaute ich nicht weiter auf das Handydisplay, sondern verließ schnurstracks die Wohnung, um am vereinbarten Ort, ca. 100 Meter weiter unten an der Hauptstraße zu warten.

Ich wartete und wartete, doch Hamda kam nicht. Anstatt dessen zogen fremde Autos an mir vorbei, einige verlangsamten ihre Geschwindigkeit, andere Autofahrer stoppten sogar, sie schienen mich aufzufordern einzusteigen. - Im Jemen, auch in Rußland seinerzeit war es ganz normal, daß private PKWs für Taxizwecke genutzt wurden. Man bezahlte dem Fahrer am Ende der Strecke ein Entgelt, das sich an dem einer üblichen Taxifahrt orientierte. Hier in Syrien aber war ich mir einer solchen 'Schwarztaxi' -Tradition nicht bewußt. Da ich ohnehin auf Hamda wartete, ja noch nicht einmal wußte, in welches Restaurant wir gehen wollten, ging ich nicht auf die Autos ein, sondern winkte nur kurz ab.

Als einer der Autofahrer sich aber nicht abwimmeln ließ, sondern in etwa 10 Meter Entfernung anhielt und dort stehen blieb, begann ich mir doch allmählich über das reichlich merkwürdige Verhalten Gedanken zu machen. Ich hatte eine ähnliche Situation schon einmal erlebt, 1987 in Erewan. Dort hatte auch - allerdings am hellichten Tag - Autofahrer angehalten, ich sollte erwähnen: männliche Fahrer, hatten die Fenster per Kurbel heruntergedreht und dieses eine Wort nur gesagt: 'Skolko?' - wieviel?. Erniedrigend. Ich kann mich heute noch an die ohnmächtige Wut erinnern, die seinerzeit in mir aufstieg. Autos mit Männern, die wie lästige Fliegen nicht zu verscheuchen waren. Kaum hatte frau eine vertrieben, da steuerte auch schon die nächste auf frau zu.

In Syrien, ja in allen muslimisch geprägten Ländern, die ich bislang besucht hatte, hatte ich mich immer gut aufgehoben gefühlt: keine billige Anmache wie seinerzeit in Armenien. Ich hatte mir eingebildet, daß es so was hier in Syrien nicht gab. Jetzt stellte ich fest, daß es das die ganze Zeit schon gegeben hatte, ich es nur nicht in meiner 100 Meter Luftlinie entfernten Wohnung wahrgenommen hatte. Dabei hätte es nur eines Spazierganges hierher um neun Uhr abends bedurft, mich um diese Erfahrung zu bereichern. Ich versuchte, die neue Erfahrung als soziologische Beobachtung zu werten. Allerdings gewann am Ende mein hilfloser Zorn (als Prostituierte behandelt zu werden) die Oberhand. Mit Schimpfen versuchte ich die aufdringlichen Autofahrer zu verscheuchen, insbesondere den, der immer noch hoffnungsvoll in dem 10 Meter vor mir stehenden Wagen wartete. Allein es half nichts. Ich sah, wie der Fahrer mich in seinem Innenspiegel taxierte. Er hatte die Innenbeleuchtung angeschaltet. Ich griff zur letzten Waffe, meinem digitalen Photoapparat. Als der Blitz losging, bekam es der Fahrer mit der Angst zu tun und suchte das Weite. Ich habe das Photo nicht gelöscht. Es ist etwas dunkel und reichlich unscharf, aber DER Beweis.

Es klingelte, Hamda rief an. Diesmal nahm ich den Anruf an. 'Ich fahre jetzt los sagte sie.' Ich stutzte, sagte aber nichts weiter. - Wieso rief sie noch einmal an, fragte ich mich. Merkwürdig...

Und dann sah ich die Bescherung. Der Anruf vor einer halben Stunde war gar nicht von Hamda gekommen, sondern von Hassan. Ich hatte nicht auf's Display geschaut, weil ich annahm, es sei Hamda, deren Anruf ich erwartet hatte. Hätte Hassan nicht angerufen oder hätte ich aufs Handydisplay geschaut anstatt gleich loszulaufen, wäre mir das nervige Warten an der Hauptstraße und die Anmache potentieller Freier erspart geblieben. Selbst schuld - Dummheit gehört bestraft, dachte ich.

Hassan zurückzurufen, kam mir nicht in den Sinn. Schon gar nicht jetzt, wo Hamda mich gleich für die Wohnungsbesichtigung abholen würde.

Hamda kam. Sie schmunzelte mitfühlend, als ich ihr von den Autos erzählte. 'Die Badrstraße hier ist bekannt dafür, daß irakische Flüchtlingsfrauen, aber auch einheimische Syrerinnen sich verkaufen.' Dann führte sie aus, daß ihr jemand viel Geld geboten hatte, mehr als ihren monatlichen Lohn, wenn sie ihre Wohnung für derartige Dienstleistungen zur Verfügung gestellt hätte. 'Hätte nicht mal selbst etwas machen müssen, bloß die Wohnung zur Verfügung stellen.' Offensichtlich hatte Hamda das lukrative Angebot nicht angenommen.

Als wir beim Makler ankamen, führte Hamda den Dialog. Der Makler saß an einem betagten Schreibtisch links in der Ecke eines kleinen Ladenlokals. Auf den Stühlen und Bänken ringsherum unterhielten sich ein paar ältere Männer, unter anderem auch Hamda's Chef aus der Apotheke.

Ich hielt mich ganz zurück, das hatte mir Hamda vorher eingeschärft. Bloß kein Wort zuviel, am besten gar nichts sagen! Selbst mein 'Ja' oder 'nein' in Arabisch könnte mir zum Verhängnis werden. Ich biß mir auf die Zunge. - Hamda machte ihre Sache toll. Sie wirkte absolut souverän und überzeugend, als sie vorgab, sich nach einer Wohnung für uns beide umzuschauen. Ich lächelte, blickte mal ernst, mal freundlich, nickte manchmal zustimmend, damit niemand auf die Idee kam, ich sei Ausländerin. Natürlich merkte jeder, daß ich Ausländerin war, allein schon meine Haare, meine mitteleuropäischen Gesichtszüge verrieten mich. Mein 'Ausländersein' war einfach nicht zu übersehen, selbst jetzt bei Stromausfall.

Ach ja, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Seit Tagen oder Wochen schon beherrschte der beinahe allabendliche Stromausfall Damaskus, nicht alle Viertel, aber unsere um so mehr. Stromausfall ist ein saisonales Phänomen, das geplant abläuft und damit zusammenhängt, daß es durch die elektrischen Heizöfen im Winter und die Klimaanlagen im Sommer Peaks im Verbrauch gibt, die nicht von den vorhandenen Kapazitäten abgedeckt werden können.

Hamda erkundigte sich nach der Miete, den Konditionen und dergleichen, all das um die Zeit zu überbrücken, bis endlich der Strom wieder einsetzen würde. Aber es half nichts, es gab keinen Strom. Wir wollten nicht ewig warten. Hamda mußte heim zu ihrer Tochter (es war schließlich schon kurz vor zehn), und ich stand unter Druck, baldmöglichst die Wohnung wechseln zu müssen. - Schließlich rangen wir uns durch, die Wohnung trotz Stromausfall, d.h. bei düsterem Licht, anzuschauen.

Wir stolperten durch die dunklen Gassen, mit dem Feuerzeug und Handy leuchtete der Makler das Treppenhaus aus, und irgendwie standen wir dann in einer leeren Drei-Zimmerwohnung. Sie war kleiner als meine bisherige, die Zimmer waren enger geschnitten. Das Bad hatte keine Wanne, und in der Küche gab es lediglich eine Spüle und ein paar Hängeschränke. Im Schein meines Handydisplays tappe ich durch die fremde Wohnung.

Viel war angesichts der Dunkelheit nicht auszumachen. Ich machte ein paar Photos, vage ins Schwarze hinein, die ich mir später anschauen wollte. Wir öffneten die Tür zum Minibalkon in der Hoffnung, vielleicht etwas mehr Licht von außen hereinzubekommen. Aber draußen war es stockdunkel. Das ganze Viertel war lahmgelegt.

Eine skurrile Wohnungsbesichtigung.

'Was meinst Du?' flüsterte Hamda, bestrebt, uns beim Makler nicht auffliegen zu lassen. 'Ist soweit O.K.' antwortete ich leise. Hamda nickte mir zu. - Welche Wahl hatte ich?!

'Ich habe auch noch eine Zwei-Zimmer Wohnung anzubieten,' meinte der Makler, die ist aber kleiner.' 'Nicht nötig, wir nehmen diese,' hauchte ich in meinem besten Arabisch. Hamda übernahm die weiteren Verhandlungen, die wir im Büro des Maklers fortführen, und das alles bei Notbeleuchtung. Sie telefonierte mit der Vermieterin, versuchte die geforderten 13.000 Pfund Monatsmiete herunterzuhandeln, aber ohne Erfolg. Die Vermieterin gab keine Lira nach. Hamda blieb bei ihrer Rolle, die Wohnung für sich und die Freundin mieten zu wollen. Am Ende versuchte Hamda die Vermieterin wenigstens davon zu überzeugen, eine Telefonleitung zu installieren. Die fehlende Leitung war ein Nachteil gegenüber meiner bisherigen Wohnung, weniger die fehlende Möglichkeit des Telefonierens (das konnte über das Handy kompensiert werden) als vielmehr die Internetverbindung, die für das skypen und emailen am Abend und Wochenende erforderlich gewesen wäre. Die Vermieterin lehnte die Telefonleitung ab. Die zusätzlichen Kosten für die Installation (und - so vermute ich - mögliche unbezahlte monatliche Telefonrechnungen) wollte sie nicht auf sich nehmen. Hamda versuchte ihr Bestes, aber die Vermieterin blieb stur. Aussichtslos. - 'Egal, dann werde ich nach einem Internetcafe in der Nähe Ausschau halten', dachte ich und willigte in Hamda's fragenden Blick ein.

Am nächsten Morgen, eigentlich ein ganz regulärer Arbeitstag, begleitete ich Hamda auf der Fahrt im Taxi zur Vertragsregistrierung bei der Damaszener Bezirksverwaltung, die in der Nähe des Hotel Cham Palace liegt. Zur eigentlichen Registrierung des Vertrages ging ich nicht. Wir wollten vermeiden, daß die Vermieterin bei meinem Anblick auf die Idee einer drastischen Miterhöhung kommen könnte. Der Makler und Hamda hatten die Tatsache, daß ich Ausländerin war, geschickt vertuscht.

Hamda und ich hatten vereinbart, daß ich mich für den Fall, daß etwas schief laufen würde, in der Nähe aufhalten sollte. Die Vermieterin hatte den vollständigen Betrag der Vertragslaufzeit (sieben Monate) als Vorschuß verlangt, das machte 91 000 Pfund. - Ich sah Hamda und den Makler vor dem Gebäude auf die Vermieterin warten, während ich mir die Beine in sicherem Abstand auf der gegenüberliegenden Straßenseite vertrat. Ich trottete die Straße hoch und runter. Hamda hatte versprochen, sofort anzurufen, wenn alles vorbei wäre. Wir würden dann mit dem Makler zurück in die Wohnung fahren. Der hatte gesagt, der Vorgang dauere bloß 5 bis maximal 10 Minuten. Ich hatte die Prozedur schon einmal mitgemacht und ahnte, daß die Einschätzung zu optimistisch war. In meinem Fall, d.h. einer AUSLÄNDERIN, hatten wir es damals innerhalb von zwei Arbeitstagen geschafft. Allein schon deshalb bevorzugte ich, daß Hamda den Mietvertrag auf ihren Namen nahm. Anders als ich brauchte sie als Einheimische nämlich keine Wohnsitzbestätigung ihrer Botschaft, diverse Stempel des Außenministeriums und Bescheinigungen der Stadtverwaltung einzuholen.

Während ich sinnierte, verlor ich Hamda aus den Augen. 20 Minuten waren vergangen, und kein erlösender Anruf. Ich wurde unruhig. War etwas dazwischengekommen? Vorsichtig  positionierte mich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und hielt Ausschau. Zuerst sah ich nichts, dann aber bemerkte ich, wie mir jemand heftig zuwinkte. Es war der Makler, der zusammen mit Hamda und der Vermieterin am Straßenrand stand. Er hatte mich gesehen. Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich ging zügig weiter und verschwand hinter der nächsten Straßenecke. Oh je, hoffentlich hatte ich jetzt nicht alles verpatzt.

Der erlösende Anruf kam weitere 20 Minuten später. Alles war gut gegangen. Und dennoch schien Hamda verärgert. Die Art und Weise, wie die Vermieterin sie behandelt hatte, schien ihr nicht zu behagen. Ich ignorierte Hamda's Groll und Grummeln, sondern freute mich, daß sich binnen weniger als 24 Stunden dank Hamda mein Wohnungsproblem gelöst hatte.

Wir nahmen uns ein Taxi von der Straße, mit den Makler im Schlepptau fuhren wir zur neuen Wohnung. 'Wir müssen sofort ein neues Türschloß kaufen!' Der Ton in Hamda's Stimme ließ keine Widerrede zu, aber doch immerhin eine Frage. 'Ich traue der Vermieterin alles zu! Sie hat bestimmt einen Nachschlüssel für die Wohnung.'

Auch wenn ich Hamda's Befürchtung reichlich übertrieben fand, konnte ich kein Argument finden, das Hamda's Vorschlag, das Schloß auszutauschen, entgegengestanden hätte. 'Ich muß so schnell wie möglich zurück ins Büro,' war mein stärkstes Gegenargument. 'Das Schloß haben wir in fünf Minuten ausgetauscht', war Hamda's Antwort. Ich war überstimmt.

Es wurden fünf arabische Minuten; die dauern bekanntlich viel, viel länger als europäische oder gar deutsche fünf Minuten. Das Problem war, ein neues Schloß zu finden, das paßte, und dann auch noch das passende Werkzeug herbeizuschaffen, um das alte zu entfernen und das neue Schloß einzubauen. Hamda und der Makler übernahmen das, während ich erstmals bei Tageslicht oder sollte ich sagen 'überhaupt - bei Licht' mir meine neue Wohnung in Augenschein nahm. Die Farbe der Wände und der Decken war eine Spur zu intensiv. Das Badezimmer hatte keinerlei Badewanne oder Duschvorrichtung, dafür aber einen Boiler, den man per Klick ein- und ausschalten konnte. Letzteres eindeutig ein Vorteil gegenüber meiner alten Wohnung, wo ich das Wasser per Wasserkessel auf dem Gasherd erst aufkochen mußte, es dann vorsichtig - ohne zu verschütten - in Plastikflaschen abfüllen, aber bitte bloß halbvoll (sonst hätte ich mich anschließend verbrüht), anschließend mit kaltem Wasser auffüllen, den Ausguß der Flasche mit der Handfläche abdecken und zwei oder dreimal kräftig schütteln, nicht rühren! Die ganze Prozedur mit drei oder vier weiteren Plastikflaschen (beim ersten Mal verbeulen sich die Flaschenhälse durch das heiße Wasser) wiederholen und voilà - fertig war das Duschwasser. - Das war nun Geschichte. Das Mittelalter war vorbei, die Neuzeit brach an. - Den Mangel an einer Dusch- bzw. Badewannenvorrichtung in der neuen Wohnung hatte ich schnell mit dem Kauf eines Duschschlauches und einer überdimensionalen (rund, ca. 1 m Durchmesser) blauen Plastikschlüssel behoben. Das Planschen in dem kleinen abgeschlossenen Raum erinnerte an ein türkisches Bad.

Die nächste Tür offenbarte die Toilette. Wie sich herausstellte, war das die einzige Toilette, und sie war arabisch. In meiner Heimat Trier nannten wir die Art von Toiletten übrigens 'französisch'. Ich war ihnen in aller Welt schon begegnet. Ganz besonders in der Erinnerung geblieben waren mir die russischen öffentlichen Toilettenanlagen, die nach dem gleichen Prinzip funktionierten, wenn sie funktionierten. Aber das ist ein anderes Thema. - In meiner nachträglichen Wohnungscheckliste war die Toilette ein eindeutiges Manko. Im Verlauf der nächsten Tage aber fand ich auch dafür eine Lösung. Es gab in einem Geschäft um die Ecke ganz wunderbare, kleine gelb-beige Plastikhocker zu kaufen, die die Menschen in Europa üblicherweise ins Kinderzimmer stellten, die Menschen in Syrien üblicherweise im Hammam (dem türkischen Bad) benutzen, weil das angenehmer und hygienischer war, als sich auf den blanken Boden zu setzen. Ich kaufte zwei, einen für's Bad, den anderen für besagte arabisch/französische Toilette. - Im Nachhinein stellte sich auch die Toilette noch als ein Fortschritt gegenüber meiner alten Wohnung heraus (auch wenn das Sitzen auf dem Hocker einer Umstellung bedurfte): es gab nämlich keine Kakerlaken in der neuen Wohnung. Jedenfalls habe ich keine einzige Kakerlake IN der Wohnung gesehen, außerhalb im Treppenhaus fand ich wohl das ein oder andere Mal ein lebloses Exemplar, aber nie IN der Wohnung. Ich führte diesen erfreulichen Zustand auf die Toilettenanlage zurück.

Die Küche war deutlich kleiner als meine alte. Küchengeräte wie Herd und Kühlschrank mußte ich mir selbst besorgen. Eine Waschmaschine gab es nicht. - Ich besann mich auf meine frühere Vermieterin, die anstatt neue Gerätschaften zu kaufen aus Anlaß meines Einzuges gebrauchte angeschafft hatte, was zwar ihren Geldbeutel schonte, ich aber mit dem Preis des mehrtägigen Schrubbens und Schabens an Herdgrill und -auflagen bezahlte.

In Syrien wird meistens mit Gas gekocht, praktisches Risikomanagement angesichts der saisonbedingt vorkommenden Stromausfälle. Eine neue Gasflasche zu erwerben hätte sich für mich nicht gelohnt, schließlich lief mein Vertrag offiziell in sieben Monaten aus (daher übrigens auch der auf sieben Monate befristete Mietvertrag). Ich entschloß mich, das Risiko des Stromausfalls in Kauf nehmend für den Erwerb einer elektrischen Kochplatte und eines elektrischen Miniofens. Ich backe zu gern Kuchen, den ich zwar selbst nicht unbedingt esse (wegen der Eier, des Industriezuckers, der Butter ....), aber den Studenten traditionell zur informellen Feier am Modulende mitbringe. Ich überschlug grob, wie sehr sich allein der Anschaffungspreis auf die Gestehungskosten der wenigen Kuchen, die ich in den nächsten sieben Monaten in dem Miniofen backen würde, auswirken würden, und ich mußte mir eingestehen, daß es weitaus günstiger wäre, die Kuchen aus der Konditorei zu beziehen. Ich kaufte das Gerät. Das kann nur eine Frau verstehen! Meine innere, betriebswirtschaftliche Stimme belegte ich mit einem Schweigegebot.

Bei dem Kühlschrank habe ich am falschen Ende gespart. Das ahnte ich damals und weiß ich heute. Oberflächlich betrachtet schien es die richtige Entscheidung, den billigsten (und dabei ist 'billig' wirklich sehr relativ) und kleinsten Kühlschrank zu kaufen, den es in dem Altwarengeschäft am Rande des Suks (=Bazar) in der Altstadt gab. Der Verkäufer hatte mir von vorneherein abgeraten. 'Ja, er funktioniert' und das sirrende Geräusch hatte er großzügig mit ein paar Tropfen Öl aus dem Ölkännchen behoben. Dennoch könne er mir nicht zu dem Gerät raten. Ich versuchte nachzuhaken, die Argumente zu verstehen. Es sei ein kleiner Kühlschrank, nicht mehr neu. Hier der andere sei viel größer, neuer, besser. - Ich führte an, daß ich nur ein Einpersonenhaushalt sei und das Gerät nur für einige wenige Monate bräuchte. - Ich versuchte im Gegenzug, den Preis zu reduzieren, aber der Alte blieb stur: '3400 syrische Pfund, und keine Lira weniger'.

Ungerechnet 70 US Dollar für einen abgewracktes Kleingerät, das nach den Regeln der internationalen Buchführung längst abgeschrieben war!

'Das Angebot regelt die Nachfrage! Die wenigen Bürokühlschränke (das ist der Terminus technicus für Kühlschranke, die deutlich kleiner als die supervoluminösen Großfamilienkühlaggregate sind, die eine übliche syrische Großfamilie benutzt.) erzielen hohe Preise auf dem Markt, selbst die gebrauchten', konterte er.  Es war in der Tat schwierig, einen in unserem deutschen Sinne normalgroßen sogenannten Bürokühlschrank zu kaufen. Der Markt wurde von riesigen Kühlungetümen beherrscht. - Ich konnte mich nicht entscheiden. Der andere Kühlschrank, ebenfalls gebraucht, war hochformatig, neuer - ganz gewiß, aber auch TEURER, mehr als fünftausend Pfund wollte er dafür haben.

Mein Begleiter, ein Taxifahrer, den ich in der Hoffnung, gleich ein Gerät zu kaufen und nach Hause zu bringen, mitgenommen hatte, unterstützte mich zwar bei den Verhandlungen (mit ähnlich wenig Erfolg), intervenierte aber damit, daß ich doch besser ein ganz neues Gerät in einem richtigen Laden, der dann auch die Garantie übernehmen würde, kaufen sollte. Und schwups hatte er mich drei Kilometer weiter in einen richtigen Shop gebracht, der alle möglichen Giganten zu saftigen Preisen anbot, aber keine handlichen 'Bürokühlschränke'.  Ich drückte dem Taxifahrer ein Entgelt in die Hand und verließ den Shop wortlos.

Als ich am folgenden Tag den nächsten Versuch startete, den Kauf des Kühlschranks anzugehen, war der kleinere Kühlschrank bei dem Gebrauchtwarenhändler am Suk in der Altstadt zwar noch da, nicht aber der hochkantige, den mir der Alte gestern als bessere Alternative angepriesen hatte. - Ich kam ins Grübeln, wog die Vor- und Nachteile ab, schaute mich bei anderen Gebrauchtwarenhändlern und Neuwarengeschäften in der näheren Umgebung um. Es half nichts, es gab keinen preislich günstigeren. Ich zahlte wehmütig 3300 Pfund, am Ende war es mir doch noch gelungen, das Stück um 100 Pfund herunterzuhandeln, aber das war nur ein kleiner Balsamtropfen. Ein Kleintransporterfahrer half mir, das Gerät zu meiner neuen Wohnung nach Rukn'e Din zu schaffen, wo ich von nun an leben sollte.

In dem Viertel, das sich in der Nähe meiner Arbeitsstätte, des Ibn Al Nafis Krankenhauskomplexes, von den Hügeln her nach unten ins Damaszener Tal ergießt, wohnen vorwiegend Kurden, so heißt es jedenfalls. Manchmal nahm ich auf dem Nachhauseweg Gesprächsfetzen auf, die so völlig anders als Arabisch klangen, das mußte Kurdisch sein.

Über meine neuen Nachbarn konnte ich nur Gutes berichten. Positiv wurde ich von dem Angebot eines Passanten überrascht, uns beim Abladen und Hinauftragen des Kühlschranks in die Wohnung zu helfen. Das war mir in Mazaken Berzah, meinem bisherigen Wohnsitz, noch nicht passiert. Noch überraschter war, daß besagter Passant sich weigerte, Geld für seine Dienste anzunehmen. 'Er sei mein Nachbar', sagte er, zeigte auf ein Haus schräg gegenüber, und ließ sich auch unter meinen heftigen Protesten keinen Geldschein zustecken.

Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal in Rukn'e Din, und dabei wirkte (und war auch sicher) Rukn'e Din viel ärmlicher und schmuddeliger als die anderen Viertel im Umkreis.

Hassan, der Sohn der Vermieterin, rief am Freitagnachmittag an, zwei Tage nach dem letzten Gespräch. Er habe mich schon gestern abend vergeblich versucht anzurufen, weil er aber keine Einheiten mehr auf dem Handy hatte, hatte er es nur anklingeln lassen und dann kam er zum Inhaltlichen des Anrufes: Seine Mutter habe nichts dagegen, wenn ich noch solange in der Wohnung bliebe, bis ich eine andere Wohnung gefunden hätte. Es sei ja so schwierig heutzutage, eine gute Wohnung zu finden...

Ich fragte mich, was der wahre Anlaß seines Anrufes war. War das ein Signal des Kleinbeigebens? 'Zu spät', dachte ich und erwiderte laut 'Kein Problem', wobei ich versuchte meine Stimme so freudig wie möglich klingen zu lassen. 'Ich habe bereits eine andere Wohnung gefunden und bin gerade beim Umzug.'

Hassan's Schweigen verriet ein nicht unerhebliches Maß an Überraschung.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2010
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
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