Bernhard
Peter
Ishrat
Khane - eher Palast als Mausoleum
Ein
spättimuridisches Mausoleum
Eines der ehemals schönsten
Bauwerke aus der späten Zeit der Timuriden in Samarqand ist das
Mausoleum Ishrat-Khane (auch Israt Chan, Ischrat-Hana o.ä.) in
der südöstlichen Altstadt. Als Bauzeit gilt 1460-1464 AD.
Begonnen wurde das Mausoleum von der ältesten Gemahlin Abu Saids
(ein Urenkel Timurs aus der Linie Miranshah, geb. 1424, Herrscher
1451-1469 in Transoxanien, West-Turkestan und Afghanistan,
1459-1469 Herrscher auch in Khorasân) namens Habiba Sultan
Begum, und zwar für eine frühverstorbene Tochter. 1464 wurde
eine Stiftung (Waqf) zum Unterhalt eingerichtet. Besagte Tochter
war die erste Dame, die hier bestattet wurde, aber nicht die
letzte, denn der opulente Grabbau blieb als letzte Ruhestätte
für die weiblichen Mitglieder der Timuridendynastie bis zur
Machtübernahme durch die Shaibaniden in Verwendung. Ein
beeindruckendes Monument, von der Ausstattung eines der
opulentesten Gräber, mit seiner hohen Außenkuppel ein markanter
Bau, hat das Mausoleum den Lauf der Zeit fast unversehrt
überstanden, bis es 1903 ein Erdbeben fast restlos zerstörte.
Die hohe Kuppel stürzte in sich zusammen, sämtliche Gewölbe
wurden ruiniert. Und doch läßt sich aus den heutigen traurigen
Trümmern das ursprüngliche Gebäude gut rekonstruieren,
maßgeblich sind die Arbeiten von G. A. Pugatschenkowa. Der Name
ganz ungewöhnlich für ein Grabmal bedeutet
Haus des Vergnügens. Vielleicht spiegelt der Name
wider, daß die kostbare Ausstattung des Gebäudes eher an ein
Lustschloß denn an Tod und Vergänglichkeit denken ließ.
Ein
architektonisches Kleinod
Das Gebäude ist über
rechteckigem Grundriß angelegt und mißt 25 m x 20 m. Ein tiefer
rechteckiger Iwan im Südwesten wird von einem hohen und
schlanken Pishtaq gerahmt. Von den drei Öffnungen des Iwans
führt die große in der Mitte in den quadratischen Hauptraum des
Grabmals, der durch rechteckige Seitennischen zur Kreuzform
aufgeweitet wird. Eine flache Kuppel ruht auf einem komplexen
Unterbau aus Bögen und Zwickeln. Die Kuppel ist vom Durchmesser
her kleiner als die Seitenlänge des zentralen Quadrates. Sie
wurde nicht einfach auf ein Oktogon über vier Trompen gesetzt,
sondern auf zwei sich überschneidende Bogenpaare, die ein
freitragendes kleineres Quadrat in der Höhe bilden, das durch
Zwickel erst zum Achteck und dann zum Sechzehneck als Kuppelbasis
ausgeformt wird, und auf dieser erst erhebt sich die Kuppel. Die
vielen Zwickel zwischen den Bögen wurden mit schildförmigen
Konkav-Elementen verschlossen. Diese Art der Gewölbe geht auf
Qavan-ud-Din zurück. Gemessen an dem äußeren Tambour sind die
Decken relativ niedrig, der hohe Tambour mit der zwiebelförmigen
Außenkuppel ist nur eine Scheinarchitektur, der innen keine
erlebbare Raumhöhe gegenübersteht. Dieser kreuzförmige Raum
ist das Ziarat-Khane, der Raum zum Gedenken und für funerale
Riten. Die eigentlichen Gräber befinden sich in der Krypta, der
Zugang zu derselben erfolgt vermittels einer Treppe, die im
Südostteil des Gebäudes beginnt. Ein schräger Luftschacht
sorgt von der gegenüberliegenden Seite für Frischluft in der
Krypta. Dieser Teil beherbergt das sog. Miyan Khane, den
dreiteiligen Mittelraum, zu dem auch der
Südosteingang führt. Eigentlich bezeichnet man damit in der
Architektur des traditionellen iranischen Hauses den
Übergangsbereich zwischen Männerwohnung und Frauenbereich,
zwischen Selamlik und Haram. Hier in der Grabarchitektur ist der
Mittelraum ebenfalls ein Übergangsbereich, der zwischen der Welt
der Lebenden und der der Toten. In der persischen
Grab-Architektur waren solche Miyan Khane unbekannt, in der
Moghul-Architektur Indiens wurden sie später Standard.
Der in der Abb. linke Teil des Gebäudes beherbergt eine Moschee mit Mihrab nach Südwesten. Mit Obergaden reicht der Raum bis ins Obergeschoß. Das ganze Grabmal ist damit genau nach Mekka ausgerichtet.
Vier Wendeltreppen verbinden die beiden Stockwerke. Das Bauwerk enthält im Erdgeschoß noch zwei weitere Räume rechts und links des Pishtaqs und im Obergeschoß fünf (je einer rechts und links des Pishtaqs, drei über dem Miyan Khane), deren Funktion nicht bekannt ist. Da das Gebäude mit einer Stiftung ausgestattet war, kann man spekulieren, daß hier Unterkünfte für Verwalter, heilige Männer, reisende Derwische o. ä. waren.
Die Gestaltung der Außenwände ist eher schlicht, der warme Ziegelton herrscht vor. Im Innern dagegen wurden alle Register gezogen: Marmor, Kundal, leuchtend glasierte Fliesen, goldene Ornamente, Malereien, Arabesken. Die Ausstattung war so reich, daß bisweilen angezweifelt wurde, daß es sich hier um ein Mausoleum handelte; die Vermutung, daß es eher ein Lustschloß oder ein Palast war, wurde durch die vielfältige und prächtige Ausschmückung genährt.
In der Rekonstruktion des Querschnittes werden typische spättimuridische Architektur-Elemente deutlich: Die Konstruktion aus Innen- und Außenkuppel, der Kontrast zwischen dem äußerst schlanken und hohen Tambour einerseits und dem breiten und flach netzartig überwölbtem Hauptraum, die gewölbetechnische Verkleinerung des Raumes durch sich überschneidende Spitzbogenpaare, der markante Pishtaq, der doppelt so hoch ist wie das restliche Gebäude, die Lage der Krypta mit den Gräbern unter dem eigentlichen Hauptraum, Treppe auf der einen Seite, Luftschacht auf der anderen.
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