Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 9:
Zwei Hochzeiten und keine Bombe

Frühling 2008

Ich kam gerade mit einer Teekanne voll heißen Wassers vorbei (allerdings noch ohne die Teebeutel, die in meiner Schreibtischschublade bereitlagen), als ich vor meiner Bürotür auf Ghania und Tila stieß, die sich lebhaft unterhielten.  Zwangsläufig wurde ich – mit heißer Teekanne – Zeugin einer Unterhaltung, deren Hauptthema Tilas Verlobung war.

Daß sich Ghania und Tila so freundschaftlich unterhielten, wäre vielleicht als solches schon eine Erwähnung wert, denn eine gute Arbeitsatmosphäre gilt in Syrien nicht als gott- (verzeihung) allahgegeben. Aber da ich grundsätzlich nicht über meine Arbeit schreibe, hätte ein Schnack zwischen zwei Arbeitkolleginnen sicherlich keinen Eingang in die Syriengeschichten gefunden.

Tilas Verlobung allerdings hatte nun ganz und gar nichts mit der Arbeit zu tun, und war zudem ein außerordentliches Ereignis, das geradezu prädestiniert für eine Syriengeschichte war.

Ich hielt also immer noch meine heiße Teekanne in den Händen, als ich von der Nachricht, und das aus erster Hand, erfuhr. Irgendwie schaffte ich es, trotz der Kanne, meine besten Glückwünsche auszudrücken, Tila an mein Herz zu drücken und ihr alles, alles Gute zu wünschen.

Was die Nachricht so erstaunlich machte, waren verschieden Aspekte. Zum einen war Tila eine sehr energische Frau, die den Eindruck machte, daß sie wußte, was sie wollte, und wo der Hase lang lief. Tila hat Wirtschaftswissenschaften an der Uni Damaskus studiert, und von daher eher materialistisch orientiert. Ihr Vater und die Brüder sind Ärzte und Zahnärzte, allesamt gut etabliert (bis auf das jüngste Schaf der Familie, das – Verzeihung - DER beschlossen hatte, kein Arzt zu werden, das Studium abbrach, sich eine Frau nahm und die Landwirtschaft des Großvaters auf dem Dorf weiterbetrieb. Aber in jeder Familie gibt es Ausreißer).

Tila hat ein freundliches, vollmundiges Gesicht, große, rehbraune Augen und lange, ebenfalls braune Haare, an die ich mich noch dunkel erinnere, bevor sie Ende 2006 plötzlich aus religiösen Gründen unter einem Kopftuch verschwanden. Warum sie allerdings dann Make-up benutzt, ist mir nicht ganz klar, aber möglicherweise hat der Prophet Make-up nicht ausdrücklich verboten. Wohl auch nicht die netten paillettenbestickten Jeansjacken und -röcke, die Tila so gerne in letzter Zeit trug. Ich teilte nicht unbedingt Tilas Geschmack, mußte ihr jedoch zugestehen, daß sie sich stets abwechslungsreich kleidete: mal elegant, mal traditionell, mal Jeans, mal ein farbiges Kunstfaserkostüm. Sie sah immer ganz pfiffig aus. Sie hätte es sicherlich etwas einfacher gehabt, wenn ihre Figur nicht ganz so mollig gewesen wäre. Ein klitzte-klein-wenig zu mollig. Aber welche von uns Frauen ist davon nicht betroffen? Kämpfen wir nicht alle mit den Pfunden?! Eigentlich paßten die paar Pfund extra ganz gut zu ihr, unterstützten ein wenig die ...

Ich versuchte mir vorzustellen, welcher Typ Mann ihr Verlobter war... Tila erzählte, wie sie zu diesem unverhofften Glück gekommen war: Vor ein paar Wochen erhielt sie den Anruf eines weitläufigen Verwandten (wenn ich recht verstanden habe, handelt es sich bei dem jungen Mann um den jüngsten Cousin ihres Vaters), der ihr aus heiterem Himmel seine Liebe erklärte. – Tila wußte den Anruf nicht recht einzuordnen und entschied, daß es das beste sei, auf die rote Taste ihres Handys zu drücken.... Damit wäre die romantische Geschichte vermutlich zu Ende gewesen, noch ehe sie recht begonnen hatte. Zum Glück nutzte Tila die mit dem Tastendruck gewonnene Pause, um tief durchzuatmen und nachzudenken. – Handelte es sich bei dem Anruf um einen dieser Scherzkekse, die junge Frauen manchmal unanständige Angebote machten oder war es tatsächlich ihr Großcousin? Und wenn, was um Himmels willen wollte er von ihr? Eine Liebeserklärung – wenn ernst gemeint – macht man doch nicht übers Handy! Da hätte es in den letzten 15 Jahren bei einem der größeren Familienfeste günstigere Gelegenheiten gegeben.

Tila wäre nicht Tila, wenn sie nicht doch nach ein paar Minuten zu dem Entschluß gekommen wäre, die Rückruftaste zu betätigen. Ein gesunder Mix aus weiblicher Neugier und rationaler Abwägung drängte sie, herauszufinden, was es mit dem unerwarteten Anruf auf sich hatte. Der junge Mann war wohl schon etwas nervös geworden ob der plötzlichen Trennung des Telefonates und hatte möglicherweise schon das Aus seiner Heiratsabsichten befürchtet. Schlagfertig erklärte Tila, daß sie gerade Opfer eines Funklochs geworden sei.

Ghania und ich lauschten aufmerksam, was Tila weiter erzählte. Zu Tilas großer Überraschung eröffnete ihr der zukünftige Verlobte, daß er schon vor vielen Jahren ein Auge auf sie geworfen hatte, jedoch nie gewagt hatte, um ihre Hand anzuhalten. Vielleicht aus Angst vor Tilas Vater, von dem bekannt war, wie sehr er die Tochter liebte und wie kritisch er jeden Heiratskandidaten beäugen würde. Vielleicht aus der Überlegung heraus, erst einmal eine ausreichende finanzielle Grundlage zu schaffen, um in den Ehestand zu treten. Offenbar spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß der nunmehr nicht mehr ganz so junge Mann als einziger Sohn nach dem Tod des Vaters für die Mutter zu sorgen hatte. Wie dem auch sei ... Tilas Großcousin hatte die vielen Jahre gut genutzt und genügend Wohlstand angesammelt, um sich und seiner zukünftigen Frau ein angemessenes Leben ermöglichen zu können.

Ghania und ich freuten uns für Tila. – Sie müsse sich, sagte Tila, erst noch an den Gedanken gewöhnen. Eigentlich kenne sie ihren Großcousin gar nicht soooo gut. Er sei aber so von seinen großen Gefühlen zu ihr überzeugt, daß sie sich inzwischen davon hat einfangen lassen. – Tila grinste.

In den darauf folgenden Monaten mußte die Hochzeit der beiden immer wieder verschoben werden, weil gerade jemand entweder aus Tilas weitläufiger Familie oder der ihres Verlobten das Zeitliche gesegnet hatte. Man kann schlechterdings keine Trauerfeier mit Hochzeitsfeierlichkeiten verbinden. Erst als Tilas Großmutter versprach, mit ihrem Dahinscheiden noch etwas zu warten, konnte das Ereignis angegangen werden.

Die Hochzeit erfolgte im Juli 2008. Leider war ich gerade in Deutschland. Tila hatte jeden eingeladen, auch Peter, der damals noch am Zentrum unterrichtete. Als ich ihn später fragte, warum er nicht zu den Hochzeitsfeierlichkeiten, die auf dem Lande stattfanden, hingefahren sei, erzählte er mir, daß ihm die syrischen Kollegen davon abgeraten hatten. Es sei in Syrien üblich, daß man alle Kollegen einlud. Das gebiete der Anstand. Der Anstand gebiete aber dem Eingeladenen, NICHT an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilzunehmen. Schließlich handele es sich um eine sehr familiäre Angelegenheit, deren Kosten ins Unermeßliche stiegen, würden alle Arbeitskolleginnen und –kollegen seitens Bräutigam und Braut erscheinen.

Ich fand das zwar einerseits sehr logisch, anderseits aber auch verwirrend. Alles in allem war ich froh, daß mir die Entscheidung durch meine Abwesenheit in Deutschland abgenommen worden war. – Schade. Ich hätte so gerne mal eine Hochzeit in Syrien erlebt. Hochzeiten waren im Jemen immer ein zentrales Ereignis und DIE Gelegenheit schlechthin.

März 2009

Anfang März 2009 war es denn endlich soweit: meine erste Hochzeit in Syrien. Die glückliche hieß Dina, unsere junge, rehäugige Sekretärin.

Mich traf die Nachricht völlig unverhofft, da Dina und ich uns noch einige Monate zuvor darüber unterhalten hatten, wie schwer es sei, den geeigneten Mann zu finden (damals hatte sie mit keinem Sterbenswörtchen einen Verlobten erwähnt). Ich stand gerade im Projektbüro und kopierte, als Dina überraschend eintraf (sie hatte sich ein paar Tage Urlaub genommen). Dinas unschuldige und frische Art war immer Anlaß für ein Stimmungshoch. Man brauchte sie nur anzusehen und schon stellte sich gute Laune ein.

‚Das trifft sich gut, daß ich dich hier treffe’, sagte sie lächelnd. ‚Ich war unten in deinem Büro- und habe dir eine Einladung auf dem Schreibtisch hinterlassen.’  ‚Und ich dachte schon, Dir ist es in Deinem Urlaub so langweilig geworden, daß Du vorzeitig zurück an Deinen Arbeitsplatz wolltest...’, scherzte ich und irgendwo war ich tatsächlich der inneren Überzeugung, daß sich Dina jetzt bestimmt gleich an ihren Schreibtisch setzen würde.

‚Oh, nein. Ich habe soviel zu tun mit den Vorbereitungen. Ich bin auch nur hierher gekommen, um die Einladungen zu verteilen’ meinte Dina. Erst da bemerkte ich den nunmehr zum zweiten Mal geäußerten Hinweis auf die EINLADUNG. ‚Ja was den für eine Einladung?’ fragte ich ehrlich erstaunt. ‚Ich heirate nächste Woche!’ – Ich würde gerne wissen, was für ein Gesicht ich in diesem Moment gemacht habe... Doch mehr als meine herzlichen Glückwünsche auszurichten, schaffte ich nicht. Dina nahm sie entgegen, mitsamt meiner Umarmung, und war dann auch schon weg, ... Einladungen verteilen.

Die Hochzeit sollte binnen einer Woche stattfinden, und zwar im Hochzeitspalast direkt neben dem Nationaltheater. Die englischsprachige Einladung – es gab auch eine arabische – wies einen Begriff ‚Registration’ aus, den ich nicht recht zu deuten wußte, daneben stand eine Telefonnummer. Was es damit auf sich hatte, erfuhr erst über einen Umweg. Zwei Tage vor der Hochzeitsfeier fiel mir ein, daß ich noch kein Geschenk hatte. Da Dina seit dem Treffen in der vorangegangen Woche nicht mehr ins Büro- gekommen war, blieb mir nichts anders übrig, als sie anzurufen. „Was wünschst Du Dir zur Hochzeit?“ fragte ich zögernd. Dina stutzte. Ich versuchte ihr mein Anliegen verständlich zu machen, hatte aber meine Schwierigkeit, nicht zuletzt weil die Handyverbindung schlecht war. Aus ihrer Antwort erfuhr ich, daß die Einladungskarte die Adresse eines Geschäfts einhielt. Aber wirklich verstand ich den Hinweis nicht, da ich auf meiner Einladung keine solche Adresse gefunden hatte. Vielleicht war die nur auf der arabischen Einladung abgedruckt...

Um Dina nicht weiter von ihren Hochzeitsvorbereitungen abzuhalten, entschloß ich mich, Rat bei meinen Kollegen zu suchen. Aus dem Gespräch mit unserem somalischen (= arabischsprachigen) Teamleiter und dem syrischen Projektassistenten erfuhr ich schließlich, was es mit der Registration auf sich hatte. Es handelte sich um ein Geschäft, dessen Name ich schon wieder vergessen habe, das die Geldbeträge (=) Geschenke der Gäste entgegennahm, die Namen der Schenkenden und des jeweiligen Hochzeitspaares sowie den Betrag auf einem Quittungsblock notierte. Der Schenkende erhielt die Kopie des Eintrags als Beleg der Einzahlung und das Hochzeitspaar das Original inklusive des Geldbetrages. ‚Habt Ihr den Nachsatz auf der Einladung gelesen’ fragte unser Teamleiter. Ich stutzte. ‚Die stand nur auf der arabischen Einladung: Für Blumendekoration ist ausreichend gesorgt.’ Da mußte ich lächeln. Ein Wink mit dem Zaunpfahl (d.h. bitte von anderen als Geldgeschenken Abstand nehmen!)...

Ich brauchte eine Weile, ehe ich das Geschäft gefunden hatte. Exakte Adreßangaben sind in Syrien genauso unbekannt wie im Jemen. Lediglich größere Strassen haben einen allgemein bekannten Namen, der wird dann üblicherweise als Orientierung für alle abzweigenden Seiten, und Seitenseitengassen benutzt. Hausnummern – wenn denn überhaupt vorhanden – haben keinerlei Bedeutung. Unser Teamleiter hatte mir den Tipp gegeben, dem Taxifahrer Assafara albabawija als Zusatz zum Stadtteil ‚Malki’ zu nennen, der auf der Einladung verzeichnet war. Ich stutzte. Assafara bedeutete: Botschaft. – Aber welches Land verbarg sich zum Teufel hinter der Bezeichnung babawija. – Seine Antwort überraschte mich. „auch der Vatikan unterhält Botschaften...“ - Bei der safara babawija handelte es sich also um die päpstliche Botschaft (der Papst – italienisch papa -  heißt im arabischen baba – da es den Buchstaben P nicht gibt.) An den Papst hatte ich weiß Gott nicht gedacht.

Die päpstliche Botschaft erwies sich als Geheimtip, so geheim, daß der Taxifahrer leider nichts damit anzufangen wußte. Das heißt, als ich beim Einsteigen mein Sprüchlein aufsagte, er tat erst so, als wüßte er...Als wir dann aber näher kamen, hielt er bei zwei Polizisten an, um die zu fragen. Derweil versuchte ich, das Geschäft anzurufen, um die genaue Wegbeschreibung zu erhalten. Aber die Leitung war ständig besetzt. Nach einigem Hin- und Herirren und nach der Versicherung des Taxifahrers, daß die Botschaft nach Angaben der Polizisten ganz vorne in DER Strasse sein müsse, verließ ich das Taxi und machte mich selbst auf die Suche. Ein paar Mädels, die demonstrativ amerikanisches Englisch sprachen, kamen des Weges und nahmen mich unter ihre Fittiche - nachdem eine jede zuvor in eine andere Richtung gezeigt hatte (weil man schließlich das Geschäft von der einen oder anderen Seite erreichen könne). Ich fand das Geschäft schließlich dank ihrer Hilfe, und in dem Geschäft fand ich Ali, den Projektassistenten, der gerade seinen Beitrag einzahlte. Was ich nicht fand, war so etwas wie ein Hochzeitstisch mit Geschenken oder so etwas wie ein reichhaltiges Angebot an Waren. Das Dekor war modern, das angebotenen Waren ein paar elektrische oder elektronische Geräte wie Fernseher oder wie man heute sagt flatscreen. – Ich fragte mich, was sich wohl Dina und ihr zukünftiger Ehemann aussuchen würden.

Ich fand mich entsprechend der Einladung um 20.30 h bei den Hochzeitsfeierlichkeiten im Hochzeitspalast ein. Nach einigem Suchen – d.h. bei zwei anderen Hochzeitsgesellschaften - hatte ich den richtigen Hochzeitssaal gefunden. Der Saal hatte sich schon reichlich gefüllt. An zwei der unzähligen runden Tische saßen vertraute Gesichter. Der Saal war festlich hergerichtet, Hochzeitsgäste, vor allem Gästinnen..., hatten sich schick gemacht. So schick, daß ich kaum mithalten konnte. Leider hatte ich mein klassisches Outfit für Hochzeiten, das ich im Jemen so oft und sinnvoll einsetzen konnte, Ende 2008 nach Deutschland geschafft, weil ich nicht mehr mit einem Einsatz in Syrien gerechnet hatte.

Während wir auf die Braut warteten, unterhielt ich mich mit meinen Tischgenossen über die Hochzeitsbräuche hier in Syrien. Ich erzählte von meinen Erfahrungen mit jemenitischen Hochzeiten. Für meine vergleichenden Studien erntete ich das Naserümpfen meines syrischen Gesprächspartners, des Gatten meiner Kollegin Ghania. – Die Botschaft war klar: wie konnte ich bloß das mittelalterliche Jemen mit dem hochzivilisierten Syrien vergleichen! - Darauf hin wagte ich nur noch ab und an, ein paar Fragen zu den Hochzeitsritualien in Syrien ins Gespräch einzuflechten. Bemerkungen zum Jemen verkniff ich mir (ganz ehrlich fand ich die Hochzeitsfeierlichkeiten, die eigens und ausschließlich für die Frauen im Jemen organisiert waren, viel abend– wenn auch nicht magenfüllender).

Einige Zeit später hörte ich, daß gemischte (d.h. Männer und Frauen gemeinsam) Hochzeitsfeiern auch in Syrien nicht der Normalfall waren... Im weiteren Verlauf des Wartens auf die Braut spannte eine Unterhaltung zwischen meinen internationalen Kurzzeitkollegen und meiner syrischen Kollegen Ghania über arrangierte Hochzeiten in Syrien. – Als Ghania in Anwesenheit ihres Ehegatten erzählte, daß auch ihre Hochzeit arrangiert war, empfand ich eine gewisse Beklemmung. Natürlich kannte ich die Geschichte. Ghania hatte den wesentlich älteren Mahmoud auf Wunsch ihres Vaters geheiratet. Daraus machte sie keinen Hehl. Ihr Gatte schwieg derweil betreten. – Ich versuchte das Thema zu wechseln und fragte nach der Braut und der Uhrzeit. Es war bereits 22.30 h und noch immer kein Zeichen vom Brautpaar. Das wäre an und für sich kein Problem gewesen, wenn es da nicht das Junktim zwischen dem Erscheinen des Brautpaars und dem Auftragen des Essens gegeben hätte.

Zu unserer großen Freude erschien das Brautpaar dann doch noch vor Mitternacht. Es wurde Musik abgespielt, abwechselnd keltische und arabische. Ein professionelles Tanzpaar führte einige Gesellschaftstänze vor, was – wie mir später Dina erklärte – nicht zum typischen Hochzeitsablauf gehörte. Das Brautpaar gesellte sich dazu, küßte sich in aller Öffentlichkeit, was uns allen das Herz rührte. Nach einer Weile wurde zu unserer Übergrossen Freude das Essen aufgetragen, reichlich und gut, wie auch ich als Vegetarier eingestehen mußte. Wir machten viele Photos von der Braut, dem Brautpaar, den Hochzeitsgästen, der Dekoration, dem gigantischen Hochzeitskuchen... (bis meine Batterie, das heißt die meines Photoapparates aufgab). Im Laufe des Abends und der Nacht lernten wir Dinas Familie kennen, ihre sehr apart aussehende aus Rumänien stammende Mutter, die zu meiner übergrossen Überraschung kaum Arabisch sprach, Dinas nette, etwas mollige Schwester, den schlanken jüngeren Bruder mit dem pfiffigen Haarschnitt. Ich hielt bis eine halbe Stunde nach Mitternacht durch, bis ich mich des Drangs, mich in die Horizontale zu begeben, nicht mehr erwehren konnte.

Alles in allem war der Abend sehr nett gewesen. Ein prächtiges Hochzeitpaar! Die Flitterwochen würden die beiden sicherlich verliebt und überglücklich in Kanada verbringen, waren meine letzten Gedanken vor dem Einschlafen. - Eine nette Vorstellung, die sich allerdings in den nächsten Tagen als falsch herausstellen sollte.

Aufgrund einer eingehenden E-mail erkannte ich ein paar Tage später, daß Dina wieder im Büro sein mußte. Sofort griff ich zum Telefonhörer. ‚Was machst Du auf der Arbeit? Bist Du denn nicht in Kanada?’ Kanada war die zweite Heimat ihres (ansonsten) syrischen Ehemannes. Traurig erzählte mir Dina am Telefon, daß sie kein Visa erhalten hatte und deshalb ihr frischgebackener Ehemann einstweilen ohne sie nach Kanada aufgebrochen sei, um dort die nächsten Monate allein zu verbringen. Wie mir Dina erklärte, hatte sie beim Visumsantrag auch ihren zweiten rumänischen Paß angegeben, was bei der kanadischen Botschaft offensichtlich den Verdacht erregt hatte, sie wolle nach Kanada übersiedeln und nicht nur für einige Wochen einreisen. ‚Sag mir, wo sich die Botschaft befindet’, sagte ich aufmunternd, ‚oder komm mit, dann werfen wir gemeinsam die Bombe auf die Botschaft!’... Ich sah Dina durchs Telefon lächeln. ‚Ja, ich hoffe, daß es doch mit dem Visum klappt. Laß uns noch ein bißchen mit der Bombe warten.’

Die Hochzeit war im März 2009, inzwischen ist es Ende April. Noch immer kein Visum in Sicht. Ob ich mich vielleicht schon mal im Internet nach B-Bauplänen umschauen soll? Zu dumm aber auch, daß ich Pazifist bin...

Nächster Teil
Zurück zur Übersicht
Andere Reiseberichte lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2009
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
Impressum