Bernhard Peter
Kalender und Zeitrechnung:
Der Kalender der Positivisten

Name der Zeitrechnung: Positivisten-Kalender des Auguste Comte, Comte-Kalender, Calendrier Positiviste
Kalender-
Geschichte:
1849 vorgeschlagen von Auguste Comte (Isidore Marie Auguste François Xavier Comte, geb. 1798 Montpellier, gest. 1857 Paris)
begrenzte Verbreitung unter den Positivisten in Frankreich
Hat sich zu keiner Zeit an keinem Ort wirklich durchsetzen können (wie so viele andere Ideen Comtes).
Zählung ab (Ereignis), Zählweise: 1789 - Jahr der französischen Revolution = "Jahr 1 nach der Großen Krise"
Typ des Kalenders: Fixkalender, Calendrier fixe, Sonnenkalender mit alternativer Einteilung ohne Bindung an die Mondphasen, 1 Jahr = 365 Tage. (Achtung: Das ist KEIN lunisolarer Kalender!). Beachtenswertestes Merkmal: Wochen und Monate sind in Phase!
Jahresbeginn am: 1. Januar

Wochenstruktur:

7-Tages-Woche

Namen der Wochentage:

1 = Lundi
2 = Mardi
3 = Mercredi
4 = Jeudi
5 = Vendredi
6 = Samedi
7 = Dimanche
Monate: Anzahl und Länge 13 Monate zu je 28 Tagen (13*28 = 364 Tage)
13 Monate zu je genau 4 Wochen (52*7 = 364 Tage)
Plus 1 Totengedenktag außerhalb der Zählung (in summa 365 Tage)

Monatsnamen: Die Monate wurden benannt nach den Großen der Geistesgeschichte von Moses bis Bichat:

1 = Moise, Moses 1. Januar - 28. Januar
2 = Homère, Homer 29. Januar - 25. Februar
3 = Aristoteles, Aristote 26. Februar - 25. März
4 = Archimedes 26. März - 22. April
5 = César, Caesar 23. April - 19. Mai
6 = Saint-Paul 20. Mai - 17. Juni
7 = Karl der Große (Charlemagne) 18. Juni - 15. Juli
8 = Dante 16. Juli - 12. August
9 = Guttemberg, Gutenberg 13. August - 9. September
10 = Shakespeare 10. Septmber - 7. Oktober
11 = Descartes 8. Oktober - 4. November
12 = Frédéric 5. November - 2. Dezember
13 = Bichat (Lehrer Comtes) 3. Dezember - 30. Dezember
+ 1 Totengedenktag 31. Dezember

Ausgleich, Schaltjahre, -Tage, Monate In Schaltjahren (années bissextiles) wird ein zweiter "Noname-Tag" (jour blanc) an den letzten Monat gehängt, zusammen mit dem in Nichtschaltjahren üblichen Totengedenktag. Er war dem Gedenken an die weiblichen Heiligen gewidmet. Das System der Schaltjahre folgt dem des Gregorianischen Kalenders.

In einem gregorianischen Schaltjahr sähe das dann so aus:
1 = Moise, Moses 1. Januar - 28. Januar
2 = Homère, Homer 29. Januar - 25. Februar
3 = Aristoteles, Aristote 26. Februar - 24. März
4 = Archimedes 25. März - 21. April
5 = César, Caesar 22. April - 18. Mai
6 = Saint-Paul 19. Mai - 16. Juni
7 = Karl der Große (Charlemagne) 17. Juni - 14. Juli
8 = Dante 15. Juli - 11. August
9 = Guttemberg, Gutenberg 12. August - 8. September
10 = Shakespeare 9. Septmber - 6. Oktober
11 = Descartes 7. Oktober - 3. November
12 = Frédéric 4. November - 1. Dezember
13 = Bichat (Lehrer Comtes) 2. Dezember - 29. Dezember
+ 2 jours blancs 30. + 31. Dezember

Umrechnung in christliche Zeitrechnung AD = Positivisten-Jahr + 1788

Heute, da ich dies schreibe, der 15.11.2004, wäre der Frédéric 11, im Jahr 216 nach der großen Krise. Es wäre Freitag, und nicht Montag, und der Tag wäre Ruyter gewidmet.

Besonderheiten, Bemerkungen: 1.) Koppelung des Monats an die Wochenstruktur. Woche und Monat sind subjektiv, das Jahr ist objektiv. Weil der Monat subjektiv ist und sein darf, kann er sich auch von der Woche ableiten statt vom Mondlauf. Ein Monat sind genau 4 Wochen. Die Länge der Woche wird mit 7 Tagen als natürlich und gut befunden, nicht wegen Mondphasen o.ä., sondern wegen der Symbolik der Zahl 7 und auch wegen ihrer allgemeinen Akzeptanz. Damit sind Wochen und Monate "in Phase".

2.) Der Kalender sorgt für Ordnung im Jahr und logische Gliederung getreu der aufklärerischen Lust am Logischen, am Gleichen, am Glatten und glatt Teilbaren:

  • Abschaffung der unterschiedlichen Monatslängen.
  • Jeder Tag eines Monats fällt immer wieder auf den selben Wochentag.
  • Der Monatserste ist immer ein Montag.
  • Jeder Jahreserste ist ebenfalls ein Montag.
  • Monate enden genau wie Wochen mit einem Sonntag

3.) Weil das Jahr objektiv ist, erfordert es eine Anpassung, die aber die logische Ordnung der Tage nicht stören soll:

  • Die Extratage (Totengedenktag und Schalttag) sind ohne Wochentagsnamen, sie nehmen nicht am System der Wochentage teil. Sie sind auch ohne Monatszuordnung, liegen aber hinter dem letzten Monat.

4.) Der Kalender ist ein Gegenentwurf zum Republikanischen Kalender, eine Kritik an dem heillosen Chaos, das der Republikanische Kalender der französischen Revolution angerichtet hatte, und mittelbar an der Anarchie der Revolution. So werden einige Züge des Revolutionskalenders zwar aufgegriffen, aber verbessert:

  • Die einzelnen Monate des Jahres erhalten nicht "rückwärtsgewandte" Bezeichnungen, die höchstens für die Landwirtschaft der Ile de France von Bedeutung sein könnten, sondern man schreitet im Positivistenkalender methodisch die Entfaltung der Bereiche menschlichen Wissens von der Antike bis ins 19. Jahrhundert ab.
  • Die einzelnen Tage des Jahres sollten ebenfalls nicht nach Ackergerät etc., sondern nach den Großen der Wissenschaft, Religion, Philosophie, Industrie und Literatur benannt werden. Gemeinsam ist beiden Kalendern aber die Suche nach einem weltlichen Ersatz für die Heiligenwirtschaft der Katholischen Kirche und ihre Namenstage. Z. B. sollten die Tage des Monats Moses großen Figuren der Weltreligionen gewidmet sein etc.:

1 = Moses - wichtige Figuren der Weltreligionen: Prométhée, Hercule Thésée, Orphée, Ulysse, Lycurgue, Romulus, Numa, Bélus Sémiranis, Sésostris, Menou, Cyrus, Zoroastre, les Druides Ossian, Bouddha, Fo-Hi, Lao-Tseu, Meng-Tseu, Les théocrates du Thibet, Les théocrates du Japon, Manco-Capac Taméhaméa, Confucius, Abraham, Joseph, Samuel, Salomon Taméhaméa, Isaïe, Saint-Jean-Baptiste, Mahomet
2 = Homer - antike Poeten: Hésiode, Tyrtée Sapho, Anacréon, Pindare, Sophocle Euripide, Théocrite Longus, Eschyle, Scopas, Zeuxis, Ictinus, Praxitèle, Lysippe, Apelles, Phidias, Esope Pilpaï, Aristophane, Térence Ménandre, Phèdre, Juvénal, Lucien, Plaute, Ennius, Lucrèce, Horace, Tibulle, Ovide, Lucain, Virgile
3 = Aristoteles (Aristotle) - antike Philosophen: Anaximandre, Anaximène, Héraclite, Anaxagore, Démocrite, Hérodote, Thales, Solon, Xénophane, Empédocle, Thucydite, Archytas, Apollonius-de-Tyane, Pythagore, Aristippe, Antisthènes, Zénon, Cicéron Pline-le-jeune, Epictète Arrien, Tacite, Socrate, Xénocrate, Philon-d'Alexandrie, Saint-Jean-'évangéliste, Saint-Justin Saint-Irénée, St-Clément-d'Alexandrie, Origène Tertullien, Platon
4 = Archimedes - antike Wissenschaftler: Théophraste, Hérophile, Erasistrate, Celse, Galien, Avicenne Averrhoës, Hippocrate, Euclide, Aristée, Théodose-de-Bithinie, Héron, Pappus, Diophante, Apollonius, Eudoxe Aratus, Pythéas Néarque, Aristarque Bérose, Erathosthène Sosigène, Ptolémée, Alabategnius Nassir-Eddin, Hipparque, Varron, Columelle, Vitrure, Strasbon, Frontin, Plutarque, Pline-l'ancien
5 = Caesar - große antike Militärs: Miltiade, Léonidas, Aristide, Cimon, Xénophon, Phocion Epaminondas, Thémistocle, Périclès, Philippe, Démosthènes, Ptolémée Lagus, Philopoemen, Polybe, Alexandre, Junius Brutus, Camille, Fabricius Régulus, Annibal, Paul-Emile, Marius Les Gracques, Scipion, Auguste Mécène, Vespasien, Adrien, Antonin Marc-Aurèle, Papinien Ulpien, Alexandre Sévère, Trajan
6 = Saint Paul - katholische Heilige - analog -
7 = Karl der Große (Charlemagne) - feudale Zivilisation - analog -
8 = Dante - moderne Poeten
9 = Gutenberg - moderne Industrie und Technik
10 = Shakespeare - moderne Dramatiker
11 = Descartes - moderne Philosophen
12 = Frédéric - moderne Politiker
13 = Bichat - moderne Wissenschaftler

Damit wurde der Kalender zugleich ein Repetitorium kollektiver Erinnerung.

  • Der Kalender ist auch insofern ein Ausdruck der Restauration, als Personen, die in Comtes Augen mehr zerstört als aufgebaut haben, wie Luther, Calvin, Voltaire, Rousseau etc. fehlen.
  • Verzicht auf die Formulierung einer neuen Ära, Akzeptieren des Erbes der Revolution.

Bleibt die Bemerkung, daß der Gegenentwurf reichlich spät publiziert wurde.

5.) Der Kalender blieb auf kleine Kreise beschränkt und interessierte die Weltöffentlichkeit überhaupt nicht. Er hat sich nicht durchsetzen können, weil

  • es ein ideologischer Kalender war, der Bestandteil eines Kultes war, der nicht von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen wurde
  • das Problem der Monatslängen ungelöst blieb
  • er seine Bedeutung allein aus der Zeitgeschichte und den Versuchen der Ordnung des postrevolutionären Durcheinanders erhält.

Einen Nachhall gab es beim "International Fixed Calendar" von Moses Cotsworth und George Eastman im frühen 20. Jh., wobei die Details variieren.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004, 2005
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