Bernhard Peter
Gyantse: Kumbum, Erdgeschoß (1)

Jede Ebene wird strukturiert durch vier zweistöckige Hauptkapellen (bzw. deren Lichtgaden) und mehrere kleine Gelasse. In der südlichen Hauptkapelle steht ein Buddha Shakyamuni (historischer Buddha, Mahamuni) mit seinen beiden Hauptschülern Bhaisajyaguru und Suparikirtinamasriraja (ohne Abb.). Von da aus bewegen wir uns im Uhrzeigersinn, der klassischen Richtung jeglicher Umrundung, auf der Ebene um den Kapellenkranz herum, beginnend mit einer achtarmigen Marici, der sog. Lichtausstrahlenden Göttin oder Himmelsgöttin des Lichts (ohne Abb.). Direkt daneben an der südlichen Seite der Südwestecke befindet sich ein Gaden mit der Bhutadamara. Von da aus führt der Weg, und damit auch die Reihenfolge der Abbildungen, um den Kumbum herum.

Abb.: Bhutadamara, das ist eine spezielle Form der Vajrapani. Der Schutzgeist Bhutadamara ("Herr der Dämonen") hat eine dunkelblaue Farbe und wird mit vier Armen und zornvollem, hier verhangenem Gesicht dargestellt. Bhutadamara steht auf einem Lotos inmitten eines Flammenkranzes. Bhutadamara hält die Dämonen in Schach und ist so ein Aspekt der die Hindernisse beseitigenden Vajrapani.

Abb.: Metseg (sMe brcegs) / Krodha Burkumkuta / Ucchusmakrodha und seine beiden Gefährtinnen, eine zornvolle Schutzgottheit mit sechs Armen, roter Farbe, drei Gesichtern inmitten eines Flammenkranzes. In dem selben Gaden befindet sich noch eine Wandmalerei des Vajravidarana.

Abb.: Metseg, Ausschnitt

Abb.: Metseg, Ausschnitt.

Abb.: Sitatapatra, Aparajita Sitatapatra, die "Göttin mit dem Weißen Schirm", mit insgesamt vier Gefährtinnen. Sitatapatras Erkennungszeichen ist der weiße Schirm. Sie gilt als Beschützerin gegen negative Kräfte. Sie ist eine friedvolle Meditationsgottheit (Yidam) des tibetischen Buddhismus weiblichen Geschlechts. Häufig begegnet sie uns als Ushnisha Sitatapatra, weiß, vielköpfig, im Ausfallschritt, mit 1000 Armen und Mudra der Schutzgewährung in der ersten rechten Hand. Dies liegt hier nicht vor, sondern hier sitzt Sitatapatra auf einem Lotus im halben Lotus-Sitz (Bodhisattva-Sitzhaltung), hat nur sechs Arme (ikonographisch möglich wären auch zwei oder acht Arme) und goldene Farbe und in jede Hauptrichtung ein Gesicht (drei sichtbare Köpfe). Das wichtige und sichere Attribut ist der an langer Stange gehaltene weiße Schirm. Sitatapatra ist als Schutzgöttin besonders für Reisende geeignet, die sie mit ihrem Schirm vor allen Arten von Unbill bewahrt.

Abb.: Sitatapatra, Ausschnitt.

Abb.: Parnashabari, Parnasabari, eine gemischt friedvoll-zornvolle Gottheit (wörtlich: "mit Blättern bekleidet"). Sie ist gelb und wird mit sechs Armen dargestellt. In jede Richtung weist ein eigenes Gesicht. Sie steht auf dem rechten Bein, das linke im Knie stark angewinkelt und zur rechten Seite gedreht, daß das Knie zur Lotosblüte und die rotgestrichene Fußsohle nach oben weist. Es gibt übrigens eine gelbe Parnashabari (hier) und auch eine blaue Parnashabari. Erkennbare Attribute in den Händen sind auf der rechten Seite des Bildes ein Bogen, links im Bild der zugehörige Pfeil, rechts unter der Kunstseidenschleife ein "frischer" Blätterzweig. Parnashabari ist eine der vielen Manifestationen von Avalokiteshvara.

Abb.: Parnashabari, Ausschnitt.

Abb.: Hayagriva. Hayagriva ist von roter Farbe. Es ist eine zornvolle, rasende Schutzgottheit mit wildem Gesichtsausdruck, hervorquellenden Augen und schädelbesetzter Krone. Hayagriva ist eine der vielen Manifestationen von Avalokiteshvara, weil er tatkräftiges Mitgefühl verkörpert und so zum zornvollen Ausdruck des Bodhisattvas des Mitgefühls wird. Wörtlich bedeutet der Name "der Pferdeköpfige" oder "Pferdenacken", und beim genauen Hinsehen erkennt man bei den Figuren über der Krone einen grünen Pferderumpf, am deutlichsten bei der rechten kleineren Figur. In der hinduistischen Mythologie zu dieser Figur gibt es zwei Versionen, in der einen stahl ein Daitya dieses Namens den Veda, als Brahma schlief. Dieser Daitya wurde von Vishnu als Matsya getötet. Die andere Version sagt, Vishnu habe diese Form des Hayagriva angenommen, um den gestohlenen Veda zurückzuholen. Dadurch wird Hayagriva zu einer Manifestation, die Wissen und Weisheit gibt. Im tibetischen Buddhismus ist aus dieser Geschichte eine Schutz- und Meditationsgottheit geworden, eine zornvolle Erscheinungsform des Buddha Amitabha, dem Herrn der Lotus-Buddhafamilie. Hayagriva gehört zu den "acht großen Heruka-Gottheiten" des Mahayoga (die anderen sind Guhyasamaja, Hevajra, Chakrasamvara, Yamantaka, Amrita, Vajrakilaya und Mamo).

Abb.: Hayagriva, Ausschnitt.

Abb.: Acala, der Unbewegliche, der Standhafte. Acala ist eine zornvolle Schutzgotteheit, von blauer Farbe, im Ausfallschritt dargestellt, mit über dem Kopf erhobenen Schwert. Er wird mit drei Augen dargestellt, das dritte zwischen den beiden anderen auf der Stirn. Der aufgerissene Mund, die gefletschten Zähne, die hervorquellenden Glubsch-Augen sind typische Darstellungsweisen für eine zornvolle Gottheit. Und er ist eine Schutzgottheit, der „Schützer der Lehre“. Synonyme sind Acalanatha und Aryacalanatha. Acala ist eine Manifestation des Buddha Vairocana. Sein Hauptattribut ist das Schwert, mit dem er die drei Gifte, Gier, Hass und Verblendung, bekämpft und so zum erlösenden Wissen verhilft. Ein weiteres Attribut ist die hier etwas schlecht zu sehende grüne Schlinge, die er in der linken Hand und um das linke Handgelenk gewickelt hat, damit fängt Acala die negativen Kräfte ein und hält sie in Schach. Weiterhin gilt Acala als Vertreter der Verstorbenen gegenüber dem Totengott (Yama) und greift in dessen Entscheidung über die Art der Wiedergeburt ein.

Abb.: Formen des blauen, sein Schwert erhebenden Acala, Details

Abb.: Formen des blauen, sein Schwert erhebenden Acala, Detail

Abb.: Mahavidya / Grahamatrika Kurukulla, die sechsarmige "Große Mutter", Mutter der Planetengottheiten. Ihr Körper wird weiß dargestellt und ist mit bunten Stoffen bekleidet. Grahamatrika sitzt in der Lotoshaltung. Der Ausdruck ist sehr friedfertig und sanft. Insgesamt hat sie neun Gottheiten in ihrem Gefolge, von denen sieben für die Wochentage von Sonntag bis Samstag stehen. Trotz ihrer friedfertigen Erscheinung sieht man in ihrer mittleren linken Hand einen Bogen und in ihrer oberen rechten Hand einen Pfeil. In ihrer mittleren rechten Hand hält sie ein Vajra, ein Diamantzepter.

Abb.: Grahamatrika, die weiße, sechsarmige "Große Mutter"

Abb.: Detail aus der nördlichen Hauptkapelle, in der ein Dipamkara (wörtlich: "Anzünder der Leuchte"), der Buddha der Vergangenheit, zu seiner Rechten von dieser Figur begleitet wird. Buddha Dipamkara wird meistens nicht allein dargestellt, sondern in Begleitung zweier anderer Figuren, in Tibet meistens Buddha Shakyamuni (historisch) und des Buddha Maitreya (Zukunft), in anderen Ländern sind es andere Dreiergruppen. Im Bild ist eine kleine, flankierende Figur.

Abb.: Vasudhara, eine golden dargestellte Reichtumsgottheit, samt ihren vier Gefährtinnen. Vasudhara ist die Göttin des Überflusses, dem Reichtumsgott Kubera in der Erscheinungsform Jambhalas als Gefährtin zugeordnet. Im Hinduismus ist etwa die Göttin Sri Lakshmi in dieser Funktion vergleichbar (gleiche Mudra, gleiche Attribute, ähnliche Funktion). In der nepalesischen Kunst ist sie sehr verbreitet, mehr als in Tibet, wo mehr Tara verehrt wird. In der tibetischen Kunst ist ihre Darstellung mit zwei Armen geläufiger, in der nepalesischen Kunst eher die mit sechs Armen und diversen Wohlstandssymbolen. In der tibetischen Kunst wird Vasudhara meistens von begleitenden Göttinnen flankiert (oder alternativ mit Jambhala assoziiert), während sie in der nepalesischen Kunst auch isoliert dargestellt wird. Typisch für ihre Darstellung ist ferner der kostbare Kopfschmuck wie bei einem Bodhisattva. Reiche Juwelenausstattung ist typisch für ihre Ikonographie. Ihre Farbe Gold ist ebenfalls mit Reichtum assoziiert. Sie sitzt hier im Lotussitz auf einer Lotusblüte, andere Positionen sind in der darstellenden Kunst möglich.

Abb.: Vasudhara, Detail

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2009
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