Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (38): Tansu und Kaidan Tansu


Zu den typischen traditionellen Einrichtungsgegenständen des japanischen Hauses gehören Aufbewahrungsmöbel aus Holz: Tansu. Eine der wichtigsten Tätigkeiten im japanischen Haus ist das Verstauen. Die Räume sind viel zu klein, um permanent alle Besitztümer aufgebaut, drapiert oder offen herumstehen zu haben. Deswegen ist das japanische Zimmer permanent im Umbau begriffen, im Zyklus des Jahres (Winterkleidung, Sommerkleidung gemäß den Jahreszeiten Haru, Natsu, Aki und Fuyu), im Zyklus des Tages (Schlafen, Essen, Arbeiten, Lesen) oder anlaßbezogen (Arbeit, Besuch, Einladungen, Feste). Was man nicht benötigt, wird sicher in Holzkisten verstaut, den Tansu. Die Tansu waren meist tragbar und wurden im Kura, dem Lagerraum oder Lagerhaus, verstaut. Das hat außerdem einen großen Vorteil: Was sicher verpackt und verstaut ist, kann bei einem Erdbeben nicht herunterfallen und kaputtgehen, und man kann es im Falle eines Brandes schnell nach draußen schaffen. Und weil die Lagerräume meistens nicht wie die Wohnräume gebaut waren, sondern feuersicher waren, überlebte der Inhalt die früher gar nicht so seltenen Feuersbrünste. Nur diesem ständigen Verstauen verdanken wir den hervorragenden Zustand japanischer Antiquitäten, die auch Jahrzehnte nach ihrer Anschaffung noch wie neu wirken können, und älteren Dingen, die alle Brände der Stadt heil überstanden haben, während die Wohnhäuser in Schutt und Asche sanken. Manchmal befanden sich die Lagerhäuser auch ein bißchen weiter weg in der Straße, so daß man die Holztruhen hin und her trug. Die Sorgfalt im Umgang mit den wertvollen Gebrauchsgegenständen, die Wertschätzung schöner Alltagsgegenstände drückt sich auch im sorgfältigen Verstauen bei Nichtgebrauch aus. Ein Tansu ist nicht wie bei uns eine Truhe gebaut, also mit Klappdeckel nach oben, sondern eher wie eine Kommode mit einer oberen und einer unteren Hälfte, jede entweder mit zwei Schubladen oder mit zwei seitlich aufschwingenden Fronttüren. An den Seiten befanden sich Handgriffe, doch man schleppte die Kisten nicht mit den Händen an diesen Griffen, sondern daran hängte man den Tansu an eine Schulterstange. Tansu können schön gestaltet sein, aber primär waren sie nicht Kunstgegenstand, sondern Gebrauchsgegenstand. Im Gegensatz zu den schönen Dingen darin war ein Tansu nicht dazu gedacht, für sich wahrgenommen und bewundert zu werden. Deshalb ist das Material meist einfach behandeltes natürliches Holz ohne künstlerische Veredelung.

Koshi-no-ie in Nara, Stadtteil Naramachi, Zimmer Naka-no-ma mit Kastentreppe (Hako-kaidan)

Es gibt viele verschiedene Tanso, solche für Kleidung und solche für Küchenutensilien oder Geschirr (heißen dann Mizuya), solche für Ladeneinrichtungen und solche für die Reise. Eine ganz besondere Form ist ein Tansu in Stufenform, der in den Wohnräumen zugleich als Treppe ins Obergeschoß genutzt wird. Da der Wohnraum begrenzt ist, muß die vorhandene Fläche optimal und maximal genutzt werden. Da man sowieso einen stabilen Unterbau für die Treppe braucht, kann man deren Seitenfläche auch mit Klapptüren, Regelbrettern und Schubladen füllen. So entsteht eine Kastentreppe oder ein Treppenschank, der Kaidan Tansu genannt wird, aussprachlich auch zu Kaidan-Dansu angeglichen. Kaidan ist die Treppe, Tansu die Holztruhe. Alternative Namen sind Hako-kaidan, abgekürzt zu Hako-dan, und Hako-hashigo. Es ist ein für das traditionelle Machiya-Haus typisches Element. Der Vorteil einer solchen Konstruktion ist, daß die Treppe selbsttragend und freistehend ist, also keine seitlichen Kräfte auf konstruktive Teile des Hauses ausübt. Wenn mehr Platz ist, gibt es durchgehende Stufen, bei weniger Platz konstruiert man eine Kastentreppe auch mit versetzten Stufen. Dabei bezeichnet man die Schrankelemente als Todana, die Schubladenelemente als Hikidashi. Da solche Staumöbel im Zimmer sichtbar sind, werden sie aus besserem Material gemacht, typischerweise Zelkovenholz (Keyaki), Zedernholz (Sugi), Zypressenholz (Hinoki). Wer besonders leichtes Holz verwenden möchte, nimmt Paulownienholz (Kiri). Die im Kura verstauten Tansu werden häufig aus Kiefernholz (Matsu) gemacht. Manchmal kombiniert man auch verschiedene Holzsorten, je nachdem, ob es sich um die tragenden oder die verblendenden Teile handelt.

 

Entoku-in in Kyoto, Kastentreppe (Hako-kaidan) mit versetzten Stufen, oben Falltür.

Nach einer Zeit der Modernisierung haben Japaner mittlerweile den Zauber von Antiquitäten entdeckt und bauen wieder Kastentreppen in traditionell eingerichtete Häuser ein. Und eine ganz andere Architekturströmung hat die Kaidan Tansu für sich entdeckt: Die sog. Tiny Houses sind darauf angewiesen, jeden verfügbaren Raum maximal und vielfältig zu nutzen, deshalb wird diese Konstruktion dort adaptiert.


Literatur, Links und Quellen:
Nicholas Bornoff, Michael Freeman: Things Japanese - Everyday Objects of Exceptional Beauty and Significance, 143 S., Verlag Periplus, 2014, ISBN-10: 480531303X, ISBN-13: 978-4805313039, S. 12-13
Karel Bos: Hakokaidan or Kaidan-dansu, 2012, ISBN: 9783656822820 -
https://www.grin.com/document/187867
Artikel "Hakokaidan" auf JAANUS:
http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/h/hakokaidan.htm


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