Bernhard Peter
Jetzt wird's usbekisch: Die Shaibaniden

Phönix aus der Asche – was aus der Konkursmasse des Timuridenreiches wurde
Nach dem Zusammenbruch des Timuridenreiches um ca. 1500 wurden die Karten in Zentralasien für ca. 30 Jahre neu gemischt. Drei neue Reiche entstanden aus der Konkursmasse des einstigen Großreiches, aus dem einstigen Schmelztiegel aus persischer und zentralasiatischer Kultur:

Diese neue Regionalordnung erwies sich in Folge als erstaunlich stabil, ganz grob ca. 2 Jahrhunderte lang blieb die neue Ordnung bestehen und führte in allen drei Reiches zu einem neuen Aufblühen islamischer Kultur.

Die Usbeken übernehmen das Ruder und machen das Schiff wieder flott
Wer waren die Shaibaniden? Ab 1500-1510 entreißen Usbeken unter Muh.ammad Shaibâni den Timuriden nach und nach ihr Herrschaftsgebiet. Zum ersten Mal ist es nicht nur ein beliebiger neuer Herrscher, der die Macht übernimmt, sondern ein ganzes Volk, die Usbeken. Die Usbeken waren damals Nomaden der Kishak-Steppe (heute in Kasachstan) turko-mongolischer Abstammung, ca. 30 verschiedene Stämme insgesamt, die sich zu einer Konföderation zusammengeschlossen hatten und Druck nach Süden ausübten. Während die Usbeken nach Transoxanien und Khorasan drängten, trennten sich die Kasachen aus der Konföderation ab und besiedelten weiter die nördlicher gelegenen Steppen Kasachstans („Qasaq“ = „ungezwungen umherstreifend“). Diese Völkerwanderung folgte wieder einmal dem bewährten Schema, daß ein Steppenvolk das militärische Potential beweglicher, aber schlagkräftiger nomadischer Reitertruppen erfolgreich zur Übernahme städtischer Zentren anwendet. Der militärischen Übernahme folgte spätestens in der zweiten Generation die kulturelle Adaptation so daß Kunst, Poesie und Wissenschaft bald wieder ein hohes Niveau erreicht hatten. Selbst das Persische als Literatursprache wurde beibehalten.

Muh.ammad Shaibâni – der Begründer der Shaibaniden-Dynastie
Muh.ammad Shaibâni Shah Beg Özbeg, Anführer und Khan der Usbeken, Eroberer von Transoxanien und Khorasan. Herrscher über das neue Shaibaniden-Reich 1500-1510:

Geb. ca. 1451, Nachfahre von Shaibâni, ein Enkel Dschingis Khans. Muh.ammad Shaibânis Großvater war Abu'l-Khair Khan (geb. um 1412, gest. 1468), dieser hatte die Usbeken zwischen Ural, Irtysch und Syrdarya um 1430 vereinigt. Abu'l-Khair Khan wurde jedoch 1468 von den abtrünnig gewordenen Kasachen mit dem Rest seiner Familie getötet. Sein Sohn Haidar wurde danach von den Tschagatai beseitigt, so daß Muh.ammad Shaibâni, der zukünftige Reichsgründer, zunächst als Flüchtling in die Dienste des Tschagatai-Khans Yunus (reg. 1462-1487) trat und als Söldnerführer arbeitete. Gegen Ende des 15. Jh. vereinigte er die Usbekenstämme unter seiner Amirschaft und führte die Vorstöße nach Süden in das transoxanische Gebiet, das unter der letzten Timuriden darniederlag, an.

1500 Eroberung von Samarqand. Zwar holte sich Babur (der spätere Moghul) Samarqand in einem Handstreich zurück (1500-01), konnte es aber nicht auf Dauer halten, so daß er schließlich 1501 Frieden schließen mußte

1503 Muh.ammad Shaibâni besiegt die beiden Tschagatai-Khane Mahmud und Ahmad und nahm sie gefangen.

1506 Eroberung von Bukhara

1507 Eroberung von Herat. Nach dem Tod Hussain Baiqaras 1506 besetzte Muh.ammad Shaibâni das khorasanische Kulturzentrum Herat und entmachtete damit die letzten Timuriden auch hier.

Muh.ammad Shaibâni starb 1510 in der Schlacht bei Merv, in der die Shaibaniden den persischen Safawiden unter Shah Ismail I unterliegen. Muhammad Shaibani wollte offensichtlich an die legendären Feldzüge Timurs anknüpfen, stieß dabei aber an seine Grenzen. Weitere Gründe für den Feldzug gegen die Safawiden waren daß Muh.ammad Shaibâni’s Hof eine Zufluchtsstätte für Sunniten wurde, die aus Persien flohen, was einerseits en Khan dazu bewog, als Beschützer der im Iran unterdrückten Sunniten aufzutreten, andererseits als solcher den Kalifentitel zu fordern und anzunehmen, was die Safawiden natürlich beides extrem herausforderte.

Muh.ammad Shaibânis Nachfolger: Die Shaibaniden
Nach Muh.ammad Shaibânis Tod entbrannten heftige Nachfolgestreitigkeiten und Bürgerkriege. Eher kurz regierten jeweils seine Nachfolger:

Köchkunju Muh.ammad (1512-1530), ein Onkel von Muh.ammad Shaibâni, regierte in Samarqand) sowie

Abû Sa'îd Muz.affar ad-Dîn (1530-1533).

'Ubaydallâh Abû'l-Ghâzî, ein Neffe von Muh.ammad Shaibâni, bedeutendster Fürst des Schaibanidenreiches, regierte 1512-1539 in Buchara, war 1533-1540 Herrscher über das Shaibanidenreich, seine Hauptstadt ist Bukhara.

Es folgten die Herrscher 'Abdallâh I, 'Abd-ul-Lat.îf und Nawrûz Ah.mad

Pîr Muh.ammad I, regierte das Reich 1556-1561 in Samarqand.

Iskandar (Bruder von Pîr Muh.ammad I), regierte das Reich 1561-1583 in Samarqand

'Abdullâh II Khan, Sohn von Iskandar, ist der wichtigste und bedeutendste der Shaibaniden-Herrscher, regierte seit 1556 in Bukhara und nach dem Tod seines Vaters in der Zeit 1583-1598 über das gesamte Reich, versucht in den Jahren 1584-1596 sein Herrschaftsgebiet auszudehnen. Seine Regierungszeit führte zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte des Landes. Noch war der Karawanenhandel entlang der alten Seidenstraße intakt und sicherte den Wohlstand. Ihm werden viele Großbauten des Landes zugerechnet, z. B. die 'Abdullâh-Khan-Moschee in Sumitan bei Buchara (1560/63) oder die Kukeltash-Madrasa in Bukhara (1568/69). 'Abdullâh II Khans Regierungszeit gilt deshalb als eine "gute alte Zeit" der Usbeken. Waren die Shaibaniden sowieso Bukhara als Stadt sehr zugetan, so wurde sie ab 1560 zur vorrangigen Hauptstadt. Als altes Zentrum der Gelehrsamkeit und als Zentrum des Naqshbandi-Sufi-Ordens genoß Bukhara einen besonderen Ruf. Es wurde vorrangig ausgebaut und ließ Samarqand unter den Shaibaniden den Rang ab. 'Abdullâh II Khan betrieb die Stärkung der Zentralmacht besonders energisch. Religiös war seine Regierungszeit eher ein geistiger Rückschritt, 'Abdullâh II Khan gab sich relativ orthodox und vertrieb die Philosophiestudenten aus Bukhara und Samarqand vertrieb. Sufismus und Derwischorden erstarkten. Konkurrenten wurden jedoch frühzeitig ausgelöscht – so daß am Ende auch kaum jemand von seiner eigenen dynastischen Linie übrig blieb, um sein Erbe anzutreten. Dieses ging dann schließlich an die Ashtarkhaniden-Khane über. Nur in Khwarezm, einer Oase im Amudarya-Delta südlich des Aralsees konnte sich einen Nebenlinie als eigenständiges Khanat bis 1727 halten.

Die letzten Shaibaniden waren 'Abd-ul-Mu'min, 1598, und Pîr Muh.ammad II, 1598-1599.

Was war das Grundproblem der Steppen-Dynastien?
Trotz Verstädterung waren in den usbekischen Dynastien alte Traditionen der Steppe und ihre Gesetze lebendig und bestimmten das politische Verhalten:

Erstarken der Djaniden / Toqai Timuriden / Ashtarkhaniden 1599-1747
1599-1785 Zeit der Ashtarkhaniden / Dschaniden / Jânîden von Bukhara. Eigentlich stammt diese Dynastie aus Astrakhan, ein Prinz der Familie hatte eingeheiratet.

Jânî Muh.ammad, 1599-1603 Stammvater, nach dem die Dynastie benannt ist

Bâqî Muh.ammad, 1603-1605 Jânî’s Sohn übernimmt die Macht in Bukhara

Walî Muh.ammad, 1605-1611

1611-1640/1641/1642 Herrschaft des Ashtarkhaniden Imâm Qulî Khan in Bukhara. Verhältnismäßig ruhige Regierungszeit.

Nadhir Muh.ammad, 1641-1645, nur in Balkh 1645-1651

1645-1681 Herrschaft des Ashtarkhaniden 'Abd al-'Azîz Khan in Bukhara. Bukhara erlebt unter diesem Herrscher seine letzte Blüte. Nach ihm führen die „Erbansprüche“ der verschiedenen Prinzen zu einer Aufsplitterung. Das vom Khan beherrschte Territorium war erheblich geschrumpft. Das Reich zerfiel nach schweren inneren Auseinandersetzungen in mehrere Fürstentümer.

S.ubh.ân Qulî Khan, 1681-1702, letzter mächtiger Ashtarkhaniden-Khan, regierte nochmals über das gesamte Gebiet, Bukhara und Balkh. Mit ihm endete die Blütezeit des Usbekenreiches.

'Ubayd-ullâh, 1702-1711

Abu'l-Fayd., 1711-1747

Das Ende des Regionalreiches:
Den Shaibaniden war es zwar gelungen, die usbekischen Territorien politisch als eine Einheit zusammenzuhalten und den wirtschaftlichen Wohlstand eine gewisse Zeit zu sichern. Doch konnte es nicht langfristig stabil bleiben. Um 1700 kam es zu einem Niedergang des Regionalreiches. Den etablierten Machtzentren entglitt die Kontrolle, nichtislamische, insbesondere europäische Mächte üben zunehmenden Einfluß aus. Nachbarstaaten erobern Teilgebiete. Einzelne Regionen erstarken und fordern Selbständigkeit, wie z.B. Qoqand oder Afghanistan. Statthalter oder Wezire schwangen sich zu eigenen Herrschern auf. Das Reich gibt seinen Zentrifugalkräften nach und zerfällt in einzelne Khanate, politisch und kulturell kommt es zu einer Regionalisierung, zu einer Provinzialisierung.

1681 Kasachen verwüsten das Serafschan-Tal.

1710 Das Khanat Qoqand spaltet sich ab und macht sich selbständig.

1737-1742 Balkh, Bukhara, Khiva werden von Nadir Shah, dem Afshariden erobert, die Perser besetzen die Gebiete südlich des Amurdarya und unterwarfen die zerstrittenen usbekischen Stämme.

1742-1770 Khiva wird von Persern und Iomud-Turkmenen besetzt.

ab 1753 Erstarken der Mangiten in Bukhara, zunächst als Wesire bzw. „Atalyq“, eine Art Hausmeier des Khans, dann als „Khan“. Später beanspruchten die Mangiten den Titel „Amir“.

1785 Murad Shah, der Mangite von Bukhara, macht sich selbständig. Er nimmt den Titel „Amir al-Mu’minin“ – Herrscher der Gläubigen, den alten Kalifentitel an. Er begründet das unabhängige Khanat der Mangiten von Bukhara.

1800-1809 Alim Khan herrscht in Qoqand und begründet ein unabhängiges Khanat.

1809 Taschkent wird Teil des Khanates von Qoqand.

Die Regionalisierung führt zu einem Zerfall in Bedeutungslosigkeit vor der Kulisse eines erstarkenden europäischen Ordnungssystems, das immer stärker die Khanate von allen Seiten in die Zange nahm. Zentralasien wurde zunehmend isoliert. Die Quelle wirtschaftlichen Wohlstandes, der Karawanenhandel, kam immer mehr zum Erliegen durch die von europäischen Großmächten dominierenden Seehandelsrouten, auch wenn es zwischen zeitlich zu Aufschwunghasen kam. Russischer Expansionsdrang setzt schließlich der Freiheit der Khanate ein Ende.

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