Bernhard Peter
Sammeln von Gimmicks in Kapseln: Gachapon


   
Gachapon     Gashapon

Gacha-pon - das ist ein lautmalerischer Ausdruck. "Gacha", Münze einstecken, hauruck, den Hebel betätigen oder das Rad herumdrehen! Und dann macht es "pon", wenn die Plastikkugel in den Auswurfschacht hinunterfällt. Wir würden vielleicht sagen "ritschratsch - plopp", das käme auf das Gleiche hinaus wie "gacha-pon". Gacha-pon - weil das ein lautmalerischer Begriff ist, wird er natürlich in Katakana geschrieben, genauso wie "wuff" oder "miau". Und weil das ein sehr neuer Begriff ist, gibt es keine Kanji dafür. Manchmal benutzt man auch den gleichbedeutenden synonymen Ausdruck "Gasha-pon", das klingt irgendwie weicher, als wären das Rad und die dadurch betätigte Mechanik gerade frisch geölt worden.

Gacha-pon, das steht für ein Spiel mit dem Glück für kleines Geld, pro Stück größtenteils 200-400 Yen, aber auch mal 1500 Yen für eine Dragon-Ball-Figur oder 2500 Yen für eine neue Serie der Firma Bandai mit hochwertigen Figuren. Und es gibt auch Ausnahmen im höheren Preissegment, dazu unten mehr. Es steht für Anime-Figuren für den kleineren Geldbeutel, für Sammelleidenschaft auf dem niedrigen Niveau von Überraschungseiern, meistens jedenfalls. Es steht für Überraschung und Enttäuschung, für Glücksspiel, das nicht weh tut, und es steht aber auch für Ressourcenverschwendung für billigsten Mist und Plastikschrott, der die große Masse der "Gewinne" ausmacht. Und genau wie hierzulande das so peinliche Sammeln von Ü-Eiern trotz allem boomt, weil es tiefliegende Instinkte der Menschen marktwirtschaftlich äußerst geschickt nutzt, so boomt in Japan diese Sammelleidenschaft, nur daß sich im toleranten Japan niemand dafür schämen muß. Es funktioniert, weil der Mensch im tiefsten Herzen ein Jäger und Sammler geblieben ist. Und es ist ein sehr erfolgreiches Marketing, objektiv nicht benötigte Dinge, die bei Lichte besehen "Ballast" sind, begehrenswert zu machen, so daß die Menschen wider besseres Wissen Geld dafür ausgeben.

Und es unterscheidet sich von allen europäischen Vergleichsbeispielen wie Kaugummiautomaten durch die ungeheure, für Nichtjapaner kaum vorstellbare Vielfalt des Angebotenen, und durch überraschende Wertigkeit mancher über dem Standard liegender Angebote. Und wie es funktioniert! Die in ganz Japan beliebten kleinen Automaten werden zu ganzen Batterien zusammengestellt. 2021 eröffnete in Tokyo einer der größten Gachapon-Läden mit 3000 Kapselautomaten auf 1256 Quadratmetern, zu finden im Gachapon Department Store im Einkaufszentrum Sunshine City in Higashi Ikebukuro, Toshima, und das ist ein echter Aspirant auf einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde. Die Wertigkeit mancher Angebote hebt das Prinzip immer wieder auf ein außerhalb Japans unübliches Niveau: Die Tobu Group bot in einem solchen Automaten im Unterhaltungskomplex Solamachi am Tokyo Skytree für 5555 Yen Übernachtungsgutscheine für ihre Hotels in verschiedenen Regionen Japans an, das Glück entschied über Gewinn, Wert und Zielort: Tokyo, Nikko, Sendai oder Sapporo, und über die Art des Zimmers und evtl. eingeschlossenes Frühstück. Auch Essensgutscheine gab es zu ergattern.

Gachapon-Automaten im Untergeschoß des Flughafens Narita

Aber diese wertigen Angebote sind eher die Ausnahme. Die große Masse sind Plastikfigürchen im unteren Preissegment und im ganz unteren Wertsegment. Wie bringt man vernunftbegabte Wesen dazu, immer wieder erneut Geld für Plastikschrott auszugeben, obwohl man weiß, daß es nur Schrott ist bzw. daß es schon der Hersteller ist, der den Gewinn macht? Oder mehr Geld für zwar an sich wertige Angebote, für die man aber bei rationaler Überlegung nie eine Kaufentscheidung getroffen hätte? Zum Funktionieren des Systems braucht es sechs Faktoren: 1.) Es muß so billig sein, daß es ein harmloses Hobby bleibt, daß man sich über die Höhe der Ausgabe keine Gedanken machen muß. Daß der Gegenwert noch billiger ist, damit die Firma einen Reibach damit machen kann, ergibt sich irgendwie von selbst. Oder es muß so verlockend klingen, daß man noch mehr Geld investiert. 2.) Es muß den Spieltrieb ansprechen oder einfach unwiderstehlich "kawaiiiiii" = niedlich, süß sein, damit es begehrt wird. 3.) Es muß Serien geben, damit der Sammeltrieb angesprochen wird. Jeder Besitzer von irgendetwas möchte Gleiches dazubesitzen, und wenn es eine Serie gibt, muß die Serie komplettiert werden. Das gilt für Briefmarkensammler, Münzsammler und eben auch für Gachapon-Sammler. Tafeln informieren in den Läden über die zu einer Serie gehörenden Einzelfiguren, damit man nicht zu früh aufhört zu sammeln. Bilder auf den Automaten zeigen als Kaufanreiz, was man bekommen könnte. Könnte! 4.) Es muß bis zuletzt ein Geheimnis bleiben, welchen Inhalt der Käufer konkret und tatsächlich erwirbt. Das erzeugt Spannung, das Gefühl von Risiko, man kauft sich eine Überraschung, und das Prinzip spielt mit der Hoffnung, die natürlich um so häufiger enttäuscht wird, je näher man seinem Sammlungsziel kommt. 5.) Das Prinzip der künstlichen Verknappung muß genutzt werden, damit der Sammler zum Erwerb der noch fehlenden Teile einer Serie eine möglichst hohe Zahl Fehlkäufe tätigt. Deshalb werden Serien auch nur zeitlich und/oder örtlich limitiert angeboten, um den Druck zu erhöhen. 6.) Was konkret als Sammelserien angeboten wird, muß den gerade aktuellen "in"-Dingen entsprechen und auf der Welle eines aktuellen Hypes mitschwimmen, ob das nun Pokemon, Olympia oder Harry Potter ist.

So gesehen, ist Gacha-pon eine marktwirtschaftlich gesehen hervorragende Ausnutzung menschlicher Verhaltensweisen zur Gewinnmaximierung der Anbieterfirma. Hinter den meisten Automaten steht die Firma Bandai Namco. Ursprünglich stammte die Idee aus den USA, aber in Japan traten diese Automaten ihren Siegeszug an. 1965 wurde in Japan der erste Kapsel-Automat aufgestellt, und heute sind die Nachfolger an fast jeder Ecke zu finden und sind mittlerweile zu Kultobjekten geworden. Mittlerweile gibt es in Japan ca. 30 verschiedene Hersteller von Kapselspielzeug-Herstellern; unumstrittener Marktführer ist jedoch Bandai. Noch funktionieren die meisten Automaten mit Münzen, aber es gibt bereits die ersten bargeldlosen Automaten.

Gachapon-Automaten im Untergeschoß des Flughafens Narita

Das Prinzip ist, daß die kleinen Gegenstände in Plastikkugeln eingesperrt sind. Diese Umhüllung läßt den Inhalt wertvoller erscheinen, es erweckt den Trieb des Auspackens, des Befreiens. Und die Plastikkugel sorgt für reibungsloses Passieren des Automaten und das typische Geräusch "pon!", wenn es im Schacht unten ankommt und entnommen werden kann. Man kann nur begrenzt in den Vorratsbehälter im oberen Teil des Automaten hineinschauen, aber letztendlich hat man keinen Einfluß darauf, welche Kugel den Weg in die Mechanik findet, und dieses Gefühl des Wagens, des Riskierens ist den Sammlern eben standardmäßig 200-400 Yen wert, bei Sonderaktionen auch deutlich mehr. Es gibt als Belohnung für das Einwerfen der Münzen Gimmicks, Sammelfiguren wie Pokémon, Gundam, Ultraman und Doraemon, Spielzeug, Schnickschnack, Pins, Buttons, Schlüsselanhänger, realistische Nachbildungen von Lebensmitteln, goldene Kackhaufen-Emojis, Tragetaschen und sogar Gesichtsmasken und Kosmetika.

Zur Zeit wichtiger Sumo-Wettkämpfer gibt es sogar Sticker und Miniatur-Darstellungen der bekannteren Teilnehmer und Schiedsrichter. Und in der Präfektur Mie gab es in der Stadt Ise sogar ab 2021 in zwei Automaten historische Milchdeckel, nostalgische Verschlüsse der Molkerei Yamamura Nyugyo - innerhalb nur eines Monats wurden über 1000 Kapseln davon verkauft. Und eine ganz verrückte Idee hatte 2021 die japanische Billig-Fluggesellschaft Peach Aviation ("Japans Ryan-Air"), indem sie an einem Automaten im Kaufhaus Shinsaibashi Parco in Osaka eine Gachapon-Kapsel für 5000 Yen über das Inlands-Reiseziel entscheiden ließ, das sollte die Nachfrage nach Flugreisen ankurbeln. Und es funktionierte - an manchen Tagen wurden bis zu 150 Kapseln verkauft, was damals alle Vorhersagen sprengte. Wiederum andere Kapseln enthalten Rabatt-Aktionen der Fluggesellschaft. Noch verrückter: Im Capsule House im Osu-Distrikt in Nagoya gibt es einen Automaten, der für 200 Yen fiktive handschriftliche Briefe von einer jüngeren Schwester verteilt, und einen weiteren, der zum gleichen Preis fiktive Liebesbriefe von Schulmädchen freigibt. Es gibt quasi nichts, was es nicht gibt.

Gachapon-Automaten im Untergeschoß des Flughafens Narita

Und noch eine Skurrität: Der 17. Februar ist Japans offizieller Tag der Kapselautomaten. Das geht, weil es im Land ein eigenes Registrierungsbüro gibt, an dem jeder Mitbürger Ehrentage für bestimmte Dinge anmelden kann. Und ein Automatenunternehmen hat das 2019 für die Kapselautomaten getan, und seitdem gibt es auch dafür einen offiziellen Tag. Die Firma Takara Tomy Arts vertreibt sogar einen Rucksack in Form eines Kapselautomaten, sogar mit drehbarem Rad auf der Rückseite, aber natürlich ansonsten nicht funktionstüchtig.


Literatur, Links und Quellen:
mehrere Artikel zum Thema Gachapon auf Sumikai: https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/historische-milchdeckel-aus-dem-gachapon-automaten-sind-neuer-trend-in-mie-305908/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/japanische-fluggesellschaft-setzt-auf-gachapon-um-die-nachfrage-nach-flugreisen-zu-steigern-300385/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/hotelzimmer-kommen-jetzt-ebenfalls-aus-dem-gachapon-automaten-302459/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/neuer-laden-in-tokyo-wirbt-mit-3-000-gachapon-kapsel-automaten-289139/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/sumo-kapsel-spielzeug-ist-in-tokyo-ein-verkaufsschlager-342419/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/gachapon-automaten-rucksaecke-koennten-in-japan-ein-neuer-modetrend-werden-326566/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/neue-gachapon-kapsel-automaten-funktionieren-ohne-muenzen-266517/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/kapselautomat-in-nagoya-verkauft-briefe-von-kleinen-schwestern-248198/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/bandai-stellt-hochwertige-gacha-figuren-fuer-seine-automaten-vor-288414/ - https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/lifestyle/bunter-poo-stressball-aus-den-gacha-automaten-wird-in-japan-zum-hit-278876/
Artikel zu Gachapon auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Gashapon


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