Bernhard Peter
Jantar Mantar - astronomische Geräte Indiens, Teil 6:
Die Rashi Valaya Yantras in Jaipur

Konstruktion des Instrumentes:
Im Aufbau ähnelt ein Rashi Valaya Yantra dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Samrat Yantra. Der Bau besteht aus einer dreieckigen Rampe mit einer Treppe, die zu einer kleinen Plattform führt, die Treppe ist beiderseits von einer Zeigerkante gesäumt. Zu beiden Seiten der Rampe befinden sich zwei Quadranten wie marmorne Schwingen: Ein mit gravierten Skalen für Stunden, Minuten und Sekunden versehenes Marmorband schwingt sich auf den Unterbauten zu beiden Seiten im Bogen in die Höhe, aber im Vergleich zum Samrat Yantra sind es eher kleine Stummelflügel, denn ihr Radius beträgt nur 1 bis 1.5 m.

Und doch gibt es Unterschiede:

Das Rashi Valaya Yantra ist vom Verständnis her das komplexeste Instrument, weil es auf für uns, die wir mit den Füßen auf der Erde stehen, veränderlich scheinenden Bezugspunkten beruht. Die damit erhaltenen Daten beziehen sich auf ein Koordinatensystem, das im Grunde absolut ist, aber für uns auf der Erde scheinbar ständig um uns herumtorkelt. Der Schlüsselpunkt des Verständnisses ist, ein rotierendes Koordinatensystem zu akzeptieren. Dann ist der Rest ganz einfach.

Wie funktioniert das Instrument und was leistet es?
Es handelt sich um 12 Tierkreis-Gnomone - dieses Instrument orientiert sich an den 12 Tierkreiszeichen der Ekliptik. Zur Definition: Wenn man von der Erde aus die Position der Sonne auf die Himmelskugel projiziert, erhält man den Jahreskreis (Ekliptik). Er beschreibt den Weg der Sonne in Relation zu den Fixsternen, von der Erde aus betrachtet. Hier wird alles aus der Perspektive des auf der Erdoberfläche Stehenden und Wahrnehmenden beschrieben. Stellung von Jahreskreis und Himmelsäquator zueinander: Beide bilden einen Winkel von 23.5°, weil die Erdachse nicht senkrecht zur Umlaufbahn um die Sonne steht, sondern geneigt ist. Die Achse der Ekliptik steht senkrecht zur Ebene der Ekliptik, ihre Enden sind die Pole der Ekliptik. Wie die Erde im Laufe eines Tages um ihre schräggestellte Achse rotiert, so rotiert die Achse der Ekliptik um die Erdachse auf einer Art Kegelmantel.

Der Hauptzweck war die Bestimmung der Position der Sonne in Bezug auf die Tierkreiszeichen. Über die Funktionsweise der Quadrantenskalen gilt das beim Samrat Yantra Geschriebene analog, mit einem wichtigen Unterschied: Wir erhalten hier ekliptikale Koordinaten, d. h. die ekliptikale Länge und Breite der Himmelskörper, weil das Instrument anders ausgerichtet ist. Die ekliptikale Länge (Longitude) wird an den Quadrantenflügeln abgelesen, die ekliptikale Breite (Latitude) an den Skalen entlang des Gnomons. Die Beobachtung der Sonne ist trivial, weil ihre ekliptikale Breite immer Null ist, denn sie liegt definitionsgemäß in der Ekliptik. Die ekliptikale Länge der Sonne kann an den Quadrantenflügeln abgelesen werden. Aber in Bezug auf die Sonne und den Tierkreis kann die Position anderer Himmelskörper gemessen bzw. berechnet werden. Sterne kann man des Nachts mit einem Peilstab oder Peilrohr beobachten, das an die Skalen des Gnomons und des Quadranten angelegt wird.

Warum 12 Teilinstrumente?
Wir bräuchten also im Prinzip zur Messung von ekliptikalen Koordinaten ein bewegliches Instrument, dessen Achse jederzeit neu auf den Pol der Ekliptik ausgerichtet werden kann. Da das mit einem Bauwerk nicht geht, baute man einen Satz von mehreren Instrumenten mit jeweils fester Inklination und festem seitlichen Winkel, so daß immer wieder eines davon richtig steht.

Die Rampen sind so gebaut, daß zu bestimmten Beobachtungszeiten genau eine Rampe parallel zur Achse der Ekliptik ist, d. h. die Rampe ist in dem Moment auf den Pol der Ekliptik ausgerichtet. Da die Achse der Ekliptik um die Erdachse rotiert, verändert sich im Laufe eines Tages/Monats/Jahres ihre Lage ständig in Relation zur Erdachse und damit zur Beobachtungsebene, zur Bezugsebene, zur ebenen Plattform in Jaipur, auf der die Instrumente stehen. Die Lage der Ekliptikachse schwankt also theoretisch von 27°+ 23.5° = 50.5° bis 27° - 23.5° = 3.5°. Entsprechend weit gefächert ist auch die Neigung der Rampen. Es liefert immer nur ein Instrument von den 12 ein korrektes Ergebnis, sechsmal jeweils ein anderes am Tage, sechsmal eines der verbliebenen in der Nacht, weil nur eines die gerade richtige Rampenneigung hat. Dieses eine zeigt dann auf seinen Quadrantenflügeln ekliptikale Zeit bzw. ekliptikale Koordinaten an. Gemeinsam können alle 12 Instrumente die ekliptikalen Koordinaten eines ganzen siderischen Jahres abdecken und jeweils die richtige siderische Zeit angeben.

Wichtig zum Verständnis des Systems ist:

Die Quadranten haben mehrere Skalen. Die Skalen an der Nordseite und an der Südseite sind jeweils identisch. Auf der breiten Fläche der Quadranten sind Winkel aufgetragen, je nach Sternzeichen ist ein anderer Bereich von 180 Grad abgetragen. Auf der Schmalseite der Quadranten sind immer jeweils 15 Einheiten abgetragen pro Quadrant, das entspricht der alten indischen Einteilung des Kreises in 60 Ghatis bzw. des Tages in Abschnitte zu je 24 Minuten. Dabei ist die Null immer im Westen, die 15 immer im Osten aufgetragen. Oben auf der Schräge sind ebenfalls Skalen aufgetragen, auf beiden Seiten jeweils eine nach oben und eine nach unten laufende, die sich in der Mittelzone überlappen. Beim Cancer z. B. laufen diese 4 Skalen jeweils von Null bis 55.

Warum die verschiedenen Rampenneigungen?
Alle 12 Rampen und damit auch die zu den Rampen parallel geneigten Flächen der Quadranten haben eine unterschiedliche Steigung. Für die einzelnen Instrumente ergaben eigene behelfsmäßige Messungen folgende Werte:

Nr. Name Datum (greg.) Markierungen Quadrant
(Zahlen in 30er-Abständen)
Rampenwinkel
1 Aries 21.3.-20.4. West 90 - 300 Ost ca. 26 Grad
2 Taurus 21.4.-20.5. West 120 - 330 Ost ca. 11 Grad
3 Gemini 21.5.-21.6. West 150 - 330 Ost ca. 7 Grad
4 Cancer 22.6.-22.7. West 180 - 360 Ost ca. 3,5 Grad
5 Leo 23.7.-22.8. West 180 - 30 Ost ca. 5 Grad
6 Virgo 23.8.-22.9. West 210 - 60 Ost ca. 12 Grad
7 Libra 23.9.-22.10. West 240 - 90 Ost ca. 25 Grad
8 Scorpio 23.10.-21.11. West 270 - 120 Ost ca. 34 Grad
9 Sagittarius 22.11.-21.12. West 300 - 150 Ost ca. 45 Grad
10 Capricorn 22.12.-20.1. West 360 - 180 Ost ca. 50 Grad
11 Aquarius 21.1.-19.2. West 30 - 240 Ost ca. 46 Grad
12 Pisces 20.2.-20.3. West 60 - 270 Ost ca. 35 Grad

Wichtig zum Verständnis des Systems ist:

Nehmen wir noch einmal den oben beschiebenen Rotationskegel der Ekliptikachse um die Erdachse als Bezugspunkt, so, wie wir es auf der Erde wahrnehmen: Maximale Auslenkung nach hinten (von der Sonne weg) entspricht maximaler Ekliptik und minimaler Steigung für die Sommerinstrumente. Maximale Auslenkung nach vorne (zur Sonne hin) entspricht minimaler Ekliptik und maximaler Steigung für die Winterinstrumente. Wenn die Sonne genau über dem Äquator und damit im Himmelsäquator steht, ist die Steigung des Instrumentes gleich der geographischen Breite. Folgende Graphik illustriert die Geometrie von vier ausgewählten Instrumenten, die Sonne stehe in der Abbildung rechts:

Warum stehen die Instrumente nicht alle parallel?
Betrachten wir noch einmal den seitlichen Versatz der Instrumente: Bei der scheinbaren Rotation der Achse der Ekliptik um die Erdachse gibt es nicht nur eine Höhenveränderung, sondern auch eine seitliche Veränderung. Denn sonst würde zwar die Rampe die Steigung richtig wiedergeben, aber die Ekliptikachse käme schräg auf der Rampe zu liegen. Die wird durch die versetzte Stellung der Instrumente in Relation zur Nord-Süd-Achse ausgeglichen.

Folgende Graphik illustriert das für vier ausgewählte Instrumente:

Photos, mehr Photos, noch mehr Photos, Nächstes Kapitel, Zurück zur Übersicht, Literatur zu indischer Astronomie
andere Essays über indische Kultur
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
Impressum