Bernhard
Peter
Ausflug
zuden Ruinenstädten
Toprak Kala, Qizil Kala und Ajaz Kala
Wie verabredet ist Bahadir pünktlich zur Stelle, ein Schrank von einem Mann und in seiner ganzen Gestalt und seinem Auftreten ein Garant für Verläßlichkeit. Wir starten in Richtung Urgentch, vorbei an blühenden Dörfern und weitläufigen Plantagen, dominierend die niedrigwüchsigen Baumwollplantagen in Blüte, die Blütenfarbe zwischen gelb und rot. hier wird die Baumwolle einjährig angebaut, den extremen Winter würde die empfindliche Pflanze nicht überleben. Im letzten Winter war es hier bis 30°C, auf dem Amudarya eine meterdicke Eisschicht. Deshalb werden im Spätherbst die Samen genommen, und im nächsten Frühjahr beginnt man wieder mit neuen Pflänzchen. Kreuz und quer ziehen sich die Be- und Entwässerungskanäle durch das Land, erstere höher, letztere tiefer, erstere die letzteren in dicken verschraubten Rohren überbrückend. Das Problem ist der hohe Salzgehalt des Bodens, Baumwolle gedeiht nur unter 0.3 % Salzgehalt, und die Böden müssen häufig erst längere Zeit gewaschen werden, ehe der Salzgehalt soweit reduziert ist, daß der Anbau gelingt. Die kleinste Störung im System verursacht die Bildung von Salzpfannen, in der Mitte weiße Krusten in der Senke, außenherum totes Gelände, und erst weiter außen wachsen erste mickrige Baumwollpflanzen. Über den Amudarya führt eine Pontonbrücke aus Eisenplatten, wie ein Flickenteppich ausgewalzt von schweren LKWs und wieder mit neuen Platten zugeschweißt, wenig vertrauenswürdiges Flickwerk, auf das ständig neue Platten geschweißt werden, während der Verkehr im Schritt-Tempo über die vielen Kanten und Mulden rumpelt, und mittendrin ist ein Teil offen, wo schon wieder neue Platten aufgeschweißt werden. Gut 500 m ist hier der Amudarya breit, ein mächtiger Strom, der aber schon 150 km weiter zu einem kleinen Rinnsal wird, das den Aralsee nicht mehr erreichen wird, nur in Jahren mit außergewöhnlich hohem Wasseraufkommen. Am Horizont der sich unendlich dehnenden Ebene werden kahle Berge sichtbar, die das Ende der bewässerten Flußoase und den knallharten Übergang in trockenste Steppe bzw. Wüste markieren.
Toprak
Kala
Inmitten dieser fruchtbaren
Bewässerungsoase erhebt sich Toprak Kala, von weitem wie eine
überdimensionale Sandburg aussehend, und in der Tat ist sie das
auch. Erst beim Näherkommen werden die wahren Ausmaße sichtbar.
Hier verlief einst der Oxus (Amudarya) anders, so daß hier eine
der fruchtbarsten und am dichtesten besiedelten Oasen war; die
Gegend hieß deswegen auch 50 Städte. Nur, als der
Oxus seinen Lauf änderte, wozu bei dem flachen Land schon wenig
Sediment genügte, war es aus mit den blühenden Landschaften.
Heute ist, wo nicht künstlich bewässert wird, glühende Steppe
mit stacheligem Gestrüpp. Gut 25 m hoch sind die Ruinen der
Königsburg. Was erst wie eine verwitterte Sandburg aussieht,
erhält beim Hinaufsteigen Struktur: Alle Erdhügel
bestehen aus luftgetrockneten Ziegeln, relativ groß und dick.
Gemauerte Gewölbe sind so verwittert, daß sie aussehen, als
wären die tonnengewölbten Kammern in eine Lößwand gegraben.
Aber alles ist gemauert, nur die Oberfläche ist im Laufe der
Zeit zusammengewachsen und ausgewaschen. Insgesamt handelt es
sich um eine gigantische rechteckige Anlage, mit großen
Höhenunterschieden. Von ganz oben erst sieht man richtig die
geraden Umfassungsmauern mit ihren regelmäßigen Verdickungen,
zerfallenen Bastionen. Dort, wo sich einst die rechteckigen
Wohneinheiten befanden, ist heute salziges Sumpfland und
Gestrüpp. In der Mitte erkennt man schwach eine zentrale
Struktur. Die Hauptsache aber ist die einstige Königsburg, hoch
über der Stadt, eingerahmt von drei gigantischen Türmen
oder besser Komplexen mit vielen Gängen und Kammern, heute zu
einer gerundeten gesichtslosen Masse verwaschen. Dennoch sind die
Überreste ncoh sehr beeindruckend. Dazwischen auf dem
künstlichen Hochplateau muß sich der eigentliche ehemalige
Palast befunden haben; ein paar Mauern wurden rekonstruiert.
Zwischen Nord-Turm und NW-Turm gähnt ein tiefes viereckiges
Loch, südlich des N-Turmes ebenfalls. Zwischen NW- und S-Turm
sind die Wohnstrukturen am besten nachzuvollziehen. Die Räume
sind z. T. bis zum Deckenansatz erhalten, andere wiederum nur als
Grundmauern. Niedrige Durchgänge führen durch ein oben offenes
Raum-Labyrinth, gebückt kommt man von einem Raum zum nächsten
und steht vor immer wieder neuen ausgewaschenen Wänden, von
denen die wenigsten noch Spuren einer schmückenden Behandlung
zeigen, außer einigen Räumen, die konzentrische bzw.
kreisförmige Vertiefungen in den Wänden in regelmäßiger
Abfolge haben. Insgesamt ist die Anlage ca. 350 x 500 m groß,
wobei sich die Königsburg mit ihren drei massiven Strukturen wie
ein Felsrücken (in Wirklichkeit aber gemauert) in der NW-Ecke
erstreckt. Die umlaufenden Mauern mit ihren Bastionen sind zu ca.
5-10 m hohen Wällen zerfallen. Der Palast selbst steht auf einem
ca. 20 m hohen Sockel und erhebt sich darüber noch einmal um ca.
10-15 m, die gesamte umliegende flache Landschaft überragend. Im
Zentrum befindet sich die Halle der Könige, ein sehr großer
Raum von ca. 280 Quadratmeter, früher wohl der repräsentativste
Raum der ganzen Anlage. Von den Gipfeln des verfallenen
Ziegelgebirges schweift der Blick weit in die flache Landschaft
mit ihren Bewässerungskulturen und bis hin zu weiteren in der
Landschaft verstreuten alten Siedlungshügeln.
Qizil
Kala
Ein besonders markantes
weiteres Beispiel für jene alten städtischen Strukturen ist
Qisil Kala, in Sichtweite von Toprak Kala gelegen. Kala bedeutet
Festung, Fort, befestigte Stadt, Qisil (oder Kisil) beschreibt
die Farbe Rot, wie auch die angrenzende Wüste Qisilkum heißt,
roter Sand. Inmitten der von Bewässerungskanälen durchzogenen
landwirtschaftlich intensiv genutzten Ebene liegt ein massiver
rötlicher Block, der als altes Militärlager gedeutet wird. Der
Grundriß ist ganz grob ein Quadrat, wobei an drei Seiten eine
rechteckige Baueinheit mittig vorspringt, was dem Block eine
gestufte Umrißlinie verleiht. Die vierte Seite ist gerade, ohne
Vorsprünge. Es fehlt im Vergleich zu Toprak Kala die Stadt
außen herum, was in Kombination mit dem äußerst wehrhaften,
relativ hohen Bau und den charakteristischen langen und schmalen
aus jeweils zwei parallelen und zwei einander zugeneigten Ziegeln
gebildeten Schießscharten in regelmäßigen Abständen an der
oberen Mauer die Interpretation als Militärlager stützt. Die
Baugeschichte verlief offenbar in mehreren Phasen, denn das
Mauerwerk ist mehrschichtig. Besonders gut sieht man das an den
Ecken. Prinzipiell ist der untere Teil der Mauer angeschrägt,
erst ab ca. 2/3 der Gesamthöhe verläuft die Mauer senkrecht
nach oben. Der Zahn der Zeit, Wind und die seltenen Regenfälle
haben insbesondere in Bodennähe für Auswaschungen und Verfall
gesorgt, sodaß das Bauwerk reihum unten etwas gekehlt aussieht.
An den Ecken, die alle bis auf eine beschädigt sind, sieht man,
daß nachträglich von außen eine zusätzliche
Verstärkungsschicht aufgebracht wurde. Eine einzige Ecke ist
noch ganz, hier sind die nachträglichen geböschten
Eckverstärkungen besonders gut zu erkennen. Ein besonderes
Detail im Mauerverbund der oben umlaufenden Wehrmauer sind
senkrechte Streifen, in denen die Ziegel senkrecht stehen,
anscheinend paarweise auftretend und der Verstärkung im Verbund
dienend. Oben auf der Fläche sind kaum Strukturen, die sich für
den Nichtarchäologen rekonstruieren lassen. Unzählige
Tonscherben, ansonsten Sand und Dornensträucher und unzählige
Mulden über eingefallenen Räumen. Der Block selbst ist
heutzutage nur noch von Vögeln bewohnt, und dafür bietet er
ideale Nistgelegenheiten für Höhlenbrüter aller Art in dem
weichen Mauerwerk aus luftgetrockneten Ziegeln, besser als jede
natürliche Lößwand. Bunte Bienenfresser auf den bröseligen
Mauerstümpfen und Wiedehopfe auf dem sandigen Boden zwischen
dornigem Gebüsch und stumpf blickenden Kühen sind hier ein
alltägliches Bild neben vielen anderen Vogelarten.
Ajaz
Kala
Ajaz Kala ist eine weitere
Stadt aus vormongolischer Zeit, die sich radikal von den beiden
vorher beschriebenen unterscheidet. Zum einen liegt sie nicht
mehr in der Ebene, sondern auf einem Bergrücken, dann handelt es
sich um eine doppelte Anlage, einer großen rechteckigen Stadt
auf dem Berg und einer ovalen Festung auf einem
flachkegelförmigen Vorberg. Jetzt ist auch endgültig Schluß
mit Oase, mit Bewässerung, mit Grün und Blüten. Die Ebene wird
erst zur endlosen Steppe mit wenigen dornigen Xerophyten und viel
Geröll und Sand, dann geht es hoch in die ersten Berge, das
Gebiet wird noch trockener, noch wüstenhafter, uns streckenweise
stapft man über reine Geröllhalden oder durch Sandflächen.
Überdimensional wirkende gelb verblichene tote und wie gedörrte
Skelette wirkende Apiaceen-Stengel zwischen Dornsträuchern sind
das einzige bißchen Vegetation. Gelber bis rötlicher Sand
bestimmt hier die Steppe, so weit das Auge reicht, die
Bergkegel-Hänge haben rötliche und schwärzliche Tönungen wie
von Schlacken oder Eisensalzen. Auf den Bergen vor einem die
alten Siedlungen im Doppelpack, auf dem flachen Kegel liegt die
massive Burg wie ein Deckel, darunter befindet sich ein altes
verfallenes Gehöft, und hoch oben auf der Hügelkette liegt die
eigentliche befestigte Stadt Ajaz Kala. Durch losen Sand,
Gestrüpp und dann auch über Felshalden geht der Weg hinauf. Von
oben bietet sich ein dramatischer Blick, zum einen über die
endlos scheinende vegetationsarme Ebene, deren wahre Dimensionen
und Weite man kaum richtig messen kann und in deren Eintönigkeit
das Muster ihrer gelblichen und rötlichen Farbschattierungen
hervorsticht, bis irgendwo ganz weit hinten die bewässerten
Gebiete beginnen, zum anderen in Richtung Nordwesten auf kahle
Hügel und wüste Berge, aber der schönste und verlockendste
Blick ist der nach Osten auf den See Ajazkul. Hier ist ein
modernes Jurtencamp für Touristen errichtet, diverse Stilbrüche
wie die Lehmverkleidung und die fest installierten Zusatzbauten
lassen jede Hoffnung auf authentisches Nomadenleben wieder in
Vergessenheit geraten. Übersehen wir es also am Besten einfach.
Ich klettere den steilen Hang hinunter zu der kleineren Burg, die
den gesamten Gipfel des separaten Vorberges einnimmt, der ringsum
über und über von rötlichen und schwärzlichen Gesteinen
bedeckt ist. Die Anlage hat eine ovale Grundform mit einem
Mauerversatz an der NO-Seite und einem rechteckigen, an der
SW-Seite angebauten Eingangskomplex. Heute führt der Weg durch
eine enge Pforte in der SW-Wand, früher war der Hauptzugang wohl
eher über eine langgezogene Rampe, die in NW-Richtung zum
unbefestigten Gehöft in der Ebene führt und oben am Eingangsbau
von einem separaten turmartigen Mauervorsprung wie zu einem
Zwinger flankiert wird, wo heute eine große Bresche im
Mauerverbund ist. Sowohl der rechteckige Eingangsbau als auch der
ovale Hauptbau weisen innen kaum noch erkennbare und schon gar
nicht begehbare Räumlichkeiten auf, eine zentrale Vertiefung
jeweils in der Mitte läßt erahnen, daß hier einst mittlerweile
eingesunkene Gebäude jeweils einen Innenhof umschlossen haben
müßten. Die ehemaligen Wohnbauten sind alle in sich
zusammengesunken, man geht über die dolinenartig gewellte
Oberfläche der einstigen Gewölbe und blickt ab und zu mal in
ein Loch bzw. einen darunter liegenden Hohlraum, der noch nicht
vollständig von Material gefüllt ist. Mit jeweils zwei
senkrechten und zwei einander zugeneigten Ziegeln gemauerte
Schießscharten dienen der Verteidigung der gut gesicherten
Anlage.
Der schwerste Anstieg ist zurück wieder zur oberen Stadt. Die
von den Felsen zurückgeworfene Hitze ist gigantisch und schier
unerträglich, kein Lüftchen mildert die sich hier stauende
flimmernde Sommerhitze. Japsend greift man zur Wasserflasche in
der Tasche, aber 40 Grad heißes Mineralwasser ist auch nicht so
richtig der Hit. Große Heuschrecken gleiten raschelnd durch die
Luft. Unzählige Vögel sind das einzige, was man hört, ein
Wiedehopf kreuzt den Weg.
Die obere Anlage ist rechteckig und relativ groß. Die umlaufende
Mauer ist eine hohe, zweistöckige Doppelmauer, in der ein
gewölbter Gang zwischen den sich einander zuneigenden
Mauerschalen verläuft, beide Teilmauern abstützend und zugleich
Raum zum Wohnen und Lagern bietend. Oben auf dem gewölbten Gang
verläuft der Wehrgang mit seinen Schießscharten. Dieses System
ist stabiler als eine einzelne Mauer und nicht so anfällig gegen
Verfall. Die Doppelmauer ist reihum außen durch kleine Bastionen
verstärkt, die aber nicht die Höhe der Mauerkrone erreichen. Im
Südwesten des großen Rechtecks ist eine kleinere, ca.
quadratische Vorburg angebaut, die den sich nach SO öffnenden
Haupteingang deckte. Auch in dieser Vorburg ist die
doppelschalige Verteidigungsmauer mit innen liegendem
Gewölbegang gut zu sehen. Die Mauer flankiert die Torbresche auf
beiden seiten der Öffnung noch ein paar Meter nach außen. Innen
ist das Gelände leer, Sand, Scherben, gedörrte Gräser. Ringsum
ist die unwirtlichste Steppe, die man sich vorstellen kann
wie Skelette wirken die dicken, markigen, gelblich gebleichten
Apiaceen-Samenstände, grüne Stachelsträucher, extreme
Xerophyten, und dazwischen loser Sand oder Geröll. Kaum zu
glauben, wie dieses Land von den Klimaextremen im Laufe eines
Jahreszyklus gebeutelt wird.
Text - Toprak Kala -
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