Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (47): Kabazaiku


Das ist ein typisches traditionelles japanisches Kunsthandwerk und zudem eine regionaltypische Besonderheit. Das Zentrum der Herstellung liegt in Kakunodate und Umgebung. Kakunodate ist eine von Yoshikatsu Ashina gegründete ehemalige Burgstadt und heutige Kleinstadt im Nordosten der Hauptinsel Honshu in der Präfektur Akita. Die Stadt mit Anschluß an das Shinkansen-Netz wird auch heute noch geprägt vom baumreichen Viertel der alten Samurai-Residenzen mit den schönen Bukeyashiki-Wohnhäu­sern im Norden der Stadt. Das Händler- und Handwerkerviertel liegt hingegen im südlichen Teil der Stadt.

Kabazaiku bedeutet, Gegenstände aus Holz mit einer dünnen Kirschbaumrinde zu überziehen. Dazu wird erst ein Grundkörper aus Holz hergestellt. Die frische Kirschbaumrinde stammt von Kirschbäumen der an den Berghängen wachsenden Sorten Oyama-sakura und Kasumi-sakura. Sie wird wegen des dann besonders hohen Wassergehalts und der damit der leichteren Gewinnung im August oder September geerntet. Man achtet darauf, nie mehr als ein Drittel der Stammoberfläche zu entfernen, damit sich der Baum regenerieren kann. Danach folgt ein zweijähriger natürlicher Trocknungsprozeß. Dann wird die Rinde mit einem senkrechten Messer geschabt und geglättet, bis eine dünne Folie entsteht, die passend zugeschnitten wird. Unebenheiten werden mit einem Hohlkehl-Schnitzmesser entfernt. Mit einem Klebstoff auf Basis natürlicher Harze wird die Rindenfolie sukzessive auf die meist ebenfalls aus Kirschbaumholz angefertigte Trägerform aufgetragen. Dazu benutzt man Wärme in Form eines kleinen metallenen "Bügeleisens", dessen Temperaturkontrolle über den Erfolg entscheidet. Dieses Werkzeug, das einerseits wie eine Maurerkelle geformt ist, andererseits einen dicken Metallblock als Wärmespeicher hat, wird auf einer Heizplatte erhitzt; seine Temperatur wird durch kurzes Abschrecken in Wasser geprüft. Dann wird damit die Rindenfolie sukzessive angedrückt. Das Ergebnis ist eine Oberfläche mit den typischen Querstreifen der Kirschbaumrinde. Man kann diese im Naturzustand belassen, dann wirkt sie grau-marmoriert, man kann sie auch schleifen, mit Wachs einreiben und polieren, oder man kann sie anschließend mit klarem Lack überziehen, mit jeweils unterschiedlichem optischen Ergebnis. Je stärker die Oberfläche geschliffen behandelt wird, desto schimmernder, röter und dunkler wird sie. Nach aufwendiger Veredelung entsteht der typische tiefdunkelkupferroten Schimmer, der im Licht sanft irisiert. 

Im Bild: in Kabazaiku-Technik überzogener Teller mit eingelegtem Motiv

Im Bild: das irisierende rötliche Schimmern gut polierter Kirschbaumrinde

Da Kirschbaumrinde zwar flächig biegsam ist, aber in sich wenig dehnbar, ist der Einsatz auf möglichst gerade Flächen limitiert. Dennoch werden auch leicht gewölbte Oberflächen wie Teller, Untertassen etc. überzogen, dann werden entsprechende Einschnitte in die Rindenfolie gemacht, um der Wölbung zu folgen. Mit der Technik des Überziehens runder hölzerner Trägerformen hergestellte Artikel werden Kata-mono oder auch Shikomi-mono genannt. Dazu gehören typischerweise zylindrische Teedosen (heutige Hauptanwendung), Doran oder Inro (traditionelle historische Anwendung). Das ist die älteste und ursprüngliche Technik. Wegen der Rundung ist das die komplizierteste Technik, erst muß der hölzerne Grundkörper gemacht werden, dann muß die Rinde paßgenau herumgewickelt werden, schließlich ist beim Verklebeprozeß das richtige Maß an Hitze entscheidend für den Erfolg. Als Kiji-mono bezeichnet man kastenförmige Produkte wie Schachteln oder flächige Anwendungen wie Tischplatten, Schreibutensilien-Schachteln, Bucheinbände, Tabletts, Schubladenfronten, Schränke. Es ist die gleiche Technik, nur die Form ist eine andere. Modernere Arbeiten wenden auch die Methode eingesetzter Motive an, die oft aus versetzt angebrachten Rindenstücken bestehen. Dann gibt es noch Tatami-mono, das sind Produkte ohne Holzkern, die aus vielen übereinandergelegten und miteinander verklebten Lagen Rinde bestehen und dann aus dem Vollen geschnitzt und besonders hoch poliert werden. Traditionell wurden daraus Doran-Netsuke und Ojime hergestellt. Mit dieser Technik werden heute z. B. Schmuckanhänger, Broschen, Krawattennadeln etc. gemacht, oder auch die Griffe von Innendeckeln der Teedosen. In der Stadt Kakunodate kommen hauptsächlich die genannten drei unterschiedlichen Techniken zum Einsatz.

Der Ausdruck "Kabazaiku" ist etwas irreführend, denn kaba = Birke und zaiku = handwerkliche Verarbeitung. Dabei wird niemals Birkenrinde verwendet, sondern immer nur Kirschbaumrinde. Vielleicht stand einfach die sich so leicht papierartig dünn ablösende Birkenrinde Pate, weil sie einfach ein Prototyp zur Gewinnung dünner Rinde ist. Eine zweite Theorie besagt, daß wilde Kirschbäume früher als Birke bezeichnet wurden. Andere Theorien, von denen es viele gibt, sind noch weniger plausibel. Jedenfalls vereint das Material einerseits die Ästhetik natürlichen Materials und andererseits die gut isolierenden Eigenschaften der Rinde, die für einen konstanten Feuchtigkeitsgehalt des Inhalts sorgt, was insbesondere bei Tabak oder Tee wichtig für die Lagerung ist.

Im Bild: in Kabazaiku-Technik überzogene Schachtel mit eingelegtem Motiv

Im Bild: die unglaublich vielfältige Feinstruktur der Rinde ist ein Augenschmaus

Die Technik entstand im nördlichen Akita in der Region Ani, vermutlich entwickelt durch die Shinto-Priester-Familie Goshono, und wurde dann vom Samurai Fujimura Hikoroku aus der Familie Satake-kita (nördliche Satake) während der Tenmei-Zeit (1781-1789) in Kakunodate eingeführt. Er wurde vom damaligen Daimyo der Burgstadt Kakunodate gefördert. Ursprünglich war das ein "Konjunkturprogramm" für Samurai niedrigen Standes mit geringem Einkommen, die sich so ein Zubrot verschaffen konnten. Hergestellt wurden z. B. die kleinen Medizin- oder Siegelbehälter (Inro, Doran), die Aufträge kamen von der Herrscherfamilie, die die Objekte als Geschenke brauchte. Dadurch wurde dieses lokale Kunsthandwerk in anderen Regionen Japans bekannt. Die Assoziation dieses Handwerks mit den Samurai-Familien brachte es mit sich, daß der typische Samurai-Stil kompromißloser Perfektion und Fokussierung auf die natürlich dem Material innewohnende Schönheit das Kunsthandwerk prägte. Nach der Abschaffung des Feudalsystems während der Meiji-Reformen wurde der Nebenerwerb zum Haupterwerb für die Familien, die sich nun aufgrund des Wegfalls der feudalsystembedingten Alimentierung wirtschaftlich völlig neu aufstellen mußten. In der Meiji-, Taisho- und Showa-Zeit erfuhr die Herstellung einen großen Aufschwung, es entstanden neue Techniken, kreative neue Anwendungen und neue Vertriebskanäle. Das heißt, daß es sich im Grunde um eine sehr alte Technik handelt (die bereits im Genji monogatari und im Manyo-shu erwähnt wird), die aber erst in den letzten 200 Jahren einen großen Aufschwung nahm und sich auf viele neue Gegenstände zum Verzieren ausdehnte. Nicht nur stieg aufgrund zunehmender Bekanntheit das Volumen der Produktion stark an, sondern es wurden auch neue Techniken entwickelt. Neue Vertriebskanäle wurden aufgebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es wieder bergab, die Produkte wurden zu minderwertiger Massenware, was hauptsächlich daran lag, daß arbeitslose Kriegsveteranen zu Gelegenheitshandwerkern wurde. Erst seit den 1960er-Jahren gab es wieder einen Aufschwung; die alte Technik wurde von traditionellen Handwerkern wiederbelebt, es kam sogar zu einem richtigen Boom, gefördert von einem neuen Bewußtsein für Traditionen und Qualität. Und es wurden immer neue Möglichkeiten der Anwendung entdeckt: Löffel für losen Tee, Füllfederhalter, Kugelschreiber, Deko-Boxen, Stifthüllen, Vasen und sogar Mousepads. Seit 1976 hat die Technik des Kirschbaumrinden-Überzuges den Status eines besonders geschützten traditionellen Kogei-Handwerks. Seit 1978 gibt es in der Stadt ein eigenes Museum, das ganz diesem Kunsthandwerk gewidmet ist, das Kakunodate Kaba-zaiku Densho-kan. Das hilft, das Niveau dieser Techniken hoch und die Tradition lebendig zu halten.

Im Bild: der Deckel besagter Schachtel

Im Bild: Details vom Deckel mit lebendiger Feinstruktur


Literatur, Links und Quellen:
Kabazaiku:
https://www.city.semboku.akita.jp/en/sightseeing/spot/07_kabazaiku.html
Inhalte des Akita Prefectural Government, Department of Industry and Labor, auf Google:
https://artsandculture.google.com/story/jAVh9MShunI3JQ
Kabazaiku:
https://www.achikochi.world/about-kabazaiku
Kabazaiku:
https://denshiro.jp/en/kabazaiku/
Video der Herstellung:
https://www.youtube.com/watch?v=z9f2Opz76YU - https://www.youtube.com/watch?v=ih1hn45uFmA
Kabazaiku:
https://anything-from-japan.com/art-craft/woodcraft/akita-cherry-bark-work
Artikel auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Kabazaiku


Andere Artikel über Japan lesen
Andere Länder-Essays lesen
Home

© Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2023
Impressum