Bernhard Peter
Trekking im Karengebiet, Nordthailand

Chiang Mai und Chiang Rai sind die Zentren für Trekking-Touren in die Gebiete der Bergstämme. Unzählige Agenturen buhlen um die Gunst der Backpacker. Dabei werden die zwei Seiten des Tourismus unübersehbar. Natürlich sind die Bergstämme DIE Attraktion. Ethnische Minderheiten mit eigenen Gebräuchen und pittoresker Kleidung sind immer eine Augenweide, besonders für den Photographen. Umgekehrt haben sich viele Dörfer schon so auf den Tourismus eingestellt, daß sie gänzlich von diesem leben und eigenen Ackerbau mittlerweile aufgegeben habe. Weit entfernt vom völlig autarken Leben in schwer zugänglichen Hügeln, leben sie heute weitestgehend von den „Eintrittsgebühren“ der Touristen, oder von den Gaben für Portraitaufnahmen. Hier hat die finanzielle Korrumption durch den Tourismus authentisches Leben nachhaltig zerstört. Natürlich werden traditionelle Kleider nach wie vor produziert, sowohl zum Verkauf an die Touristen als auch für den erhöhten Eigenbedarf – führt man die Festtagskleidung doch täglich den busweise herangekarrten Touristen vor. Aber wo bleibt authentisches Leben? Unterstützt nicht der Tourist die Degradation ehemals stolzer Völker, die gut alleine zurechtkamen, zur Staffage für’s Photo oder zum Andenkenlieferanten? Besonders schlimm ist das bei den Padaung – dem Volk, das für die künstliche Verlängerung der Hälse seiner weiblichen Mitglieder mit Messing- oder Silberreifen bekannt ist. Diese Sitte war eigentlich schon aufgegeben, wurde aber eigens für die Touristen wiederbelebt. Körperliche Verstümmelung für das schnelle Geld im Tourismus? Was hat das noch mit Tradition zu tun? Also daran will man sich nun garantiert nicht beteiligen. Also sucht man nach verantwortlichen Trekking-Agenturen, solchen ohne gnadenlose Vermarktung der eigenständigen Kultur der Bergvölker, sogenanntes Öko-Trekking, solches ohne Drogen, ohne Kommerz in den Dörfern. O.k., in diesen Dörfern laufen die Menschen bestimmt nicht täglich im herausgeputzten Festtagsschmuck herum, sondern in zerlöcherten T-Shirts, ist die Armut mit Händen greifbar, ergreifen einen die tatsächlichen Lebensumstände dieser stolzen und genügsamen Menschen. Man hat den Eindruck, nicht eine Kulisse vorgesetzt zu bekommen (hinter der abends vielleicht der Farbfernseher hervorgeholt wird), sondern tatsächlich die bittere Armut und zugleich die großartige und gastfreundliche Gesinnung der Völker erleben zu dürfen. Auf der anderen Seite trägt man in diese selbstgenügsame Lebensform auch Wünsche hinein, die vorher nicht existierten. Wie lange noch werden diese Dörfer so leben? Wann werden Wünsche geweckt, die auch diese in sich geschlossenen Gesellschaften zum Aufbruch in die Moderne bringen werden?

Ich hatte mich für eine Tour des Eagle-House in Chiang Mai entschieden. In meiner Unterkunft hatte ich die Bekanntschaft von fünf weiteren Interessierten gemacht, ein liebenswertes Team von guter Stimmung und gutem Zusammenhalt, verläßlich und unkompliziert, genau das Team, mit dem zusammen ich alles unternehmen würde. Falls Ihr das lest, nochmals ein Riesen-Dankeschön für Eure Freundschaft und die unvergeßlichen Tage!

Mit einem Pickup ging es erst einmal in Richtung Markt, Lebensmittelvorräte einkaufen und Regenschutz, wobei das eine eher zweischneidige Sache ist. Regenklamotten aus Plastik, wie weit auch immer geschnitten, sind absolut unsinnig. Durch den Wärmestau platzt man einfach – man ist so oder so klatschnaß, geregnet oder geschwitzt. Das einzig Sinnvolle ist, eine Naßgarnitur für tagsüber zu nehmen und eine Trocken-Garnitur für abends in drei Plastiktüten im Rucksack vor Feuchtigkeit zu sichern. Naß wird man sowieso. Nun, bei 25 Grad ist das eigentlich auch kein Problem! Der Einkauf von Lebensmitteln beschränkte sich auf das Notwendigste – alles mußte ja getragen werden! Und irgendwie begrenzt sich das Gewicht selbst durch die Anzahl der zusätzlich nötigen Wasserflaschen... Und unser Begleiter verstand es, stets das maximale aus dem gerade Vorhandenen zu machen, was gerade am Ort der Unterkunft oder der Rast verfügbar war – Kürbisse, Bambusschößlinge und anderes Gemüse.

Durch das wunderschöne Tal von Mae Rim ging es in die wolkenverhangenen Berge (Regenzeit!). Erster Halt war an einer großen Fledermaushöhle, ein großes System ausgewaschener Stollen und Dome voller Fledermäuse. Danach wurde die Straße mehr und mehr zu einer Schlammpiste. Pickup und Fahrer erbrachten Höchstleistungen, um mit kontrolliertem Anlauf die wabbeligen Schlammwülste auf der Piste ohne allzu vieles Durchdrehen zu überwinden, so torkelten wir auf breiartigem Untergrund tiefer und tiefer in die Hügelketten hinein, während hinter und neben uns der Schlamm in Fontänen hochgeschleudert wurde, nur unterbrochen von einem geplatzten Reifen, der irgendwo am Wegrand durch einen mindestens genauso abgefahrenen ersetzt wurde. Irgendwo an einem Kontrollpunkt sammelten wir noch zwei Träger für die Lebensmittel- und Wasservorräte ein, dann ging es zu Fuß weiter. Im Regen wanderten wir bis zum ersten Karendorf durch tropfnasse Wälder, entlang malerisch gekurvter Reisterrassen. Im Gegensatz zu den Anbaugebieten in Ebene des Menambeckens wird hier der Reis nicht einfach weitflächig eingesät, sondern vorgezogen und als Minipflänzchen ausgeeinzelt.

Unsere erste Unterkunft war eine Bambushütte direkt am Fluß. Die Konstruktion ist denkbar einfach: Teakstämme bilden einen Rahmen aus Pfählen, das Untergeschoß zwischen den Pfählen ist bei diesen Häusern der Viehstall und die Abstellkammer. Der Boden der Wohnebene im „ersten Stock“ wird von Stangen aus Riesenbambus gebildet, der Fußboden und die Wände bestehen aus flachgeklopften Riesenbambus-Stücken, das Dach ist bei traditionelleren Häusern mit Blättern oder Fasermatten bedeckt, bei neueren auch mal mit Wellblech. Ein luftiges Refugium, durch dessen Wände und Fußboden ständig ein erfrischender Zug wehen kann, hoch über der Feuchtigkeit und dem Gekrabbel auf dem Erdboden.

Nach dem Abendessen zogen wir los zu einer Visite des Dorfes, genauer gingen wir eine Karenfamilie besuchen. Eine einfache Bambushütte, in der Mitte eine Feuerstelle mit dunkler Glut, hufeisenförmig drum herum Schlaf- und Sitzplätze gruppiert. In einem gußeisernen Behälter in der Mitte zwischen uns brannte ein Feuer aus sehr harzhaltigem Holz mit leuchtender Flamme, die auf den zerfurchten Gesichtern des Ehepaares spielte und wilde Schatten auf der Hütte zeichnete. Die Hütte hatte keinen Abzug, zur Ventilation dienen die vielen Spalten im flach geklopften Bambus der Wände. Die Karen haben eine vollkommen eigenständige Sprache und sprechen meistens kein Thai, so daß wir für die gegenseitigen neugierigen Fragen unseren Führer Bon als Übersetzer doppelt nötig hatten. Vor allem die technischen Utensilien erregten größte Bewunderung, z. B. eine Taschenlampe. Begeistert begriffen beide den Ein-/Aus-Mechanismus und leuchteten in der Hütte herum. In diesem brutalen Licht sahen wir erstmals richtig den Dreck auf den Wänden, die faustgroßen Spinnen etc. Plötzlich saßen wir alle kerzengerade und verzichteten aufs Anlehnen an der Hüttenwand... Taschenmesser wurden entsprechend bewundert. Und immer die Frage, wie lange man in Deutschland für so etwas arbeiten müßte. Reisschnaps wird in speckigen, fast undurchsichtigen Gläsern herumgereicht. Und als Hannes seine Digitalkamera auspackte und erklärte, waren sie vollkommen hin und weg. Nachdem die beiden mehr und mehr auftauten, äußerte die Dame des Hauses ganz zaghaft den Wunsch, sie würde jetzt gerne ein paar deutsche Lieder hören, was uns in arge Verlegenheit brachte, vor allem, als nach dem gemeinsamen Versuch die Bitte an uns einzeln erging! Zum Dank für ein einigermaßen überzeugendes (zum Glück kannte ja niemand das Original!) „Freude schöner Götterfunken“ erhielten wir dann von ihm karische Wiegenlieder, ganz zaghaft und mindestens so unsicher wie wir es waren.

Irgendwann gab man uns zu verstehen, daß auch sie den Abend recht nett fanden und uns gerne zum Essen einladen würden. Stolz griff der Herr des Hauses in die undefinierbare Schwärze über dem Herdfeuer, wo auf einer zweiten Ebene die ganzen rußigen Kochutensilien lagerten und zog das am selben Tag frisch erlegte Beutetier hervor. Stolz zog er es heraus und knallte es uns mit Schwung vor die Füße. Schreck und Überraschung fuhr uns in die Glieder – es war eine tote kapitale Ratte! Nachdem wir das anfängliche Erstaunen und Erschrecken erfolgreich überspielt hatten, nahm Bon die Ratte mit einer langen scharfen Nadel aus und spießte dieselbe durch den Mund durch die ganze Ratte hindurch und briet sie so am Spieß über dem frisch entfachten Herdfeuer, während das Fell mit scharfem Gestank verbrannte. Später brach er die Ratte weiter auf, um sie auch von innen richtig durchzugaren. Alles war mit gemischten Gefühlen versunken in den Anblick des verkokelnden Felles, während jeder mit sich ins Reine zu kommen versuchte, wie man sich am besten aus der Affäre ziehen könnte. Bon lachte uns nur an und meinte, wir sollen uns nicht so haben, „taste like chicken“! Das sagte er im übrigen bei allem, so auch bei dem „Dog meat“, das er uns mal zum Probieren vorsetzte. Die fertige Ratte wurde mit allen Knochen, mit Haut und verkokelten Haaren auf einem Holzbrett mit dem Hackmesser tok-tok-tok in handliche Stücke gehackt und herumgereicht. Bei einigen von uns siegte die Neugier, beim Rest das Mogeln. Ein erlebnisreicher Abend!

Der Waschplatz befand sich auf der anderen Seite des Flusses, zugleich der dörfliche Brunnen, direkt neben einem malerischen Seerosenteich. Mit Eimern wird das Wasser emporgezogen. Es ist gar nicht so einfach, sich dort einigermaßen gesittet zu duschen, während die Frauen des Dorfes frühmorgens eine nach der anderen ihr Wasser holen gehen. Eigentlich war ich ständig am Eimerhochziehen, immer mal wieder einen für mich, dann wieder für das Dorf etc.

In den „Erdgeschoßräumen“ der Häuser wartet das Vieh darauf, zur Tagesroutine entlassen zu werden. Gegenüber eine Wasserbüffelmutter mit Kalb; beide lassen sich genüßlich von einer auf ihnen herumkletternden Hühnerfamilie Ungeziefer aus dem Fell suchen, genüßlich sich rekelnd und jede überflüssige oder gar schnelle Bewegung sorgfältig vermeidend, eine Allegorie der phlegmatischen Ruhe. Selbst die Glocken des Wasserbüffel und Elefanten sind aus Bambus gefertigt: Ca. 15 cm lange Bambusstücke, an einem Querstab sind zwei Außenklöppel befestigt.

An diesem Tag geht es weiter mit Elefanten. Sie leben frei im Dschungel rings um das Dorf und kommen von selber morgens an, um zu schauen, ob es Arbeit gibt. Während wir morgens einen Rundgang durch das Dorf machten, kam schon der größte Elefant fertig gerüstet mit seinem Treiber majestätisch durch die Furt zwischen Dorf und Reisfeldern gestapft, ein toller Anblick, wie der Riese sich zwischen den winzigen Hütten bewegte. Die beiden kleineren Elefanten trafen von selber ein, und dann begann im Fluß erst einmal das Badefest. Mit größter Wonne tauchten die Elefanten in den Fluß und ließen sich von den Treibern schrubben. Sie wollten gar nicht mehr aufhören zu baden, und erst massige Schläge auf den Kopf mit dem flachen Messer brachten sie zum Einlenken.

Diese Elefanten sind sehr zutraulich und nehmen Streicheleinheiten gerne entgegen, am liebsten an der spielerisch alles untersuchenden Rüsselspitze. Für jeweils zwei von uns gab es einen Elefanten, einer saß auf der hölzernen Howda, einer rittlings auf dem Kopf. Beim Abmarsch kam das ganze Dorf zusammengelaufen, man kauerte in typischer Hockstellung am Boden und schaute neugierig zu, manchmal ein kleines Opiumpfeifchen im Mundwinkel und ergötzte sich daran, wie dumm sich so Europäer anstellen. Die Treiber gingen nebenher und steuerten die Elefanten mit Zurufen, worum dieselben sich aber nur kümmerten, wenn es sehr ernst klang. Ansonsten nahmen diese jede Gelegenheit wahr, nach Leckerbissen wie Bambusschößlingen abseits des Weges Ausschau zu halten, reckten sich über den Wegrand, mit dem Rüssel nach Zweigen irgendwo über einem Fluß angelnd, während die eigenen Füße schon irgendwo über dem Nichts schwebten, ein komisches Gefühl. Beim kleinsten Rascheln obendrüber kommt die Rüsselspitze mal nach oben schauen, ob man was Eßbares abstauben könnte, und als ich einmal nicht aufpaßte, hatte ich den herrlich schlammigen Rüsselabdruck auf der Frontlinse meines Objektives.

Nach ca. zweistündigem Spazierritt durch ein malerisches Tal mit vielen Reisterrassen bei bestem Sonnenschein geht es zu Fuß weiter ins nächste Dorf, malerisch an einem Hang gelegen. Kurz vorher holt uns der Regen wieder ein, unser treuester Begleiter beim Wandern! Für das Mittagessen sind wir zu Gast im Haus des Dorfvorstehers, ein sehr geräumiges Holzhaus mit zwei Zimmern rechts und links der dazwischen hochführenden Treppe. Den Damen kann man beim Weben zuschauen, der Webstuhl ist denkbar einfach: Das untere Widerlager wird auf dem Schoß gehalten, das obere Widerlager ist ein Querstock, der an der Wand eingehängt wird, mit den Füßen drückt man sich ab und hält das entstehende Stoffstück auf Spannung. Einfache rote Webtücher mit kleinteiligen Ornamenten entstehen, nur bei der Farbauswahl ist man leider nicht so sehr auf harmonische Naturfarben bedacht, ein zu grelles Pink stört empfindlich die Harmonie des Bildes.

Danach marschierten wir weiter zum dritten Dorf, das wir am späten Nachmittag erreichen, klatschnaß geregnet und geschwitzt. Dieses ist das primitivste Dorf der ganzen Tour, ohne eigene Wasserstelle. Wir werfen unser Gepäck in die Hütte, wo wir übernachten werden, und laufen zum Fluß herunter. Den ganzen Weg über hatten wir unseren Führer Bon im Scherz genervt, wann wir uns denn mal im Wald was Anständiges zum Essen jagen würden oder ob es wieder nur Ratte gäbe. Das aufgreifend, hatte er sich nun im Dorf eine alte Flinte ausgeliehen, einen handgefertigten Vorderlader aus dem letzten Opiumkrieg. Offiziell ist der Waffenbesitz natürlich – besonders in dieser Region! – illegal, aber jeder Mann im Dorfe, der auf sich hält, besitzt noch diese alten Dinger, benutzt sie zum Jagen oder trägt sie beim Bewachen der Reisfelder mit sich herum. An einem abgelegenen Platz nahe des Flusses probieren wir ein bißchen aus, was so in diesen Eigenbau-Schrotflinten steckt. Besonders umständlich ist das fachgerechte Stopfen mit losem Pulver aus der Flasche, Werg und Schrotkugeln mit Hilfe eines langen, dünnen Stabes, der normalerweise unter dem Lauf befestigt ist. Der Krach ist jedenfalls beeindruckend, unsere Treffsicherheit nicht. Danach geht es zum Baden in den schnell fließenden Fluß. Die Strömung ist enorm, man kann sich beim Waten kaum am Platz halten. Andererseits ist man nur bei großer Strömung relativ sicher vor Parasiten im Wasser wie Zerkarien.

Erfrischt geht es wieder hoch ins Dorf zurück, und nach dem Berganstieg und dem Dorf-Schlamm, durch den wir in Badelatschen glitschen, wäre man eigentlich schon wieder reif für den Fluß. Das Dorf ist insgesamt sehr primitiv und schmuddelig. In einigen Dörfern gibt es wenigstens ein separates Toilettenhäuschen von zweifelhaftem Hygienestatus, hier noch nicht einmal das. Toilette ist der Dschungel. Aber ein Problem mit Hinterlassenschaften gibt es dennoch nicht, wie zwei aus unserem Team zu ihrem grenzenlosen Schrecken erfahren haben – die Hose war noch nicht wieder am Platze, da war das Problem schon von den Hunden des Dorfes gelöst! Und dazu der hoffnungsvolle Blick der Köter nach oben, ob’s heute wohl noch mehr Leckereien gibt? Wenn das Problem nicht die Hunde lösen, dann die Schweine. Bon erzählte uns von einer anderen Gruppe, wo ein englisches Mädchen die Hosen vorher im Baum aufgehängt hatte, ihr passierte dasselbe mit einem Schwein, worauf sie schreiend so, wie sie war, ins Dorf zurückrannte, zum unglaublichen Vergnügen der Bewohner!

Überhaupt staunen wir über uns selber, wie egal einem nach zwei Tagen Dschungel bereits einfachste Hygiene wird. Hätte uns vorher jemand gesagt, wie barfuß wir durch welchen Schlamm oder durch welche Gewässer waten, wo wir baden und uns waschen werden, in welch dreckig-nasse Klamotten man am nächsten Tag wieder steigt - man hätte diese Vorstellung entrüstet von sich gewiesen. Aber in der Realität paßte man sich mit einfachster Selbstverständlichkeit dem Dorfleben an.

Auch in diesem Dorf sieht man wieder die charakteristischen Stampfer der Karen: Ein Trog mit einer Wippe, das eine Ende wird mit dem Fuß bewegt, das andere Ende trägt den Stampfer und schlägt in den Trog.

Dieses Dorf ist fast total von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt kaum Kontakt mit anderen Dörfern desselben Volkes. Obwohl man in wenigen Stunden zu Fuß Nachbardörfer erreichen könnte, man bleibt weitgehend unter sich. An Schule für die Kinder ist natürlich überhaupt nicht zu denken, sie wachsen fast ohne Spielzeug auf, nur ein paar selbstgebaute Stäbe mit zwei kleinen Rollen am unteren Ende konnten wir entdecken. Die meisten Heiraten werden innerhalb des Dorfes selbst vereinbart; vom nächsten Dorf trennt selbst schon wieder eine Dialektgrenze.

Die meisten von uns wurden übel in der Nacht zerstochen – es gab keine Moskitonetze in dieser Hütte. Der Dschungel ist nachts eine faszinierende Geräuschkulisse, angeführt wird der Lärm von den Zikaden, dazu in einiger Entfernung das Heulen der Gibbons, dazu ab allerfrühestem Morgen das Gekrähe der Hühner direkt unter dem hauchdünnen Bambusboden, was bei einigen von uns doch erstaunlich realistische Mordlust entfacht.

Unser Waschplatz am nächsten Morgen ist eine Schüssel auf der Veranda mit trüber Brühe, die die Frauen des Dorfes mit Bambusbehältern aus dem Fluß für uns hochgeholt haben. Beim Zähneputzen schaue ich versehentlich mal nicht nach unten und treffe eines der dunkelgrauen Hausschweine, an dem sofort die vielen Ferkel hochklettern wie „Mami, was hast Du für komische Flecken auf dem Rücken?“. Zum Brüllen!

Es geht am folgenden Tag weiter durch noch tieferen und einsameren Dschungel als bisher, über steile Hügelketten mit faszinierenden Ausblicken auf den Berg-Regenwald. Begleitet vom Heulen der Gibbons in der Ferne kämpfen wir uns die Hügel hoch, bald am Zerfließen unter unseren Rucksäcken, Ab und zu sehen wir Wanderameisen, Tausendfüßler, Termiten, schönste Schmetterlinge, oder eine eingerollte braune Schlange in einer Baumhöhle, oder mal eine, die in größter Eile über den Weg schoß. Eher unangenehme Begleiter sind die „Lisch“, die Blutegel. Sie können sich extrem dünn machen und selbst durch Schnürsenkelösen den Weg in den Schuh finden. Beste Vorbeugung ist immer noch, die Strümpfe über die Hosen zu ziehen und ein Band außen herum zu binden. Oben auf den Hügeln finden sich Felder, auf denen Bergreis (Klebreis) angebaut wird, erfolgreiche Umwandlung ehemaliger Schlafmohnfelder. Mitten in einem solchen Feld machen wir in einem einsamen Bambusunterstand Mittagspause im Regen und essen in Bananenblätter eingeschlagene Reispaketchen aus dem letzten Dorf. Der Weg führt nun immer steiler bergab bis zu einem Fluß. Durch filigrane Bambushaine geht es abwärts, in schönster Graphik zeichnen sich die Wedel des Riesenbambus gegen den azurblauen Himmel. Paradiesisch an einer Flußbiegung gelegen finden wir unsere nächste Hütte, ein idyllisches Camp direkt am Flußufer, wo uns alle nur der Wunsch beschleicht, hier noch eine Woche verbringen zu dürfen. Es ist sauber, geräumig, mit guten Moskitonetzen – alles bestens. Aber am allerbesten gefällt uns der schnell strömende Fluß nach dieser Tour – einfach von der Bambusbrücke reinspringen und treiben lassen!

Abends bekommen wir Besuch von den Floßbauern, die mit uns den Abend am Lagerfeuer verbringen, aber dann mit ihren alten Vorderladergewehren wieder losziehen, um die Felder zu bewachen, wohin sie nochmal eine Stunde unterwegs sein werden. Im Schein von Kerzen und Lagerfeuer fliegen uns zwei große Gottesanbeterinnen zu. Wir füttern sie mit Heuschrecken und sind begeistert, wie reflexartig die Greifarme vorschnellen und wie schnell die Heuschrecke verputzt ist. Nur mit der Intelligenz im Umgang mit Kerzen hapert es – wie magisch angezogen klettert die eine Mantis immer wieder von neuem an der Kerze hoch und langt trotz schmerzlicher Erfahrungen immer wieder von neuem in das flüssige Wachs.

Unser Führer Bon (24) führt uns auf unsere Bitten hin abends ein paar Basistechniken des Kickboxens vor. Vom Typ her ist er der total gelassene und coole Typ, den man eigentlich nur kräftig unterschätzen kann. Nur der Blick auf seine Konstitution, seine Muskeln, seine Waden und seine dicken Schwielen an den Knöcheln lassen seine wahre Kraft und Beschäftigung erahnen. Und in „Krisen“situationen, etwa wenn ein Badelatschen von der reißenden Strömung im Fluß davongetragen wird, erwacht der geschmeidige Panther in ihm. In Wirklichkeit, oder sagen wir hauptberuflich, ist er ein Thaiboxer, der in Chiang Mai kein Unbekannter ist. Für ihn sind die Wälder ein Lebensraum, in dem er sich frei und sicher fühlen kann. Denn nicht alle seine unterlegenen Gegner verhalten sich fair und trennen Wettbewerb und Privatleben. Bon lebt in der Tat in Chiang Mai wegen seiner persönlichen Sicherheit in einer Polizeiwohnung. Somit kann sich unser Kickboxer nur in den Dschungelwäldern unter den Karen, deren Sprache er so sicher beherrscht wie das Thai, richtig ungezwungen und frei fühlen, während er sich in seiner eigenen Heimatstadt nicht frei und ungezwungen sicher fühlt.

In diesem Camp leben zwei ältere Herren, einer 70, einer noch älter. Auch für diese sind technische Errungenschaften fast ein Wunder. Als ich mich am nächsten Morgen am Fluß gewaschen hatte und meinen Rasierer zückte, stellte er sich ganz erstaunt daneben. Von Stromkabeln hatte er wohl schon was gehört, aber diese Faszination, daß der Apparat auch ging, wenn das Kabel lose in der Luft baumelte! Er kam immer näher, schaute sich alles ganz gespannt an, faßte mal hierhin, mal dorthin, um den Effekt zu überprüfen, beugte sich unter mein Kinn, schaute an den Ohren – und als ich fertig war, nahm er all seinen Mut zusammen und bedeutete mir, ich solle bei ihm weitermachen!

Am selben Morgen wurden zwei Bambusflöße zusammengebaut. Mit dem Hackmesser werden an den unteren Enden der Bambusstangen gegenüberliegend rechteckige Öffnungen geschlagen, ein dünnerer grüner Bambus wird durchgefädelt. Das eine Ende desselben wird verdreht, bis es aufsplittert und dann hochgebogen, worauf die Bambusstangen mit den bloßen Füßen lückenlos gegeneinander gestemmt werden. Dann wird das gegenüberliegende Ende der Querstange verdrillt, ebenfalls umgebogen und mit Bambusstreifchen angebunden. Drei weitere Querstangen werden mit vielen Bambusstreifchen über die Stämme gebunden, wobei niemals ein echter Knoten gemacht wird, sondern die Streifchen werden nur verzwirbelt, geknickt und in Gegenrichtung entspannt. In der Mitte wird noch ein Tetrapode (ein angeflanschtes Dreieck, dazu die Stützen nach vorn und achtern in ein in die tragende Stange geschlagenes Loch gestellt) für die Rücksäcke errichtet, die überstehenden Enden werden grob abgehackt, und dann trägt uns die Strömung davon. Wir sind jeweils 5 Personen pro Floß, vorne und hinten stehen die Lotsen mit ihren langen Stangen. Bambus und echte Mimosen säumen den Fluß, Äste streifen über unsere Köpfe, Stromschnellen und Felsen lassen das Ganze zur nassen Angelegenheit werden.

Nach dem Anlanden vor einer unüberwindbaren Stromschnelle geht es wieder zu Fuß weiter, immer entlang von Reisfelderbewässerungsgräben. Fast unwillig bemerken wir, daß der Weg immer mehr zum richtigen Weg mutiert und die Zivilisation immer näher kommt, bis unser Pickup unvermeidbar vor uns steht. Nach dem Lunch an irgendeiner Tankstelle, wo wir dankbar unsere Wanderstiefel vom roten Schlamm befreiten, ging es hoch zum Doi Inthanon. Der Ausblick von diesem höchsten Berg Thailands aus ist gewaltig. Obenauf, ein paar hundert Meter unter dem Gipfel, sind zwei gigantische Pagoden in modernem Stil als Wallfahrtsziel errichtet, sie strahlen innen den Charme einer Bahnhofshalle und außen den eines Schwimmbades, wenn das Wasser abgelassen ist, aus. Ringsum befindet sich ein gepflegter Park, absurd anzuschauen, mit wieviel Geld und Aufwand hier eine überflüssige Anlage gepflegt wird, während ringsum in den Dörfern bitterste Armut herrscht.

Danach geht es weiter zu Thailands zweithöchstem Wasserfall, dem Vachirathan-Wasserfall. Besonders im Gegenlicht wird das Tal in einen Hauch schwebender Lichtteilchen getaucht, der Blick flußabwärts geht auf einen doppelten Regenbogen. Weiter unten wird noch eine ausgiebige Badepause an einem weiteren, diesmal breiten Wasserfall eingelegt. Nach dem ganzen Dreck des Dschungels und den Anstrengungen der letzten Tage ist es eine Wohltat, sich in einen der natürlichen Whirlpools zu legen und die Massage des fallenden Wassers zu genießen.

Wir nehmen noch den älteren Herrn aus dem letzten Camp mit nach Chiang Mai zu seinem Sohn – er war mit über 70 Jahren noch nie in einer größeren Stadt! Ihm gehen – äußerlich zwar gelassen, aber im Herzen um so aufgewühlter - fast die Augen über, als wir uns Chiang Mai nähern und die Bauten immer größer, die Märkte immer üppiger und die Tempel immer prächtiger werden.

In Chiang Mai müssen wir uns alle erst langsam wieder an die Annehmlichkeiten gewöhnen, blickten wir vorher noch mit gerümpfter Nase auf die Quartiere, erschien es uns nun wie ein Palast.

Lieber Bon, Ingo, Johannes, Martin, Daniel und Philip – es waren unvergeßliche Tage, ich danke Euch herzlich für die ausgezeichnete Kameradschaft. Jederzeit würde ich mit Euch wieder auf Expedition gehen!

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