Bernhard Peter
Die Klostertempel von Jayavarman VII in Angkor

Aus der Spätzeit, d. h. dem 12. Jh., erbaut unter dem letzten großartig als Bauherr in Erscheinung tretenden König, Jayavarman VII, wurde eine Reihe von Heiligtümern errichtet, die eine Klasse für sich bilden. Zu diesen gehören Ta Prohm, Banteay Kdei, und Preah Khan. In diese selbe Gruppe gehören die von mir nicht besuchten Tempel Banteay Chmar (70 km von Sisophon entfernt) mit gigantischen Dimensionen und der Preah Khan (Prasat Bakheng) von Kompong Svay (bzw. Kompong Thom).

Allen gemeinsam ist, daß es labyrinthische Flachtempel sind von ungeheuren Ausmaßen, und daß sie durch die Belassung der Vegetation auf den unrestaurierten Mauern einen Charme der Vergänglichkeit besitzen wie nur wenige andere Ensembles in Angkor.

Jayavarman VII – der umtriebigste Bauherr von Angkor, der nach dem Plünderungsüberfall der Cham auf Angkor im Jahre 1177 den Wiederaufbau leitete (seit 1181 als König), dem wir nicht nur den Bayon und überhaupt Angkor Thom sowie Neak Pean verdanken, der laut Inschriften schon fünf Jahre nach Regierungsantritt 102 „Krankenhäuser“ erbaut hatte, und der 10 Jahre nach Regierungsantritt schon stolz auf 120 „Häuser mit Feuerstelle“ für Reisende entlang der Hauptstraßen des Reichen blicken konnte, hat eine ganze Reihe ähnlich konzipierter Bauten veranlaßt, die nicht nur dem Bauherr seine Unsterblichkeit sicherten, sondern auch veränderten religiösen Bedürfnissen Rechnung trugen. Die steigende Anzahl vergöttlichter Menschen verlangte nach Tempeln. Der auf „Personen“ gerichtete Kult hat unter Jayavarman VII eine große Ausweitung erfahren. Früher wurden so nur die königliche Familie und später wichtige Priesterfamilien verehrt. Doch schon in der Inschrift des Preah Khan wird von 430 solchen Bildwerken im Tempel geschrieben. Der nun staatstragende Mahayana-Buddhismus begünstigte ferner große Mönchsgemeinschaften. Die früheren Hindutempel waren dem Volk nur teilweise, d. h. in den äußeren Bereichen zugänglich, dagegen stehen die heiligen Orte nunmehr allen Gläubigen offen. Der Kultus verliert etwas von seiner hierarchischen Struktur und geht in die Breite, desgleichen die Gebäude. Eine Vielzahl von Kulträumen ist nun nötig. So entstanden riesige Klosterkomplexe. Die Stiftung eines solchen Komplexes brachte natürlich Macht und Ansehen für den Stifter, aber sie stellte auch ein wichtiges Element im Gesellschaftssystem dar – zum einen begünstigte die Organisationsform die Kontrolle durch die zentralistische Staatsmacht, große Teile der Gesellschaft befanden sich in kontrollierter Abhängigkeit, und die Verteilung des Nahrungsmittelüberschusses, der durch die herausragende Bewässerungstechnik entstand, war ebenfalls geregelt. In Gründungsstelen mit Inschriften wurde die Rechtslage genau dokumentiert, sowohl die Rechte des Tempelklosters als auch die Pflichten der Stifter. Die Klöster wurden von Steuern befreit und erhielten bestimmte Zuwendungen aus königlicher Schatulle.

Architektonisch lassen sich folgende Elemente als gemeinsame Charakteristika herausarbeiten: Drei konzentrische Mauern umschließen den Tempel, eine vierte den Gesamtkomplex mit Stadt. Die innerste Mauer mit Mandapa umschließt den zentralen Prasat. Zwischen der innersten und der mittleren Tempelmauer ist ein kompliziertes System von Korridoren und Galerien, das insbesondere in verfallenem und zugewachsenem Zustand einem Labyrinth ähnelt. Zwischen der mittleren und der äußeren Tempelmauer befindet sich das Element des sog. Kreuzgangs, der sein Vorbild in Angkor Wat hat, aus einer umlaufenden und einer darin eingebauten kreuzförmigen Galerie besteht, also vier gleichartige Höfe bildet. Im Vergleich zu Angkor Wat wird die Baumasse aber verdichtet, so daß die Höfe kleiner werden und eher Impluvien ähneln. Weiterhin wird er ein eigenständiger Baukomplex, der losgelöst von den Mauern und Galerien eigene Bedeutung hat, ja, eigentlich ein eigenständiges Heiligtum vom Typ des Banteay Kdei selbst ist, ein beigeordnetes Neben-Heiligtum, das von Galerien umgeben ist. Der Preah Khan von Angkor hat sogar drei solcher Elemente zwischen zweiter und dritter Mauer. Die dritte Mauer eines Klostertempels, die Grenze zur umliegenden Wohnstadt, hat Gopuras mit kreuzförmigem Grundriß. Die frühere Fixierung auf den zentralen Berg Meru geht zurück, weder erreichen die Tempel an sich noch einzelne Prasats außergewöhnliche Höhen, sondern sind eher bescheiden in ihren Dimensionen, auffällig ist sogar der gänzliche Verzicht auf Terrassen und Pyramiden, ein Flachtempel eben, selbst die zentralen Prasats stehen quasi auf dem Urwaldboden und heben sich nicht mehr besonders aus der Baumasse hervor. Die Betonung des Bauwerkes liegt - mythologisch gesehen – eher auf den Bergketten dieser Welt als auf ihrem Angelpunkt. Jenseits der dritten Mauer können noch zusätzliche Anbauten wie z. B. eine Halle der Tänzerinnen im Ta Prohm etc. die Verflechtung von Kloster und Umgebung weiterführen. Außen folgt ein weites Gelände, ehemals Stadt, heute durchweg von dichtem Urwald bewachsen, dann eine Außenmauer (Mauer Nr. 4) mit charakteristischen Toren mit viergesichtigen Lokeshvaras oder Gopuras, evtl. ein Wassergraben ringsum mit Brücken (s.u.). Das ist sehr verallgemeinernd, es gibt keinen gemeinsamen Grundriß, eher eine gemeinsame Tendenz des Konzeptes.

Labyrinthisch, in Zusammenhang mit Einsturz, Verfall und Bewuchs chaotisch – und doch in höchstem Maße geordnet. Alle Bauten ordnen sich der strengen Axialsymmetrie des Grundrisses unter. Alle Wege führen zum Zentrum oder rechtwinklig um dieses herum. Es entstehen unendlich lange Fluchten und Durchblicke – man kann in der Tat durch Dutzende von Durchgängen fast vom einen Ende des Komplexes bzw. Teilkomplexes zum anderen schauen, während gleichzeitig unendliche viele Schwellen und Türstürze den Durchgang bremsen und kleine Einheiten schaffen. Unendlich viele individuelle Einheiten sind wie in einem Spinnennetz aus verbindenden Linien aufgereiht. Der Grundriß ist wie ein Mandala, das der Gläubige von außen nach innen durchschreitet und mit dem Eintreten in innere Zonen zugleich sich den Tiefen seines Bewußtseins nähert.

Dennoch kann man sich des Gefühles nicht erwehren, daß mit dem Verlassen des klaren architektonischen Konzeptes, wie es sich in der geradlinigen Gliederung, der Übersichtlichkeit und Schönheit Angkor Wats z. B. widerspiegelt, und der Hinwendung zu einem architektonischen Gewirr und einer bis dahin nicht gekannten Vielfalt der Gebäude eine gewisse Endphase erreicht wurde. Dazu paßt auch der Eindruck, daß in erstaunlich kurzer Zeit eine solche Vielzahl von Gebäuden errichtet wurde, daß die ikonographische Ausstattung oberflächlicher und stereotyper wird als in vergangenen Zeiten.

Ta Prohm
Ta Prohm (Ende 12. Jh.): Inmitten eines riesigen Geländes (70 Hektar) mit den typischen Stadttoren mit viergesichtigen Lokeshvaras liegt das Ensemble. Die Klosterstadt ist 1000 x 700 m groß (äußerste Umfassungsmauer). Von der Straße bzw. Einfriedung aus sieht man noch lange nichts, so groß ist das Gelände und so eingewachsen sind die Bauwerke. Und wenn man dann vor den ersten Mauern steht, ringsum das Dickicht, kein menschlicher Lärm, nur Vögel und Zikaden, dann darf man sich ein bißchen wie der erste Entdecker fühlen. Die Archäologen haben bei der Restaurierung der Vielzahl von Gebäuden in Angkor beschlossen, einige wenige im Urzustand zu belassen, zum einen, damit man auch heute noch das Gefühl des Entdeckens von Ruinen im Urwald haben kann, zum andern, weil die Baumasse weniger kompakt ist als z. B. Angkor Wat und schon viel enger mit der Umwelt verzahnt war als dieser. In jüngerer Zeit ist der Kleinbewuchs mal entfernt worden, ohne die großen Bäume anzurühren, die sich aus den Ruinen erheben. Destruktion und Konstruktion halten sich hier, eng ineinander verkrallt, im Gleichgewicht der Kräfte. Riesige Kapokbäume und Würgefeigen wachsen in, neben und über den Ruinen, manche wurzeln auf den Dächern der Galerien. Wie Lavaströme fließen dicke Wurzeln die Dächer und Wände der Galerien herab, um sich auf dem Boden zu verteilen. Wie Schlangen durchziehen Wurzeln das Gemäuer, drängen sich in mörtellose Spalten, kommen wieder hervor und vernetzten Stein und Natur. Insbesondere die Würgefeige schafft korsettartige Umklammerungen: Ihre Luftwurzeln vereinigen sich, trennen sich, vereinigen sich wieder neu, zwischen sich immer wieder Öffnungen freigebend, aus denen uns Apsaras, Reliefs, Galeriesteine etc. anblicken, als sei es das Natürlichste der Welt, auf diese Weise gerahmt zu sein. Die Kraft des Ausdrucks findet ihren Widerpart in der Kraft der Wurzeln. Die Konstruktion der Galerien ist ungeheuer massiv, kaum sonst würden sie Bäume von 60 m Höhe zu tragen vermögen. Und dennoch schaffen es die Bäume, die Galerien zu drücken, die Steine zu verschieben, das Bauwerk wie mit einer gigantisch starken Hand zu verzerren und zu zerquetschen. Untrennbar die Einheit wischen Natur und Architektur, unauflöslich der Clinch zwischen monumentalen Kräften des Steines und ebensolchen der Baumwurzeln. Vishnu (Erhalter) und Shiva (Zerstörer) sind hier gleichzeitig am Werke. Mal wie feine Gespinste den Bau umspinnend, mal wie brachiale Krakenarme sprengend, bietet die Natur das Schauspiel erhaltender Zerstörung bzw. zerstörender Erhaltung – beide können nicht mehr ohne einander existieren, das Bauwerk würde ohne die Wurzeln einstürzen, der Baum könnte sich nicht mehr halten, der Zerstörer wird zum erhaltenden Element und hält die auseinandergeschobenen Steine an ihrem neuen Platz. Untrennbar ist ihr Schicksal aneinandergekettet, zusammen legen sie Zeugnis ab von der Vergänglichkeit und Verewigung der Konstruktion.

Heute gehören dem einsamen Touristen die Geheimnisse der Ruinen im Dschungel – aber damals war hier pulsierendes Leben – in Ta Prohm lebten insgesamt über 12 000 Menschen – Bedienstete, Priester, Mönche, Tänzer. Die zum Kloster gehörende Inschrift nennt exakte Zahlen: 12640 Angestellte, 18 Hohepriester, 2740 Zelebranten, 2232 Helfer, 615 Tänzer/innen. Das Kloster wurde unterhalten durch zur Stiftung gehörenden 3140 Dörfern. Mit deren Einwohnern belief sich das gesamte System des Ta Prohm auf knapp 80 000 Menschen!

Die Faszination des Bauwerks liegt in seinen Gegensätzen. Hier feinste Reliefs, direkt daneben grobe Brocken wild aufeinandergetürmt. Höchste Verfeinerung und Stilisierung bei der Darstellung der Devas und Apsaras begegnet der brachialen Gewalt der Wurzeln.

Photogalerie Ta Prohm

Banteay Kdei
Banteay Kdei: Ebenfalls ein Flachtempel oben besprochener Charakteristika, jedoch etwas kleiner als die beiden anderen Anlagen und etwas mehr vom Urwald befreit als diese. Nichtsdestotrotz hat man den Eindruck chaotisch verschachtelter Gänge und Räume. Da viele Dächer eingestürzt sind, besteht das Gebäude streckenweise nur noch aus Portalrahmen und Fensterrahmen, durch welche man die langen axialen Durchblicke genießen kann, Durchblicke durch unendliche Abfolgen von Türen und Schwellen, ein ständiges Auf und Ab, der Pfad scheint dadurch in wellenförmiger Bewegung zu sein. Im Vergleich zu den beiden anderen Flachtempeln ist das Mauerwerk eher grob und fast schon ein bißchen schlampig zusammengefügt, was nach Entfernung des Bewuchses zu einem ziemlich windschiefen Eindruck führt. Charakteristisch für das Gebäude sind viele kleine Meditationszellen, die in die Höfe hineingebaut sind bzw. sich an die Galerien anlehnen. Die Gesamtanlage ist 700 x 500 m groß (äußerste Backsteinmauer um die Stadt herum), der eigentliche Tempelkomplex 320x 300 m (zweite Mauer). Die Gebäude gehen nicht so sehr in die Breite, aber dafür sind viele verschiedene Bauelemente wie Perlen auf eine Schnur aufgezogen und reichen von einem Außen-Gopura zum gegenüberliegenden: Außen-Gopura (in der zweiten Mauer) - Innen-Gopura (in der dritten Mauer) – eigentlicher Tempel mit Galerien und insgesamt 10 Türmen (4 + 3 + 3), umgeben von der vierten Mauer – Innen-Gopura (in der dritten Mauer) – Saal der Tänzerinnen – Straße mit Nagas, flankiert von einem gedeckten Saal - Außen-Gopura (in der zweiten Mauer) – Terrasse.

Photogalerie Banteay Kdei

Ta Som
Zwar kein Flachkloster wie die anderen drei Bauwerke, gehört der Ta Som stilistisch ebenfalls in diese Zeit. Er ist klein und übersichtlich. Typisch wieder die Eingangstore mit den 4 Lokeshvara-Gesichtern in jede Himmelsrichtung. Der Tempel wird gerade restauriert, einzelne Teile wie z. B. ein Giebel stehen schon zusammengesetzt am Boden, ein Prasat ist schon ganz neu zusammengesetzt, die Bekrönung ist in Form einer wunderschönen Lotosknospe. Das schönste Bauelement ist das Tor am anderen Ende des Komplexes, gänzlich eingewachsen in einen Baum, wohl die innigste Vereinigung aus Natur und Architektur. Keines könnte man zerstörungsfrei von dem anderen lösen.

Photogalerie Ta Som

Preah Khan
Preah Khan oder Nagarajayashri (Nagara bedeutet wie Angkor einfach Hauptstadt, Nagarajayashri ist die „glückliche Hauptstadt des Sieges“): Eine riesige Anlage, deren Fülle an schönen Elementen man gar nicht in diesem kleinen Rahmen angemessen beschreiben kann. Die Gesamtfläche beträgt 56 Hektar! Das ca. 700 x 800 m große Gelände ist umgeben von einem 40 m breiten Wassergraben, der auf jeder Seite der streng rechteckig angelegten Klosterstadt von einer Brücke überspannt wird.

Die Brücke wird von zwei Nagaschlangen als Geländer flankiert. Auf der linken Seite (zur Stadt hin blickend) wird die Schlange von Göttern (Devas) getragen, auf der rechten von Dämonen (Höllengeister, Asuras), wie auch in Angkor Thom. Dieses Element wiederholt sich auf jeder der vier Seiten der Klosterstadt. Früher war eine einfache oder doppelte Naga-Galerie üblich (wie in Angkor Wat oder am Sras Srang, dem königlichen Badesee), die sie tragenden Figuren sind eine Neuerung unter Jayavarman VII. Die Nagas selbst sind Symbol des Regenspendens sowie des Regenbogens ebenso, des Naturphänomens, das Himmel und Erde, göttliche und menschliche Welt verbindet. Um so treffender, dieses Symbol die Brücke zwischen religiösem Zentrum und Umfeld flankieren zu lassen. Und ebenso läßt sich die Brücke schlagen zur einer Relief-Darstellung in der untersten Galerie von Angkor Wat, wo die Quirlung des Milchozeans dargestellt wird. Vergleicht man die Darstellungen, fällt es einem wie Schuppen vor den Augen. 92 Asuras und 88 Devas ziehen in zwei Gruppen an jeweils einem Ende der Schlange. Um an das Lebenselixier zu gelangen, welches ihnen Unsterblichkeit verleiht, ziehen beide Gruppen die Schlange vor und zurück. Natürlich hat der Wassergraben um die Tempelstadt auch eine militärische Funktion. Aber ebenso symbolisiert er das Urmeer, den Milchozean, durch dessen Quirlung die Welt (Stadt) entstanden ist. Die Geister des Himmels und der Hölle fassen die Nagaschlange und bringen mit ihrer Hilfe das Universum zum Kreisen, und diese Bewegung erzeugt Leben (Amrta, Lebenselixier) – ein Leben in Wohlstand, wie es im Reich dank der weisen Führung durch König Jayavarman den Bewohnern gewährt wird. Genau das gleiche gilt natürlich auch für die Stadt Angkor Thom mit dem Bayon als Weltenberg Meru im Zentrum.

Hinter der Brücke gewährt ein wunderschöner Gopura (mal kein Tor mit viergesichtigem Lokeshvara!) Zutritt zur Stadt. Hier war die Hauptstadt, ehe Jayavarman VII die Cham besiegte und Angkor Thom gründete. Von den ehemaligen hölzernen Bauten ist natürlich nichts mehr zu sehen, dichter Urwald bedeckt das Gelände. Dort, wo sich die achsial angelegten Hauptstraßen schneiden, steht der eigentliche Flachtempel.

War der Ta Prohm der Mutter von Jayavarman VII geweiht, so ist dieser seinem Vater, Dharanindravarman, gewidmet. Auch hier sind die Zahlen ähnlich gewaltig wie beim Ta Prohm: Die Gründungsstele nennt die Zahl von 5324 Dörfern, die zu der Pfründe gehören! Täglich mußten diese Dörfer zehn Tonnen Reis für die Versorgung des Klosters anliefern. Alle Menschen in Abhängigkeit von diesem Komplex zusammengerechnet, kommt man auf über 97 000 Seelen!

Nach der religiösen Wende in Angkor erbaut, ist die Prägung des Ensembles buddhistisch. Nach dem Tod des Erbauers gab es jedoch eine kurze Periode erneuter Hinduisierung (sog. „brahmanische Revolution“). Mit bilderstürmerischem Eifer vernichtete man die buddhistische Ikonographie, einige Beispiele: Die gigantische Umfassungsmauer von 3 m Höhe entlang des äußeren Wassergrabens war bekrönt mit kleinen Nischen mit Buddhabildern – fast alle sind herausgeschlagen. Zum Glück sind die schönen Garuda-Darstellungen erhalten geblieben. Die Reliefs im Innern des Klosters zeigten früher Buddhas im Lotussitz – sie wurden während der „brahmanischen Revolution“ umgearbeitet, die Beinstellung wurde verändert, ein Knie angewinkelt, das Bein senkrecht gestellt, ein Bart hinzugefügt, und schon wurden aus Buddhas hinduistische Asketen.

Auch dieser Flachtempel ist untrennbar mit dem ihn umgebenden Urwald verwachsen. Das Belassen in bewachsenem Zustand hat auch einen sehr schönen Effekt. Man wird als Tourist ganz klein und leise, man fühlt sich als Eindringling in eine ruhende Welt, nicht wie im Museum. Man denkt nicht zuerst an Blende und Belichtungszeit. Man empfindet so etwas wie eine ehrfurchtsvolle Angst, die Aura des Ortes durch seine Anwesenheit zu entweihen, das seit Jahrhunderten gewachsene Gleichgewicht zwischen Dschungel und Gemäuer oder auch zwischen Natur und Kultur im übertragenen Sinne zu stören.

Charakteristisch sind auch hier die unendlichen Fluchten von Türdurchgängen und Schwellen. Die Gewölbe der Galerien sind hier auch immer falsche Gewölbe, Kragsteinkonstruktionen, die außen gerundet sind, aber innen die rohen Kragsteine hervortreten lassen. Das war nicht weiter tragisch, denn früher waren die Decken verkleidet, so daß man es nicht sehen konnte. Außen an eine solche Galerie lehnt sich meist noch eine zweite, niedrigere vorgebaute Galerie an, deren Dach sich an die unterste Steinreihe des Daches der Hauptgalerie stützt.

Im Inneren gibt es ein paar besondere Bauten, z. B. ein doppelgeschossiger Saalbau mit klobigen runden Säulen – ein Unikum in der Khmer-Architektur, Funktion unbekannt, oder einen gedeckten Saal, der eine Weiterentwicklung des „Kreuzganges“ darstellt, dessen Wände mit Tausenden von Apsaras, Tempeltänzerinnen, geschmückt sind. Der Tanzsaal hat wunderschöne Architrave.

Als Besonderheit ist ferner hervorzuheben, daß zahlreiche Löcher im Bauwerk auf eine Verkleidung mit Metallplatten hinweisen, das paßt zu Inschriften auf der Gründungsstele, nach denen 1500 Tonnen Bronze beim Bau des Tempels verarbeitet wurden.

Der Komplex wird derzeit restauriert. Weite Teile des 200 x 175 m großen zentralen Teiles sind noch unzugänglich, total zugewuchert oder akut einsturzgefährdet. Der Bau ist so groß, daß man in gerader Linie über 200 m durch Galerien wandern kann. Irgendwann kommt man abseits der Hauptachsen dann an die Grenze des Übergangs von Bau und Natur. Ein letzter Durchgang, ein kleiner Vorplatz, ringsum dichter Wald, Schmetterlinge umflattern einen, man lauscht dem Tropfen des Wassers und dem Kreischen der Vögel irgendwo im Dickicht, ein schmaler Fußpfad verliert sich im Gebüsch. Wie gerade aus dem Maule eines Riesen entschlüpft steht man und genießt die Andacht des Ortes, ehe man sich wieder in das Gewirr der Gänge zurückbegibt.

Alle drei Bauwerke zusammen folgen einem Gesamtkonzept für Angkor: Der Ta Prohm ist der Mutter von Jayavarman VII geweiht, der Preah Khan seinem Vater, der Banteay Kdei schließlich Buddha. Die Eltern des Königs sind versinnbildlicht in Prajnaparamita (Personifizierung von Vollkommenheit und Weisheit) sowie in Lokeshvara (Bodhisattva des Mitgefühls). Mit Buddha selbst wird die Dreiheit komplett.

Photogalerie Preah Khan

Sonstige
Die beiden nicht in Angkor liegenden Komplexe sind noch größer: Die Stadt von Banteay Chmar mißt 2000 x 2500 m, der Klosterbezirk selbst mißt 600 x 800 m und wird von einem 50 m breiten Graben umfaßt. Allein die äußere Galerie ist 250 m lang und 200 m breit. Im Preah Khan von Kompong Thom war die Wohnstadt ein Quadrat von 5 km (!) Seitenlänge, der Klosterkomplex liegt hinter einer 1100 x 700 m messenden Einfriedung. Damit zählen diese beiden zu den größten Anlagen in ganz Kambodscha.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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