Bernhard
Peter
Jantar
Mantar - astronomische Geräte Indiens, Teil 17:
Das Krantivritta Yantra in Jaipur
Wie ist das Instrument aufgebaut?
Auf einem steinernen Sockel
ist eine schräggestellte Steinscheibe angebracht, deren
Randskala in 60 Abschnitte zu je 1 Ghati eingeteilt ist. Jedes
Ghati ist in 6 und dann noch einmal in 3 Abschnitte unterteilt,
entsprechend 10 Palas und 1/3 Grad. In der Mitte der Scheibe ist
ein metallener Zapfen eingelassen, um den herum sich eine Einheit
aus zwei in einem Winkel von 23.5 Grad gegeneinander mit Streben
fixierten Metallscheiben drehen läßt. Der Übersichtlichkeit
wegen sind in den Zeichnungen die Verstrebungen weggelassen. Die
oberste Scheibe hat an beiden Seiten Handgriffe zum Drehen.
Leider ist das Instrument heute mit einem Vorhängeschloß vor
Spielkindern wie mir geschützt. Die Skaleneinteilung der 3.
Scheibe besteht aus 12 Abschnitten zu je 30° (1/2 Ghati), von
denen jeder Abschnitt erst in 5, dann in 6 und dann noch einmal
in 6 Abschnitte unterteilt ist, entsprechend einem Winkel von
6°, 1° und 10'.
Wie funktioniert das Instrument?
Dieses Instrument
repräsentiert zwei verschiedene Koordinatensysteme und ihre
jeweilige Stellung zueinander:
Das System der Äquatorialkoordinaten wird durch die 1. und die 2. Scheibe dargestellt, die unbewegliche steinerne und die drehbare metallene Äquatorialscheibe, sowie durch den Zapfen, um den sich die Metallscheiben drehen. Beide Scheiben liegen exakt in der Ebene des Himmelsäquators, der Zapfen und damit die Drehachse steht parallel zur Erdachse. Dieses Koordinatensystem wird von uns, die wir auf der Erde stehen, als unbeweglich empfunden.
Das System der ekliptikalen Koordinaten wird durch die 3. Scheibe dardestellt, die drehbare und schräggestellte metallene Scheibe. Die 3. Scheibe kann man durch Drehen der miteinander verbundenen 2. und 3. Scheibe um den Zapfen immer in die aktuelle Lage der Ekliptik bringen. Zur Erinnerung: Wenn man von der Erde aus die Position der Sonne auf die Himmelskugel projiziert, erhält man den Jahreskreis (Ekliptik). Er beschreibt den Weg der Sonne in Relation zu den Fixsternen, von der Erde aus betrachtet. Dieses Koordinatensystem wird von uns, die wir auf der Erde stehen, als um uns herum rotierend empfunden. Ein rotierendes Koordinatensystem ist für uns schwer zu begreifen, weil es ständig, auch im Laufe eines Tages, seine Position ändert. Seine Legitimation erhält es durch den Bezug auf Fixsterne, es ist damit absoluter als der Bezug auf unsere subjektive Lage im Raum.
Stellung von Jahreskreis und Himmelsäquator zueinander: Beide bilden einen Winkel von 23.5°, weil die Erdachse nicht senkrecht zur Umlaufbahn um die Sonne steht, sondern geneigt ist. Die Achse der Ekliptik steht senkrecht zur Ebene der Ekliptik, ihre Enden sind die Pole der Ekliptik. Von außen gesehen rotiert die Erde im Laufe eines Tages um ihre schräggestellte Achse. Von unserer Position auf der Erde aus drehen wir uns mit ihr und sehen ein Rotieren der Achse der Ekliptik um die Erdachse auf einer Art Kegelmantel.
Genau dies wird durch das Instrument nachvollzogen: Die 2. und die 3. Scheibe sind so durch Streben gegeneinander fixiert, daß beide einen Winkel von 23.5° bilden. Durch Drehen des Systems um den Zapfen kann das scheinbare Rotieren der Ekliptikachse um die Erdachse nachvollzogen werden. Die 3. Scheibe kann also gegenüber dem Horizont Winkel von 93.5° bis 140.5° einnehmen, entsprechend einer Lage der Ekliptikachse im tiefsten Punkt bei 3.5° und ihrem höchsten Punkt bei 50.5°, bezogen auf den Horizont von Jaipur.
Was leistet das Instrument, was
leistet es nicht?
Zuallererst ist das
Krantivritta Yantra eine hervorragende Visualisierung der
Himmelsmechanik. Das Verständnis der Zusammenhänge von
ekliptikalen und äquatorialen Koordinaten wird dadurch
wesentlich erleichtert. Die 3. Scheibe kann jederzeit in
Übersinstimmung mit der Lage der Ekliptik gebracht werden.
Als Meßinstrument liefert das Instrument aber nur bestimmte Werte: Das Krantivritta Yantra liefert in erster Linie Rektaszensionswerte und ekliptikale Längen (Longitude). Deklinationswerte und ekliptikale Breiten (Latitude) werden nicht erhalten. Der Abstand zwischen Himmelsäquator und Ekliptik, die momentane Differenz zwischen Deklination und ekliptikaler Breite kann aber über den Abstand der 2. zur 3. Scheibe bei der betreffenden Einstellung und beim betreffenden Winkel (Rektaszension bzw. Longitude) bestimmt werden.
Das Krantivritta Yantra kann zum Anpeilen beliebiger Himmelskörper benutzt werden, allerdings ist die Messung nur optimal für Himmelskörper, die sich in der Ebene des Himmelsäquators oder in der Ekliptik befinden. Die Daten anderer Himmelskörper erfordern zusätzliche Messungen an anderen Instrumenten und entsprechendes Umrechnen.
Man kann beispielsweise die Tierkreiszeichen suchen, die Scheiben drehen, bis die 3. Scheibe genau in der Ekliptik liegt, und dann Sterne anpeilen. Für die Sterne in der Ekliptik kann man Äquatorialkoordinaten ausrechnen, für Sterne in der Ebene des Himmelsäquators kann man ekliptikale Koordinaten ausrechnen.
Eine Besonderheit dieses Gerätes ist, daß es die kontinuierliche Messung erlaubt, im Gegensatz zu den 12 Rashi Valaya Yantras, die streng genommen nur diskontinuierlich richtige Werte liefern. Im Grunde ist dieses Instrument viel kleiner, aber leistungsfähiger als die gigantischen steinernen Konstruktionen, weil es bewegliche Teile enthält.
Ein Krantivritta ganz aus Metall
Ein analog gebautes
Instrument ganz aus Metall steht ebenfalls im Jantar Mantar von
Jaipur. Auf einem metallenen Gestell aus zwei verstrebten
Dreiecken ist ein analoges System von drei Scheiben montiert,
wobei die erste, feste Äquatorialscheibe mit Skalierung die
Achse besitzt, um die man die zwei anderen, miteinander
verstrebten Scheiben drehen kann, die zweite Scheibe ist eine
drehbare Äquatorialscheibe mit 4 kurzen Zeigern am Rand, die
dritte ist eine drehbare Ekliptikscheibe mit Skalierung. Für
dieses Instrument gilt genau das Gleiche wie oben beschrieben.
Die Deklination findet man auf der untersten Scheibe, die
Ekliptik auf der 3. Scheibe, und den Abstand zwischen beiden
Werten mißt man je nach Einstellung der drehbaren Elemente.
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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