Bernhard Peter
Die Khanate von Qoqand, Bukhara und Khiva

Die Entstehung der Khanate von Khiva, Bukhara und Qoqand
Zu Beginn des 17. Jh. hatte Mittelasien seinen Einfuß weitgehend verloren, die Bühne der Weltpolitik kam ohne die Nachfolger des Timuridenreiches aus. Vielmehr waren die Hauptakteure, in deren Schatten Mittelasien buchstäblich stand:

Damit war das alte Großreich, das einst unter Timur geeint war, aufgesplittet in Teilreiche, die sich nicht unbedingt freundlich gegenüberstanden. Es sind nicht nur territoriale Ansprüche, die Differenzen erzeugen, sondern auch die Grenzen zwischen Sunnitentum und Schiitentum. Eine gemeinsame Entwicklung der islamischen Staaten gibt es nicht mehr.

S.ubh.ân Qulî Khan, 1681-1702, letzter mächtiger Ashtarkhaniden-Khan, regierte nochmals über das gesamte Gebiet, Bukhara und Balkh. Mit ihm endete die Blütezeit des Usbekenreiches. Die Dschingisiden sind entmachtet. Die Zeit nach 1700 ist durch einen kontinuierlichen Verfall charakterisiert. Das Reich gibt seinen Zentrifugalkräften nach und zerfällt in einzelne Khanate, politisch und kulturell kommt es zu einer Regionalisierung, zu einer Provinzialisierung. Der Niedergang des Usbekenreiches nach ca. 2 Jahrhunderten seines Bestandes geht einher mit dem Erstarken dreier neuer Kräfte, die das bisherige Gleichgewicht in Frage stellen:

Vor diesem Hintergrund zerbricht das Usbekenreich. Zwei Fürstentümer südlich des Amurdarya spalten sich ab und geraten unter den afghanischen Einflußbereich. In Transoxanien bilden sich drei eigenständige Khanate mit usbekischen Dynastien heraus. Erst waren es noch Stammesfürsten, „Amire“, später nahmen sie den Titel „Khan“ an:

Im späten 18. Jh. kommt es zu einer erneuten Stabilisierung sowie zu einer Belebung der Handelsstädte. Die neuen Khanate sind stärker zentralistisch organisiert und besser der Situation angepaßt als das vorige Großreich.

Das Khanat von Bukhara, unabhängiges Khanat 1785-1920
Ab 1747 Erstarken der Mangiten in Bukhara, zunächst als Ataliqs, eine Art Hausmeier, später als Amire. Während ihrer Zeit als Ataliq gab es de nomine noch ein Oberhaupt aus dem Geschlecht der Djaniden für sie:

Die Ataliqs der Mangiten in dieser Zeit sind:

1785 ist mit dieser „Scheinselbständigkeit“ Schluß. Shâh Murâd macht Ernst und sich und Bukhara selbständig. Er begründet das unabhängige Khanat der Mangiten von Bukhara. Er nimmt den Titel „Amir al-Mu’minin“ – Herrscher der Gläubigen - an, den alten Kalifentitel. Die Mangiten sind in weiblicher Linie mit den Ashtarkhaniden verwandt.

Die Emire von Buchara (Mangiten):

Das Khanat von Qoqand
Die usbekischen Ming gründen 1710 ihr eigenes Khanat und 1740 ihre eigene Hauptstadt im Ferghana-Tal: Qoqand. Schon bald löste sich dieses Khanat komplett von Bukhara ab und orientierte sich eher nach Osten und am Handel mit China, was erhebliche Handelschancen ergab, aber auch Konflikte mit den Tsungaren und den kirgisischen Stämmen. Um 1800 nehmen die Fürsten den Titel „Khan“ an. 1800-1809 Alim Khan herrscht in Qoqand und begründet ein unabhängiges Khanat. Er war ein begeisterter Anhänger des Sufismus, der islamischen Mystik. Qoqand wurde ein florierender Handelsstaat, der bald auch sein Territorium nach Nordwesten erweitern konnte und 1809 mit der Eroberung von Taschkent einen wichtigen Platz im Rußlandhandel bekam. Im 19. Jh. war es ein sehr wohlhabendes Khanat, wovon viele Stiftungen von Moscheen und Schulen zeugen. 1876 wurde das Khanat Qoqand von Rußland annektiert. Das Gebiet erhielt den Namen Ferghana.

Das Khanat von Khiva
In der Mitte des 18. Jh. war Khiva eigentlich nicht mehr der Rede wert. Die Perser hatten die Stadt besetzt, und was danach noch übrig war, war Streitgegenstand zwischen Turkmenen und Usbeken, in den Jahren 1742-1770 verwüsteten Machtkämpfe die Oase. Es war nur noch ein heruntergekommener Trümmerhaufen, in dem 40 Familien lebten. Schließlich gelang der usbekischen Qungrat-Sippe (herrschende Khan-Dynastie 1804-1920) das unmöglich Scheinende: Die Wiederauferstehung Khivas als blühende Stadt. Die Qungrats gingen siegreich aus den Machtkämpfen hervor und sie schafften es, die einst rivalisierenden Turkmenen als Verbündete zu gewinnen, eine Symbiose zwischen Nomaden und der kleinen Oase herzustellen. Das funktionierte im Detail so, daß die seßhaften Bauern der Oase die wirtschaftliche Basis für eine militärisch durch seine Einwohner abgesicherte Operationsbasis schufen, von der aus ein florierender Sklavenhandel ausging. Die auf schnelle Plünderungswirtschaft spezialisierten Nomadenstämme unternahmen ausgedehnte Raubzüge und Sklavenjagden bis nach Nordpersien hinein, und abgesehen von dem profitablen Handel mit den Opfern war Sklavenarbeit die Grundlage für den erneuten wirtschaftlichen Aufschwung Khivas. Khiva wurde zum größten Sklavenmarkt in Mittelasien, und auch zum größten „Arbeitgeber“ für diese – wo einst nur 40 Familien zwischen Trümmern hausten, arbeiteten nun ca. 40 000 Sklaven für das Gedeihen der Oase.

1785 Wiederaufbau der 2.2 km langen Stadtmauer

Ab 1804 nannten sich die Herrscher über Khiva „Khan“.

1825-1842 Alla-Quli-Khan

Besonders unter Muhammad Amin (1846-1855) entwickelte sich in Khiva eine Architektur, die der von Bukhara ebenbürtig war und auch heute noch das Bild der Altstadt prägt; in die Kunstgeschichte geht das Khiva-Pflanzen-und-Blumenornament ein. Die Symbiose mit den Turkmenenstämmen hielt nur ein knappes Jahrhundert. 1855 lösten sie sich wieder von Khiva und gingen die sog. Tekke-Konföderation ein. Khiva versuchte stets seine Grenzen auszudehnen und schreckte auch vor Überfällen auf Bukhara und Samarkand nicht zurück. Khiva wurde auch als Räuberstaat berüchtigt. Die ständigen Angriffs- und Verteidigungskriege laugten das Khanat jedoch wirtschaftlich und personell aus.

1865-1910 Muhammad Rahim Khan II

Damit ging’s bergab, als die Russen 1873 Khiva einnahmen, stießen sie auf keinen nennenswerten Widerstand. Der Khan von Khiva erkennt die russische Oberhoheit an. Die Turkmenen der Tekke-Konföderation aber wurden erst 1881 von dem russischen Heer nach verlustreichen Kämpfen besiegt. Das Khanat von Khiva wurde – genau wie bei Bukhara – noch nicht ganz zerschlagen, die Khane durften noch ein Marionettendasein führen, auch wenn sie außenpolitisch keine Entscheidungen ohne St. Petersburg bzw. später Moskau fällen durften. Der letzte Khan, Abdullah (1918-1920) wurde im Zuge der Gründung der Sowjetunion abgesetzt. Das alte Khanat wurde zur Volksrepublik Khoresm erklärt.1924 wird Khiva im Rahmen der Neuordnung Mittelasiens nach ethnischen Gesichtspunkten in die usbekische sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert.

Der russische Bär schluckt die Khanate
Russischer Expansionsdrang setzt der Freiheit der Khanate ein Ende:

1852 Beginn des russischen Imperialismus in Mittelasien. Erster Akt: Angriff auf die zu Qoqand gehörende Festung Aq-Mastschid am Syrdarya.

1868 Eroberung des Khanats von Bukhara durch den russischen General Kaufmann, Annektierung von Samarqand, Samarkand wird Hauptstadt des Generalgouvernements Turkestan

1873 Einnahme des Khanats von Khiva ohne nennenswerten Widerstand

1876 Das Khanat Qoqand wird von Rußland annektiert. Das Gebiet erhielt den Namen Ferghana.

1881 Die Turkmenen der Tekke-Konföderation werden von dem russischen Heer nach verlustreichen Kämpfen besiegt.

1884 letzter Akt der russischen militärischen Eroberung Mittelasiens: Unterwerfung der Turkmenen und Eroberung von Merw. Weiter ging es nicht, weil sich von der anderen Seite (Afghanistan) Interessen britischer Kolonialpolitik einer weiteren Expansion entgegenstellten. Dieser Gedanke konnte erst im 20. Jahrhundert weiter verfolgt werden, worüber schließlich das gesamte Sowjetreich stolperte.

Mit der Gründung der Sowjetunion wurden die alten Khanate Bukhara und Khiva zu Volksrepubliken. Anfang der Zwanziger Jahre wurde Mittelasien neu gegliedert und in 5 Republiken aufgeteilt, die etwa die ethnischen Grenzen widerspiegeln sollten: Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgisien und Kasachstan.

Die Sowjetisierung von Bukhara als Beispiel für das Schicksal Zentralasiens:
20. Mai 1866 Schlacht von Irdschar, die Armee von Bukhara wird vollständig besiegt.
5. Juni 1866: Die russische Armee zieht in Chodshent ein

13. Mai 1868: Schlacht im Serafschan-Tal, Bukhara wird wiederum komplett besiegt. Samarqand gerät in russische Hände. Die letzten übriggebliebenen Truppen von Bukhara werden auf dem Rückweg aufgerieben. Der Amir von Bukhara mußte Samarqand an Rußland abtreten, seine außenpolitische Souveränität aufgeben sowie eine Kriegsentschädigung zahlen, behielt aber seine innenpolitische Macht. Den Emir von Bukhara beließ man vorerst im Rang eines Generaladjutanten des Zaren in seinem Amt. Aus psychologischen Gründen wurde das Emirat noch nicht aufgelöst, man wollte nicht als brutaler Eroberer dastehen, auch wenn das Fernziel die komplette Annexion war.

1918: Das Sowjetkommissariat unter Kolesov schritt zum Angriff auf Buchara. Der ihm von Sayyid 'Âlim Khân entgegengestellte Befehlshaber verweigerte jede Verteidigung, weshalb er später hingerichtet wurde. Der Angriff der Sowjets wurde jedoch abgebrochen, das Emirat wurde als unabhängiger Staat anerkannt, weil Kolesov einen allgemeinen Aufstand fürchtete, wie er von der islamischen Geistlichkeit befürwortet wurde.

Viel gefährlicher und erfolgreicher war die Zersetzung von innen: Der radikale Revolutionär Fajzullah Chodscha, zweitreichster Mann in Bukhara und erklärter Freund der Sowjets, organisierte den Widerstand gegen Sayyid 'Âlim Khân.

1920 rief seine „Kommunistische Partei von Bukhara“ die Sowjetarmee zur Hilfe, die diese in jenen Zeiten ja noch nie armen unterdrücken Werktätigen verweigert hatte: Michail W. Frunse eroberte am 2. September 1920 endgültig das Khanat. Der letzte Emir, Sayyid 'Âlim Khân, floh nach Afghanistan.

1920-1924 Bukhara ist Hauptstadt der sowjetischen Volksrepublik Bukhara. Die „Republik Bukhara“ wurde ausgerufen, der Revolutionär Fajzullah Chodscha war „Vorsitzender des Ministerrates“. Das revolutionäre Modell war nicht lange erfolgreich. Am 4. März 1921 wurde die Republik Bukhara in einem Bündnisvertrag zwischen Bukhara und der Sowjetunion zwar als unabhängig anerkannt, die gesamte Regierung aber in Moskau „geschult“. Am 19. September 1924 wurde dann von den Heimkehrern die „Sozialistische Republik Bukhara“ ausgerufen. Auch diese hielt nicht lange. Moskaus Zentralmacht löste sie auf und wandelte sie zur aus nationalen Gesichtspunkten zur Usbekischen Sowjetrepublik um.

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