Bernhard Peter
Neak Pean - Gesundung in Reich Jayavarmans VII

Hier handelt es sich um ein außergewöhnliches Bauwerk, das keine einzige Entsprechung in den anderen Bauten Angkors hat. Wir haben eine ganz grob kreuzförmige Anlage. Hauptteil ist ein großes quadratisches Wasserbecken von 60 m Kantenlänge, zu dem reihum Stufen hinunterführen. In der Mitte desselben erhebt sich eine runde Insel. An jeder Seite des Quadrates schließt sich ein weiteres quadratisches und stufengesäumtes Wasserbecken von geringerer Kantenlänge als das zentrale Hauptbecken an. An der Seite, wo die kleineren Becken an das große stoßen, steht jeweils ein kleines Gebäude, zum Becken hin offen, mit einem Scheingewölbe gedeckt. Innen befinden sich verschieden skulptierte Köpfe als Wasserspeier, die den dort befindlichen Brunnen eine jeweils besondere Bedeutung gaben. Erbaut wurde diese Anlage von Jayavarman VII, fällt also in die letzte große Bauphase Angkors unter dem großen Herrscher, der auch Angkor Thom und die flachen Klostertempel errichten ließ.

Die ganze Anlage ist außergewöhnlich in Konzeption und Geometrie, aber genauso wie die anderen Bauten ein Abbild kosmischer Harmonie. Das zentrale Wasserbecken steht für den Anavatapta-See im Himalaya, der laut hinduistisch-buddhistischer Mythologie am Gipfel des Universums liegt und in dem die Buddha, die Bodhisattvas, die Heiligen (Arhat) und die Eremiten (Rsi) baden. Aus ihm entspringen die vier größten Ströme der Erde (bzw. Indiens), symbolisiert durch die vier kleineren Wasserbecken. Genauso wie die Wasser des legendären Sees in die vier großen Ströme verteilt werden und der Erde Fruchtbarkeit und Segen bringen, wird das Wasser des Zentrums in die vier äußeren Abteilungen geleitet, wo es in den kleinen Anbauten durch das Strömen durch die jeweilige Skulptur der Wasserspeier eine für die jeweilige Abteilung charakteristische Eigenschaft erhält.

Im Innern des zentralen Wasserbeckens begegnet uns wieder die Lotus-Symbolik: Das Inselheiligtum in Form eines isolierten Prasats stellt eine Lotusknospe dar, deren Blätter die Plattform einsäumen. Man bedenke die mythologische Rolle des Lotus als Thron göttlicher Wesen! Der untere Rand der Insel wird von den Körpern zweier Nagaschlangen mit sieben Köpfen gebildet, die in ihrer Symbolik als Wasser-, Regen- und damit Lebens-Spender sich nahtlos in die Symbolik des Gebäudes einfügen.

Gerade weil es aus dieser perfekten Ordnung irgendwie herausfällt, verdient die Skulptur eines Sandsteinpferdes (das Pferd Balaha) im zentralen Bassin unsere Aufmerksamkeit, einer Inkarnation von Lokesvara, der verlorenen Seelen Schutz an seiner Seite gewährt. Es symbolisiert wahrscheinlich die Überquerung des Ozeans bei den Wiedergeburten.

Der Anlage eigen ist eine Symbolik der Elemente: Vier Achsen – vier Himmelsrichtungen – 4 große Flüsse – 4 Elemente: Die vier Brunnenstuben enthalten jeweils eine individuelle Skulptur, ein menschliches Gesicht oder Gottheit (Osten, Element Erde), ein Elefant (Norden, Element Wasser), ein Löwe (Süden, Element Feuer) sowie ein Pferd (Westen, Element Luft). Eine kleine Abweichung gegenüber der klassischen buddhistischen Mythologie gibt es: Die vier Ströme entspringen dem See Anavatapta durch die Mäuler eines Löwen, eines Elefanten, eines Pferdes und eines Ochsens – der Ochse ist hier durch eine menschliche oder göttliche Maske ersetzt. Der zentrale Prasat symbolisiert das fünfte kosmische Element, den Äther.

Damit ist der Schlüssel zur Funktion der Anlage gegeben: Denn die Architektur spiegelt den Einfluß von Ayurveda, der klassischen indischen Medizin wieder. Die Zusammensetzung der Elemente und insbesondere deren Gleichgewicht sind von größter Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten, die durch Mangel oder Überfluß eines bestimmten Elementes herbeigeführt werden. Nachdem in einem etwas abseits gelegenen Gebäude (Chy nannte es eine „Wahrsagergrotte“) festgelegt wurde, welche Abteilung bzw. welches Element zuständig ist für die Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Körper des Hilfesuchenden bzw. Kranken, konnte die Heilung durch das elementspezifisch geprägte Wasser erfolgen.

Der zentrale Prasat spiegelt auch den religiösen Umbruch während der Regierungszeit von Jayavarman VII wieder: In seiner Zeit fand die religiöse Reform statt, in der buddhistische Elemente in den Vordergrund traten. Entsprechend wurden drei der vier Türdurchgänge vermauert und mit Darstellungen des Bodhisattvas des Mitgefühls geschmückt, im Zuge dieser Reform ist die augenfällige Darstellung des Lokesvara bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu sehen, man denke an den Bayon oder an die Stadttore von Angkor Thom bzw. der von ihm erbauten flachen Klostertempel.

Andere Berichte aus Kambodscha lesen
Andere Reiseberichte lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
Impressum