Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (41): Onigawara


In Japan begegnen dem Besucher die Onigawara als dekorative Elemente an Dächern. Der Begriff setzt sich zusammen aus "Oni" = Dämon, Unhold und "Kawara", im Kontext "gawara" = keramischer Dachziegel, also insgesamt Dämonenziegel, Unholdziegel. Ein Onigawara ist also ein Schmuckziegel, der an besonders exponierten Stellen angebracht wird und die Form einer nach außen blickenden Dämonenmaske besitzt. Der Sinn der Anbringung ist konstruktiv der Wetterschutz, spirituell aber eine Art von Abwehrzauber, ein Oni soll Böses vom Gebäude abwehren - der an die prominenten Stellen des Daches gebannte Unhold wird zum Talisman, zum Schutz des Gebäudes, in alle Richtungen schauend, aus denen sich Unbill nähern könnte. Das solchermaßen Gebannte, Kontrollierte wird symbolisch in den eigenen Dienst gestellt, um das Gebäude vor noch Schlimmerem zu schützen. Das überwiegend verwendete Material ist Keramik, aber es gibt auch seltene Onigawara aus Stein oder Holz.

Ein Oni ist eine Art Dämon, obwohl diese Übersetzung nicht ganz treffsicher ist. In der westlichen Kultur ist ein Dämon durchweg böse konnotiert. In Japan hingegen kann ein Oni sich böse verhalten und Unheil anrichten, und er wird es bei jeder Gelegenheit auch tun. Aber ein Oni kann, wenn er will, auch brav sein und sich wohlverhalten. Deshalb wird "Oni" auch oft mit dem im Englischen und Französischen üblichen Wort "Oger" übersetzt, was es aber auch nicht richtig trifft; z. B. die menschen-oder kinderfressenden Eigenschaften eines Ogers haben nichts mit einem Oni gemeinsam. Und zudem gibt es in der deutschen Sprache "Oger" erst in neuerer Zeit als Übernahme aus dem Englischen, wir haben keine originäre Wortentsprechung. Manchmal findet man im Englischen auch die Übersetzung "Goblin".  Ikonographisch leiten sich die Oni von den indischen Rakshasa ab. Am ehesten könnte man einen Oni im Deutschen als Unhold bezeichnen, menschenähnlich, groß, stark und immer darauf aus, etwas anzustellen, was den Menschen nicht paßt. Im Haus sind Oni als Plagegeister gar nicht willkommen. In Japan gibt es an Setsubun (Neujahr) eine Zeremonie, bei der zum Oni-Verscheuchen Bohnen geworfen werden, begleitet von Rufen "Oni wa soto, Fuku wa uchi" - Oni außenhin, Glück innenhin! (wörtlich: Dämon - Nominativpartikel - außen, Glück - Nominativpartikel - innen). Dargestellt wird so ein Oni mit hervorquellenden Glubschaugen, wulstigen Gesichtszügen, gefletschtem Raubtiergebiß mit starken Eckzähnen, zotteligem Fellkranz außen und mit zwei Hörnern an den Schläfen. Manchmal wird das Oni-Gesicht noch von "Hire" ("Flossen) umgeben, volutenförmigen Seitenteilen, die die Fläche des Ziegels schmückend vergrößern.

Während die runden Endstücke (Gato, Gatou) von "normalen" kantenständigen Dachziegeln reihenweise mit Schmuckmotiven, Wappen, Namensstempeln etc. verziert werden, ist die Verwendung von Onigawara auf wenige wichtige Positionen beschränkt. Man findet sie an den beiden seitlichen Enden des Firstes (Oomune) oder an den unteren Abschlüssen der an den Dachseiten mit etwas Abstand zum Giebel schräg herunterlaufenden Rippen, den Kudarimune. Je nach Bauart des Daches hat man unterschiedliche Möglichkeiten:

Die Rippe selbst besteht aus mehreren Lagen Dachziegeln übereinander, und der Endziegel Onigawara deckt die Stirnseite des Stapels komplett ab. Der oberste letzte Ziegel des Rippenstapels kann eine besondere Form haben und zylindrisch nach vorne gezogen sein und so über den Onigawara-Ziegel hinausragen. Einen solchen Ziegel nennt man Toribusuma, Toriyasumi oder Suzume-gawara.

Die Form der Dekoration mit einer Dämonenmaske kam in der Kamakura-Zeit (1185-1332) auf. Vorher, in der Nara- und in der Heian-Zeit, war es üblich, diese Stellen entweder gar nicht oder wenn, dann mit floralen Motiven (Hana-gawara, Blumen-Ziegel) oder Tiermotiven zu schmücken. Die ältesten Onigawara waren flächige Reliefs, seit der Muromachi-Zeit gibt es plastische, dreidimensional durchmodellierte Onigawara. Die Verwendung von Onigawara ist nicht auf Tempel beschränkt, sondern kommt ebenso bei Schreinen und Palästen vor.


Abb.: Fukuzen-ji, Onomichi (Präfektur Hiroshima)

Abb.: Fukuzen-ji, Onomichi (Präfektur Hiroshima)

Myoshin-ji, Kyoto, Butsuden, am Oomune, seitlich Hire

Myoshin-ji, Kyoto, Butsuden, Sumikudai-mune rechts und Chigo-mune links, Ichi-no-oni links, Ni-no-oni rechts.

Myoshin-ji, Kyoto, Subtempel Shunko-in, Details des Kuri-Daches, seitlich Hire, oben Toribusuma, unten Gato.

Shokoku-ji, Kyoto, Hatto, Sumikudai-mune links und Chigo-mune rechts, Ichi-no-oni rechts, Ni-no-oni links, oben 2x große Toribusuma. Gato mit Dreipaß-Motiven.

Onigawara am Horyu-ji, Ikaruga (Präfektur Nara)

Onigawara am Motohasedera, Hasedera, Sakurai (Präfektur Nara)

Onigawara am Motohasedera, Hasedera, Sakurai (Präfektur Nara)


Literatur, Links und Quellen:
Onigawara auf JAANUS: http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/o/onigawara.htm
Oomune, Kudarimune etc. und Dachkonstruktion auf JAANUS:
http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/k/kudarimune.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/s/sumikudarimune.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/t/toribusuma.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/g/gatou.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/c/chigomune.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/o/oomune.htm - http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/i/ichinooni.htm
Onigawara auf Japan Visitor:
https://www.japanvisitor.com/japanese-culture/onigawara
Onigawara bei Mark Schumacher:
https://www.onmarkproductions.com/html/onigawara-goblin-tile.html
Onigawara auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Onigawara - https://de.wikipedia.org/wiki/Onigawara
Onigawara:
http://onigawara.info/
Oni auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Oni - https://de.wikipedia.org/wiki/Oni
Onigawara:
https://japanesemythology.wordpress.com/onigawara-and-the-kawara-museum/
Onigawara:
https://heritageofjapan.wordpress.com/6-nara-period-sees-the-nurturing-of-chinese-culture/in-the-shadow-of-the-chinese-empire/origins-of-the-onigawara-ceramic-rooftile/


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