Bernhard Peter
Von Likir nach Yangthang - Reisebericht

Stolz zeige ich nach frischem Chapati zum Frühstück dem „donkey-man“ nach seinem Eintreffen (alleine – will uns das etwas sagen?) das Ergebnis des Umpackens, der Aufteilung meines Gepäcks auf zwei Teile. Ganz toll, aber noch lieber will er den Rucksack ganz selber tragen. Aha, jetzt fällt bei mir der Groschen: Der Esel wird bei der Ernte gebraucht! Es ist Haupterntezeit, und eigentlich kann niemand auf die Transporttiere verzichten, nur um ein paar Touris zu begleiten, und schon gar nicht für einen einzigen. Vollstes Verständnis - dann soll er eben selber schleppen, wenn er unbedingt will. Von der Statur her würde ich ihm das sogar zutrauen.

Nun, es geht los, er den schweren Rucksack, ich den Kamera- und Wasser-Rucksack. Klare Morgenluft weht durch das Tal. Als erstes beeindrucke ich meinen Träger damit, mit wenigen Worten den Wachhund in eine um Vergebung winselnde Ich-will-ja-nur-noch-brav-Bestie zu verwandeln, damit er unbehelligt vorbei kann. Nun ja, das hatten wir zwei ja des Nachts häufiger schon geübt. Trotzdem macht mein Träger einen möglichst großen Bogen, um dann schnell durch das Tor zu schlüpfen.

Einen Vorteil hat das Arrangement: Nicht ich muß japsend einem Horseman hinterher und mich an sein Tempo anpassen, sondern ich bin der Schnellere mit leichtem Gepäck. Er tut mir ja wirklich leid, aber er hatte es so gewollt. Er schafft es auch meisterhaft, bei nur drei Pausen, die dreieinhalb Stunden durchs Gebirge bis nach Yangthang zu trekken. Viel Kommunikation ist nicht drin bei der steilen Strecke und der dünnen Luft, außerdem hat jeder von uns sein eigenes Tempo. Und so stiefelt er hinter mir her, ständig irgendwelche Mantras zu seiner eigenen Unterhaltung vor sich hinmurmelnd. Und selbst als die Schweißbäche nur so rinnen, bleibt er die Gelassenheit in Person.

Die Ausblicke auf die Berge sind grandios, sanfte abgeschliffene Hänge wechseln mit Geröllhalden und anstehendem Fels, Erosionsschrunden und herabstürzenden Bächen. Im Prinzip sind Ausgangs- und Zieldorf noch mit einer Straße verbunden, die wir weit oben lassen, zum einen weil sie häßlich ist, zum andern, weil sie aus so vielen Kehren und Kurven besteht, daß der direkte Weg deutlich kürzer ist, und drittens aus Prinzip. Eigentlich verkehrt dort oben nur einmal täglich ein kleiner Bus und sonst nichts. Der Aufstieg hinter dem Dorf Likir führt uns auf den Paß Chagatse-la, 3610 m hoch. Hier überholen wir die einzigen anderen Trekker mit weitaus größerem Tempo. Steil geht es in das Bachtal hinunter, welches über einem ausgedehnten Kieselbett zwischen den Büschen durch überquert wird, und in einer noch steileren Schlucht am anderen Ende wieder hinauf zum nächsten Paß, dem Phobe-la mit 3747 m Höhe. Dahinter ist es nicht mehr weit, Yangthang taucht hinter der nächsten Wegbiegung auf. Auf einem Hochplateau liegt vor einer größeren, kahlen Bergwand ein anmutiges Dorf mit schönen großen Bauernhäusern. Doch unser Tagesziel liegt tiefer, hinter dem Hochplateau verbirgt sich noch vor unseren Augen eine tiefe Schlucht, erst dahinter darf die Bergkette ansteigen. Dort unten direkt in der Nähe des kräftig rauschenden Bergbaches liegen noch ein paar Bauernhäuser. Eigentlich eine tolle Lage, aber das Wissen, genau diese kostbaren Höhenmeter am nächsten Tag wieder auf der anderen Seite hinaufzumüssen, verflucht man mit jedem Meter des Abstieges auf kleinen felsigen Pfaden zwischen dornigem Gestrüpp. Dieser Dorfteil unten ist durch seine Abgelegenheit eine kleine Welt für sich, mehr als ausreichend frisches Wasser tost am Fuß der drei oder vier verschiedenen Anwesen vorbei, jedes inmitten kleiner Gerstefelder und Gemüsebeeten.

Auf drei nebeneinandergelegten Ästen überqueren wir den reichlich Wasser führenden Bach. Riesige abgerundete Kiesel prägen das Bett und zeigen, welche Wassermassen hier zur Schneeschmelze erst hinabrauschen. Und um wieviel schöner ist das jetzt ausgewählte Homestay als das der letzten Nacht! Wir werden nach Betreten des Grundstücks durch ein wackeliges Holztor vom Großvater begrüßt, einem Alten oder besser uralt aussehenden Mann, denn die Runzligkeit täuscht hier ein paar Jahrzehnte mehr vor als die Leute tatsächlich auf dem Buckel haben, mit drei Zähnen im lachenden Mund und einer ausgeleierten, vielfach bunt zusammengenähten, aber im wesentlichen isabellenfarbenen Jacke, der kein Wort Englisch spricht und uns am schwarzen, weißgefleckten Hofhund vorbei und auf die hangseitige Rückseite des Hauses führt, wo ein kleinerer Bergbach in einem kleinen künstlichen Graben gurgelt, von wo aus wir über eine kleine Treppe eine Hochterrasse erreichen, von der aus es als erstes in die geräumige Wohnküche geht. Auch hier ist der Träger baff, daß ich den hiesigen Kläffer sehr schnell auf Deutsch erkläre, daß das alles schon seine Richtigkeit hat, worauf er sich murrend in den hintersten Winkel verkriecht. Hundesprache ist eben international, und wer Angst hat und zeigt, wie mein Träger, ist eben immer eine willkommene Abwechslung.

Auch in dieser Wohnküche besteht die hauptsächliche Einrichtung aus schmutzigen Polstern vor niedrigen Tischen (Choktse werden die genannt), entlang der Fenster aufgereiht. Mit dem Rücken zu den Fenstern, durch die der Blick auf hohe Obstbäume fällt und durch die das stete Rauschen des Bergbaches dringt, genießt man die Aussicht auf die geräumigen Regale, die zwei Wände des Raumes komplett einnehmen. Hier sind die ganzen Töpfe, Gläser, Thermoskannen, Gewürzgläser, Trockenzutaten etc. aufgereiht, viel schöner, sauberer und auch wohlhabender als in der letzten Unterkunft. Ein großer Herd steht frei im Raum. Zubereitet wird der Tee aber auf einer Besonderheit, auch dies ein Zeichen des relativen Wohlstandes dieses Gehöfts: Einem Gasherd. Viel praktischer als der holzbefeuerte Ofen, wirkt er dennoch wie ein moderner Fremdkörper in dieser ursprünglichen Welt. Mir macht der Großvater netterweise ein bißchen frisch abgekochtes Wasser, während sich mein Träger ganz dem Buttertee hingibt.

Es wird für mich immer ein Geheimnis bleiben, wie man Tee, Quelle höchsten Genusses und Gut edlen Aromas, mit einem Stück geschmolzener Butter durchquirlen kann und das gut finden kann. Ein entsprechendes Rohr hängt an der Wand, in dem mit einer Art Stampfer die Zutaten innig vermischt werden, und Thermoskannen mit dem Gebräu sind allgegenwärtig. Aber das ist noch steigerungsfähig: Auf den Tischchen steht eine Büchse mit Gerstenmehl, Tsampa, einer der vielseitigsten Grundnahrungsmittel der ladakhischen Küche. Bevor es von der Regierung subventionierten Reis gab, war es sogar das hauptsächliche Grundnahrungsmittel, zu Brei verarbeitet, zu Fladen gebacken, oder, um dem fragwürdigen Gebräu namens Buttertee noch die Krönung aufzusetzen, in denselben gerührt. Mein Träger ist auch wunschlos glücklich, rührt sich löffelweise Gerstenmehl in seinen Tee (wo ich mich schon beim Anblick schütteln könnte, angesichts meines derzeitigen Loperamid-Konsums bleibe ich bei abgekochtem Wasser) und tauscht mit unserem Gastgeber Nachrichten von Tal zu Tal aus. Als ich mich erkundige, wo er schlafen wird, lacht er mich an: „I’m donkey – so I sleep with the donkeys“. Tatsächlich wird er auf den Sitzpolstern der Küche schlafen, eigentlich der urigste und gemütlichste Raum im ganzen Haus, der Szenerie aber auch aller häuslichen Tätigkeiten ist.

Das mir zugewiesene Zimmer ist das Beste des ganzen Hauses, an zwei Seiten fast vollständig verglast, in luftiger Höhe über dem Fluß. Die Tür öffnet sich auf eine kleine Dachterrasse, auf deren Mauerkrone zu Bündeln gedrehtes Heu wie in Form einer Brustwehr gestapelt wird. Die Fläche der aus Lehm bestehenden Dachterrasse wird zum Trocknen von Aprikosen genutzt.

Vier Schlafplätze hat das Zimmer, die vielen Fenster lassen es auf Anhieb besser aussehen als das gestrige, auch fehlt der strenge Geruch. Nach näherem Hinsehen entschließe ich mich jedoch, den besten der vier schmalrechteckigen Teppiche auf den Matratzenpolstern mal auf der Terrasse auszuschlagen, gedeckt vom Lärm des Baches – ein wahrer Staubsturm erhebt sich und zieht als graue Wolke peinlich langsam durch das klare Tal. Noch eine Handvoll Kleinkram, Steinchen, tote Fliegen etc. wird nach draußen befördert, etwas sanfter ein schönes rotes Ordensband, das draußen geblendet davontorkelt und die nächste dunkle Ritze sucht.

Hier ist die Toilette im Vergleich zur vorigen Unterkunft auch um Klassen besser: Im Prinzip gleich aufgebaut, aber hier ist im oberen Raum wenigstens ein Fenster, und unten besteht eine Seite aus einem Rost aus Ästen, so daß sich die Gerüche nicht ganz so penetrant akkumulieren. Und auch die Schaufel zum Erdenachwerfen ist so, daß man sie bedingt anfassen kann, und es ist auch genug Erde da.

Nach einem kurzen Wohlfühlschlaf gehe ich an das Hauptproblem: Ich habe zuviel Gepäck. Irgendwie habe ich gerade einen Anfall von Mitleid mit meinem Träger. Nur wo und wie reduzieren? Zum Glück hatte ich die ollsten Kleidungsstücke für ein Himmelfahrtskommando reserviert und gleich zu Anfang schmutzig getragen – weg zur Zweitverwendung, desgleichen das marode Paar Zweitschuhe, das ich eigentlich nur zum Draußenstehenlassen an Heiligtümern mitgenommen hatte eingedenk schmerzlicher Erfahrungen, als mir mal früher in Ajmer meine Schuhe vor der Moschee geklaut worden waren. Das passiert in Ladakh jedoch nicht. Also Gepäck weiter erleichtern, hier kann noch jemand was mit anfangen. Das Ausmisten wird zur Neurose, als ich beginne, die Mengen an Sonnencreme und Duschgel auszurechnen, die ich noch brauchen werde, und sogar die Etiketten von den Flaschen runterziehe – wieder ein paar Gramm gespart. Alles Verbrauchsmaterial wird auf die kalkulierte Restmenge reduziert. Viel wichtiger ist jetzt Kapazität für Wassersack und –Flaschen. Und vor allem ist es wichtig, meinen gutmütigen Träger weder zu überfordern noch auszunutzen noch ihm seine Laune zu verderben. Also kommt alles, was eh auf der Abschußliste stand, in den Aussortierbeutel, dessen Inhalt die Dorfbewohner garantiert noch gebrauchen können.

In der nach der Aktion vorhin fast staubfreien und aufgeräumten Ecke widme ich mich der Lektüre, die Sonne ist längst hinter dem Hügelkamm verschwunden, als der Familienvater heimkommt, der das Anwesen bewirtschaftet und den ganzen Tag mit Feldarbeit beschäftigt war.

Der Rest der Familie trudelt auch so langsam ein. Der aufgeweckteste ist der vierzehnjährige Sohn, der gerade in total verdreckten Klamotten das Zimmer betritt, ein pfiffiges Kerlchen, ein hervorragendes Englisch sprechend. Er besucht die Schule in Hemis, d. h. jeden Schultag zwei Stunden hin durchs Gebirge und zwei Stunden zurück durchs Gebirge laufen, denn von einem Schulbus kann man auf dieser Route nur träumen. Außer in den Monaten Januar und Februar, da ist kältefrei, und das ganze Land versinkt in Winterstarre. Der Einsatz lohnt sich absolut, er erweist sich sogar als sehr bewandert in europäischer Geographie. Und er ist vor allem begierig auf Konversation, bis er von Papa zurückgepfiffen wird. Nur mit der Wissenschaft von der Verformung von heißem Plastik hapert es noch, als er mir meine Wasserflaschen mit frisch abgekochtem Wasser auffüllt, denn das Fassungsvermögen beträgt nur noch ca. die Hälfte, so sind sie geschrumpft. Es ist insgesamt eine sehr nette und liebe Familie. Überhaupt fällt sehr angenehm auf, wie grundsätzlich vertrauenswürdig die Menschen der Berge sind, kein Vergleich mit dem restlichen Indien. Hier kann man seine Kamera einen Tag lang offen zugänglich ohne Schloß und Riegel stehen lassen und nichts passiert. Das liegt natürlich zum einen an der geringen Bevölkerungsdichte und den gefestigten Lebensumständen und daran, daß hier jeder jeden kennt, zum anderen aber auch an der grundsätzlichen Kooperativität der hiesigen Lebensformen, wo jeder genau weiß, daß er alleine nichts, in Gemeinschaft alles erreichen kann. Nie würde jemand dieses Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft aufs Spiel setzen.

Der Vierzehnjährige kommt und sieht, daß ich bei Kerzenschein und Taschenlampe lese, denn die Sonne geht hier früh unter, kuschelt sich zu mir und will alles wissen. Alles, man weiß kaum wo man anfangen soll, aber im Grunde ist das auch egal, er will begierig alles über das Leben hinter den Bergen wissen. Ich bin ehrlich begeistert, einen so aufgeweckten und netten Gastgeber zu haben. Nach einer halben Stunde über dies uns das schaut Papa ganz erstaunt rein, denn eigentlich sollte der Sohn mich zum Abendessen rufen.

Das Abendessen ist Reis mit Spinat und Dal aus eigenem Anbau. Großvater ist nach etwas Chang guter Laune und stellt das krächzende Radio ab und holt dafür seine doppelläufige Flöte, worauf er bis um halb elf Stücke zum Besten gibt, immer wieder zwischendrin am Chang nippend und ein bißchen Gebetsmühle drehend.

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