Bernhard Peter
Tempel: Kyoto, Tenryu-ji (4), Garten


Der Zen-Garten (Sogenchi-teien) vom Typ des Chisen-kaiyu-shiki wurde von Muso Soseki (Muso Kokushi, 1275-1351) gestaltet, der auch der erste Abt des Klosters wurde. Er schuf auch noch andere berühmte Gartenanlagen wie den Moosgarten des Kokedera (= Saiho-ji) in Katsura (West-Kyoto) und die Gärten des Toji-in. Der Garten, der nach 700 Jahren immer noch der Anlage aus dem 14. Jh. entspricht, wird beherrscht von einem großen Teich (Sogen-chi) im Winkel zwischen zwei Hallen des Abtsquartiers. Der Teich erhielt seinen Namen, als Muso Soseki den Teich vertiefte und Schlamm aushob, beim Graben auf eine Stele mit der Inschrift "Sogen itteki" stieß, die Kurzform von "Sogen no itteki sui", was bedeutet, daß auch ein langsames stetiges Tropfen irgendwann einen großen Ozean bildet und als Gleichnis für das Bemühen des Zen darstellt. Der Garten ist einerseits dafür ausgelegt, daß man den Rundweg um den Teich nimmt und sich an den immer wechselnden Ausblicken, Perspektiven und Landschaftskompositionen erfreut. Andererseits führte Muso Soseki das damals neue Prinzip des kontemplativen Betrachtens ein. Das war ein Wandel in der ästhetischen Wahrnehmung, und die Öffnung der beiden großen Hallen zum Garten erlaubt das visuelle Eindringen, ohne den Garten selbst zu betreten. Die Arrangements sind so optimiert, daß man in sitzender Position von den Hallen bzw. Veranden aus den besten Blick auf die Komposition hat.

Der Teich besitzt reihum Steinsetzungen (Ishigumi) aus grob zugehauenen Felsen und am jenseitigen Ufer über den Ahornen und Kiefern am Ufer den sich die Hänge hochziehenden Wald als grandiose rückseitige Kulisse und als Abschluß des Gartens, so daß in der Höhengestaltung ebenfalls mehrere Ebenen übereinander folgen, bis hin zu den Bergen Kame-yama (wörtlich: Schildkröten-Berg), Ogura-yama (wörtlich: Schatten-Berg) und Arashi-yama (wörtlich: Sturm-Berg). Gerade das macht den Garten zu einem Musterbeispiel des Shakkei-Prinzips, der geborgten Landschaft. Dazu paßt, daß die nach der Nara-Zeit erbauten Tempel in Japan in der Regel einen Sango (Sangoo) bekamen, einen Bergnamen, der als Honorativpräfix benutzt wurde. Für den Tenryu-ji ist das "Reigizan", was ebenfalls einen Bezug zur Schildkröte und der Form des Berges Kameyama hat. Im Detail ist der Garten eine Meisterleistung der Gestaltung, und so wurde er zum Vorbild etlicher anderer Gärten, insbesondere der Trockenlandschafts-Gärten (Karesansui) der Muromachi-Zeit. Ein Farbholzschnitt überliefert sein Aussehen im 1799 veröffentlichten Miyako Rinsen Meisho Zue, eine Art Reiseführer zu den wichtigsten Gärten und Landschaften der Hauptstadt. Im rückwärtigen Bereich wurde jenseits des Sees ein Bergbach mit Drachentor-Wasserfall (Ryu-mon-no-taki, Ryu = Drache, mon = Tor, no = Zugehörigkeits-Partikel, taki = Wasserfall) trocken nachgebaut, dessen Felsen so gelegt sind, daß manche Steine an Karpfen erinnern, die den Wasserfall hochschwimmen, entsprechend einer Legende, daß der Karpfen, der das schafft und durch das Drachentor schwimmt, selbst zum Drachen wird. Im Zen-Buddhismus ist das ein Gleichnis für Erlangung von Erleuchtung und Buddhaschaft.

 

 


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps: https://www.google.de/maps/@35.0159498,135.6745727,18.75z - https://www.google.de/maps/@35.0156576,135.6736413,180m/data=!3m1!1e3
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http://www.tenryuji.com/en/ - Rundgang: http://www.tenryuji.com/en/precincts/index.html - Geschichte: http://www.tenryuji.com/en/about/index.html - Öffnungszeiten und Übersichtskarte: http://www.tenryuji.com/en/visit/index.html - Veranstaltungen: http://www.tenryuji.com/en/event/index.html
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10: 4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 254-257
Norris Brock Johnson: Tenryu-ji -Life and Spirit of a Kyoto Garden, 368 S., Verlag Stone Bridge Press 2012, ISBN-10: 1611720044, ISBN-13: 978-1611720044
John Dougill: Japan's World Heritage Sites - Unique Culture, Unique Nature, 192 S., Verlag: Tuttle Shokai Inc., 2014, ISBN-10: 4805312858, ISBN-13: 978-4805312858, S. 80-81
John Dougill, Takafumi Kawakami, John Einarsen: Zen Gardens and Temples of Kyoto, Tuttle Pub 2017, ISBN-10: 480531401X, ISBN-13: 978-4805314012, S. 100-103
Judith Clancy, Ben Simmons: Kyoto Gardens - Masterworks of the Japanese Gardener's Art, 144 S., Verlag: Tuttle Shokai Inc. 2015, ISBN-10: 4805313218, ISBN-13: 978-4805313213, S. 102-105
auf Discover Kyoto:
https://www.discoverkyoto.com/places-go/tenryu-ji /
auf Japanese Gardens:
http://www.japanesegardens.jp/gardens/famous/000020.php


Tenryu-ji (1), Haupttempel - Tenryu-ji (2), Haupttempel - Tenryu-ji (3), Subtempel - Tenryu-ji (5), Garten

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