Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 8:
Victoria und das Hammam

Es war 14 Uhr, Donnerstagnachmittag, als Victoria sich selbstbewußt ihren Weg von ihrem Unterrichtsraum in mein Büro bahnte. Victoria kam, um mir ihren Vorschlag für eine gemeinsame Aktivität am Wochenende zu unterbreiten. Unterbreiten ist im Zusammenhang mit Victoria ein allzu vager und darum nicht ganz zutreffender Ausdruck. Wenn Victoria einen Vorschlag unterbreitete, dann erwartete sie, daß man diesen freudenstrahlend, ja vielleicht sogar mit einer gewissen Dankbarkeit annahm. Allein das hatte mich das eine oder andere Mal bewogen, nach einem Ausweg zu suchen, um der Vorschlagunterbreitung präventiv zu entgehen, das heißt, ich hatte in den letzten Wochen versucht, Victoria nicht allzu häufig über den Weg zu laufen. Begünstigt wurde dies durch den Umstand, daß Victoria zwischen 9 Uhr morgens und 2 Uhr nachmittags unterrichtete. Nachteilig wirkte sich hingegen aus, daß der Unterricht zwei Räume weiter von meinem Büro in Richtung Treppenhaus stattfand und Victoria die Tür immer offen ließ.

Offen ließ, ist vielleicht ein zu milder Begriff. Victoria beharrte darauf, daß die Tür offen blieb. Ein Fakt, der bei den Einsitzerinnen der sich in Hörweite befindenden Nachbarzimmer keinerlei freudige, sondern eine genervte Erregung auslöste. Victorias südländisches Naturell, ihre lebhafte, südländisch ‚akzentuierte’ Aussprache, die weibliche Tonlage und was auch immer sonst noch eine Rolle spielte, führte dazu, daß wir Victorias Vorlesungen auch dann noch, wenn auch nicht im Wortlaut, mithören mußten, wenn wir unsere Türen - was nicht der Policy des Zentrums entsprach - geschlossen hielten. Es schien kein Entrinnen zu geben. Mehrere Versuche, über die syrische Leiterin des Unterrichtsprogramms bzw. über die junge syrische Kollegin, die dem Unterricht als Assistentin beiwohnte, die Tür unauffällig schließen zu lassen, scheiterten an Victoria, die die Tür postwendend wieder öffnete.

Etwa zwei Wochen harrten wir bereits aus. Und nun kam Victoria, um mir ihren Vorschlag fürs Wochenende zu unterbreiten. Ich versuchte mir blitzschnell etwas einfallen zu lassen. Unaufschiebbare Vorbereitungen für die nächste Woche? Vielleicht eine sich anbahnende Erkältung? Eine bereits bestehende Einladung, die ich nicht mehr rückgängig machen konnte? Hm.

Während ich noch überlegte, entfaltete Victoria bereits einen Zettel, auf dem die Adresse eines Hammams eingetragen war. – Hm. Es hätte in diesem Moment kaum einen anderen Vorschlag geben können, dem ich nicht eine der gerade ersonnenen Ausreden entgegengesetzt hätte. Aber Hammam. Ich seufzte tief innerlich. Ich hatte schon immer einmal ins Hammam gehen wollte. Damals im Jemen bereits. Aber allein traute ich mich nicht. Das mag idiotisch klingen. Ich habe keine Angst, mich vor eine Horde wildfremder Menschen hinzustellen und einen Vortrag über ein Thema zu halten, das ich vielleicht selbst nur aus der Fachliteratur kenne. Ich habe keine Angst, mich in exotische Länder wie den Jemen oder Syrien zu begeben, um dort zu leben und zu arbeiten. Aber ich habe Angst, mich allein in ein türkisches Bad aufzumachen und mich dort vor einer mir völlig unbekannten Frauenriege zu blamieren.

Ich hatte schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, ihn aber immer wieder verworfen. Wenn doch bloß eine andere, möglichst syrische Frau mitgegangen wäre. Aber meine Kolleginnen lag der Gedanke, in ein öffentliches Hammam zu gehen, fern. Wozu? Die modernen Wohnungen verfügten alle über ein Badezimmer (ebenfalls Hammam genannt), das die Zwecke der körperlichen bzw. intimen Reinigung genauso, wenn nicht sogar weitaus besser – d.h. ohne Zuschauer, befriedigte. Daß das Hammam eine Art Kulturgut war, das es galt für die Zukunft zu bewahren, oder eine Art Treffpunkt und Kommunikationsplattform – waren abstrakte Überlegungen, die wahrscheinlich nur einer verbildeten bzw. verklärten westlichen Europäerin in den Sinn kamen. Aber ich war eben nicht nur die verklärte Westeuropäerin, sondern in mir schlummerte die Sehnsucht nach der russischen Banja und der estnischen (bitte jetzt keine Einwendungen, daß es finnische heißen müßte) Sauna. So war ich die letzten zwei Jahre regelmäßig in den Health Club des Shampalast Hotels gegangen, um die dortige Trockensauna aufsuchen.

Victoria, die nun schon zwei Wochen in Syrien weilte, hatte mich am letzten Wochenende dorthin eingeladen – wie sie betonte. Wir hatten uns Freitag um 11 Uhr vormittags oben an der Rezeption des Health Clubs verabredet. Als ich eintraf, war von Victoria keine Spur. Ich bezahlte schon mal. Denn ich war mir sicher, daß Victoria sich mit ihrer Verspätung bloß vor der explizit mir gegenüber ausgesprochenen "Einladung" drücken wollte. Mittlerweile kannte ich Victorias Geiz, der völlig im Einklang mit dem Fach lag, das sie unterrichtete: Gesundheitsökonomie, genauer gesagt ‚economic evaluation’. Während ich bezahlte, erwähnte ich der Rezeptionsdame gegenüber, daß noch meine Bekannte käme. „Oh, die ist schon seit einer Weile unten im Saunabereich“ bekam ich als Antwort zu hören. Im ersten Moment war ich verdattert, hatten wir uns doch ausdrücklich um 11 Uhr OBEN an der REZEPTION verabredet.

Wen wundert es, daß ich eine Woche später bei Victorias Vorschlag fürs Wochenende eigentlich absagen wollte, wenn nicht der Wunsch, einmal ins Hammam zu gehen, in mir  überwogen hätte. „Was soll’s“, sagte ich mir. „Ich werde die Kröte schlucken. Hauptsache, ins Hammam zu kommen!“

Samstagmorgen machte ich mich eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit per Taxi auf zum Bab Tuma. Das war der im Osten der Damaszener Altstadt gelegene Stadtteil, der mit dem Stadttor (= Bab) Tuma an den Straßenring grenzte, der im Norden zum vergleichweisen Stadtgebiet Mazaken Berzah führte, wo ich in einem der in den wahrscheinlich 80ger Jahren errichteten Plattenbauten wohnte (Musbaq Sanae = Fertigbau). Der Verkehr war nicht sehr dicht am Samstagmorgen, so daß ich bereits zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit an dem vereinbarten Ort stand. Wir hatten ausdrücklich VOR dem Eingang festgelegt. – Diesmal schien ich Victoria zuvorgekommen zu sein. Um die Zeit totzuschlagen, schlenderte ich die Zufahrtsstraße auf und ab, um mich immer wieder vor dem Eingang zu vergewissern, daß ich Victoria nicht gar verpaßt hatte. Gegen fünf vor elf blieb ich dann endgültig vor dem Eingang stehen. Nach einigen Minuten des Wartens, nahm ich plötzlich – unlokalisierbar für mich – meinen Namen - ausgerufen in typischen Victoriaakzent - wahr. Ich schaute mich nach drei möglichen Gassenrichtungen um, bis ich mich dann an die vor dem Eingang sitzenden drei älteren Männer wandte, die mir zwar nicht mit der Lokalisation der Stimme helfen konnten, aber aufmunternd meinten, ich sollte doch einfach ins Hammam reingehen und dort nach meiner Bekannten Ausschau halten. Nachdem ich mich endgültig versichert hatte, daß die Stimme weder aus der südlichen noch der östlichen oder westlichen Richtung kamen, in die die Gassen vor dem Hammam einbogen, begab ich mich zögerlich ins Hammam. Dort stieß ich auf eine halbausgezogene Victoria, die mir ohne irgendeine Erklärung für ihr Vorhandensein IM Gebäude anstatt VOR dem Gebäude abzugeben, sprudelnd und selbstsicher in der ihr eigenen Art berichtete, daß es im Augenblick keinen Strom gebe, der eigentliche Eingang ins Hammam hinter folgender Tür läge, der Eintritt ins Hammam so und so viel koste, man zusätzlich Massage und Abrubbeln gegen entsprechende Gebühren in Anspruch nehmen könne... Ich staunte nicht schlecht, denn Victoria sprach kein Wort Arabisch, und die Hammamhüterinnen doch wohl kaum Spanisch oder nur wenig Englisch.

Nachdem ich mein erstes Staunen über Victorias Informationsschwall überwunden hatte, machte ich meinem Ärger Luft (eigentlich hatte ich mich zurückhalten wollen, als Victoria sich aber zu keinerlei Entschuldigung veranlaßt sah, sondern sich als die Überlegenere hinstellte, konnte ich nicht anders): „wir hatten uns für 11 Uhr VOR dem Gebäude verabredet. Nicht vorher, und nicht IM Gebauede. Ich habe draußen nach dir Ausschau gehalten und komme mir reichlich dumm vor.“

Was ich zu sagen hatte, schien sie kein bißchen zu bewegen, geschweige denn von ihrem Redeschwall abzuhalten. Sie wischte mit einer ausladenden Gestik meine Bemerkungen vom Tisch und sagte großzügig: „Kein Problem, jetzt haben wir uns hier getroffen.“ Da platze mir dann doch die Hutschnur: „Ob das ein Problem ist oder nicht, ist nicht deine Entscheidung. Im übrigen scheint mir dein Verhalten Ausdruck deiner Einstellung gegenüber deinen Mitmenschen im allgemeinen zu sein.“

Sie reagierte nicht mit Worten, sondern ließ mich durch ihren Gesichtsdruck wissen, daß sie meine Reaktion auf ihr Verhalten als völlig daneben betrachtete. – Ich schwor mir, daß das die letzte gemeinsame Wochenendaktion sein würde (und dabei blieb es trotz späterer Versuche Victorias mich zu einer Wochenendfahrt nach Palmyra zu bewegen. – Wahrscheinlich suchte sie jemanden, der die Kosten für ihr Hotelzimmer mittragen würde.). Zum anderen wollte ich mir meinen Hammambesuch von Victoria nicht verderben lassen. Schließlich hatte ich sie auch nur benutzt.

Ich zahlte die 200 syrischen Pfund für den Hammambesuch sowie 50 weitere syrische Pfund für die Massage. Später hörte ich Victoria zu Heather, einer Neuseeländerin, die wir im Hammam trafen, sagen, daß das doch ein stolzer Preis sei, den sich vielleicht nicht alle Syrer leisten konnten. Ich hielt den Mund und schmunzelte. Insgehein war mir klar, daß Victoria bloß von ihrer eigenen Geldbörse sprach, der 4 Dollar fürs Hammam und der weitere Dollar für die Massage schon zuviel des Guten war.

Das es ausgerechnet bei meinem ersten Besuch im Hammam die Elektrizität im Stadtviertel und damit auch der Dampf im Hammam ausgefallen war, trübte die Stimmung nur leicht. – Ausgefallen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ausgefallen hat etwas von Zufälligkeit. Die Stromausfälle in den vergangenen Wochen bzw. Monaten in Damaskus waren dagegen kein Zufall. Sie waren von Seiten des öffentlichen Versorgungsunternehmens selbst eingeleitet angesichts der begrenzten Stromkapazitäten. Lediglich auf Seiten der Bevölkerung gab es den Überraschungseffekt, d.h. daß es gerade jetzt DEN Stadtteil traf, in dem man sich befand. In dieser Hinsicht waren die Stromausfälle während meines Aufenthaltes in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa weitaus berechenbarer gewesen. Dort konnte man sich auf Zeit und Ort des Stromausfalls besser einstellen, ja sogar ‚gewöhnen’. In Damaskus konnte es hingegen heute diesen, morgen jenen Stadtbezirk treffen, heute acht Uhr morgens, übermorgen sieben Uhr abends. Nichts zum Sich-darauf-einstellen, aber in beiden Fällen nichts „Außergewöhnliches“.

Während wir also gemeinsam im Dampfraum des Hammam saßen, der aber gerade kein Dampf führte und an – gefühlter - Wärme zu verlieren schien, ließen wir uns von Heather in die Besonderheiten des syrischen Hammams einführen. Gelegentlich unterbrochen von zwei Syrerinnen, mit denen wir in einer Mischung aus gebrochenem Arabisch und gebrochenem Syrisch kommunizierten. Heather hatte ein paar Kurse an der Uni in Arabisch absolviert, kam immer wieder für ein paar Wochen oder Monate nach Syrien im Rahmen des Praktikums für ihre Postgraduiertenausbildung im Bereich internationaler Beziehungen und Entwicklungszusammenarbeit.

Ab und an schaute eine der Beschäftigten des Hammams bei uns vorbei, um auf unsere Anfrage zu verkünden, daß es entweder „noch eine halbe Stunde“ (das war aber schon beim Bezahlen des Eintritts die Parole der Kassiererin gewesen) oder später „fünf Minuten“ dauern würde. Was sollten sie denn auch sagen. Keiner wußte so genau, für wie lange der Strom wegblieb. Meist für eine Stunde, manchmal aber auch nur für eine halbe oder dann doch für anderthalb. Wie sollte man das ausländischen Hammambesucherinnen verklickern, die sich auch nach mehreren Monaten oder gar Jahren noch nicht ausreichend „sozialisiert’ oder „akklimatisiert“ hatten. Ein halbe Stunde hörte sich gut an, damit jemand nicht gleich beim Eintritt, d.h. noch vor der Bezahlung, weglief. Fünf Minuten hörte sich hervorragend an, damit sich jemand IM HAMMAM selbst noch in ein wenig Geduld üben würde.

Irgendwann, es war deutlich mehr als eine Stunde vergangen, kam der Strom und nach einer weiteren Weile auch der Dampf. In der Zwischenzeit hatte Victoria bereits ausführliche Studien im Hammam unternommen. Sie wies mich auf die Körperfülle der anwesenden (einheimischen) Damen hin, einen Umstand, den sie auf mangelnde Fitneßbetätigung, ungesunde, zu fetthaltige Ernährung zurückführte, die sie wiederum den frühen Schwangerschaften, der eigenen Vernachlässigung der Damen bzw. der Vernachlässigung durch die Ehemänner zuschrieb. Trotz Victorias augenscheinlichen wissenschaftlichen Interesses kam es mir so vor, als wolle sie bloß von mir für ihre eigene gute Figur gelobt werden. In der Tat sah Victoria, insbesondere für ihr Alter (sie ist ein paar Jahre älter als ich), sehr gut aus. Ihre schwarzen Locken hatten durchaus Schick, und ihr natürlicher, ja kindlicher Charme machten sie trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer geringen Körpergröße zu einer einprägsamen Gestalt. – Ich hielt mich mit Bemerkungen meinerseits zurück. Erst im Nachhinein fiel mir auf, daß Victoria die Bemerkungen zur Körperfülle der einheimischen Damen NICHT in Gegenwart von Heather gemacht hatte, die im Vergleich zu Victoria und mir durchaus mit ihren Pfunden wuchern konnte (sie hatte vier Kinder geboren und aufgezogen, wogegen Victoria und ich beide kinderlos waren). Immerhin hatte Victoria in dieser Hinsicht Takt bewiesen. Dann bestand ja doch noch ein bißchen Hoffnung. – Zweifel daran (ob noch Hoffnung bestünde) kamen später in mir auf, als Victoria mich beim Verlassen des Hammam fragte, ob ich denn nicht beobachtet hätte, wie sich die eine Frau ihre Haare „...“ (diesen Teil lasse ich dann doch besser im Detail für die Leser unerwähnt) rasiert und die andere ihre Haare „...“ (gleicher Bereich. Ebenfalls der Selbstzensur zum Opfer gefallen...) rot mit Henna gefärbt hatte. Nein, ICH hatte diese Beobachtungen NICHT gemacht, da ich viel zu sehr mit meiner eigenen Körper- und Kopfhaarwäsche beschäftigt gewesen war.

Während Victoria und ich im Dampfraum inzwischen schwitzten, war Heather beim Abrubbeln, einem Service, auf den ich gut und gerne verzichten konnte. Ich hatte davon in meinem Syrienreiseführer gelesen. Da wird einem mit einem Rubbelhandschuh und konzentrierter Seifenlauge so lange die Haut gerubbelt, bis sie in schwarzen Röllchen abpellt (Peeling, wie es wohl auf Neudeutsch heißen würde).

Victoria und ich waren zum Abkühlen und Abwaschen aus dem Dampfraum in den benachbarten Raum mit den verschiedenen, auf dem Boden aufsitzenden Marmorwaschbecken gegangen und konnten beobachten, wie eine der Hammambediensteten Heather maltraitierte. Dabei machten die umstehenden (oder sollte ich sagen „hockenden“ oder sitzenden) Damen Spaß und wollten auch mich dazu bewegen, mir die Behandlung angedeihen zu lassen. Allen beharrlichen Überzeugungsversuchen gegenüber blieb ich standhaft. Zur Verstärkung verlieh ich meiner Abneigung gegenüber dieser Methode der Körperreinigung mit eindeutiger Mimik und Gestik Ausdruck. „Ana achaf“, sagte ich, „ich habe Angst!“ und schüttelte mich demonstrativ vor Angst und Schauder, meiner Haut verlustig zu gehen.

Das griff Hamda, die Masseuse, später auf, als ich bei ihr auf der Liege lag. Scherzend fragte sie: „willst Du nicht doch, daß ich dich abrubbele?“ Klar, daß sie bloß ein weiteres Mal meine mimische und gestikulierende Reaktion sehen wollte. Ich tat ihr den Gefallen und schüttelte mich vor Angst und lächelte breit dazu. ‚Lesch?“ fragte sie mit einem ebenso strahlenden Lächeln, wobei sie die unschuldig Fragende spielte. – Das Spiel wiederholte sich noch einige weitere Male bei diesem Hammambesuch wie bei meinen weiteren Hammanbesuchen, bis dann schließlich die Masseuse wechselte. – Immerhin brachte mir meine unverwechselbare Körpersprache bei meinen nächsten Besuchen bereits beim Eintritt eine fröhliche Begrüßung durch die Hammamdamen ein.

Zugegeben, ich habe auch ein bißchen nachgeholfen, indem ich eine Fünfzig-Syrische-Pfund-Note als Trinkgeld beim Abschied hinterließ (und seitdem eigentlich immer regelmäßig hinterlasse.) Beim ersten Mal sagte ich noch zur Kassiererin am Ein/Ausgang, daß das Geld für die Masseuse gedacht sei. Beim zweiten Mal wollte ich es dann in die Sammelbox für Trinkgelder geben, die auf ihrem Tisch steht, was ich beim dritten Mal auch tatsächlich tat, nachdem beim zweiten Mal ich gar nicht erst dazugekommen war (die Kassiererin hatte es mir schon aus der Hand genommen und in ihre Schublade gelegt). Danach habe ich nicht mehr gewagt zu fragen, wie bzw. ob das Trinkgeld aufgeteilt wird. Es gibt Dinge, da fragt man besser nicht nach.

In der Zwischenzeit bin ich zu einer regelmäßigen Besucherin geworden. Neben dem Al Bakri Hammam nahe dem Bab Tuma, hat Heather mich in das Ammouna Hammam, ebenfalls in der Altstadt von Damaskus, eingeführt.

Am darauffolgenden Wochenende hatten Heather und ich mich eigentlich für das Bab Tuma verabredet. Victoria hatte ich nicht eingeladen, hatte ihr aber davon erzählt (als sie mir am Donnerstag eine gemeinsame Wochenendbeschäftigung vorschlagen wollte), daß ich mit Heather dort verabredet hatte. Sie wollte es sich noch überlegen und mich per Handy kontaktieren.

Sicherheitshalber schaltete ich das Handy aus und verpaßte darum Heathers SMS, in der sie vorschlug, in ein anderes Hammam zu gehen. So war ich beim zweiten Hammambesuch ganz auf mich gestellt, was ich genoß. Es war mir ja bloß darum gegangen, beim ersten Mal nicht gleich alles falsch zu machen. Jetzt wußte ich, wie der Ablauf war und wie weit frau sich ausziehen kann. Frohen Mutes schlenderte ich nach vollendetem zweiten Hammambesuch durch die Gasse in Richtung Ommayyaden-Moschee zum anderen Teil der Altstadt. Jetzt erst schaltete ich mein Handy an, das ich beim Eintritt ins Hammam in Verwahrung gegeben hatte. Ich las Heathers Vorschlag, in ein anderes Hammam zu gehen, den ich damit aber eindeutig zu spät las. Zu blöd, dachte ich, daß ich wegen Victoria das Handy am Morgen ausgeschaltet hatte, sonst hätte mich Heathers Nachricht noch rechtzeitig erreicht und wir hätten zusammen in das andere Hammam gehen können, das sie als luxuriöser beschrieben hatte. – Na, dann beim nächsten Mal, dachte ich (und tatsächlich verabredeten wir uns fürs nächste Mal erfolgreich im Ammouna.) Dann las ich die nächste SMS, die ich am Morgen verpaßt hatte. Es war eine Mitteilung von Victoria, die meinte, sie wolle nicht ins Hammam, wir könnten uns aber nach 14 Uhr vor dem Hammam treffen. – Ich schaute auf mein Handy. Es war kurz vor 14 Uhr. „Uff“, sagte ich zu mir selbst, „Da hast Du ja noch mal Glück gehabt. Ein paar Minuten später, und Du wärst vielleicht Victoria vor dem Hammam begegnet.“

Na, dann nichts wie weg! Erleichtert, ja etwas beschwingt ging ich der Ommayyaden-Moschee entgegen, mir einen Weg durch das dichte Gewühl in der Gasse bahnend, und wäre um ein Haar mit Victoria zusammengestoßen, die aus der Richtung der Ommayyaden-Moschee kam (aus dieser Richtung hätte ich sie allerdings überhaupt nicht vermutet. Wenn sie den normalen Weg – wie ich vorher – mit dem Taxi gekommen wäre... Aber vielleicht wollte sie ja den einen oder zwei Dollar Taxigebühr sparen und war einige Kilometer zu Fuß gekommen.). Ich sah sie etwa drei Meter vor mir auf mich zukommen und machte geistesgegenwärtig einen Satz zur rechten Gassenseite. Für einen Moment dachte ich, sie müßte mich gesehen haben und nun eine Erklärung für meinen seltsamen „Seitensprung“ verlangen. Aber sie ging schnurstracks an mir vorbei: zwei Meter von mir entfernt und vier Sekunden später.

Sie schien so mit sich selbst beschäftigt, daß sie mich nicht wahrnahm – oder wenn sie mich wahrgenommen hatte, dann ließ sie es nicht erkennen.

Ich schaute ihr nach und machte mich davon ... und hatte dabei beinahe ein schlechtes Gewissen.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2009
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
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