Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (48): Shodou


       

Shodou ist die Kunst der japanischen Kalligraphie. Der Name Sho-dou bedeutet "Weg des Schreibens". Die Silbe "Sho" bedeutet "Schrift" oder "das Schreiben". Die Silbe "dou" steht stets für einen "Weg", den jemand im Leben beschreitet. Häufig wird dem "dou" eine bestimmte Tätigkeit vorangestellt, wie beim Bushi-dou, dem Weg des Kriegers, oder dem Cha-dou, dem Tee-Weg. Ein alternativer Name für diese Kunst ist Shuuji. Wie so viele andere Kulturtechniken wurde die Kalligraphie samt den Schriftzeichen und der ihnen innewohnenden Ästhetik und den Materialen und Werkzeugen, Papier, Tusche und Pinsel, im 6./7. Jh. aus China übernommen, in deren Entwicklungszustand während der mittelalterlichen Tang-Zeit. Ein wesentliches Merkmal der Schrift sind die Eigenschaften der Kanji, die zum einen aus Einzelstrichen und zum anderen aus einer festgelegten Abfolge derselben bestehen.

Das nach exakten Vorgaben zur Ausführung mit den vorgegebenen Bewegungen durchgeführte und dennoch expressive Darstellen dieser Kanji dient nicht nur der Wiedergabe, sondern auch der Meditation. Ein Shodou-Meister drückt mit der Kalligraphie Schrift also nicht nur einen Begriff aus, sondern er versieht ihn mit einer eigenen Ästhetik, in der sich seine geistige Haltung zu dem Zeitpunkt des Schreibens widerspiegelt. Kalligraphie ist also immer ein Inhalt in Kombination mit der künstlerischen Schöpfungskraft des Schreibenden. Gerade weil das mit Tusche Niedergeschriebene unumkehrbar ist, weil eine Bewegung des Pinsels nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, ist Kalligraphie einerseits ein Mittel zur Fokussierung, zum Loslassen von allem anderen, zur meditativen Sammlung des Schreibenden, andererseits trägt so jeder Strich in sich die individuelle Note des Schreibenden als zweite Botschaft. Es wird grundsätzlich nicht nachgebessert, auch wenn die Tusche vorzeitig zu Ende ist, wird die Lücke nicht nachträglich geschlossen. So wird Kalligraphie durch die Einfachheit, die Schönheit und vor allem durch die Verbindung von Körper und Geist zur Kunstform.

Typische Utensilien zum Ausüben der Kalligraphie sind das Papier (kami), am besten aus dem Maulbeerbaum gewonnen (washi oder hanshi), der Pinsel (fude), das feste Tusche-Stück (sumi = Tusche, sumisuri = Tuschestein) und der Stein zum Anreiben der Tusche (suzuri). Es wird in Japan ausschließlich schwarze Tusche zum Schreiben verwendet. Solche Utensilien wurden gerne in speziellen, rechteckigen flachen Kästen aufbewahrt, die Suzuri-bako ganannt werden, von Hako = Kasten, also Kasten zum Aufbewahren des Tusche-Anreibesteines (und anderen Utensilien). Diese Kästchen hatten meist einen Einsatz mit einem Anreibestein und einer Ablage für die feuchten Pinsel. Heute zieht man, insbesondere bei Anfängern, fertige Tusche im Glas (boku-juu) dem Anreiben auf dem Stein mit Wasser vor, es ist einfach weniger "Sauerei". In fortgeschrittenerem Stadium der Kunst wird jedoch nach wie vor selbst die Tusche angerieben, weil man so besser die Konsistenz, den Grad der Schwärze kontrollieren kann. Was man dann noch für die Kalligraphie braucht, sind das Siegel des Künstlers (in) zum Signieren, Gewichte zum Fixieren des Papiers (bunchin) und ein Tuch, das man unter das Papier zum Aufsaugen legte (shita-jiki). Namensstempel (hanko) braucht man auch noch, und im Gegensatz zum Geschriebenen (Sumi-gaki) sind die Stempeladrücke grundsätzlich rot.

Fertige Kalligraphien werden gerne als Hänge-Wandbilder montiert. Diese Hängebilder, die man zur Aufbewahrung zusammenrollen kann, werden kakemono genannt. Zur Aufbewahrung dienen kleine längliche Schachteln aus Paulownienholz (tomobako). Oben und unten dient ein Stab aus Holz, Plastik oder Metall der Stabilisierung. Oben wird ein Band zum Aufhängen angebracht; zwei weitere Bänder dienen dem "Reffen" des Bildes bei Nichtgebrauch. An den beiden seitlichen Enden der unteren Querstange können Gewichte angebracht werden, um das Bild zu straffen. Solche Kakemono werden in der Schmucknische (Tokonoma) aufgehängt. Insbesondere in Kombination mit einem Ikebana-Arrangement dient ein kalligraphisches Kakemono zur typischen Ausstattung eines Teeraumes.

Es werden etlliche verschiedene Schrifttypen unterschieden, wovon Tensho = Siegelschrift, Gyousho = Kursivschrift, Sousho = Grasschrift, Reisho = Kanzleischrift und Kaisho = Regelschrift die fünf Hauptkategorien der chinesischen Schrift in japanischer Übernahme darstellen.

Tensho = Siegelschrift, gleichmäßige Ausführung senkrechter und waagerechter Linien ohne Dicken-Modifikation, Enden leicht spitz auslaufend. Es gibt eine große und eine kleine Siegelschrift. Typisches Anwendungsgebiet sind, wie der Name schon sagt, Siegel, Bronzeguß-Artikel, Steinmetzarbeiten etc. Diese dekorative Schrift war in Japan nie besonders populär.

Gyousho = Kursivschrift, abgeleitet von der Kanzleischrift. Je nach Ausmaß der kursiven Eigenschaft (Vermeidung von scharfen Ecken und Winkeln, gerundeterer Linienfluß) unterscheidet man die Varianten seigyo, gyo, und gyoso. Eine speziell japanische Entwicklung wird wayo genannt. Zwischen den einzelnen Strichen werden fließende, sich wie von selbst ergebende Übergänge geschaffen, die nur nachzuvollziehen sind, wenn man die korrekte Abfolge der Striche kennt und einhält. So können mehrere Striche in einem Zug geschrieben werden. Am ehesten kann man diesen Stil mit unserer Schreibschrift vergleichen. Die fließenden Eigenschaft bei gleichzeitig akzeptabler Lesbarkeit sorgen für hohe Beliebtheit in der japanischen Kalligraphie, zumal sich hier bei relativ guter Lesbarkeit viele Möglichkeiten zur Schaffung einer künstlereigenen Expressivität ergeben, denn es gibt keine festen Regeln, wie die Anzahl der Striche eines Zeichens durch Verschmelzung reduziert wird. Es obliegt jedem einzelnen Schreiber, eigene Wege der Vereinfachung des Zeichens zu finden und zu pflegen. Man erhält also ein breites Feld persönlicher Expressivität. Das geht sogar so weit, daß Künstler die festgelegte Strichabfolge ändern oder invertieren, um ästhetisch bessere Ergebnisse zu bekommen. Rhythmus und Ausgewogenheit sind die beherrschenden ästhetischen Kriterien, denen die Details und auch die Vergleichsgrößen der einzelnen Kanji untergeordnet werden. Sehr beliebt ist eine vertikale Anordnung der Zeichen, in Spalten von rechts nach links. Die drei unten gezeigten Beispiele sind in dieser Schrift geschrieben.

Zattaisho = ornamentale Schrift. Ornamentale Varianten entstanden sowohl auf der Basis von Tensho als auch von Reisho.

Sousho = Grasschrift, sehr schnelle, nachlässige und flüchtige Konzeptschrift, starke Vereinfachung der Schriftzeichen, vorrangig schnell fließende Linien, geringe Lesbarkeit, manchmal stark abstrahiert. Der Pinsel wird kaum abgesetzt, selbst zwischen den einzelnen Kanji nicht. Diese Schriftart diente früher dem Notieren schneller Notizen. Für Unerfahrene ist es so gut wie unmöglich, diese Schrift zu lesen, die mehr an abstrakte Kunst als an eine zeichenbasierte Schrift erinnert. Dennoch ist die ästehtische Wirkung unübersehbar. Hieraus wurde das Hiragana-Alphabet abgeleitet, indem Kanji phonetisch benutzt wurden.

Reisho = Kanzleischrift, offizielle Schrift, geradlinige Strukturierung der blockartigen Zeichen, Kanji sind eher breiter als hoch, sie haben geschwungen auslaufende Einzelstriche mit Verdickungen am Anfang und am Ende eines Strichs. Die Enden eines Strichs werden typischerweise leicht nach oben ausgezogen. Sie ist abgeleitet von der Siegelschrift. Der Vorteil ist die hohe Lesbarkeit. Typische Anwendungen sind große, weithin sichtbare Tafeln, Überschriften oder allgemein großformatige Zwecke. Auch heute wird diese Schrift gerne für Überschriften, Dokumente, große Anzeigetafeln oder gut sichtbare Werbung verwendet.

Kaisho = neueste Schrift dieser Fünfergruppe, Regelschrift, Blockschrift, Standardschrift, Quadratschrift, weil eine fast quadratische Grundform der Zeichen eingehalten wird, daraus resultiert eine hohe Lesbarkeit. Jeder Strich wird separat unter Absetzen des Pinsels geschrieben. Wörtlich bedeutet das soviel wie "korrektes Schreiben". Am ehesten kann man die eckigen Zeichen mit einer Druckschrift vergleichen. In Japan entwickelte sich eine eigene Version dieser Schrift, die insbesondere unter Zen-Mönchen verbreitet war. Die Kaisho-Schrift war die Grundlage für die Entstehung von Katakana, indem Kanji phonetisch benutzt wurden.

Japanische Eigenentwicklungen sind die Hiragana-Schrift und die Katakana-Schrift als phonetische Schreibsysteme, und daraus entwickleten sich eigene kalligraphische Konzepte, die ohne chinesisches Vorbild sind. Beide Kana-Schriften entstanden während der Heian-Zeit.

   

Abb. links: Künstler: Hasegawa Kanshu, Daitoku-ji in Kyoto, Oberpriester des Subtempels Sangen-in. Text: Saiho Tanshoni Mau = Phönix + fliegen + klarer Himmel, bedeutet: Der Phönix fliegt im klaren Himmel, im Sinne des Zen-Buddhismus: Wenn man einen klaren Geist hat, ist man jeder Situation gewachsen und kann das Beste daraus machen. Alter: Showa-Zeit (1926-1989). Signatur: Murasakino Kanshu. Siegel: Kanshu. Hängerolle, handgemalt auf Papier.

Abb. Mitte: Künstler: Togami Meido (1935-), Oberpriester des zur Daitoku-ji-Schule gehörenden Gyokuryu-ji. Text: Seifu Banri no Aki = klarer Wind + Herbst ist im Kommen, bedeutet sowohl die wörtliche Ankunft des Herbstes durch untrügliche Vorboten, und im übertragenen Sinne des Zen-Buddhismus: Wenn wir mit einem scharfen Wind unsere Obsessionen und Vorurteile davonfegen lassen, dann sind wir frei und klaren Verstandes, um das Kommende wahrzunehmen. Alter: Showa-Zeit (1926-1989). Signatur: Zendaitoku Meido, Siegel: Meido Soken. Hängerolle, handgemalt auf Papier.

Abb. rechts: Künstler: Adachi Taido (1937-), Oberpriester des zur Daitoku-ji-Schule gehörenden Untaku-ji. Text: Haru fu mai hyaku hana = Frühling + Wind + tanzen + hundert + Blumen = Frühlingsbrise weht und tausend Blüten tanzen in der Luft, bedeutet sowohl die wörtliche Wahrnehmung der Frühlingsblüten im Wind, und im übertragenen Sinne des Zen-Buddhismus die guten Dinge im Leben, die sich ankündigen, bzw. die Bereitschaft, in primären Ereignissen (Wind) die positiven sekundären Folgeereignisse (Ästhetik der tanzenden Blüten) zu erkennen. Alter: Showa-Zeit (1926-1989). Signatur: Zen Daitoku Taido. Siegel: Taido Shusei. Hängerolle, handgemalt auf Papier.


Kalligraphie-Ausstellung im Omi-jingu in Otsu 2023


Literatur, Links und Quellen:
chinesisch-japanische Kalligraphie in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Shod%C5%8D - https://en.wikipedia.org/wiki/Japanese_calligraphy - https://en.wikipedia.org/wiki/Seal_script - https://en.wikipedia.org/wiki/Clerical_script - https://en.wikipedia.org/wiki/Regular_script - https://en.wikipedia.org/wiki/Semi-cursive_script - https://en.wikipedia.org/wiki/Cursive_script_(East_Asia)
Y-Ujir-O Nakata: The Art of Japanese Calligraphy (The Heibonsha Survey of Japanese Art, Band 27), 176 S., Verlag: Weatherhill Inc. 1973, ISBN-10: 0834810131, ISBN-13: 978-0834810136
Shozo Sato, Gengo Akiba Roshi: Shodo - the Quiet Art of Japanese Zen Calligraphy, Learn the Wisdom of Zen Through Traditional Brush Painting, 176 S., Verlag: Tuttle Publishing 2014, ISBN-10: 4805312041, ISBN-13: 978-4805312049


Andere Artikel über Japan lesen
Andere Länder-Essays lesen
Home

© Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2023
Impressum