Anne Christine Hanser
Reportagen aus dem Jemen, Teil 9:
Live-Krimi im Büro

September 2005

Geld !!!
Das erste Mal, das Geld abhanden kam, war vor ein paar Monaten, kurz nachdem Jassir, unser Fahrer, Vater geworden ist. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil ich einen bestimmten Betrag X als Hochzeitsgeschenk in einen Briefumschlag packte, um ihn Jassir zu geben. Noch bevor ich eine Gelegenheit fand, ihn Jassir zu übergeben, kam die Reinemachefrau ins Büro zusammen mit ihrer älteren ebenfalls Reinmache-freundin. In letzter Sekunde rettete ich den Umschlag (es war ein schon benutzter, denn nichts geht über Recycling) vor dem Papierkorb. Später dachte ich noch etliche Male über meine abrupte Bewegung und mein vermutlich ziemlich dummen Gesichtsausdruck nach, den ich bei der Gelegenheit wohl gemacht haben muss.

Fakt ist, dass am Nachmittag ein beachtlicher Betrag fehlte, aber eben nicht der ganze Betrag. Fakt ist, dass ich den Verlust des Geldes nur wegen eines Zufalls bemerkte, nämlich als Jassir das Geld nachzählte und den Betrag erwähnte.

Von da an hatte ich unsere Reinemachefrau und ihre Putzfreundin in starkem Verdacht. Und da konnte mir unsere Projektassistentin dreimal versichern, dass sie vollstes Vertrauen in die Frau hat.

Das zweite Mal – dass wir einen Geldverlust feststellen mussten - war dies bei der monatlichen Buchhaltung.

Beim dritten Mal war dann der Anlass gekommen, die Polizei einzuschalten. Der Vorfall ereignete sich Ende Juli. Ich kam ein bisschen später ins Büro, weil Jassir mich – wie das gelegentlich vorkommt – im Stich gelassen hatte und mir nachdem ich lange genug vergeblich auf ihn gewartet hatte, ein Taxi von der Straße geschnappt hatte. Najla und Jalal – unsere beiden Projektassistenten - waren schon im Büro, als ich zu meinem Erstaunen die Aussentür unseres Büro öffnete, und dabei feststellte, dass sie offensichtlich mit Gewalt geöffnet worden war, denn der Bart war nicht eingezogen.

Es dauerte fast eine Stunde, ehe Najla bemerkte, dass der Container mit der Geldkassette in meinem Büro und leider auch die Geldkassette selbst gewaltsam geöffnet worden waren. Ich hatte gar nichts bemerkt, als ich mein Büro aufschloss und mich an meinen Schreibtisch setzte.

Danach lief alles wie in einem Krimi ab. Binnen kurzer Zeit war die Security alarmiert, die wiederum verständigte die Polizei, die mit einem ganzen Stab von Spezialisten eintrafen, überall schwarzes Farbpulver verstreuten, um FINGERABDRÜCKE zu nehmen. Natürlich auch die von Najla und mir. – Nicht weil sie uns im Verdacht hatten, sondern weil sie die des Diebes dadurch herausfiltern wollten.

An Arbeit war an dem Tag nicht mehr zu denken.

Auch Jassir wurde einbestellt, obwohl er sich an dem Morgen nicht wohl gefühlt hatte und darum zuhause geblieben war (und ich mir deshalb ein Taxi besorgen musste). Dass er an diesem Morgen nicht erschienen war, erregte äußersten Verdacht bei der Polizei (hätten die gewusst, dass Jassir mich des warten und sogar gelegentlich sitzen ließ, hätten sie sein Fehlen wohl als ganz normal empfunden.), die ihn bei seinem Eintreffen sogleich aufforderten, die Tat zu gestehen. Jassir – der sich keiner Schuld bewusst war (wahrscheinlich nicht einmal ein schlechtes Gewissen wegen seiner allmorgentlichen Verspätungen hatte) – erwies sich als so störrisch, dass die Polizei nach einem anderen Schuldigen Ausschau hielt.

Der war dann auch gleich gefunden. Der Verdacht fiel auf einen Mann, der sein Quartier im Ministerium bezogen hatte, als er vor geraumer Zeit mit einem Bautrupp ins Ministerium kam. Unser Ministerium muss ihm wohl so gut gefallen haben, dass er sogleich einen Raum – und zwar der gegenüber unserem Office - besetzte und zu seinem neuen Heim erklärte. Seltsamerweise habe ich mal wieder überhaupt keine Notiz davon genommen und war völlig überrascht, als Najla, Jalal und Jassir gleichzeitig auf mich einredeten, ich müsste doch diesen Menschen – in der Beschreibung wuchs er zu einem Hünen heran – unbedingt bemerkt haben. – Hatte ich aber nicht.

Die Theorie der Polizei war, dass der große Unbekannte vom Korridor aus über die Oberlichter in mein Office gestiegen war. – Was ich angesichts der kleinen Fenster und der fehlenden Anzeichen als völlig hahnebüschen abtat. Die Theorie wurde aber dann doch noch von Jassir übertroffen, der mein Argument der kleinen Oberlichter aufgriff, um daraus die Theorie zu spinnen, dass der Einbrecher mit einem langen Draht (der hätte dann mindestens 3 Meter sein müssen! – ich meine den Draht, nicht den Einbrecher!) den Schnappverschluss der Tür von innen zu sich gezogen haben musste. – Auch diese Theorie konnte ich leicht entkräften. Der praktische Versuch zeigte, dass der Schnappverschluss sogleich wieder zurück schnappte, sobald man ihn wieder losließ und damit der Einbrecher mindestens einen Komplizen gehabt haben musste, um die Tür genau in dem Moment zu öffnen, da der Übeltäter auf der anderen Seite mit einer 3 Meter langen Drahtkonstruktion nach dem Schnappverschluss der Tür fischte.

Immerhin war Jassir’s Theorie der Versuch einer wenn auch abenteuerlichen Erklärung für das Phänomen, dass meine Bürotür zu war und zu gewesen sein musste, als der Einbrecher sich dem Tatort näherte.

Jalal’s Theorie hingegen war, dass der Einbrecher mit einer Kreditkarte – die er zwischen Türrahmen und –schloss entlangzog, die Tür geöffnet haben musste. Er war so überzeugt davon, dass er bereit war, seine Bankkarte dafür zu opfern, und wies dabei so viel Überzeugungskraft, dass sich auch die Polizei für wenige Minuten seiner Theorie anschloss. Allerdings nur solange, bis die Praxis die Theorie widerlegte. Beim näheren Hinschauen (und Ausprobieren) stellte sich nämlich heraus, dass der Schlüsselbart weit hinter dem Türrahmen erst einrastete, d.h. der Rahmen eine Art Blende hatte.

Am frühen Nachmittag waren wir alle so schlau wie am morgen, aber um eine Reihe Fingerabdrücke reicher. – Man kann sich gar nicht vorstellen, wo die Polizei überall Fingerabdrücke fand bzw. schwarzes Graphitpulver hinterließ. Bis heute kann ich mir keinen Reim darauf machen, warum die Polizei ausgerechnet mitten auf dem Teppichboden nach Fingerabdrücken gesucht hatte (jedenfalls prangte dort ein dicker schwarzer Fleck).

Die vielen Fingerabdrücke machten wir aber klar, dass unsere Reinemachefrau ihren Dienst nicht allzu ernst nahm. – Überhaupt… Wo war die Reinemachefrau. Jeden morgen war sie eine der ersten, die vor der Tür stand. Und diesen Morgen war sie nicht zur Arbeit erschienen.

Das ließ mich eine unheilvolle Theorie spinnen… die durch die vorangegangene Erfahrung mit dem Briefumschlag genährt wurde. Einzig und allein dagegen sprach, dass die Putzfrau doch am ehesten an die Beseitigung der Fingerabdrücke hätte denken müssen. –

Am Ende der Polizeiaktion wurde mir von Najla bedeutet, dass die Polizei doch bitte gerne Geld für ihre aufwendigen Dienste sehen möchte. Zum Glück hatte ich vorher schon von anderer Seite gehört, dass das die Norm ist, ansonsten hätte ich angenommen, die Polizei hätte den Einbruch selbst inszeniert. Ratlos waren wir alle aber, was den gewünschten Betrag anbelangt, zumal wir ja gar kein Geld mehr in der Kasse hatten. Zum Glück fanden sich ein paar Scheine in der Brieftasche von Jalal, so dass wir mit 3000 Rial – etwa 15 USD davon kamen.

Eigentlich – fand ich – war das ein kleiner Betrag, wenn man bedenkt, dass wir alle ganz kostenlos Akteure in einem Live-Krimi geworden waren. Besonders witzig fand ich, als der Polizist mir half, meine Fingerabdrücke richtig abzurollen.

In den darauf folgenden Wochen wollten wir natürlich wissen, was denn das Ergebnis der Ermittlungen war. Einmal erzählte Jassir, dass der Ministeriumsbesetzer aus dem Zimmer gegenüber vorgeladen worden sei, als er aber seine Fingerabdrücke hinterlassen sollte, sei er geflüchtet. -

Hm, dachte ich. Hatte sich der Verdacht der Polizei also bestätigt? – Ein paar Tage später hieß es dann, dass der Verdächtigte gar nicht geflohen sei, sondern lediglich dem dringlichen Anruf aus seinem Dorf gefolgt war. Ein paar Wochen später gab Jassir kleinlaut zu, dass die Polizei den Verdächtigten nichts hatte nachweise können. Aber immerhin habe er jetzt seine Schlafstätte im Ministerium räumen müssen.

In den Wochen danach wurde zwei oder dreimal die Aussentür unseres Offices aufgebrochen, Jassir vermutet erst, es sei der Verdächtige gewesen, aus Wut weil er sich nun eine neue Schlafstätte hatte suchen müssen. Dann aber geriet mehr und mehr der Sicherheitsdienst in Verdacht. Denn es hatte sich auf unserer Etage nicht nur der Einbruch in unser Büro, sondern auch in das Büro der Staatsekretärin ereignet. Einmal fanden sich auch an der Tür meines Büros Spuren eines erneuten Einbruchsversuches. Die hätten wir beinahe übersehen, weil wir am Vortag die Tür selbst hatten aufbrechen müssen.

Das kam so…. Am Vortag blockierten zeitgleich zwei Türschlösser in unserem Office, und dabei hatten wir die doch gerade erst – nach dem Einbruch - durch NEUE ersetzt. Nach den Gesetzen der statistischen Wahrscheinlichkeit nur schwierig mit ZUFALL zu erklären. Während ich noch konspiratives Zutun wähnte, wurde mir eine gar seltsame Geschichte zugetragen: Zwei Tage zuvor hatte unser internationaler Kurzzeitexperte in meiner Abwesenheit nach Öl verlangt. Unsere Mitarbeiter – denen jeder Wunsch ein Befehl ist - besorgten das Öl – wenn auch etwas verwundert. Und sahen noch verwunderter zu, als er sich dann anschickte, das Öl – ohne Kännchen in die Türschlösser zu befördern. Mein Informant berichtete weiter, dass der Experte dann versucht habe, dem Ölfluss in die Schlüssellöcher mit einem Draht nachzuhelfen, womit er dann die zarten Schlösser offensichtlich beschädigt hatte. Der Experte war – bevor seine Karriere als Managementexperte antrat – Ingenieur gewesen. Das erklärte seine Affinität zum Öl.

Mich kostete die Aufbruchaktion, an der sich mehrere tatkräftige Mitarbeiter und Kollegen aus dem Ministerium beteiligten - eine Stunde meiner knappen Arbeitszeit. Als ich dann am nächsten Tag den Kurzzeit-Experten zu Gesicht bekam und der unschuldig fragte, wie denn mein Tag verlaufen war, erzählte ich ihm – immer noch die verlorene Stunde im Gedächtnis - von dem unglaublichen Zufall der beiden blockierten Türen.

Anstatt - wie ich erwartete – ein zerknirschtes Gesicht und ein reuiges Schuldeingeständnis zu ernten, erhellte sich das Gesicht des Experten und in einer Mischung aus väterlichem Rat und inbrünstiger Überzeugung vernahm ich: „Kein Wunder. Das Problem sind die Schlösser. Man muss sie ölen, sonst funktionieren sie nicht!“

Ein beinahe ähnliches Stauen löste bei mir ein weiterer Besuch eines Polizisten aus, der mir – den angeblichen Delinquenten am Händchen haltend, was bei jemenitischen Männern durchaus KEIN Zeichen für Homosexualität ist, die frohe Botschaft verkündete, man habe nun endlich den Täter gefasst. Der Täter machte mir eher einen behinderten, als einen gewieften Eindruck, weshalb sich mein Stirn in Krausen faltete.

Ungläubig wollte ich nur eines wissen: wie war der Dieb vor einem Monat in mein Bürozimmer hineingekommen. – Jalal übersetzte meine Frage, der Polizist wiederholte sie für den unbeteiligt ausschauenden Täter im Schlepptau. Die Antwort wurde auf dem gleichen Weg wieder zurückbefördert: mit einem Schlüssel.

Das hörte sich sehr vernünftig an. Nur, wie hatte der junge Mann, der – davon war ich nun überzeugt – geistig behindert war, an diesen Schlüssel herangekommen? – Er hatte ihn noch von früher – war die umständlich überbrachte Antwort.

Mehr war aus ihm nicht herauszubringen. – Jalal und ich schauten uns verständnisvoll an. Uns hatte die Geschichte nicht überzeugt. Klar, das war ein Bauernopfer.

Doch als 2 Stunden später ein ganzer Tross von Polizisten kam, um mir feierlich drei CDs zu übergeben – zwei davon Bachkonzerte, die ich nicht einmal als gestohlen vermisst hatte. – Brav quittierte ich die Übergabe und war kaum noch erstaunt, als eine Woche später die Polizei noch einmal erschien, diesmal zusammen mit dem Bruder des angeblichen Delinquenten, um mir noch feierlicher 24000 Rial – 110 EURO zu übergeben, die bei dem Einbruch gestohlen worden waren.

Natürlich waren es nicht genau die gestohlenen Scheine. Das Geld hatte der Bruder aus der eigenen Tasche gezahlt, um den Bruder – der nicht nur geistig behindert, sondern gleichzeitig auch Diabetiker war – aus dem Gefängnis auszulösen.

Wir werden wahrscheinlich nie herausfinden, wer wirklich den Einbruch beging oder dahinter stand.

Wie dem auch sei. Das war das erste Mal, dass ich nach einem Diebstahl Geld und Gut von der Polizei zurückerhielt.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2005
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Support for Administrative Reform, Sana'a, Jemen
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