Bernhard
Peter
Al-Biruni
- Universalgelehrter aus Khwarezmien
Vollständiger
Name:
Abu 'r-Raihan Muhammad ibn
Ahmad al-Biruni
Warum
Al-Biruni?
geb. 4. September 973 AD (13.
Sonbola (Jungfrau) 352 Hijri Shamsi (Sonnenjahr)) in Kath (damals
die Hauptstadt von Khwarezmien, in Khorasan, heute Khiva in
Usbekistan), wobei der Name Al-Biruni
(außerhalb) sich darauf bezieht, daß er in einer
Vorstadt außerhalb der Stadtmauer geboren wurde. Zu dieser Zeit
gehörte Khwarezmien zum Reich der Samaniden von Bukhara und
wurde von der Sippe der Banu Iraq regiert.
Lehr- und
Wanderjahre
Er genoß eine fundierte
Ausbildung bei Abu Nasr Mansur (Astronom und Mathematiker, ein
Prinz aus dem Hause der Banu Iraq) in seiner Heimat. In jungen
Jahren floh er 995 vor politischen Wirren (Umsturz und Ablösung
der Banu Iraq), wohin genau ist unklar, wahrscheinlich ist ein
Aufenthalt gegen Ende des 10. Jahrhunderts in Rayy (in der Nähe
des heutigen Teheran), in Armut und ohne Schutzherrn, wo er
zusammen mit Al-Khujandi (gest. 1000 AD) in einem Observatorium
mit einem großen Sextanten forschte. Spätere Stationen sind
Gilan am Kaspischen Meer und vermutlich auch Baghdad. Im Jahr 997
AD ist er jedenfalls zurück in Kath, wo er detailliert eine
Mondfinsternis am 24. Mai beschreibt, und zusammen mit den Daten
aus Baghdad den Längenunterschied zwischen beiden Städten
berechnet. Die nächste Station ist Gurgan, wo er am 14. August
2003 eine weitere Mondfinsternis beschreibt. Anhand der
Beschreibungen astronomischer Ereignisse lassen sich seine Reisen
nachvollziehen. Die nächste Mondfinsternis erlebt Al-Biruni am
4. Juni 1004 AD wieder in seiner Heimat Khwarezmien, in der Stadt
Jurjaniyya.
Der
Wissenschaftler im Dienste der Mamun-Brüder
In der Zwischenzeit hatten
sich die Herrschaftsverhältnisse grundlegend geändert, das
Gebiet wurde nun erst von Ali ibn Ma'mun und ab 1004 AD von
dessen Bruder Abu'l Abbas Ma'mun regiert. Hier begann die
Verknüpfung mit dem Herrscher von Ghazna, denn jeder der beiden
Brüder war mit einer Schwester des Sultan Mahmud Ghaznavi
vermählt, dem Herrscher eines der aufstrebenden und mächtigen
Reiche Zentralasiens. Beide Brüder gingen als große Förderer
der Wissenschaften in die Geschichte ein, und Al-Biruni wurde wie
viele andere Wissenschaftler auch rasch in ihre Dienste genommen
und großzügig gefördert. Darunter war auch Birunis alter
Lehrer Abu Nasr Mansur, die fruchtbare Zusammenarbeit wurde
wieder aufgenommen. In Jurjaniyya wurde ein Instrument zur
Beobachtung der Meridiandurchgänge der Sonne gebaut, die
Beobachtungen von 15 solcher Transits wurden in der Zeit zwischen
dem 7. Juni und dem 7. Dezember 1016 AD durchgeführt.
In den
Händen der Ghaznaviden
Die kleine lokale Herrschaft
in Jurjaniyya geriet immer mehr unter den Einfluß des Sultans
Mahmud von Ghazna. 1014 forderte dieser schon die Nennung seines
Namens in der Freitagspredigt, für uns ein lächerliches Detail,
aber in jenen Zeiten eine Art Herrschaftslegitimation und
wöchentliche Loyalitätsbezeugung von hoher politischer
Bedeutung. Mamuns letztendliches Nachgeben nutzte ihm
wenig, denn sein Heer empfand das als Verrat und tötete ihn,
worauf Mahmud von Ghazna am 3. Juli 1017 einmarschierte und den
Landstrich unter seine Kontrolle brachte.
Damit begann ein neuer Lebensabschnitt für Al-Biruni. Sein Hauptwirkungsfeld fand er jetzt als Astronom, Mathematiker, Übersetzer, Naturwissenschaftler und Historiker am Hofe von Mahmud von Ghazna, wo er ab 1018 lebte. Gemeinsam mit Abu Nasr Mansur wurde der Universalgelehrte von Mahmud in seine Dienste genommen (ob das mehr freiwillig oder unfreiwillig war, sei hier nicht ausdiskutiert, aber es war zu jener Zeit durchaus üblich, die geistige Elite eroberter Länder einzusammeln).
Aufgrund der Beschreibung astronomischer Ereignisse läßt sich festhalten, daß Al-Biruni am 14. Oktober 1018 in Kabul war. Die Förderung war begrenzt, er hatte keine richtigen Instrumente und mußte sich mit Eigenbau aus einfachen Mitteln begnügen. In Lamghan (im Norden von Kabul) beobachtete er am 8 April 1019 AD eine partielle Sonnenfinsternis, am 17. September 1019 eine Mondfinsternis in Ghazna.
Mit den
Ghaznaviden nach Indien
Al-Biruni begleitete ab 1022
AD Sultan Mahmud Ghaznavi auf dessen Eroberungszügen nach
Nord-Indien und machte dabei umfangreiche Studien. 1026
erreichten die Armeen den Indischen Ozean. In seinen
wissenschaftlichen Tagebüchern hielt er seine Beobachtungen zu
Land und Leuten sowie zur Pflanzen- und Tierwelt der bereisten
Gebiete fest, und die Beschreibung Indiens ist eines seiner
wichtigsten Werke.
1030 folgte nach dem Tod von Mahmud dessen Sohn Mas'ud auf den Thron des Ghaznaviden-Reiches nach. Unter ihm erfuhr Al-Biruni eine bessere Behandlung und höhere Anerkennung und größere Freizügigkeit als unter dessen Vater, die Al-Biruni noch ca. 10 Jahre lang genießen konnte, ehe Mas'ud im Jahre 1040 AD von seinem Sohn Mawdud ermordet wurde.
gest. 9. Dezember 1048 AD (429 Hijri Shamsi (Sonnenjahr)) in Ghazna (heute Ghazni, Afghanistan)
Eine Ehrung der besonderen Art erfuhr Al-Biruni im 20 Jh. dadurch, daß ein Mondkrater nach ihm benannt wurde.
Schriften:
Insgesamt hat Al-Biruni mehr
als 130 Schriften verfaßt. Nur ein Fünftel etwa hat die Zeiten
überdauert. Al-Biruni war ferner ein Zeitgenosse von Ibn Sina
(Avicenna, lebte in Bukhara), mit dem er in ihrer wechselseitigen
Korrespondenz viele Gedanken austauschte und etliche Kontroversen
diskutierte. Eine ihrer größten Uneinigkeiten war die Natur von
Wärme und Licht. Einige der Werke von Al-Biruni:
Bedeutung:
Al-Biruni war ein
Universalgelehrter und einer der größten Wissenschaftler der
islamischen Welt, für den es keine Begrenzungen zwischen den
Wissensgebieten gab, denn er dachte interdisziplinär und
versuchte stets in seinen Schriften nicht bloß zu beschreiben,
sondern vor allem zu vergleichen und Querverbindungen zu ziehen.
Al-Biruni,
der Astronom und Geograph:
Schon im Jahr 990 berechnete
er die geographische Breite seiner Heimatstadt Kath aus der
Sonnenhöhe, im Alter von 17 Jahren. Er stellte mit 22 Jahren als
erster im Jahre 995 einen Erdglobus her, konstruierte neue
astronomische Instrumente, bewies die Kugelgestalt der Erde und
stellte Überlegungen zur Erd-Rotation an. Hinsichtlich der
Milchstraße vertrat er die Ansicht, daß diese aus nebelhaften
Fragmenten von Sternen bestehe. Ferner gilt Al-Biruni als der
eigentliche Erfinder der Mercator-Zylinderprojektion, die in
Europa wesentlich später von Gerhard Mercator (unabhängig von
al-Biruni) erneut entwickelt wurde. Al-Biruni entwickelte im
Jahre 1023 ein neues Verfahren, um den Radius der Erdkugel zu
bestimmen. Mit einem Ergebnis von 6339.6 km, bestimmt am Ufer des
Indus, verfehlte er den wahren Wert von 6378.1 km am Äquator nur
knapp. Werte ähnlicher Richtigkeit wurden in Europa nicht vor
dem 16. Jh. erzielt. Sein Kanon enthält die geographischen
Koordinaten von 600 Orten, von denen er die meisten aus eigener
Anschauung kannte.
Al-Biruni,
der Übersetzer:
Al-Biruni beherrschte viele
Sprachen: Arabisch, Persisch, Khwarezmisch (seine Muttersprache,
eine mittlerweile erloschene nordostiranische Sprache, die mit
dem Sogdischen verwandt war), Sanskrit, das alte Syrisch und
Hebräisch. Er übersetzte viele griechische und arabische
Traktate in Sanskrit, u. a. die Elemente von Euklid.
Ebenso übersetzte er viele Sanskrit-Bücher (z. B.
Sakaya über die Schöpfung oder
"Patanjal, das sich mit den Geschehnissen nach dem
Tode befaßt) ins Arabische, der damaligen Gelehrtensprache.
Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnis über Kultur- und
Religionsgrenzen hinweg war ihm wichtig, um den Austausch zu
Erkenntnisgewinn zu nutzen. So wurde Al-Biruni zu einem
bedeutenden Vermittler zwischen dem arabischen, dem griechischen
und dem indischen Kulturkreis.
Al-Biruni,
der Mathematiker:
Al-Birunis Abhandlung über
das dezimale damals indische Zahlsystem - half zur
Verbreitung dieses von Al-Khwarizmi eingeführten Systems. Im
Jahre 1027 AD entstand ferner die Abhandlung "Zur Berechnung
von Sehnen im Kreis", eine trigonometrische Abhandlung. Er
bewies u. a. die Gültigkeit des Satzes a/sinA = b/sinB = c/sinC
für ebene Dreiecke.
Al-Biruni,
der Physiker:
Weiterhin ist Al-Biruni
bekannt als Konstrukteur des ersten Pyknometers zur Bestimmung
der Dichte von Flüssigkeiten. Damit bestimmte er die Dichte von
18 Elementen und Substanzen. In seinen Schriften stellte er
Überlegungen zum enormen Unterschied zwischen Schall- und
Lichtgeschwindigkeit an.
Paradigmenwechsel
Das Wichtigste an seiner
Wissenschaftlertätigkeit ist aber das Setzen neuer Maßstäbe
zur Erkenntnisgewinnung: Für ihn zählte nur die aufgeschlossene
Wahrnehmung der sichtbaren Wirklichkeit, die exakte Messung und
Beobachtung, das empirische Experiment, nicht Dogmen, Deduktion
oder gar übersinnliche Erklärungsmodelle. Beobachtung,
wissenschaftliche Versuche, Kritik, Beweis, Überprüfung
das sind Birunis wissenschaftliche Instrumente, was zu der
betreffenden Zeit einem Paradigmenwechsel gleichkam. In dieser
Hinsicht war er seiner Zeit weit voraus. Seine Vorgehensweise war
stets von echtem Interesse geprägt.
Religion:
Eigentlich war Al-Biruni ein
schiitischer Muslim, doch wird diese Einteilung ihm nur höchst
unzureichend gerecht. Als Wissenschaftler hatte er starke
agnostische Tendenzen. Vorurteilsfrei und aufgeschlossen
interessierte er sich genauso für die griechische wie für die
indische Götterwelt, vor allem, um zu vergleichen, und seine
Aufzeichnungen über Kultur und Religion Indiens im frühen 11.
Jh. sind heute eine beispiellose Quelle. Die kritische
Einstellung zu Dogmen war es auch, die ihn in Opposition zu
orthodoxen islamischen Theologen brachte und ihm eine Anklage
wegen Ungläubigkeit und anschließende Verhaftung einbrachte.
Lebenslanges
Lernen:
Im Gegensatz zu den
Philosophen war ihm nicht daran gelegen, die Wahrheit in ein
logisch geschlossenes System einzubinden. Er war vielmehr ein
Mann des lebenslangen Lernens und des stets kritischen
Hinterfragens. Sein Denken war induktiv, nicht deduktiv
strukturiert. Besonders deutlich wird das einem Al-Biruni
zugeschriebenen Wort Die nur Autoritäten folgen und ihre
Prinzipien dem entnehmen, was ihnen gesagt wird, ohne daß damit
eine Methode der Überprüfung einher geht, machen einen
gestörten Eindruck. Der Durst des echten Gelehrten nach
Wissen endet selbst auf dem Totenbett nicht. Noch kurz vor seinem
Tode wollte er von einem befreundeten Rechtsgelehrten juristische
Fragen geklärt haben. Darauf hingewiesen, daß dies an der
Schwelle des Todes wohl unbedeutend sei, antwortete Al-Biruni:
"Ist es nicht besser, daß ich ins Jenseits eintrete und
dies gewußt habe, als daß ich ohne dieses Wissen die Welt
verlasse?"
Die
Seidenstraße als Basis des interkulturellen Austausches
Besondere Bekanntheit und
Bedeutung erreichte dieser Wissenschaftler durch seine Tätigkeit
im Umfeld einer der wichtigsten Fernhandelsstraßen des Ostens,
der alten Seidenstraße, die durch den Austausch von Gütern,
Menschen, Kenntnissen, Informationen prädestiniert war für den
interkulturellen Austausch, die aber auch durch die religiös,
ethnisch und kulturell tolerante Grundeinstellung der
Bevölkerung, die für das Blühen des Handels notwendig war,
einem kritischen und seiner Zeit weit voraus denkenden Menschen
die Plattform zu seiner Entfaltung bot.
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