Bernhard Peter
Jantar Mantar - astronomische Geräte Indiens, Teil 9:
Das Nari Valaya Yantra in Jaipur

Konstruktion des Instrumentes:
Im Unterschied zu gewohnten Sonnenuhren fallen beim Nari Valaya Yantra (Narivalaya Gola Yantra) - im folgenden vereinfachend ohne alle Stufen dargestellt - folgende Charakteristika ins Auge:

Betrachten wir die Ausrichtung noch einmal im größeren Zusammenhang:

Funktionsweise des Nari Valaya Yantra
Wenn wir eine Fläche parallel zum Breitengrad, aber senkrecht zur Erdoberfläche an unserem Standpunkt auf der Nordhalbkugel als Bezugspunkt nehmen, ist die Sonne im Laufe eines Jahres mehr jenseits dieser Fläche als diesseits. Ist die Ebene aber parallel zum Himmelsäquator und parallel zum Breitengrad, so steht die Sonne im Winterhalbjahr jenseits der Ebene, im Sommerhalbjahr aber diesseits der Ebene. Das heißt, daß jede der beiden Ziffernblätter nur ein halbes Jahr lang Licht bekommt, wir haben eine Winterscheibe für die Zeit vom 21. März bis zum 22. September für die Phase negativer Deklination und eine Sommerscheibe für die Zeit vom 22. September bis zum 21. März für die Phase positiver Deklination.

An den Tagundnachtgleichen, also zweimal im Jahr, am 21. März und am 21. September, beträgt die Deklination 0°, bewegt sich die Sonne genau entlang der Scheibenkanten parallel zum Himmelsäquator, haben wir theoretisch (s. u.) auf beiden Scheiben einen Schatten. Das liegt daran, daß die Sonne kein infinitesimal kleiner Punkt ist, sondern durch ihre eigene Ausdehnung (30 Bogenminuten im Himmel) in Relation zur Dicke der Doppelsonnenuhr an diesem Tag Licht an beiden Scheiben entlang streifen läßt.

An diesen Tagundnachtgleichen haben wir den längsten Schatten des Gnomons, weil das Licht ganz flach entlangstreift. Umgekehrt haben wir zur Wintersonnenwende den kürzesten Schatten auf der südlichen Scheibe und zur Sommersonnenwende den kürzesten Schatten auf der nördlichen Scheibe.

Während also der Winkel des Schattens dem Stand der Sonne im Laufe des Tages entspricht, entspricht die Länge des Schattens dem Stand der Sonne im Laufe eines Halbjahres. In Form konzentrischer Kreise kann man nun der Länge des Schattens die einzelnen Tierkreiszeichen zuordnen, in denen die Sonne jeweils steht.

Auf der Nordseite ist die Skala in 24 Segmente zu je 1 h eingeteilt, mit der 12 oben und unten sowie der 6 rechts und links. Jede Stunde ist erst in 2, dann weiter in 6 zu je 5 Minuten und noch weiter in 5 Abschnitte zu je 1 Minute unterteilt. Die Skala auf der Südseite folgt außen diesem Schema. Innen ist eine weitere Skalenscheibe graviert mit alternativer Einteilung in 30 Abschnitte, die 1 steht jeweils oben und unten, die 15 rechts und links, also erhalten wir 60 Abschnitte zu je 1 Ghati = 24 Minuten = 60 Palas. 1 Pala sind 24 Sekunden oder 6 Pranas. Daraus folgt, daß auf der äußeren Skalierung jedes Grad 10 Palas entspricht.

Was leistet das Nari Valaya Yantra nicht?
Die indischen Kalender beruhen auf dem Nirayana-Jahr: Dieses Sonnenjahr ist ein kompletter Umlauf der Erde um die Sonne, die Endposition ist gleich der Anfangsposition in Relation zu den Fixsternen. Ein Nirayana-Jahr dauert 365.2564 Tage und wird auch siderisches Jahr genannt. Den Verlauf dieses Jahres kann man anhand der Tierkreiszeichen beobachten. Die Beobachtung der Tagundnachtgleichen an dieser Sonnenuhr liefert eine andere Information, nämlich die über das Sayana-Jahr: Dieses Sonnenjahr ist das tropisches Jahr, der Zeitraum zwischen zwei Frühjahrsäquinoktien. Ein Sayana-Jahr ist etwas kürzer (20 Min 27 sec) als ein Nirayana-Jahr, das liegt an der Präzession der Äquinoktien. Ein Sayana-Jahr dauert 365.2422 Tage. Und deshalb verschieben sich auch die Tierkreiszeichen, die auf dieser Sonnenuhr angezeigt werden, gegenüber der Lage der echten Tierkreiszeichen am Himmel. Aber das Problem der Präzession war Jai Singh nicht bekannt.

Weiterhin ergibt sich ein Problem durch die eigentlich tolle Idee, zur Tagundnachtgleiche beide Zeiger gleichzeitig bestrahlen zu lassen. Ich war zur Zeit der Herbst-Tagundnachtgleiche im September im Observatorium, bei Knallsonne. Beide Zeiger bekamen Licht, aber: Beide Ziffernblätter lagen im Schatten! Denn die Ziffernblätter sind so exakt ausgerichtet, daß sie beide 100% Streiflicht bekommen, also im Prinzip unbeleuchtet sind, weil die Sonnenstrahlen dran vorbeigehen. Ein Schatten auf einem schattigen Ziffernblatt - im Prinzip setzt die Funktion der Uhr da aus. Man muß schon eine Hand oder ein Blatt Papier senkrecht zur Oberfläche auf das Ziffernblatt stellen und entsprechend verschieben, dann klappt die Anzeige auch zur Tagundnachtgleiche. Schade, an diesen für die Einteilung des Jahres so wichtigen Punkten.

Ortszeit und indische Standardzeit
Die Sonnenuhr gibt Ortszeit an, die für Jaipur gilt und der indischen Standardzeit hinterherhinkt. Um auf indische Standardzeit zu kommen, muß man bestimmte Korrekturwerte addieren:

Monat/Tag 5. 10. 15. 20. 25. 30.
Januar 32,10 34,18 36,13 37,50 39,09 40,08
Februar 40,52 41,06 41,06 40,38 39,58 ---
März 38,26 37,15 35,52 34,15 32,55 31,06
April 29,37 28,40 26,56 25,48 28,48 24,02
Mai 23,28 23,44 23,05 23,15 23,37 24,21
Juni 25,08 25,00 26,48 28,12 29,16 30,18
Juli 31,15 32,05 32,29 33,03 33,14 33,08
August 32,46 32,08 31,17 30,12 28,15 27,10
September 23,34 23,52 22,05 20,18 18,34 16,48
Oktober 15,18 13,54 12,39 11,38 10,56 10,28
November 10,25 10,43 11,22 12,24 13,44 15,24
Dezember 17,20 19,18 21,48 24,18 26,39 29,44

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