Bernhard Peter
Ein Tempelfest im Wat Chedei

Am Südrand von Siem Reap geht es zu einem kleinen Kloster, dem Wat Chedei. Der Weg dorthin führt an schönen alten Teakhäusern zwischen alten Bäumen vorbei, meist dient das Erdgeschoß als offener Stall mit Schuppen, nur das Obergeschoß ist richtig ausgebaut und bietet auf seinen Stelzen ein trockenes Leben für die Familie auch zur Regenzeit.

Der Wat Chedei besteht aus mehreren neuen Gebäuden und einem im rückwärtigen Teil gelegenen alten Khmer-Tempel. Hier ist untouristisches Gelände, kaum jemand verirrt sich hierher. In der neuen Gesellschaft nach Regierungsantritt von König Sihanouk stellen die Klöster wieder eine wichtige Stütze der Gesellschaft dar. Unter den Khmern herrscht der Theravada-Buddhismus (Hinayana-Buddhismus) vor, nur chinesische und vietnamesische Minderheiten im Lande rechnen sich zum Mahayana-Buddhismus. Es gibt zwei Orden, den Mohanikay-Orden und den seltener vertretenen Thommayut-Orden. Vor allem die strenge Hierarchie innerhalb der Klöster und Orden verleiht der Gesellschaft eine interne Struktur, die das junge Königreich intern stützt. Umgekehrt üben die Behörden bei der Besetzung der höchsten Ämter der Orden ein erhebliches Mitspracherecht aus. Religion und Staat sind so eng verflochten, und so wird sichergestellt, daß immer beide am selben Strang ziehen, was sicher nach den langen Jahren des Bürgerkriegs dem gesamtgesellschaftlichen Wunsch nach Stabilität entspricht.

Der Wat, den wir betreten, ist das kulturelle und soziale Zentrum des Dorfes. Im Zentrum stehen zwei Hallen, eine geschlossen, eine ringsum offen mit reihum hochführenden Treppenstufen. Der Innenraum ist nur durch ein leichtes weißes Holzgitter abgetrennt. In der offenen Halle hat sich fast das halbe Dorf versammelt, andere lagern auf den Treppenstufen, andere tummeln sich auf dem Markt um den Bot herum. Im seitlichen Teil rechts vom Haupteingang befinden sich die Wohngebäude der Mönche, wo leuchtend orangefarbene Roben zum Trocknen aufgehängt sind und kleine Hunde in den Küchenabfällen wühlen. Links vom Haupteingang befinden sich diverse schmucklose Stupas, die die Asche von Verstorbenen bewahren. Im rückwärtigen Teil ist eine rote Mauer aus monumentalen Lateritblöcken mit einem kleinen Durchlaß, darüber schaut der Prang des Khmer-Tempels.

Am betreffenden Tag ist hier Tempelfest. Chy erklärt mir, daß an diesem Tage die verstorbenen Seelen wieder für 15 Tage wieder in die Welt zurückkehren dürfen. Der Totengott Yama gewährt ihnen diese 15tägige Frist, damit in der Zeit die Angehörigen durch gute Werke ihnen das Leben nach der Rückkehr ins Reich der Toten leichter machen können. Am Anfang und am Ende dieser Frist ist jeweils ein Tempelfest. Gute Werke heißt für die Angehörigen vor allem, in den Tempel zu kommen, Nahrungsmittel zu bringen und den Segen von den Mönchen zu empfangen und für die Angehörigen zu erflehen. Den ganzen Morgen über kommen die Anwohner zum Tempel und bringen Lebensmittelspenden. In der mit vielen bunten Gehängen verzierten großen Halle sitzen Abt und Mönche auf einem leicht erhöhten Podest und empfangen die Reisspenden der in langen Schlangen wartenden Dorfmitglieder. Bis mittags muß das abgeschlossen sein, weil dann bis Sonnenuntergang die Mönche keine Nahrung mehr zu sich nehmen dürfen. Der Saal ist gerammelt voll mit festlich gekleideten Gläubigen, die den Segen für ihre Verwandten erbitten.

Draußen auf dem Gelände des Tempels ist ein großer Markt mit vielen Essens- und Obst-Ständen und fast jahrmarktähnlichem Trubel. Vor allem die vielen Tempeljungen stürzen sich mit lebhafter Neugier auf den Fremden. Das sind meistens Jungen im Alter von 7-12 Jahren, deren Aufgabe darin besteht, den Mönchen bei den alltäglichen Arbeiten zu helfen, sozusagen Arbeit gegen Kost und Logis und Ausbildung, eine echte Chance für Kinder aus ärmeren Verhältnissen. Diese lassen einen kaum mehr aus den Fingern, zeigen einem jede Halle und jede Buddhastatue und führen mich durch den angrenzenden alten Khmer-Tempel, ganz stolz ihre Englischkenntnisse zum Besten gebend und auch stets darauf bedacht, aus der Begegnung mit dem Touristen Profit zu schlagen. Aber wenn man die nackte Not der Lebensverhältnisse sieht, verbietet sich der Ausdruck „Profit“ von selbst. Die Gratwanderung zwischen helfen und Bettelei, zwischen nackter Armut und Geschäftemacherei ist manchmal schwierig, am besten aufgehoben ist Hilfe in den Händen der Klosteroberen, die die Verhältnisse besser kennen als der Tourist, und Spenden am besten kanalisieren können, damit sie in die richtigen Hände kommen.

Mein Begleiter Chy hat eine besondere Beziehung zu diesem Tempel: Sein Vater ist derzeit Abt (chau-athikaa) dort. Der Abt überwacht die Mönche bei der Einhaltung der täglichen Pflichten und ist verantwortlich für die intellektuelle Weiterentwicklung seines Klosters. Chy selbst lebt bei seiner Mutter, sein ältester Bruder ist Bauer, sein jüngerer Bruder geht noch zur Schule. Seine Schwester verstarb an Cholera, weil es unter dem Regime der Roten Khmer kein funktionierendes Gesundheitswesen gab. Chy’s Vater war früher schon einmal Mönch, er mußte aber während der Pol-Pot-Zeit das Kloster verlassen und wieder Bauer werden. Denn die Roten Khmer verboten damals jede Religionsausübung, sei es buddhistischen, sei es islamischen Ritus. Ihre Vorstellung war es, Kambodscha ohne Zeitverschwendung für Zwischenschritte in eine ideale kommunistische Gesellschaft zu verwandeln, in der das bedürfnislose Leben auf dem Lande die wünschenswerte Existenz war. Jede Form von Intellektualität und ganz besonders Religionsausübung waren den Machthabern ein Dorn im Auge und mußte ausgemerzt werden. 1900 Tempel wurden für dieses Ziel landesweit zerstört. 40 000 – 60 000 buddhistische Mönche wurden als Parasiten der Gesellschaft diffamiert und in Arbeitsbrigaden aufs Land geschickt und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Erst nach dem Ende des Pol-Pot-Regimes sowie des Bürgerkrieges und der Befriedung unter König Sihanouk konnte sich wieder mönchisches Leben entfalten, und Chy’s Vater bat seine Familie um Erlaubnis, wieder seiner geistlichen Bestimmung nachgehen zu dürfen, und er kehrte zurück in sein Kloster und stieg zum Abt auf.

Chy selbst verspürt ebenfalls den Wunsch nach innerer Einkehr und einem Leben als Mönch. Hochgebildet, erstaunlich bewandert in Geschichte seines Landes und Kunstgeschichte, fließend Deutsch und Englisch sprechend, eigentlich ein gutes Auskommen habend als Angestellter von Indochina Services, ist er das Gegenteil eines Karrieremenschen. Viel lieber würde er als einfacher Mönch in das Kloster seines Vaters einziehen. Zur Zeit geht das nicht, weil er finanziell für Mutter, Bruder und Patenkind („Sohn in früherem Leben“) sorgen muß. Somit ist sein Nahziel, erst soviel im Dienst von Indochina Services zu sparen, daß er einer Mutter ein Haus bauen kann und seinem Bruder eine Ausbildung ermöglichen kann, wenn diese Pflichten erfüllt sind, ist der Weg ins Kloster für ihn frei.

Welche Pflichten nähme er dann auf sich? Das Leben ordinierter Mönche wird durch 227 Regeln bestimmt. Beispiele:

Es ist in Kambodscha wie auch in Thailand vollkommen selbstverständlich, daß man mal eine Zeit im Kloster verbringt, daß man vielleicht sogar mehrfach im Leben zwischen dem spirituellen Pfad und dem Leben außerhalb der Klostermauern wechselt. Es gibt keine Gelübde, es gibt kein entweder oder, sondern beide Wege ergänzen sich, sowohl in der Gesellschaft als auch in der dörflichen Gemeinschaft als auch im Leben eines einzelnen Individuums. Sangha ist die Gemeinschaft der Anhänger der Lehre Buddhas und besteht aus den Mönchen des Wats. Jeder entscheidet aus freien Stücken, ob und wann er einem Sangha beitritt und für wie lange. Auf ewig bindende Gelübde, wie wir sie in Europa kennen, gibt es im Buddhismus nicht.

Voraussetzung für die Aufnahme in einen Sangha ist, daß man älter als sieben Jahre alt ist (das ist das früheste Eintrittsalter) sowie daß man keine schwere Straftat (Raub, Mord) begangen hat. Bei verheirateten Männern muß die Frau ihr Einverständnis geben. Beim Eintritt entscheidet man über seine Rolle in der mönchischen Gemeinschaft, man kann wählen zwischen einem Leben als Novize (sameney) und dem als richtig ordinierter Mönch (phikhok), welcher ein strenges Zölibat einzuhalten hat und einen strenger durchorganisierten Tagesrhythmus aus Bettelgängen und Meditationen hat.

Warum geht ein junger Mann für eine gewisse Zeit ins Kloster? Folgende Aspekte spielen eine Rolle:

Gegen Mittag verlassen wir das Kloster, als auch viele Dorfbewohner aufbrechen. Die Mönche werden jetzt ein Mahl aus den dargebrachten Speisen zubereiten und essen und dann bis Sonnenuntergang fasten, religiöse Schriften studieren und für die Seelen der Verstorbenen beten.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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