Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 1:
Reise nach Damaskus und Wohnungssuche

Die Weihnachtsgeschichte 2006:
Es ist Heiligabend, vier Uhr Nachmittags. Ich liege auf dem Sofa (auf dem Dreisitzer, Präzision ist angesagt, denn schließlich steht ein Doppelsitzersofa im 90 Grad Winkel dazu.) im Salon (das ist Neuarabisch und bedeutet: Wohnzimmer) und warte darauf, daß die Sonne in der nächsten halben Stunde untergeht. Das Wohnzimmer, pardon: der Salon erstrahlt im satten Gelb-Orange der Abendsonne. Kein Wunder, die Gardinen sind goldschimmernd transparent (mit Blumenelementen, die entfernt an Enzian erinnern, na ja, vielleicht eine Kreuzung aus Enzian und Margaritten. Aber alles wohlgemerkt goldschimmernd (inklusive der Sitzgarnitur, die überdies aus zwei geräumig quadrigen Sesseln bestehen). Muß wohl meine vorweihnachtliche Stimmung gewesen sein, als ich die Garnitur und die Vorhänge vor 3 Wochen in dem Laden in der Altstadt aussuchte. - Was soll's. Das ganze Jahr Weihnachten ist eine verlockende Vorstellung. Wieso bloß kommt mir bei dem Wort 'verlockend' die Assoziation von wallendem Engelshaar, gelockt versteht sich, und gülden obendrein?

Egal, jetzt der Reihe nach.

Visum
O.k., genug der Vorrede. - Die Reise nach Damaskus startete etliche Wochen vorher: Ein syrisches Visum erfordert langwierige Papierarbeit – nicht virtuelles Computerpapier, versteht sich. Den schriftlichen Anweisungen meiner früheren Hausgenossin aus Sana’a (Evelyn - vielen Dank!) folgend, besorgte ich mir eine HIV/AIDS Bescheinung in Deutschland (die beiden erfolglosen Vorstöße in meine Adern in bleibender Erinnerung), zahlte den Betrag für ein angebliches Mehrfacheinreisevisum (ZWEImal ist auch MEHRFACH - nicht wahr? Eine Frage der Semantik. Ich bin lernfähig) nach einstündigem Anstehen in der Arab Bank in Sana’a ein. Bat die Deutsche Botschaft um ein Unbedenklichkeitsschreiben für die syrische Botschaft, fügte eine großzügig bemessene Anzahl Photographien meiner Wenigkeit dem Visumsantrag hinzu (ich gebe zu, nicht die beste Qualität, aber ich bewarb mich schließlich nicht als Model). Den Aidstest brauchte ich im übrigen für ein ALLGEMEINES Gesundheitszertifikat, das mir freundlicherweise das deutsch/jemenitische Krankenhaus in Sana’a gegen eine geringe Gebühr in englischer Sprache ausstellte. Nach 2 Anläufen war ich stolze Besitzerin eines Zweifachein- und Ausreisetouristenvisums. Al Hamdulillah.

Ich hätte mir die Sache erheblich einfacher machen können, indem ich ein Visum bei der Einreise am Flughafen beantragt hätte, aber mein Instinkt (d.h. die beiden deutschen Reisewälzer über Syrien, der eine mal gerade ein halbes Jahr alt) brachten mich davon ab, Jespers dahingehenden Rat anzunehmen. (Jesper ist Däne und Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes. Erwähnenswert in dem Zusammenhang, das er mir freundlicherweise zwischen Juni und Oktober 2006 seine Altstaftwohnung in Sana’a zur Verfügung gestellt hat. Leider verfügte er nicht über eine zweite in Damaskus...)

Die Einreise
Der Flug folgte einer langen Route über die arabische Halbinsel, Dünen, Berge, Wüste, bis endlich im Schein des nachmittäglichen (und dennoch schon) Abendhimmels Damaskus zu sehen war. Riesige Warteschlagen stauten sich vor der Paßkontrolle, deren Dynamik für den unbescholtenen Einreisenden nur schwer zu durchschauen war. Natürlich verpaßte ich den Geldwechselschalter in einer Ecke der Wartehalle. Konnte mir nicht schnell genug gehen, EINZUREISEN. Zu meinem Glück war die Dame an der Gepäckwagenausgabe so freundlich, mir einen 50 Dollar Schein zu einem nur leicht reduzierten Umtauschkurs zu wechseln, was mich zudem in die Lage versetzte, für umgerechnet 1 Dollar (circa 50 Syrische Pfund) ein solches Vehikel kurzfristig in Besitz zu nehmen. Mit meinen 7 Taschen und Koffern steuerte ich auf den syrischen Busservice zu, hatte ich doch in meinem Reisewälzer gelesen, daß dies die ehrlichste Transportmöglichkeit nach Damaskus City sei. Trotz der 7 Taschen (die Fahrtkosten werden nach der Anzahl der Taschen und Passagiere, allerdings nicht nach beider Gewicht berechnet) erschien der Preis immer noch mehr als 'resonable'... Bedauerlicherweise geriet ich an der Endstation in die Fänge der Taximafia, die mir das 10fache des üblichen Preises abverlangte. Ich ahnte damals schon, daß da etwas nicht stimmte, hätte mich die fast einstündige Fahrt per Taxi zum Stadtzentrum vom Flughafen (und das in einem Monopoltaxiservice) gerade mal das Doppelte des 5-minuetigen Trips von der Bushaltestelle zum Hotel gekostet. Lag vielleicht auch an dem Namen 'Sheraton, den ich ins Spiel bringen mußte, als es um die Destination ging. Lessons learnt (Neudeutsch). Frei übersetzt: 'Lehrgeld'.

Interessant, daß der Taxifahrer mir unbedingt Namen und Telefonnummer hinterlassen wollte, wie er sagte: um mir auch in den folgenden Tagen zur Verfügung zu stehen. (Offensichtlich müssen die Blondinenwitze auch hier grassieren, wie könnte er sonst annehmen, daß ich noch einmal seine Taxidienste in Anspruch nehmen wollte.) Apropos Blondine...Selbstverständlich bedeckte ich die ersten Tage meines Aufenthaltes züchtig mein Haar, etwas anderes hätte ich nach dem Aufenthalt im Jemen als unnormal empfunden.

Meine Ankunft fiel auf einen Donnerstag: Wochenende in Sana’a (wie wir gelernt haben, ist Donnerstag Samstag und Freitag Sonntag), aber letzter Arbeitstag der syrischen Woche. In Syrien ist Freitag Sonntag und Samstag ist Samstag - eben nur spiegelverkehrt. Einfach, wenn man sich hier eingelebt hat, schwieriger, wenn man zwischen Jemen, Syrien und Deutschland pendelt. Quasi eine intellektuelle Herausforderung (na ja, nicht wirklich. Aber auch mein Kollege Mohamed, dem gerade in Holland die Doktorwürde verliehen wurde, fragte mich bei seiner gestrigen - Samstag - Rückkehr aus Holland nach meinem gestrigen Arbeitstag. Und dabei ist auch in Holland Samstag frei!).

Freitag wollte ich ganz ruhig angehen, waren doch die meisten Geschäfte (außer in Bab Touma) - wie mir der freundliche Taxi(mafia)fahrer am Vorabend GRATIS mitgeteilt hatte, geschlossen. Was Bab Touma war, erfuhr ich später (von einem christlichen Taxifahrer, der mir ein paar Tage danach das Doppelte des üblichen Fahrpreises abverlangte, weshalb ich die freundliche Einladung, seine Mutter kennenzulernen (er war noch unverheiratet!!) dankend ausschlug.

Erste Eindrücke von Damaskus
Aber zurück zum Freitagmorgen. Es war kurz nach Sechs MORGENS, als ich durch ungewöhnlich laute Stimmen (1 - 2 - 3; 1 - 2 - 3... Mikrophontests, Musik ...) aus dem Schlaf gerissen wurde. Trotz meiner Öhrstöpsel! An Schlaf war nicht mehr zu denken (d.h. ich dachte viel daran), so daß ich mich nach einem erfolglosen Anruf bei der Rezeption (man versprach mir, den lauten Geräuschen nachzugehen ... Als ob man nicht Bescheid wußte, daß das Hotel Ausgangspunkt eines Wohltätigkeitsmarathons war...) entschloß, früher als geplant die Stadterkundung anzutreten. 'Treten' - wohlgemerkt, das Taxifahren war mir am Vorabend vergangen.

Die Stadt wirkte am Morgen einladend frisch, eine Mischung aus Ankara und Istanbul (mehr Ankara als Istanbul, des fehlenden Bosporus wegen). Vereinzelt fuhren Minibusse, ein paar Taxifahrer machten erfolglose Versuche, mit mir ins Geschäft zu kommen... Am Ende des mehrkilometrigen Weges stand ich vor der Omayyadenmoschee, traute mich aber nicht recht hinein. Der Zufall spielte mich einem Hotelbediensteten aus Aleppo in die Hände, der mich zwei Moscheen lang als Schutzbefohlende annahm, bevor ich mich nach erfolgreicher Mission wegstahl (das war in der schiitischen Moschee nebenan, in der Frauen und Männer getrennt beten). Die Omayyadenmoschee ist nicht nur groß, sondern auch sehr schön (restauriert). Sie birgt zudem das Grab Johannes des Täufers, weshalb Christen, verhüllte weibliche inklusive, wie selbstverständlich Zugang haben. Nicht ganz selbstverständlich, denn bei meinem zweiten Besuch wurde ich von einem iranischen (oder war es irakischen?) Gläubigen - Muslim - photographiert. Auf meinen fragenden Blick antwortete er, die daheim Gebliebenen würden ihm sonst die Geschichte nicht abnehmen. (Im Jemen wäre es undenkbar, daß Frauen und Männer zur gleichen Zeit im gleichen Moscheeteil beten, und sich zudem Ungläubige herumtreiben. Vorsorglich vermied ich es, zwischen die Betenden zu geraten, um die Bet-Zeremonie nicht zunichte zu machen.)

In den nächsten Tagen trudelten nach und nach zwei meiner Kollegen und drei Konsortiumspartner ein. Wir besuchten das zukünftige Weiterbildungszentrum (ich werde dort den Aufbau eines Masters in Hospital Management unterstützen), das Gesundheitsministerium wie auch die WHO. Mir wurde die Ehre zuteil, an der Seite des Ministers zu 'bankettieren', ein erfreulicherweise sehr zugänglicher Mensch mit Verständnis für die Erfordernisse der vegetarischen Küche. Al Hamdullilah.

Vermieter gesucht
Die Nachmittage (ich hatte angenommen, der syrische Öffentliche Dienst arbeite effizienter, vor allem aber LÄNGER als der jemenitische) verbrachten meine Kollegen und ich mit Wohnungssuche. Kein Vergleich mit Sana’a, wo ich bereits bei meiner ersten Besichtigungstour etwas Nettes (und zudem sehr Geräumiges) gefunden hatte. Unser italienischer Teamleiter Angelo war in der erfreulichen Lage, einen gut organisierten Manager (EHEFRAU genannt) im Schlepptau zu haben. Da weder Mohammad noch ich unsere Ehefrauen dabei hatten, waren wir auf uns allein angestellt. Wir meisterten die Besichtigungstouren mit Anwandlungen kindlichen Erstaunens, insbesondere wenn wir wieder einmal in ein SUPERDELUX Apartment geführt wurden, das sich als ganz und gar NICHT billige Absteige herausstellte. Wir fragten uns immer wieder, wie die normalsterblichen Damaszener den Spagat zwischen Niedriglöhnen und Hochpreisapartments bewältigten, und ahnten, daß sich dahinter das Phänomen gespaltener Märkte verbarg. Aber was tun? – sprach Zeus (sorry, sprach Mohamed). Wir mußten in den sauren Apfel beißen, nicht zuletzt, nachdem wir aus mehreren Quellen erfahren hatten, daß für die Vermietung an Ausländer eine Extrasteuer (16 %???), zu zahlen von dem Vermieter an den Staat, fällig wurde.

Während Mohamed in Erwägung zog, seine Erwartungen an die Wohnungsqualität nach unten und an die Miete nach oben zu schrauben, machte ich einen verzweifelten Vorstoß: Ich fragte nach einer UNMÖBLIERTEN Wohnung. Und wie es das Kismet wollte, wurde meine Bitte erhört. Eine ganz schnuckelige 2 Schlafzimmer, 1 SALON - Wohnung in der Nähe unseres zukünftigen Institutsstandortes (Reservierungen können bereits entgegengenommen werden).

Den Abwerbversuchen von Angelos (unser Teamleiter) Makler trotzend, der die Gegend als nicht wohnenswert für Europäer bezeichnete, ließ ich mich nicht von meinem Vorhaben abhalten.

Das Streichen der Wohnung indes, auf das sich freundlicherweise der Vermieter einließ, verzögerte den Einzug um einige Tage. Ich hätte das Streichen nicht ins Spiel gebracht, wenn ich geahnt hätte, daß die Dämpfe der Farbe wochenlang nachwirkten. Aber, wie Dr. Ghazel, meine neue syrische Kollegin, anmerkte, die Kopfschmerzen vergehen, was bleibt, sind strahlende (beige - blaßgelbe) Wände. Die Dämpfe der neuen Möbel, die ich mir aus 2 - 3 Läden zusammenkaufte, hatte ich ebenso wenig eingeplant. Alles eine Frage der Zeit, oder - wie Darwin schon sagte: Survival of the Fittest...

Mit meinem Vermieter, Hassan, schien ich großes Glück zu haben. Wie sich aber herausstellte, war nicht er der Vermieter, sondern SEINE MUTTER, die das Objekt vor kurzem als Wertanlage gekauft hatte. Die telefonische Verhandlungen mit Mamá, geführt von Sohnemann und Maklergehilfen gestalteten sich als äußert schwierig, da Mamá eigene Vorstellungen von der Höhe der Miete hatte. Aber an Ende willigte Mamá telefonisch von Latakia aus in die monatlich 400 US Miete ein.

Mohamed, der zeitgleich und raumnah eine 1 Schlafzimmer - 1 Salon – Wohnung in Aussicht hatte, war offensichtlich schlechter dran. Zwar willigte die Tochter in das Verhandlungsergebnis ein, ihre Mamá war aber um Dimensionen STURER. Nachdem man sich nach zähen Verhandlungen endlich auf die Konditionen geeinigt hatte, scheiterte der Einzug ein paar Tage später daran, daß Mohamed in der Kürze der Zeit und in Unkenntnis der Prozeduren nicht alle Papiere herbeischaffen konnte. Und begann die Suche nach einer geeigneten Wohnung und einer ebenso geeigneten Vermieterin. Endlich fand auch Mohamed eine Bleibe, wenngleich er den Vertrag auf 3 Monate befristete und sich nach weiteren Wohnungen, näher zum zukünftigen Projektstandort gelegen, umschaute.

Derweil zog ich mit und ohne Vermieter durch eine unbekannte Anzahl kleiner Möbelgeschäfte, und sehnte mich unweigerlich nach IKEA. (Bitte entschuldigt die Schleichwerbung, aber könnte vielleicht jemand IKEA informieren, daß hier ungeahnte Absatzmöglichkeiten winken. Ich kann einfach nicht glauben, daß die Syrer (wie auch die Jemeniten) diesen antiquierten, dunkelbraun angestrichenen (verziert mit Gold- und Silberfarbe), überladenen Pseudobarockstil WIRKLICH mögen. Für mich kommt der Hilferuf nach Ikea leider zu spät. Ich habe mich in Ermangelung eines Besseren mit einem Sortiment mehr oder weniger klassischer Möbel arrangiert, nicht zu vergessen die beige-dunkelbläulich-türkisfarbene vierteilige Couchgarnitur. Zur Schonung meiner Nerven habe ich die Auflistung der Möbelanschaffungskosten in der Mitte der Liste abgebrochen. Ich betrachte es als Luxussteuer und als gutes Werk, das ich für meinen sympathisch-unschuldigen syrischen Vermieter (oder seine Mamá) sowie die Generationen von Folgemietern tue. Möge Allah mir dafür am Ende meines Lebens ein paar Bonuspunkte gewähren.

Und dennoch, wahrscheinlich komme ich immer noch billiger dabei weg, als wenn ich ein möbliertes Apartment (mit gewöhnungsbedürftigen Möbeln) gemietet hätte, vorausgesetzt, daß das Projekt tatsächlich drei Jahre dauert (leider läuft das Finanzabkommen vorher aus, dank der Verzögerung der Ausschreibung. Man ist sich des Problems bewußt und wird zu gegebener Zeit daran arbeiten - Insha Allah). Prunkstück meiner Sammlung ist übrigens mein 625 Dollar teures Doppelbett (Großraummatratze inklusive). Oder vielleicht doch die Spiegelkommode, die ursprünglich 500 Dollar kosten sollte (nach wochenlangen Verhandlungen ließ sich der Händler auf 250 Dollar ein). Gestern kam sie mitsamt dem Kleiderschrank, der extra (weil ich zweitürig und nicht sechstürig wollte) angefertigt werden mußte. Wer glaubt, die satte braune Farbe sei Natur, hat sich getäuscht. Für etwaige Kratzer, und die sind unvermeidlich, gab mir der Händler Pinselchen und Farbfläschchen mit. Praktisch, nicht wahr? - Wenn da nicht dieses narkotisierende Farbaroma wäre... Heute morgen wachte ich mit einem Brummschädel auf. Ist ja nur noch bis morgen. Übermorgen mache ich die Flatter und bis zu meiner Rückkehr an den Heiligen Drei Koenigen sind hoffentlich die intensivsten Farbdämpfe verflogen. Insha Allah - und Frohe Weihnachten.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2006-2007
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
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