Bernhard
Peter
Typisch
japanische Dinge (17): Natsume und Chaire
Natsume | Chaki | Chaire | Ou-natsume | Chuu-natsume | Ko-natsume |
Der unter dem Namen Natsume bekannte Behälter gehört zu den zu einer Teezeremonie (Chanoyu) notwendigen Utensilien. Es handelt sich um eine kleine Deckeldose, deren Körper meist aus Holz besteht und deren Oberfläche mit meist schwarzem oder rotem Lack überzogen ist, meist noch mit goldenen und/oder silbernen Motiven oder Mustern verziert (Maki-e). Viele verschiedene Lacktechniken können zum Einsatz kommen, darunter auch die Technik gravierten Mehrschichtenlacks (Hori-urushi), manchmal auch kombiniert mit Perlmutteinlagen (Raden), aber ebenso Maltechniken mit Ölfarbe - der Vielfalt sind kaum Grenzen gesetzt. Der Körper kann außer aus Holz auch aus Bambus oder aus lackiertem Papier angefertigt sein. Die Öffnung ist groß und befindet sich oberhalb der Mitte im Bereich großer Breite.
Diese als Natsume bezeichnete Deckeldose wird durch eine charakteristische, bauchige Form mit abgerundetem Deckel und zur Standfläche hin abgerundetem Fuß definiert; sie ist unten ein bißchen schmäler als oben. Es ist eine Form, die ihren Namen erklärt: Die Natsume oder chinesische Jujube ist die Frucht des ursprünglich aus Nord- und Nordostchina stammenden und bis zu 10 m hohen Baumes Ziziphus jujuba (gehört zu den Kreuzdorngewächsen, Rhamnaceae) und wird auch Chinesische Dattel, Kumul-Dattel, Rote Dattel oder Azufaifa genannt. Die kleinen, ovalen Früchte des auch in Japan verbreiteten Baumes sind in reifem Zustand rot bis rot-purpurn gefärbt, ca. 2 - 3,5 cm lang und 1,5 - 2 cm breit und eßbar. Die bauchig-ovale Form bei leicht abgeplatteter Ober- und Unterseite stand Pate bei der Namensgebung für die hier beschriebene Teepulverdose.
Der Behälter wird auch Usucha-ki oder kurz Usu-ki genannt, wobei dieser Begriff von der Form her etwas weiter gefaßt ist und auch zylindrische Dosen umfaßt, während man unter Natsume eine ganz bestimmte bauchige Form versteht. Andersherum ausgedrückt: Eine Dose, die nicht Natsume-Form besitzt, wird Uzu-ki genannt. Da gibt es viele Unterformen: Kinrinji, Kouaka, Fubuki, Oimatsu, Nakatsugi etc. Typischerweise ist eine Natsume ca. 7 cm hoch bei gleichem Durchmesser. Es wird noch die Hira-natsume unterschieden, die flacher ist und dafür einen größeren Durchmesser besitzt. Eine große Natsume wird als O-natsume bezeichnet, eine kleine als Ko-natsume, eine für eine einzelne Person bzw. eine einzige Tasse als Ippuku-natsume. Im Gegensatz zu einer Cha-ire werden Natsume bei Nichtgebrauch nicht noch zusätzlich in einem Stoffbeutel (Shifuku) mit Webmuster (Kireji) aufbewahrt, aber in einem passenden Holzkästchen mit Deckel.
Diese Deckeldose namens Natsume spielt eine wichtige Rolle bei der Teezeremonie, weil darin der pulverisierte grüne Tee (Matcha) aufbewahrt wird. Bei der Teezeremonie kommen zwei verschiedene Arten von Tee zum Einsatz, die seit dem 16. Jh. unterschieden werden: Es gibt den starken Tee (Koi-cha), der nur bei einer vollständigen Tee-Einladung zuerst zubereitet und serviert wird. Das dazu benutzte Teepulver wird in der Teedose aus Keramik vom Typ Cha-ire aufbewahrt, die an chinesische Medizinflaschen aus Keramik erinnert und eine kleine Öffnung oben hat. Koi-cha ist so dick, daß er eher "gegessen" als getrunken wird. Koi-cha stammt von Teebüschen, die älter als 30 Jahre sind. Danach ordnet der Gastgeber das Holzkohlenfeuer neu, um als nächstes den dünnen Tee zuzubereiten, den Usu-cha. Usu-cha wird aus den Blättern junger Teebüsche gewonnen. Die Teedose vom Typ Natsume wird zur Aufbewahrung des Teepulvers für den leichten Tee benutzt, das mit einem Bambuslöffel (Chashaku) entnommen und in der vorgewärmten Teeschale (Chawan) mit heißem Wasser übergossen und mit dem Bambusbesen (Chasen) schaumig gerührt wird. Zum Vergleich: Dicker Tee braucht pro Wassermenge dreimal soviel Teepulver wie leichter Tee.
Anfangs wurden viele andere Formen an Aufbewahrungsdosen für den pulverisierten grünen Tee benutzt (z. B. Yakki, Satsu und Kinrin-ji), ehe sich diese hölzernen Lackdosen durchsetzten, die auf Haneda Goro (Gorou) zurückgehen, der in der Muromachi-Periode während der Regierungszeit von Ashikaga Yoshimasa (1433-1490) im Myoukaku-ji in Kyoto lebte, also in einer Zeit, als sich die Teekultur gerade zu entwickeln begann. Innerhalb der Dosenart gibt es viele Varianten, die das Höhen-Breiten-Verhältnis, die Art des Übergangs zwischen Unterteil und Deckel und die Größe betreffen. Die von dem berühmten Teemeister Sen no Rikyuu (1522-91) bevorzugte Form heißt nach ihm Sen-rikyuu-gata. Die Form der Natsume ist 1562 in den Aufzeichnungen des Imai Sokyu und 1564 in den Aufzeichnungen des Tsuda Sotatsu belegt. Unter den Schülern des Sen no Rikyuu setzte sich die Form der Natsume durch und verdrängte weitgehend alle anderen lackierten Holzgefäße für diesen Zweck.
Die Konversation im Teeraum bei einer Teezeremonie folgt strengen Regeln. Es ist z. B. absolut tabu, Themen von außerhalb des Teeraumes anzusprechen. Die Zeremonie soll der Harmonie dienen, und alle Probleme sollen draußen bleiben. Um so mehr dienen die einzelnen Utensilien, ihre Schönheit, die herstellenden Künstler als Konversationsstoff. Weil die einzelnen Objekte über längere Zeit im Fokus der Aufmerksamkeit der Gäste stehen und so zum Medium des Kunsterlebnisses werden, müssen sie von erlesener Qualität und Kunstfertigkeit sein und vor allem stilistisch zueinander passen und sich gut ergänzen. Ein erfahrener Gastgeber wird die Motive anlaßbezogen oder jahreszeitlich passend wählen und darauf achten, daß die Utensilien sich synergistisch in ihrer ästhetischen Wirkung ergänzen und sich nicht gegenseitig "beißen" (roter Chawan zu roter Natsume o.ä.). So können die Gäste nach dem Genuß die Dogu (Dougu), die Teeutensilien, bestaunen und ihre Kunstfertigkeit loben.
Natsume, Lack auf Holzkörper, zeitgenössische Arbeit aus Kyoto mit Ahornblättern auf schwarzem Grund
Hira-Natsume (8 cm Durchmesser, 5,8 cm Höhe), Lack auf Holzkörper, zeitgenössische Arbeit aus Wajima mit Falkenfedern auf schwarzem Grund, eine Arbeit von Shun Ebata.
Chu-Natsume (6,6 cm Durchmesser, 6,7 cm Höhe), Lack auf Holzkörper, zeitgenössische Arbeit aus Wajima mit Noshi-maki-e (Neujahrsdekoration) auf zinnoberrotem Grund, hergestellt von Jiho Ikehata.
Natsume (7 cm Durchmesser, 7 cm Höhe), 20. Jh., Künstler: Syuhou, Lack auf Holzkörper.
Chu-Natsume (6,7 cm Durchmesser, 7,1 cm Höhe), 20. Jh., Künstler: Kosai Nakamura (geb. 1955), Motiv: Trauerweide, Lack auf Holzkörper, Chinkin-Technik (mit Goldpulver)
Natsume (6,7 cm Durchmesser, 6,7 cm Höhe), 20. Jh., Lack auf Holzkörper, Künstler: Naohiko, Motiv: Faltfächer.
Natsume (7,3 cm Durchmesser, 7,5 cm Höhe), 20. Jh., Lack auf Holzkörper, Kodaiji Maki-e, Kiri = Pawlonienblütenstand mit Blättern und Kiku = Chrysantheme
Natsume (6,8 cm Durchmesser, 6,9 cm Höhe), 20. Jh., Lack auf Holzkörper, Ume maki-e (Pflaumenblüten), Wajima-Lackarbeit vom Künstler Masamine.
Wie entnimmt man nun das Matcha-Teepulver aus so einem Lackbehältnis? Ganz sicher nicht mit einem prosaischen Löffel westlicher Bauart aus Metall oder gar Plastik. Damit der Lack einer Natsume nicht beschädigt wird, darf man auf gar keinen Fall mit irgendeinem härteren Material da hineinhebeln. Hierfür gibt es spezielle Teepulver-Löffel, die Chashaku genannt werden. Typischerweise wird er aus Bambus angefertigt und in Handarbeit geschnitzt und unter Einsatz von heißem Wasserdampf in die charakteristische Löffelform mit geschwungenem Stiel gebogen. Solche Bambuslöffel haben in der Mitte des Stiels meist eine Verdickung von einem Knoten des Bambusrohrs. Nach Gebrauch wird so ein Bambuslöffel nie naß gespült, sondern nur mit einem trockenen Tuch abgewischt. Naßwerden könnte die fixierte Biegung beeinträchtigen. Eine andere Variante ist der abgebildete Lacklöffel von Künstlerhand (Abb. oben), genau wie die Natsume lackiert und mit Maki-e verziert, in diesem Fall mit Kirschblüten und Ahornblättern und einzelnen Blütenblättern. Lacklöffel sind beständiger gegen Wasser und können auch feucht gereinigt werden. Für solche Löffel gibt es eine eigene Kiri-Box zur Aufbewahrung wie für andere Dinge der Teezeremonie auch (Abb. unten). Ein solcher Chashaku wird nur für Matcha-Tee, also Pulver-Tee verwendet, niemals für Sencha. Ein gehäufter Chashaku voll entspricht ca. 1 g Teepulver.
Eine Chaire ist ebenfalls eine elegante Ausbewahrungsdose für Tee, aber aus Keramik und für den dicken Tee (Koi cha) bestimmt. Form und Glasur variieren stark; typisch ist Steinzeug mit Überlaufglasur in Brauntönen. Die Form kann schmal und schlank oder breit und bauchig sein. Allen gemeinsam ist die hochwertige, dünnwandige Keramik. Als Verschluß dient ein flacher, gedrehter Deckel, der auf der Unterseite mit Goldpapier beklebt ist. Das Material für diese Deckel ist bei sehr hochwertigen Produkten Elfenbein (Vorsicht beim Kauf und Verkauf, Handels- und Importverbot, Papiere!), standardmäßig Knochen oder auch Kunststoff. Typisch für alle bei der Tee-Zeremonie verwendeten Gegenstände ist die klare Form, das nüchterne Design, die unaufdringliche Qualität des Materials und die zurückhaltende Farbgebung.
Die Abb. oben und unten zeigen eine Arbeit von Teiichi Oketani (1935-). Diese als Kyo-Arbeit bezeichnete Dose für Tee mißt 9 cm Breite und 5,3 cm Höhe und wurde ca. 1990 hergestellt. Der Künstler ist erstklassig und war mehrfach zur Nitten-Ausstellung zugelassen, einer der wichtigsten Ausstellungen für japanisches Kunsthandwerk.
Typisch ist die Aufbewahrung des Teebehälters: Zuerst wird die Deckeldose in ein Brokatsäckchen mit Schnurzug verpackt. Dieses Säckchen nennt man Shifuku, das Webmuster Kireji. Das Ganze kommt dann in ein hölzernes Kästchen mit Deckel, traditionell aus dem Holz der Paulownie (Kiri) angefertigt, einem weichen, leichten, großporigen und leicht zu bearbeitenden Holz. In der Regel signiert der Künstler nicht nur die Keramik am Boden, sondern auch das Holzkästchen, das den Namen in schwarzer Tusche-Kalligraphie und rote Stempel trägt. Chaire, Shifuku und Holzkästchen bilden eine Einheit und werden zusammen verkauft. Die doppelte Verpackung dient nicht nur dem Schutz der dünnwandigen Keramik, sondern bringt auch die hohe Achtung vor dem Kunsthandwerk, vor dem Teepulver darin und die Rafinesse des Teeweges zum Ausdruck.
Genauso wie Teeschalen stellen Natsume und Chaire Kunstgegenstände dar, die unter Tee-Enthusiasten hohe Wertschätzung genießen und begehrte Sammelobjekte sind, insbesondere von namhaften Künstlern.
Literatur,
Links und Quellen:
Natsume (Baum): https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Jujube
http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/n/natsume.htm und http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/u/usuchaki.htm
Ablauf der Teezeremonie: https://www.buenting-tee.de/teekunde/tee-zeremonien/japanische-teezeremonie/
Starker Tee und leichter Tee und die Unterschiede bei der
Zubereitung und beim Genuß: https://namakajiri.net/nikki/tea-ceremony-notes-the-difference-between-usucha-and-koicha/
Utensilien der Teezeremonie: https://en.wikipedia.org/wiki/Japanese_tea_ceremony_utensils
Teezeremonie: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanische_Teezeremonie
Lexikon des Teeweges: http://www.teeweg.de/de/service/unterricht/chago.html
Natsume, Entwicklung: http://wiki.chado.no/Natsume
Inés De Castro, Toko Shimomura, Uta Werlich, Naomichi Ishige,
Sumiko Tatsuuma: Oishii! Essen in Japan, 224 S., Arnoldscher
Verlag 2016, ISBN-10: 3897904683, ISBN-13: 978-3897904682
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