Bernhard Peter
Gyantse: Kumbum, dritte Ebene (1)

In der dritten Ebene stehen in den vier Hauptkapellen vier der Fünf Tathagatas, und in den Seitenräumen finden wir viele weitere mit diesen assoziierte Erscheinungsformen. Was sind Tathagatas? Es handelt sich um 5 transzendente Buddhas = 5 Tathagatas = 5 Jinas: Sie stehen außerhalb des Irdischen und seinen Gesetzen. Sie sind keine Personen, weder inkarnieren sie noch verlöschen sie. Sie sind zu allen Zeiten gegenwärtig. Zu Zeiten des Buddha Shakyamuni wurden sie noch nicht genannt, sie wurden um 750 n. Chr. eingeführt, über 1200 Jahre nach dem Tode des historischen Buddha. Allen transzendenten Buddhas ist gemeinsam, daß ihnen (außer Vairocana) eine Familie zugeordnet wird, ferner eine Weltgegend bzw. einer dieser entsprechende Himmelsrichtung, allen fünf eine Farbe und ein Buddhaland. Dieses Buddhaland ist eine Art Zwischenparadies, in dem man wiedergeboren werden kann und unmittelbar in den Genuß der Lehren Buddhas gelangen kann. Die Erleuchtung zu erlangen ist in diesen Buddhaländern relativ leicht, weil sie frei von Gier, Leid, Unwissenheit und Haß sind, den wesentlichen Ursachen für Leid. Alle fünf transzendenten Buddhas werden in einer typischen Haltung der Hände (Mudra) dargestellt, und sie sind mit bestimmten Attributen zur leichteren Wiedererkennung ausgestattet. Sie sind nicht allein, sondern werden von einer charakteristischen Gefährtin und einem Tier begleitet, so daß sie ikonographisch anhand dieser Symbole wiederzuerkennen sind. Alle fünf werden mit 1-4 Gesichtern und 1-4 Armpaaren abgebildet. Soweit zum Allgemeinen.

In der südlichen Hauptkapelle steht eine Statue des Amitabha (der von grenzenlosem Licht, das unendliche Licht). Aufgrund der Enge und Höhe der Räume, die vorne einstöckig und hinten zwei Stockwerke hoch sind, läßt sich kaum eine vernünftige Perspektive für die Aufnahmen finden. Amitabha hat folgende Charakteristika: Familie: Padma. Weltgegend: Westen, Herrscher über das westliche Paradies Sukhavati, das nicht eine Lokalität ist, sondern einen Bewußtseinszustand darstellt. Farbe: Rot. Typische Geste in der Darstellung: Meditationsgeste, Dhyana-Geste, Samadhi-mudra, Beide Hände liegen locker aufeinander im Schoß mit den Handflächen nach oben. Anzahl der Gesichter: 1-4 (hier 1). Typische Attribute in der Darstellung: Lotusblume, Lotusblüte. Anzahl der Arme und Hände: 2-8 (hier 2). Buddhaland: Sukhavati. Tantrische Partnerin (sofern vorhanden): Pamdara. Begleitendes Tier (sofern vorhanden): Pfau. Amitabha symbolisiert Erbarmen und Weisheit. Amitayus ist eine Erscheinungsform des Buddha Amitabha. In den Händen hält er das Gefäß mit dem Nektar der Todlosigkeit.

Abb.: Die beiden Begleiter von Amitabha, zwei Bodhisattvas.

Abb.: Wandmalerei in der südlichen Hauptkapelle

Im "Lhakhang der Drei Juwelen" sehen wir Darstellungen von Vajrasattva, Lokeshvara und Akashagarbha als Verkörperung von Buddhaschaft, Lehre und Gemeinschaft. Im Bild die Figur des weißen Vajrasattva, ein goldenes Vajra in der Hand haltend, einen Bodhisattva-Kopfschmuck tragend. Vajrasattva, wörtl. "der das Diamantzepter zum Wesen hat", tibet. Dorje Sempa, wörtlich Diamantwesen oder Diamantgeist, wird als höchster transzendenter Buddha der Vajrafamilie verehrt und ersetzt manchmal auch Akshobhya. In der linken Hand hält Vajrasattva die Glocke (ghanta). Vajrasattva gilt als derjenige der Buddhas, der die Reinheit aller Buddhas von Schleiern des Karma, das Prinzip der Reinheit und Läuterung verkörpert.

Eine zornvolle Gottheit von blauer Körperfarbe, mit Bodhisattva-Kopfschmuck.

Abb.: Wandmalerei auf der dritten Ebene

Prajnaparamita, in Tibet auch als Yum Chenmo ("Große Mutter") bekannt. Sie ist goldfarben und vierarmig. Prajna bedeutet Bewußtsein oder auch Weisheit, eine unmittelbar erfahrbare, intuitive Weisheit, die man im entscheidenden Moment der Erleuchtung hat. Prajna gehört damit zu den Vollkommenheiten und ist ein wichtiges Kennzeichen der Buddhaschaft. Paramita bezeichnet die Vollkommenheiten, die Tugenden, die ein Bodhisattva im Laufe seines Lebens entwickelt und perfektioniert. Prajnaparamita nun ist also die höchste der sechs transzendenten Tugenden, die den Weg eines Bodhisattvas bezeichnen. Sie wird in einem weiblichen Bodhisattva verkörpert, Inkarnation der Worte des Buddha und Sinnbild der Vollendung höchster Weisheit und Erkenntnis.

Abb.: Prajnaparamita = Yum Chenmo in Zusammenschau mit den Wandmalereien des Raumes.

Vairocana in einer viergesichtigen Form. Vairocana ist der Erleuchtende. Vairocana gehört zu den Tathagathas, hat aber insofern eine Sonderstellung, als ihm einige Zuordnungen fehlen, er andererseits aber nicht nur ein Tathagata-Buddha ist, sondern auch ein Adi-Buddha. Ihm ist keine Familie und keine Weltgegend zugeordnet, kein Buddhaland. Ikonographisch folgt er dem Tathagata-Schema mit 1-4 (hier 4) Gesichtern und 2-8 (hier 2) Armen, während die anderen Adi-Buddhas nur 1 Gesicht und 2 Arme haben, ferner fehlt diesen eine tantrische Begleiterin und ein Begleittier, welche die Tathagata-Buddhas auszeichnet. Vairocanas Farbe ist weiß. Die typische Geste in der Darstellung ist die Geste der höchsten Erleuchtung und des Radandrehens, Dharmachakra-Geste, Predigt-Geste. Die rechte Hand liegt bei leicht angewinkeltem Arm auf der Brust, Handfläche nach außen. Die linke Hand bedeckt sie, Handfläche nach innen, dabei berühren sich einige Fingerspitzen, wie wenn man an den Fingern abzählt. Daumen und Zeigefinger beider Hände (in Brusthöhe) bilden einen Kreis. Restliche Finger ausgestreckt. Das ist die Geste des Andrehens des Rades. Die Geste erinnert an die erste Predigt von Sarnath, in der Buddha die Vier Edlen Wahrheiten erläuterte. Wenn Vairocana mit einer tantrischen Partnerin dargestellt wird, ist es Vajradhatvisvari. Fakultativ kann Vairocana als Begleittier einen Löwen haben.

Abb.: Raum des viergesichtigen Vairocana mit Wandmalereien.

Abb.: Raum des viergesichtigen Vairocana mit Wandmalereien.

In der westlichen Hauptkapelle finden wir den gelben Ratnasambhava, den "Juwelgeborenen" oder "der mit dem Edelstein Geborene". In der obigen Abb. ist freilich nur seine rechte Hand zu sehen. Er ist ein weiterer der fünf Tathagathas. Seine Familie: Ratna. Weltgegend: Süden. Farbe: gelb. Typische Geste in der Darstellung: Gewährungsgeste, Varadha-mudra oder Vara-mudra, Geste der Segensgewährung und Gnadenerweisung, Mitleidsgeste, Barmherzigkeitsgeste, der rechte Arm hängt lose herunter, alle Finger sind ausgestreckt, Handfläche nach außen weisend (siehe Abb.). Anzahl der Gesichter: 1-4. Typische Attribute in der Darstellung: Juwel (Ratna). Anzahl der Arme und Hände: 2-8. Buddhaland: Prabhavati. Tantrische Partnerin: Mamaki. Begleitendes Tier: Pferd.

Abb.: Seitenraum der westlichen Hauptkapelle mit Wandmalereien

Abb.: Die beiden Begleitfiguren des Ratnasambhava in der westlichen Hauptkapelle

Abb.: Rote Figur auf der dritten Ebene, friedvolle Gottheit mit Bodhisattva-Kopfschmuck, die mehrstöckige Krone oben wie ein Vajra endend.

Abb.: Wandmalerei in der nördlichen Hauptkapelle

Figuren aus der nördlichen Hauptkapelle. Die nördliche Hauptkapelle enthält Amoghasiddhi ("Fehlerlose Vollendung", "der sein Ziel unbeirrt verwirklicht"). Es handelt sich wiederum um einen Tathagata. Er gehört zur Karma-Familie. Seine Weltgegend: Norden. Farbe: dunkelgrün. Ttypische Geste in der Darstellung: Ermutigungsgeste, Abhaya-mudra, Geste der Furchtlosigkeit, Ermutigung und Schutzgewährung. Charakteristisch ist die Erhebung der rechten Hand mit der Innenfläche nach außen. Anzahl der Gesichter: 1-4. Typische Attribute in der Darstellung: Doppelvajra. Anzahl der Arme und Hände: 2-8: Buddhaland: namenlos. Tantrische Partnerin: Tara. Begleitendes Tier: Garuda, ein mythischer, schlangenvernichtender Göttervogel, halb Mensch, halb Adler, zugleich Bote. Hier sind seine beiden Begleiter abgebildet.

Abb.: Wandmalereien in der nördlichen Hauptkapelle.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2009
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