Bernhard Peter
Gyantse: Kumbum, zweite Ebene (2)

Vajravidarana, breitbeinig im leichten Ausfallschritt nach links stehend. Es handelt sich um eine Emanation des zornvollen Boddhisattvas Vajrapani. Es gibt von ihm mehrere Formen, weiß, grün und blau, wobei die blaue Erscheinungsform die häufigste ist. Er hat ein Gesicht und zwei Arme, in der rechten Hand eigentlich ein im Beispiel verlorengegangenes Vajra haltend, ein Diamantzepter, in der linken Hand eine Glocke (Ghanta), die noch gut zu erkennen ist. Unter dem Kugelbauch hat er ein Tigerfell umgebunden. Er tritt auf in Begleitung der Sarasvati und der Vajratara (rechts im Bild, weiße Körperfarbe, goldenes Diamantzepter in der rechten Hand, eine weiße Tara mit Vajra).

Abb.: Vajravidarana, Detailvergrößerung des Kopfes.

Vimaloshnisha, die gelbfarbige, achtarmige, vierbeinige und viergesichtige Özer Tsugtor und ihre vier Begleiterinnen.

Die Weiße Tara. Von der Tara gibt es viele verschiedene Formen, deren wichtigste die grüne und die weiße sind. Diese beiden gehen der Legende nach zurück auf zwei Gemahlinnen des tibetischen Königs Songtsen Gampo, wobei die chinesische Prinzessin Wen Cheng zur weißen Tara wurde und die nepalesische Prinzessin Bhrikuti zur grünen Tara. Entsprechend den fünf Farben der Elemente gibt es aber auch blaue, rote und gelbe Taras. Bei der roten Tara gibt es eine gewisse Nähe zur Kurukulla. Neben diesen fünf Grundformen existieren weitere, die alle verschiedene Aspekte darstellen. Die Darstellung reicht von friedfertigen Manifestationen wie hier im typischen Bodhisattva-Kopfschmuck und mit schmalen Augen sowie geschlossenem, lächelnden Mund bis hin zu zornvollen Manifestationen im typischen Dharmapala-Aussehen. Bei den friedfertigen Manifestationen steht der mitfühlende und barmherzige Aspekt im Vordergrund, bei den zornvollen der kraftvoll-schützende Aspekt. Die weiße Tara, wie wir sie hier sehen, ist jedenfalls eine friedvolle Manifestation. Ihr typisches ikonographisches Merkmal sind die sechs zusätzlichen Augen auf Handflächen und Fußsohlen, Stirn und Nabel, im Beispiel teilweise nur schlecht zu erkennen. Mit der rechten hand vollzieht sie die Geste des Gebens bzw. der Freigiebigkeit, nach unten gerichtete Finger, offene Handfläche nach oben, mit der Linken die Vitarka-Mudra, mit erhobener, dem Betrachter zugewandter Handfläche, abgespreizten Fingern, Daumen und Zeigefinger sich berührend. Und das Wichtigste - im Gegensatz zu den anderen Taras ist sie natürlich von weißer Farbe. Die weiße Tara hat ein Gesicht und zwei Arme. Im selben Gelaß finden sich übrigens auch noch dreigesichtige Formen.

Bodhisattva Samantabhadra (tibet. kun tu bzang po), auf einem Elefanten reitend. Samantabhadra ist einer der acht großen Bodhisattvas des Mahayana-Buddhismus (dazu gehören auch Manjushri - der Bodhistattva der Weisheit, Vajrapani - der Halter des Diamantzepters, und Padmapani - der Lotoshalter, vgl. Avalokiteshvara). Samantabhadra ist aber nicht nur Bodhisattva, sondern auch noch ein Adi-Buddha (Ur-Buddha). Er wird als der „Allumfassend Gute“ und „Ringsum Segensreiche“ angesehen und gilt als Beschützer der Lehrer der buddhistischen Inhalte. Zu seinem gütigen Wesen paßt der ausgesprochen milde Gesichtsausdruck. Er sitzt um 90 Grad gedreht auf dem Elefanten, sein rechter Fuß ist eng an den Körper gezogen, während das linke Bein etwas lockerer den Elefantenrücken herabhängt. Beide Hände umfassen eine türkisgrüne Lotosblüte in einer Mudra in Brusthöhe. Neben der Lotosblüte sind die Hauptattribute von Samantabhadra das Wunschjuwel und eine Buchrolle (mit Sutra), beide hier nicht gegeben.

Abb.: Vajrapani (tibet. phyag na rdo rje oder Chagna Dorje), wörtlich Halter (Pani) des Diamantzepters (Vajra). Es handelt sich um eine zornvolle Schotzgottheit, mit geblecktem überdimensioniertem Gebiß und hervorquellenden runden Augen, im Ausfallschritt stehend, in der rechten Hand ein Vajra haltend, ein Diamantzepter, in der linken Hand eine Glocke (Ghanta). Diese Kombination ist interessant, als sie die Vereinigung von Gegensätzen symbolisiert, das Vajra ist männlich und steht für das Mitgefühl, die Glocke ist weiblich und steht für die Weisheit. Beide haben in dieser Eigenschaft ihren Platz im Rahmen buddhistischer Pujas. Vajrapani gilt als einer der acht großen Bodhisattvas des Mahayana-Buddhismus. Ein drittes, senkrecht gestelltes Auge auf der Stirn ist das sog. Weisheitsauge, dies und die typische Krone weisen ihn trotz seiner zornvollen Erscheinung als Bodhisattva aus. Er steht für Tatkraft und Aktivität. Um die Hüften trägt er ein Tigerfell. Vajrapani war einer Theorie zufolge einst ein Yaksha, ein Schutzgott von Rajagriha in Maghada oder sogar ein Oberhaupt der Yakshas. Als konvertierter Dämon wurde er zur Schutzgottheit. Dies ist eine Parallele zum hinduistischen Gott Indra, über die Verbindungen zwischen beiden wird spekuliert. Vgl. auch den eng verwandten Vajravidarana oben auf dieser Seite.

Abb.: Vajrapani, Ausschnittsvergrößerung des Kopfes.

Abb.: Vajrapani, Details, links das Vajra, das Diamantzepter, rechts ein Ausschnitt aus seiner Krone.

Abb.: Eine Figur im Raum des zu den fünf Tathagatas zählende Akshobhya, Wesen des blauen Lotos. Zuordnung noch offen.

Der auf einem Löwen reitende Vadisimha Manjushri. Rechts und links befinden sich auf Kopfhöhe zwei hellblaue Lotosblüten, zur Rechten der Figur ein Schwert tragend, zur Linken der Figur ein Buch. Schwert und Buch sind die typischen Attribute von Manjushri. Manjushri ist ein Bodhisattva und gehört zusammen mit Avalokiteshvara und Vajrapani zu den drei großen Bodhisattvas. Zugleich ist er eine Emanation Vairocanas. Er hilft, die Unwissenheit zu überwinden und Weisheit zu erlangen, und gilt so als Bodhisattva der Weisheit. Das rechte Bein ist angewinkelt, das linke jedoch ausgestreckt. Diese Kombination findet sich übrigens auch bei Darstellungen von Simhanada Lokeshvara, auf einem Löwen reitender Vaishravana, Weißer Vajravidarana, Grüne Parnashavari, Samantabhadra auf dem Elefanten (s. o.), Svapnadeshaka Tara sowie von Vishva Lokeshvara.

Abb.: Der auf einem Löwen reitende Vadisimha Manjushri, Detail des Löwen mit gewendetem Kopf

Avalokiteshvara Jaganatha, der vierarmige, einköpfige Avalokiteshvara im Vajrasana (Diamantsitz). Jagannatha bedeutet "Herr der Welt". Er ist von weißgelblicher Farbe mit goldenem Gesicht. Auf dem Haupte befindet sich eine typische Krone für Bodhisattvas. Der eine rechte Arm hält einen Rosenkranz, der eine linke Arme eine rosa Lotosblume - ein typisches Attribut, aufgrund dessen Avalokiteshvara auch Padmapani genannt wird, der einen Lotos haltende. Die beiden anderen Hände umfassen vor der Brüst einen Gegenstand, evtl. eine Flasche mit Nektar. Der Raum enthält weitere gemalte Nebenformen. Avalokiteshvara ist der Bodhisattva des Mitgefühls, und in ihm manifestiert sich das Erbarmen. Von Avalokiteshvara sind 33 ikonographisch verschiedene Formen bekannt.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2009
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